Chancen und Probleme szenischer Verfahren im Umgang mit Lyrik des 19. Jahrhunderts im Literaturunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorüberlegungen

2. Gedichte szenisch umsetzen???

3. Das Angebot zweier Lehrwerke zum Umgang mit Lyrik
3.1 Klasse 5/6
3.2 Klasse 7/8
3.3 Klasse 9/10
3.4 Fazit

4. Besondere Herausforderungen durch die Arbeit mit szenischen Verfahren im Lyrikunterricht
4.1 Für den Schüler
4.2 Für die Lehrkraft

5. Vorschläge zum szenischen Umgang mit Lyrik
5.1 Kaspar Spinners Vorschläge
5.2 Albrecht Schaus Anregungen
5.3 Marina Shines Angebote

6. Zusammenfassung / Resümee

7. Literatur

1. Vorüberlegungen

Die Lyrik des 19. Jahrhunderts ist ein fester Bestandteil des Literaturunterrichtes in den verschiedensten Klassenstufen – und das nicht ohne Grund. Denn im 19. Jahrhundert stand Lyrik im Mittelpunkt des literarischen Interesses. Es war die Zeit, als man von Lyrik leben konnte und als Gedichte noch ein alltäglicher Bestandteil des Lebens waren, da sie regelmäßig in Zeitungen veröffentlicht wurden und immer wieder riesige Bände und Anthologien erschienen, welche in nahezu jedes gut bürgerliche Haus gehörten. Nicht nur etablierte Dichter produzierten zeitgenössische Gedichte, sondern auch das Bürgertum selbst. Dabei standen oftmals liedhafte Formen im Zentrum des Interesses, denn die Dichter wollten sich Zugang zum gemeinen Volk verschaffen, um die Spannungen zwischen Individuum und Gesellschaft mithilfe von Gedichten auszutragen. Das bedeutet, dass die Lyrik des 19. Jahrhunderts dem Individuum die Möglichkeit gab, „Ich“ zu sagen, ohne dabei Rücksicht auf gesellschaftliche Verluste zu nehmen. Dabei spielte die Natur eine große Rolle, in die sich der Dichter immer wieder zurückzieht, um der Realität der Welt zu entfliehen. Generell kann man das 19. Jahrhundert als „das Jahrhundert der Lyrik“ bezeichnen, denn sie vereint viele Strömungen wie Naturlyrik, Erlebnislyrik aber auch politische Lyrik in sich und ist dabei unterhaltsam und anspruchsvoll zugleich. Und obwohl die Liedhaftigkeit in den Gedichten des 19. Jahrhundert dominiert, finden sich auch nichtliedhafte Formen, wie Oden, Elegien oder Sonette.[1]

Da die Lyrik des 19. Jahrhunderts also sehr vielfältig in Bezug auf Inhalt und Form ist, ist sie für den Literaturunterricht äußerst interessant und sollte, meiner Meinung nach, nicht nur auf die „herkömmliche“ Art und Weise behandelt werden. Mit „herkömmlich“ meine ich Folgendes: Das Gedicht wird zuerst auf die äußere Form hin untersucht. Das heißt, dass beispielsweise Reim und Metrum analysiert und später eventuell auf den Inhalt bezogen werden. Der nächste Schritt ist dann die Interpretation des lyrischen Werkes. Dabei soll ermittelt werden, welche Botschaft der Autor mit dem Gedicht zu übermitteln versucht. Dieser Prozess geht größtenteils mit der Bestimmung der Entstehungsepoche und deren typischen Merkmalen einher.

Marcel Kunz[2] ist der Ansicht, dass ein Großteil der Schüler grundsätzlich eine positive Einstellung zu Gedichten hat. Diese Einstellung kann jedoch sehr leicht zunichte gemacht werden, indem die Schüler beispielsweise immer wieder Gedichte auswendig lernen müssen oder indem man das „Geheimnisvolle“ eines Gedichtes durch übertriebene „Analyse“, „Hineininterpretation“ und „Zergliederung“ zerstört. Dadurch können Lyrikstunden ziemlich schnell frustrierend und langweilig für die Schüler werden.

Aus diesem Gründen sollte man als Lehrer auch einmal eine andere Herangehensweise an Gedichte wagen und diese nicht nur als bloßen Analysegegenstand ansehen, sondern auch berücksichtigen, dass lyrische Texte ästhetische und kunstvolle Gebilde sind, die einen hohen Grad an Metaphorik aufweisen, welche man durchaus auch szenisch realisieren kann.

In der vorliegenden Hausarbeit soll die Thematik der szenischen Realisierung lyrischer Texte des 19. Jahrhunderts im Literaturunterricht näher beleuchtet werden. Mit „szenischer Realisierung“ sind hier die verschiedenen Formen des Gedichtvortrages und die Darstellung eines konkret fassbaren Inhaltes gemeint. Es soll auch thematisiert werden, auf welche Art und Weise der Zugang zu Lyrik interessanter für die Schüler gestaltet werden kann und was die Lerner für Vorteile daraus ziehen können, wenn sie ein Gedicht auch einmal auf szenische Art und Weise umzusetzen.

Anmerkung: Ich habe mich bewusst dazu entschieden, ausschließlich die Pluralformen „Schüler“ und „Lehrer“ zu verwenden, wenn ich mich auf die Schülerinnen und Schüler und auf die Lehrerinnen und Lehrer beziehe. Dies mag zwar politisch nicht ganz korrekt sein, aber ich finde, dass diese Variante aufgrund ihrer Kürze der Lesbarkeit des Textes zugute kommt.

2. Gedichte szenisch umsetzen???

Das szenische Spiel findet heute mehr denn je Beachtung im Unterricht, was nicht zuletzt an der größer werdenden Bedeutung handlungsorientierter didaktischer Konzepte liegt, welche ein ganzheitliches Lernen vorsehen.[3] Dennoch haben viele Deutschlehrer Bedenken, ein Gedicht von den Schülern spielerisch darstellen zu lassen. Auch Ingo Scheller[4] hält die lyrische Form als wenig geeignet für die szenische Interpretation, da in dieser meist keine Charaktere vorkommen, die in bestimmten sozialen Situationen eine Rolle spielen. Aus diesem Grund eignen sich Gedichte nicht so gut wie andere Formen (Drama, Kurzgeschichte…) zur szenischen Realisierung, da es dort eben kaum dialogische Rede gibt. Eine Ausnahme sind Balladen, die sich aufgrund ihres epischen, teilweise dramatischen Charakters und ihrer szenischen Struktur gut spielen lassen. Man denkt dabei an berühmte Schiller- Balladen, wie „Der Taucher“, „Die Bürgschaft“ oder „Der Handschuh“, welche sich aufgrund ihrer dramatischen Komponente sicherlich problemlos spielen lassen können. Ein weiteres Argument gegen die szenische Umsetzung lyrischer Formen ist, dass eine szenische Realisation lyrischer Texte einen hohen Schwierigkeitsgrad in sich birgt, da die Schüler erst ein gewisses Gefühl für den Text und dessen Bildlichkeit entwickeln müssen, um die darin vorkommenden Stimmungen und Bilder zu visualisieren und in Bewegungen und Gefühl umsetzen zu können. Doch dazu mehr in Punkt 4 dieser Arbeit. Einige Autoren bezeichnen das Gedicht häufig als „sperrig“ in Bezug auf die szenische Umsetzung[5] und andere sind sogar ganz strikt gegen die spielerische Umsetzung von Gedichten: „Die dem künstlerisch hochwertigem Gedicht angemessene Form der Nachgestaltung ist der lebhafte Vortrag, nicht das Spiel. Spiel ist deshalb nur insofern bei der Behandlung von Gedichten gerechtfertigt, als es der Vortragsschulung dient.“[6]

Ich denke, dass Gedichte durchaus auch für eine szenische Realisierung in Frage kommen und nicht nur der Analyse oder Vortagsschulung dienen. Doch bevor ich einige Vorschläge zur spielerischen Aufmachung von Lyrik vorstellen werde, soll vorerst das Angebot aktueller Lehrwerke näher beleuchtet werden und anschließend sollen noch einige Worte zu den besonderen Herausforderungen des szenischen Spiels mit Lyrik für Lehrer und Schüler untersucht werden.

3. Das Angebot zweier Lehrwerke zum Umgang mit Lyrik

Um das Vorhandensein und Vorkommen szenischer Verfahren mit Lyrik im gymnasialen Literaturunterricht zu prüfen, habe ich 2 verschiedene Lehrwerke (Klasse 5 bis 10) konsultiert, um zu sehen, ob, und inwieweit dort szenische Ansätze für Lyrik auftauchen und wie diese konzipiert sind. Bei dem einen Lehrwerk handelt es sich um das Deutschbuch[7] von 2000 (Cornelsen) und das zweite Lehrwerk ist Deutsch vernetzt – Medien und Literatur[8] aus dem Jahr 2003 (Diesterweg).

3.1 Klasse 5/6

Im Deutschbuch der Klassen 5 und 6 liegt der Fokus im Hinblick auf die Arbeit mit Lyrik meist auf der Schulung der Vortragsweise. In Klasse 5 werden die Schüler erst an die Terminologie herangeführt und lernen, mit den Begriffen Vers, Metrum, Reim, Silbe […] umzugehen. Im Bezug auf szenisches Spiel bietet das Deutschbuch 5 ein extra Kapitel an, welches das Spielen verschiedener Situationen, das Schreiben und Spielen von Dialogen und Pantomime vorsieht. In Klasse 6 werden dann noch einige einfachere Stilfiguren, wie Personifikation und Metapher eingeführt. Die Schüler sollen nun auch den Inhalt von Gedichten wiedergeben und herausfinden, welche Stimmungen durch bestimmte Gedichte geweckt werden.

Deutsch vernetzt sieht in Klasse 5 je einen Komplex zu Jahreszeitengedichten und Erzählgedichten vor. Mit den Gedichten zu den verschiedenen Jahreszeiten sollen sie Schüler vor allem mit den unterschiedlichen Stimmungen vertraut gemacht werden, die diese Gedichte übermitteln. Begleitend werden die Schüler in die Terminologie der Lyrik eingeführt und lernen, mit den Begriffen Vers, Metrum, Strophe usw. um zugehen. Auch das betonte Lesen von Gedichten soll geübt werden. Bei den Erzählgedichten geht es eher um die inhaltliche und formelle Erschließung eines Gedichtes und um die Anregung der Vorstellungskraft und des Reflexionsvermögens. Das Lehrbuch bietet hier unter anderem eine Aufgabe an, bei der die Schüler einen Dialog zu Goethes „Es war einmal ein König“ schreiben und aufführen sollen.

In Deutsch vernetzt der Klasse 6 geht es vor allem um Gedanken zum Herbst, um das Ergänzen und Wiederherstellen von Gedichten, um das Entflechten von Texten und sogar um das Vortragen und Darstellen von Gedichten. Zu letzterem bietet das Buch eine ganz besonders kreative Aufgabe in Bezug auf Mörikes „Septembermorgen“ an, die wie folgt lautet: „1 Die langsam fließende Bewegung des Nebels, der die Dinge verdeckt und dann auch wieder sichtbar werden lässt, könnt ihr nachspielen. Benutzt große Tücher oder Bänder und bewegt sie entsprechend. Nehmt - ein graues Tuch für den Nebel, - ein blaues für den Himmel, - mehrere Tücher in warmen, bunten Farben für die herbstliche Welt. 2 Du kannst das Gedicht auch laut vorlesen. Versuche dabei die Stimmung wiederzugeben. 3 Verbinde die Bewegung der Tücher und Bänder mit dem Lesevortrag.“[9] Auf den folgenden Seiten wird auch noch eine Aufgabe angeboten, die die musikalische Untermalung eines Gedichtes vorsieht. Im Große und Ganzen hatte ich den Eindruck, dass Deutsch vernetzt der Lyrik einen höheren Stellenwert zukommen lässt, als das Deutschbuch, da diese dort in größerem Maße vorhanden ist.

3.2 Klasse 7/8

Im Deutschbuch der Klassen 7 und 8 scheint es größtenteils wieder um die Vortragsschulung mit Lyrik zu gehen. In Klasse 7 steht die Ballade im Vordergrund, wobei die Schüler sprachliche, formelle und inhaltliche Besonderheiten dieser Form erlernen sollen. Hinsichtlich der szenischen Umsetzung bietet das Buch hier Pantomime zu Goethes „Zauberlehrling“ an, wobei ein Schüler lebhaft vortragen soll, während ein anderer Schüler das Erzählte pantomimisch realisiert. In Klasse 8 werden Gedichte in Bezug auf Mensch und Umwelt behandelt. Die gegeben Gedichte sind Darstellungen von verschiedenen Städten und Umgebungen, welche die Schüler bezüglich der Form, der Stimmung und der Bilder vergleichen sollen. Sogar dialektale Lyrik wird in dem Buch behandelt. Hinsichtlich szenischer Aufführung bietet das Deutschbuch 8 ein eigenes Kapitel zu Goethe und Schiller, welches Rollenlesen und teilweise auch Spielen von Schillers „Willhelm Tell“ in Auszügen vorsieht.

[...]


[1] Aus den Aufzeichnungen und dem Protokoll zum Seminar „Lyrik des 19. Jahrhunderts“ vom
24.04.2006, unter Leitung von Prof. Dr. Gottfried Willems

[2] Kunz, Marcel. Spiel-Raum. Literaturunterricht und Theater. S.88-89.

[3] Vgl. Spinner, Kaspar H.: Spielszenen im Deutschunterricht. In: PD 166, S.4.

[4] Vgl. Scheller, Ingo: Szenische Interpretation. In: PD 136, S.27, 29.

[5] Vgl. Schuster, Karl: Das Spiel und dramatischen Formen im Deutschunterricht. S.136.

[6] Aus: Darstellendes Spiel im Deutschunterricht. Hrsg. von Paul Amtmann. S.58.

[7] Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch. Hrsg. v. Heinrich Biermann u. Bernd Schurf. 2000. [5.-10.
Schuljahr]

[8] Deutsch vernetzt. Medien und Literatur. Hrsg. v. Jürgen Baurmann. 2003. [5.-10. Schuljahr]

[9] Deutsch vernetzt, S.60

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Chancen und Probleme szenischer Verfahren im Umgang mit Lyrik des 19. Jahrhunderts im Literaturunterricht
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Germanistische Literaturwissenschaft, Abteilung Fachdidaktik)
Veranstaltung
Lyrik des 19. Jahrhunderts als Gegenstand des Deutschunterrichtes
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V121774
ISBN (eBook)
9783640264612
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Chancen, Probleme, Verfahren, Umgang, Lyrik, Jahrhunderts, Literaturunterricht, Lyrik, Jahrhunderts, Gegenstand, Deutschunterrichtes
Arbeit zitieren
Stefanie Warnke (Autor:in), 2006, Chancen und Probleme szenischer Verfahren im Umgang mit Lyrik des 19. Jahrhunderts im Literaturunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121774

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