Die berufliche Orientierung Jugendlicher in Zeiten gesellschaftlichen Wandels

Stellt das Freiwillige Soziale Jahr im Bezug auf die berufliche Orientierung eine hilfreiche Institution dar?


Dossier / Travail de Séminaire, 2008

17 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Wandel der Gesellschaft und seine Auswirkungen auf die berufliche Orientierung

3. Psychologisches Konzept zur Orientierung

4. Das Freiwillige Soziale Jahr als Hilfe zur Berufsfindung?

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Berufliche Orientierung, Berufsausübung und spätere berufliche Umorientierung sind Themen, denen sich kaum ein Mitglied der modernen Gesellschaft entziehen kann. Vor allem der erste prägende Schritt, die Berufsfindung, ist von besonderem Interesse, da hier meist die Weichen für die weitere berufliche Entwicklung gestellt werden. Die Berufsfindung fällt in die Jugendphase, in der Autonomie und die Ausbildung einer Ich- Identität angestrebt werden.

Die Gesellschaft und mit ihr auch die Berufsarbeit hat sich stark gewandelt. Zunächst durch die Industrialisierung, welche Arbeitsteilung, Bürokratisierung sowie die Entstehung neuer Industriezweige und Berufe mit sich brachte, und schließlich durch den Übergang zu einer Informationsund Dienstleistungsgesellschaft. Auch wenn der mittlerweile ständige und immer schneller sich vollziehende Wandel zur Folge hat, dass der einmal gewählte Beruf nicht ein Leben lang ausgeübt wird, bildet die zunächst ergriffene Tätigkeit die Startposition, von der aus Spezialisierung, Aufstieg, Neuorientierung, Berufsoder Betriebswechsel überhaupt erst möglich werden. Damit hat die nach dem Schulabschluss getroffene Entscheidung über den zu ergreifenden Beruf einen sehr hohen Stellenwert.

Es gibt neben allgemeinen Konzepten zur Orientierung und Wertfindung Jugendlicher einige spezifische Theorien und empirische Studien, die sich mit den Leitmotiven für eine Berufswahl im sozialen Bereich beschäftigen. Sie sollen im Rahmen dieser Arbeit dargestellt werden.

Nach dem eher theoriegeleiteten Teil wird der eher praxisorientierten Frage nachgegangen, ob das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) eine besondere Hilfestellung im Übergang zwischen Schule und Beruf darstellen kann. Die Idee zu dieser Arbeit ist durch meine Aufgabe entstanden, pädagogische Begleitseminare für junge Menschen im FSJ zu gestalten. Die dadurch gegebene Orientierung scheint nach meinen Erfahrungen den Jugendlichen mehr Sicherheit bezüglich der Fragen zu geben, welche Wertvorstellungen sie für sich als verbindlich annehmen wollen und wie diese ihre Berufswahl beeinflussen können. Um zu überprüfen, wie die Jugendlichen diese mögliche Hilfestellung selbst beurteilen, habe ich abschließend eine junge Frau interviewt, die gerade ein FSJ absolviert hat.

2. Der Wandel der Gesellschaft und seine Auswirkungen auf die berufliche Orientierung

Neben den bereits skizzierten Veränderungen der letzten Jahrzehnte sollen an dieser Stelle vor allem jene Veränderungen beschrieben werden, welche Auswirkungen auf die berufliche Situation haben. Die beiden Autoren SENNETT und BECK beschäftigen sich intensiv mit diesem Aspekt.

In seinem Buch “Der flexible Mensch”, 1998 im Original unter dem Titel “The Corrosion of Character” erschienen, schildert der nordamerikanische Soziologe und Kulturkritiker RICHARD SENNETT die Auswirkungen der globalisierten Wirtschaft und der mit ihr einher gehenden Veränderungen in der Arbeitswelt auf die Gesellschaft und das Individuum. SENNETT untersucht die Anpassung, die die neue Wirtschaftsordnung den Lohnarbeitern aufzwingt und beschreibt die daraus folgenden Mutationen in Lebensführung und Selbstverständnis der Menschen. Als Ergebnis dieses Prozesses stellt er die “Flexibilität” als notwendige Fähigkeit zum Bestehen im „neuen Kapitalismus“ heraus.

Schon in der Einleitung seiner Arbeit macht SENNETT sein Verständnis der neuen Wirtschaftsordnung mit ihrem Leitpostulat “Flexibilität” deutlich:

“Starre Formen der Bürokratie stehen unter Beschuss, ebenso die Übel blinder Routine. Von den Arbeitnehmern wird erwartet, sich flexibel zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein, ständig Risiken einzugehen und weniger abhängig von Regeln und förmlichen Prozeduren zu werden.” (SENNETT 1998, S.10).

Was zunächst möglicherweise gar nicht so negativ klingt, wird durch SENNETTS nähere Erläuterungen als problematische Veränderung erkennbar: Flexibilität, Veränderungen und das Eingehen von unkalkulierbaren Risiken erzeugen bei den Betroffenen Angst und Unsicherheit. Arbeitnehmer, die an eine überschaubare, geradlinige Karriere voller Orientierungsund Bezugspunkte gewohnt sind, stehen plötzlich einer Situation gegenüber, die von ihnen verlangt, sich auf kurzfristige Arbeitsverhältnisse einzulassen, spontan zu reagieren und Risiken einzugehen. Eine weitere Problematik sieht SENNETT in dem Anspruch des neuen Kapitalismus, dem Arbeitnehmer durch den Angriff auf starre Bürokratien mehr Freiheiten in der Gestaltung seiner Arbeitswelt zu geben: ”In Wirklichkeit schafft das Regime neue Kontrollen, statt die alten Regeln einfach zu beseitigen – aber diese Kontrollen sind schwerer zu durchschauen” (ebd., S.11).

Schlussfolgernd verweist der Autor noch auf die Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Herausforderungen auf den Charakter der ihm ausgesetzten Individuen. Nach SENNETT konzentriert sich Charakter:

“...insbesondere auf den langfristigen Aspekt unserer emotionalen Erfahrungen. Charakter drückt sich in Treue und gegenseitigen Verpflichtungen aus oder durch die Verfolgung langfristiger Ziele und den Aufschub von Befriedigung um zukünftiger Zwecke willen” (vgl. ebd.).

SENNETT wirft die Frage auf, wie man im Rahmen einer ganz auf das kurzfristige ausgelegten Ökonomie langfristige Ziele verfolgen soll oder Loyalitäten und Verpflichtungen aufrecht erhalten kann (vgl. ebd., S.11f). Der Soziologe illustriert und entwickelt seine Thesen im Verlauf seiner Darlegungen anhand von Fallbeispielen, Menschen denen er mal mehr, mal weniger zufällig begegnet und in denen er die Auswirkungen des neuen Kapitalismus wieder zu erkennen glaubt.

In seinem neuesten Buch „Die Kultur des neuen Kapitalismus“ beschreibt SENNETT drei Herausforderungen, denen sich der moderne Mensch stellen muss und die er zu bewältigen hat, wenn er in der heutigen Welt vorankommen möchte: Die erste Herausforderung hängt unmittelbar mit der Zeit zusammen. Der Mensch

„…muss mit kurzfristigen Beziehungen und mit sich selbst zu Rande kommen, während er von einer Aufgabe zur anderen, von einem Job zum nächsten, von einem Ort zu anderen wandert. Wenn Institutionen keinen langfristigen stabilen Rahmen mehr bereitstellen, muss der Einzelne möglicherweise seine Biographie improvisieren oder sogar ganz ohne ein konstantes Ichgefühl auskommen“ (SENNETT 2007, S.9).

Die zweite Herausforderung besteht darin, den Focus auf potentielle Fähigkeiten statt auf vergangene Leistungen zu wenden, um auf veränderte Anforderungen der Realität angemessen reagieren zu können (vgl. ebd.). Die dritte von ihm beschriebene Herausforderung entsteht aus der zweiten. Der Mensch muss die Bereitschaft aufbringen, „Gewohnheiten aufzugeben und sich von der Vergangenheit zu lösen“ (ebd.).

In einem Artikel von 2005 behauptet SENNETT, der Wandel hätte den Menschen keine Freiheit verschafft. Diese Aussage ist auch der Kern seines neuen Buches.

„Nun behaupten die Apostel des neuen Kapitalismus, ihre Version der drei Grundthemen – Arbeit, Qualifikation, Konsum – sorge für größere Freiheit in der Gesellschaft. Ich streite nicht mit ihnen über die Frage, ob ihre Version der Wirklichkeit entspricht. In der Tat, Institutionen, Qualifikationen und Konsummuster haben sich verändert. Ich behaupte vielmehr, dass diese Veränderungen den Menschen keine Freiheit gebracht haben“ (SENNETT 2005).

Begründet wird dies von ihm mit der Aussage, die Menschen seien besorgt um ihre Zukunft und ihnen fehle ein „mentaler und emotionaler Anker“. Die Institutionen böten heute nur noch ein sehr geringes Maß an Loyalität und Vertrauen, schürten aber die Angst vor Nutzund Arbeitslosigkeit.

Aus einem etwas anderen Blickwinkel als SENNETT beschäftigt sich der Soziologe ULRICH BECK mit dem Wandel der Gesellschaft. Er schildert, wie durch Bildungsexpansion und Wohlstand sowie neue Abhängigkeit von Arbeitsund Bildungsmarkt, individuelle Lebensläufe und Lebensstile ermöglicht und erzwungen werden (vgl. BECK 1986, passim). Für ihn hat der Wandel vor allem eines mit sich gebracht: die Individualisierung.

Wenn er von Individualisierung spricht, meint er einen "neuen Modus der Vergesellschaftung" (ebd., S.205, Hervorhebung im Original). Dieser vollzieht sich in drei Schritten: der Freisetzung aus traditionalen Herkunftsbindungen, dem Verlust damit verbundener sozialer Sicherheiten sowie Einbindung in neue Strukturen. Im Unterschied zu älteren Individualisierungstheorien anderer Soziologen, die von dem Wandel der traditionalen Ständegesellschaft zur Industriegesellschaft ausgehen, beschäftigt sich BECK mit dem Übergang von der Industriegesellschaft in das, was er die "zweite Moderne" nennt. Im Zuge dieser zweiten oder "reflexiven" Moderne werden die Menschen aus ihren historisch gegebenen sozialen Herkunftsbezügen herausgelöst ("Freisetzungsdimension"), wodurch ein Verlust an sozialen Sicherheiten ("Entzauberungsdimension"), aber auch eine neue Form der Selbstbestimmtheit entsteht. Auf der anderen Seite werden die auf diese Weise freigesetzten Individuen in neue Kontrollzwänge eingebunden ("Kontrollbzw. Reintegrationsdimension"). (vgl. ebd., S.206).

Die Hauptursache für die Individualisierung sieht BECK in einer Entwicklung, die er mit „Fahrstuhleffekt“ beschreibt. Damit meint er eine Steigerung des Niveaus aller Klassen um „eine Etage“: „ ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum“ (ebd., S.122, Hervorhebung im Original).

Durch den Freisetzungsprozess der Individuen aus traditionellen Lebenswelten, aus ortsund sozialstabilen Bindungen, entstehen für den einzelnen Chancen und Risiken zugleich, ihr Leben aktiv und „ selbstreflexiv “ zu gestalten, allerdings ohne sich dabei an kollektiven Wertmustern orientieren zu können. „Die Entscheidungen über Ausbildung, Beruf, Arbeitsplatz, Wohnort, Ehepartner, Kinderzahl usw. mit all ihren Unterunterentscheidungen können nicht nur, sondern müssen getroffen werden“ (vgl. ebd., S.216).

Zentral im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Arbeit ist die Entscheidung über den Beruf. Dabei ist zu berücksichtigen, wie oben ausgeführt, dass dieser Beruf nicht unbedingt lebenslang ausgeführt wird. Aber auch in der modernen Gesellschaft erhält die Hinwendung zum Arbeitsleben eine entscheidende Rolle beim Ablösungsprozess von der Familie. Genau diese offene Haltung bei der Berufswahl lässt sich auch in empirischen Untersuchungen feststellen.

In der IG-Metall-Jugendstudie beschäftigte sich eine Tübinger Forschungsgruppe mit den Lebenseinstellungen junger ArbeitnehmerInnen. In einigen Interviewausschnitten wird deutlich, dass viele Jugendliche sich bereits mit dem Gedanken angefreundet haben, den erlernten Beruf nicht bis an das Lebensende auszuführen. Ein 17-jähriger Metzgerlehrling äußerte beispielsweise:

„…wenn ich meinen Gesellenbrief in der Hand habe, dann kann ich halt machen was ich will … auf jeden Fall will ich nicht lang bei dem Beruf bleiben. Nach der Lehre will ich zum Bund und irgendwie Karriere machen“ (BIBOUCHE / HELD 2002, S.45).

BIBOUCHE und HELD schlussfolgern daraus, dass „die gewachsene Optionenvielfalt […] offenbar von den Jugendlichen angenommen [wird], die Bindung an den Betrieb sinkt“ (ebd., S.44f). Außerdem beschreiben sie, dass die meisten Jugendlichen sich

„durch die gegenwärtige Situation und die damit verbundenen Anforderungen“ (ebd., S.44) nicht überfordert fühlen, die Jugendlichen fühlten sich durch diese eher

„herausgefordert“ (vgl.ebd.).

Damit zeigt sich in diesen empirischen Studien, dass die von BECK und SENNETT in der Theorie herausgestellten, notwendigen Prozesse der „Flexibilität“ tatsächlich stattgefunden haben. Jugendliche definieren ihre Rolle im Berufsleben mit einem klaren Bezug zu einer zukünftigen Gesellschaft, die ihnen nicht ein sicheres, statisches Berufsbild vorgibt.

„Orientierung und Engagement werden bei Jugendlichen nicht nur durch ihre bisherigen Erfahrungen, durch die gegenwärtige Situation und ihre sozialen Einflüsse bestimmt. Wichtig für ihr Denken und Handeln ist auch die Zukunftsperspektive“ (BIBOUCHE / HELD 2002, S.102).

[...]

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Die berufliche Orientierung Jugendlicher in Zeiten gesellschaftlichen Wandels
Sous-titre
Stellt das Freiwillige Soziale Jahr im Bezug auf die berufliche Orientierung eine hilfreiche Institution dar?
Université
University of Tubingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Cours
Hauptseminar
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
17
N° de catalogue
V121920
ISBN (ebook)
9783640265022
ISBN (Livre)
9783640320271
Taille d'un fichier
494 KB
Langue
allemand
Mots clés
Orientierung, Jugendlicher, Zeiten, Wandels, Hauptseminar
Citation du texte
Daniela Becker (Auteur), 2008, Die berufliche Orientierung Jugendlicher in Zeiten gesellschaftlichen Wandels, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121920

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