Der Supergau im AKW Tschernobyl. Kollektive Verantwortungslosigkeit der Regierung?


Trabajo Escrito, 2002

37 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Chronik des Störfalls im AKW Tschernobyl
2.1. Der Verlauf
2.2. Details und Fakten
2.2.1. Recherche und Quellen
2.2.2. Die Hauptthemen
2.2.2.1. Vertuschung
2.2.2.2. Evakuierung
2.2.2.3. Liquidatoren
2.2.2.4. Auswirkungen

3. Dokumentation: „Ich bediente den Reaktor“
3.1. Der Aufbau (Dokumentationsprotokoll)
3.1.1. Die Personen
3.1.2. Drehorte
3.1.3. Themen
3.1.4. Atmosphäre, Emotion
3.2. Das Neue
3.2.1. Stilistische Umsetzung der Dokumentation
3.2.2. Objektive Berichterstattung oder Sensationshascherei?

4. RASPAD – DER ZERFALL
4.1. Der Aufbau
4.2. Die Personen
4.3. Drehorte
4.4. Die Geschichte im Schnelldurchlauf
4.5. Die Effekte, die Botschaften und versteckter Symbolismus
4.6. Verdeutlichende Dialoge

5. Gegenüberstellung von Dokumentation und Spielfilm
5.1. Wie wird die Thematik aufbereitet ?
5.1.1. Gibt es Gegensätzlichkeiten, Parallelen?
5.1.2. Anklagen?
5.2. Thema Sachlichkeit contra Emotionen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der einfachste Weg, einer unergründlichen, unverstandenen Sache auf die Spur zu kommen, ist Fragen zu stellen. Allerdings, bei einer Fülle von Fragen, wo soll man beginnen?

Im Jahre 1986 ereignete sich etwas so Unfassbares, etwas, das die Welt für geschätzte 24.000 Jahre „belasten“ wird, etwas, was vertuscht werden sollte, sowohl vor der eigenen Bevölkerung, als auch vor der ganzen Welt, etwas, wovor man Angst hatte aber durch Planerfüllungstabellen gezwungen war, in Kauf zu nehmen. Etwas, was ein sowieso schon wirtschaftlich und anderweitig gebeuteltes Land vor der ganzen Welt in Verruf brachte und teilweise zur Aufdeckung drohender, auch zukünftiger, unverantwortlicher Gefahren sorgte. Etwas, das in der Vertuschungs- und Aufräumphase zu Grausamkeiten ohne Beispiel geführt hat. Unwissende Menschen wurden unaufgeklärt, ungeschützt und zwangsverpflichtet in den Tod geschickt. Die Rede ist vom Supergau im AKW Tschernobyl, die Folgen und der Nachlass.

Mittlerweile ist diese Episode der Geschichte Vergangenheit, ein Abschnitt in neueren Geschichtsbüchern und - unfreiwillig - zu einer Art Schlagwort geworden, wie vorher Hiroshima und Nagasaki oder danach das Muroa Atoll. Die menschliche Natur beschäftigt sich mit allen Dingen, die mit den fünf Sinnen erfassbar sind. Wir haben längst den Sinn dafür verloren, Dinge zu ahnen, zu spüren oder zu wittern. Tiere wittern Gefahr, spüren durch irgendeinen Mechanismus defekte Gene auf, die ein Artgenosse in sich trägt und zur Fortpflanzung untauglich macht. Diese Gabe besitzen wir nicht mehr. Wir sind degeneriert und darum weigern wir uns auch, nicht sichtbare Gefahren, wie Viren oder Strahlung ernst zu nehmen. Schäden sind nicht eminent oder evident sichtbar wie bei einer Fleischwunde. Sie zerfrisst uns von innen, langsam und unmerklich - aber was ich nicht sehe, macht mir keine Angst. Wäre ein Virus so groß wie eine Kokosnuss, wir würden uns durch Sterilität schützen, es mit aller Macht bekämpfen und ausrotten, zumindest rein hypothetisch. Ähnlich verhält es sich mit der Strahlung. Man kann Strahlung zwar sichtbar machen aber man kann sich nicht auf die Lauer legen und sie einfangen und erlegen. Es wird also frei nach der Devise gehandelt, was ich nicht weiß (sehe), macht mich nicht heiß.

Die ersten Erkenntnisse über die Strahlung, die Eindruck machten, waren die des Ehepaares Curie. Damals war die Gefahr, die von einer Überdosis Strahlung ausgeht, noch nicht erforscht. Man war überglücklich, nun Menschen behandeln zu können, an Hand von Röntgenbildern komplizierte Knochenbrüche richten zu können und so weiter, die Medizin wart revolutioniert. So war es auch mit den weiteren Entdeckungen in diesem Feld, die zu der Spaltung eines Atoms führten, die letztlich die Basis der Kernkraft bildet.

Dass da, wo gehobelt wird, auch Späne fallen, interessiert nur eine Minderheit, zumeist, wenn sie dadurch direkt bedroht wird, der Rest der Welt schaltet desinteressiert auf einen anderen TV-Kanal und ist froh, ausreichend Strom zur Verfügung zu haben, wo der herkommt, ist unwichtig, und wie der entsteht, erst recht. Wird jedoch die Menschheit oder weite Teile des Globusses bedroht, ist der Aufschrei so groß, dass das Echo lange nachhallt. So geschehen im Fall Tschernobyl.

Leider liegt es jedoch in der Natur des Menschen schnell zu vergessen. Es ist jetzt 16 Jahre her seit dem Reaktorunfall im Block 4 des AKW Tschernobyl, und es verhält sich mit der Thematik „Gefahr durch Strahlung“, wie mit dem AIDS - Virus, der an öffentlichem Interesse verloren hat, genauso wie das Ozonloch. Zu finden sind diese Themen weitestgehend auf den Internetseiten von Greenpeace oder ab und zu in den Parteiprogrammen Umweltbewusstseinsgruppierungen. Dem großen Teil der Weltpopulation ist das ziemlich egal.

Eine Renaissance jedoch erlebt eine verdrängte Thematik in dem Moment, wo geheime Dokumente enthüllt werden, die neue Erkenntnisse liefern über den wirklichen Hergang einer Katastrophe. Das ist Enthüllungsjournalismus par Excellance. Die neu gewonnen Erkenntnisse bieten die Möglichkeit, alte Fakten aufzubereiten und in neuer Gestalt, mit Insiderwissen gespickt, in sensationeller, aufreißerischer Form als neu zu verkaufen. Als die UdSSR zusammenbrach, kamen die geheimen Dokumente über den wirklichen Ablauf und die Handhabung des Störfalls im AKW Tschernobyl ans Licht. Die Mutmaßungen, die von der Weltöffentlichkeit und deren Experten angestellt worden waren, wurden teilweise bestätigt und in einigen Punkten sogar in alarmierendem Masse übertroffen. Das Thema Tschernobyl war wieder reanimiert und bahnte sich seinen Weg in die Medien. Durch die Öffnung der Grenzen und dem Wegfall des Überwachungsstaates und der Parteizensur, bot sich die Möglichkeit mit Betroffenen der Katastrophe zu sprechen, in Sperrgebiete vorzudringen und Proben zu nehmen. Alles das, was noch zu Sowjetzeiten undenkbar gewesen wäre. Es entstanden viele Dokumentationen und sogar ein Spielfilm, der von Russen selbst gedreht wurde.

Diese beiden Formen der medialen Aufbereitung (Spielfilm contra Dokumentation) von Informationsgehalten und Tatbeständen in unterschiedlicher Gestaltungsform sollen in dieser Arbeit verglichen und strukturiert analysiert werden.

Vorab soll jedoch eine Chronik die Ereignisse wieder ins Gedächtnis rufen, die in Verbindung mit dem bisher größten Störfall in einem AKW stehen. Wichtig im Bezug auf diese Zusammenfassung ist die Bedeutung folgender Bereiche, die mit den neu gewonnenen Einsichten vervollständigt wurden. Da wären: Vertuschung, Evakuierung, Auswirkungen, Liquidatoren und Zukunft.

Im Anschluss daran soll die von Radio Bremen stammende Dokumentation aus der Sendereihe Film Probe: Ich habe den Reaktor bedient; Berichte einiger Überlebender, analysiert werden. Vor allem im Bezug auf die Fragen: Wie wird mit der Thematik umgegangen? Ist der Aufbau der Dokumentation schlüssig? Was ist an Informationsgehalt vorhanden und wie ist dieser verarbeitet?

Darauf folgt eine Darstellung des Spielfilms: RASPAD – DER ZERFALL von Vladimir Dall aus dem Jahr 1990, der in der UdSSR gedreht wurde und ausschließlich mit Russen besetzt ist. Auch dieser Film soll analysiert und den gleichen Fragen wie der Dokumentation unterzogen werden.

Im letzten Abschnitt sollen beide Werke miteinander verglichen werden. Was ist in beiden Werken zu finden? Wie unterschieden sie sich? Ist eine unterschiedliche Herangehensweise eines ausländischen Teams merkbar im Vergleich zu der einheimischen Darstellungsform? Ist der Spielfilm eine Dokumentation oder fiktiv?

Das Fazit liefert dann letztlich den subjektiven Eindruck des Verfassers nach Sichtung beider Werke und schildert die empfundenen Gefühle und Emotionen, die beim Rezipieren auftraten.

2. Chronik des Störfalls im AKW Tschernobyl

2.1. Der Verlauf

26. April 1986 - Im ukrainischen "Lenin" - Atomkraftwerk Tschernobyl wird ein Experiment gestartet: Es soll geprüft werden, wie lange die Turbine mit der Restwärme des abgeschalteten Reaktors weiterläuft. Der Reaktor wird zuerst zur Leistungsspitze gebracht und soll dann heruntergefahren werden. Damit der Probelauf des Reaktors nicht unterbrochen wird, werden die Sicherheitssysteme mit Absicht außer Funktion gesetzt.

26. April 1986, 1 Uhr, 23 Minuten, 40 Sekunden - Es kommt zum Turbinenstillstand. Der Kühlwasserzufluss ist eingeschränkt, die automatische Abschaltung unterbrochen. Es entwickelt sich ein Hitzestau. Innerhalb von Sekunden steigt die Leistung des Meilers um ein Vielfaches an. 6 Sekunden nach der Notabschaltung ereignet sich der größte anzunehmende Unfall (GAU). Der Block 4 des Atomkraftwerkes Tschernobyl explodiert. Die 256 Arbeiter der Nachtschicht dürfen das Kraftwerk nicht verlassen.[1]

Samstag, 26. April: (...) Es gibt erste Tote und viele Verstrahlte. Eine Wolke mit hochradioaktiven Teilchen steigt auf und treibt nach Norden. Nachrichtensperre um das ganze Gebiet von Tschernobyl. Gerüchte vom Unglück erreichen das ca. 130 km entfernte Kiew.[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[3]

27. April 1986 - Die benachbarte Stadt Pripjat ist abgeriegelt, die Telefone funktionieren nicht, die Behörden informieren die Bewohner darüber, dass sie für 3 Tage in Zelten untergebracht werden. Die Löscharbeiten im Kraftwerk dauern an. Von Hubschraubern aus wird Sand, Stahl, Blei und Lehm auf den brennenden Reaktor geworfen.[4]

Sonntag, 27. April Über das Ausmaß der Katastrophe herrscht Unklarheit. Keine offizielle Information der Bevölkerung. In Finnland und Skandinavien wird erhöhte Strahlung gemessen. Moskau schweigt.

Montag, 28. April (...) Zehntausende werden aus den Siedlungen um Tschernobyl evakuiert. Messungen im Westen lassen auf eine Katastrophe in einem sowjetischen Atomreaktor schließen. Die Nachricht wird weltweit verbreitet. Gegen 21.00 Uhr die erste offizielle Äußerung Moskaus zum Reaktorunfall: „Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl“.[5]

29. April 1986 - In Deutschland erfolgt die erste offizielle Meldung darüber, dass sich in der Sowjetunion "offenbar ein ernster Atomunfall ereignet hat." Mehr als 40 Stunden sind seit dem GAU vergangen. Bundesforschungsminister Riesenhuber teilt mit, dass auf Grund der Windverhältnisse nicht damit zu rechnen sei, dass die freigesetzte Radioaktivität auf die Bundesrepublik zutreibt. Bundesinnenminister Zimmermann schließt eine Gefährdung der bundesdeutschen Bevölkerung aus, "...denn eine Gefährdung besteht nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometer um den Reaktor herum."[6]

Dienstag, 29. April Die Zahl der Strahlenopfer unter den Feuerwehrmannschaften in Tschernobyl steigt. (...)[7]

21. Mai 1986 - Pripjat wird offiziell vollständig evakuiert.

22. Dezember 1988 - Sowjetische Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Sicherheit des Sarkophags, der den Reaktor mittlerweile umhüllt, nur für 20 bis 30 Jahre berechnet sei.[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[9]

1989 - Die zweite Umsiedlungsphase beginnt. Nachdem in der ersten Phase 1986 nur die Bevölkerung aus der 30-km-Sperrzone evakuiert wurde, müssen jetzt über 100.000 weitere Menschen aus Gebieten mit einer Belastung über 15 Curie umsiedeln.

20. April 1989 - Die sowjetische Regierung beschließt einen Baustopp für den fünften und sechsten Reaktorblock im Kraftwerk Tschernobyl.

15. April 1991 - Der Katastropheneinsatzleiter und ukrainische Kernphysiker Tschernousenko gibt in einem Zeitungsinterview Auskunft über die Zahlen der Todesopfer von Strahlenschäden. Die Katastrophe habe bereits sieben- bis zehntausend Menschenleben gefordert. Offiziell wird weiterhin von 31 Toten gesprochen.

12. Oktober 1991 - In Block 2 des Kernkraftwerkes Tschernobyl bricht ein Feuer aus. Es wird nach wenigen Stunden gelöscht, der radioaktive Ausfall liegt angeblich in den normalen Grenzen. Nachdem auch der Block 2 für immer abgeschaltet werden muss, beschließt das ukrainische Parlament die endgültige Stillegung des AKW bis Ende 1993.

16. Mai 1995 - Die ukrainische Regierung legt neue Stillegungspläne vor. Der erste Reaktor von Tschernobyl soll 1997, der Reaktor 3 im Jahr 1999 endgültig abgeschaltet werden. Für die Schließung von Tschernobyl fordert die Ukraine 4 Milliarden Mark von den G7-Staaten. Der Ersatzstrom soll aus einem Gaskraftwerk kommen

5. Juni 2000 - Während des Staatsbesuches des US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton verkündet der ukrainische Präsident Kutschma, dass der letzte laufende Reaktorblock von Tschernobyl am 15. Dezember endgültig geschlossen werden wird.[10]

Sicherlich sind viele weiter Aspekte von großer Bedeutung, die in der Chronik keine Erwähnung gefunden haben, jedoch sind die oben genannten später in erweiterter Form wiederzufinden in den Fernsehadaptionen.

2.2. Details und Fakten

2.2.1 Recherche und Quellen

Über den Störfall im AKW Tschernobyl gibt es unzählige Veröffentlichungen und Publikationen, sowohl im Internet als auch in Buchform. Nach eingehenden Studien ist eines auffällig geworden, nämlich dass sie alle weitestgehend ähnlich strukturiert sind. Im Bezug auf den Störfall an sich sind fast minutengenau chronologisch alle Einzelheiten bekannt. Hier gibt es kaum Abweichungen. Einige Werke zeichnen sich durch präzise, wissenschaftliche, technologische Erläuterungen aus, die im einzelnen mit Tabellen, Skizzen und Messwerten unterlegt sind. Sie sind teilweise jedoch so speziell, dass sie nur von einem sehr versierten Fachpublikum verstanden werden können, so zum Beispiel das Buch von Dr. Wolfgang Kröger und Dipl.-Phys. Sabyasachi Chakraborty, mit dem Titel: Tschernobyl und weltweite Konsequenzen. Als Dokumentation des „genauen“ Hergangs des Reaktorunfalls jedoch von unschätzbarem Wert.

Andere Werke haben ihren Schwerpunkt im Bezug auf die Folgen, da wäre das Werk von Hans-Jürgen Wirth: Nach Tschernobyl; regiert wieder das Vergessen? Dieses Buch wirft die Frage in den Raum, wie der Verdrängungsprozess an sich stattfindet und wodurch er ausgelöst wird. Also hauptsächlich ein psychologischer Ansatz zu dem Thema Tschernobyl.

Wieder andere Werke beschäftigen sich mit betroffenen Gruppen, so zum Beispiel den Einwohner vom der AKW-Stadt Pripyat oder wie im Buch von Gerd und Renate Biermann: Die Kinder von Tschernobyl, ausschließlich mit der Nachkommenschaft. Hierüber sind auch die meisten Internetseiten zu verzeichnen. Hilfsgruppen, Spendenkonten, Umweltorganisationen und Anklageschriften. Auch Theologische Bücher sind zu finden, wie zum Beispiel von Dierk Schneider: Nach Tschernobyl; Hoffnung auf ein neues Menschenbild.

Das jedoch wohl vollständigste und allumfassendeste Werk stammt von V.M. Chernousenko mit dem Titel: Chernobyl; Insight from the Inside. Dieses Werk ist gespickt mit den Fragen und Antworten, die die breite Öffentlichkeit wirklich interessiert. Einige dieser Fragen und Antworten sollen hier näher betrachtet werden. (Da es zu diesem Werk keine Deutsche Fassung gibt, müssen die Übersetzungskünste des Verfassers genügen).

2.2.2. Die Hauptthemen

Vladimir Mikhailovich Chernousenko wurde von der ukrainischen Regierung nach der Katastrophe eingeladen, um eine Spezialeinheit zu bilden, die sich mit der Eindämmung und der Absicherung der Unfallstelle beschäftigen sollte. Als Atomphysiker und Leiter der Wissenschaftsakademie in Kiew war er der wohl Fähigste für diese Aufgabe, der vor Ort zu finden war. Seine Darstellungen und Eindrücke rühren also aus erster Hand, und obwohl man sich an dieser Stelle fragen mag, wie man bei einem Buch von Objektivität und Wahrheitsgehalt sprechen kann, wenn es sich bei dem Verfasser um ein Mitglied des Aufräumkommandos handelte, das von dem Regime auserwählt wurde, das jahrelang die Weltöffentlichkeit hinter das Licht geführt hat, sei gesagt, dass dieses Buch im Jahr 1991 erschien, als Dr. Chernousenko nicht mehr für diese Regierung arbeitete und sein Werk im Westen veröffentlicht würde. Die Hauptthemen, die sich im Verlauf der Zeit immer wieder als die wichtigsten herausgestellt haben, sind: Vertuschung, Evakuierung, Liquidatoren und Auswirkungen.

2.2.2.1. Vertuschung

Bekannt ist, dass ein Land an sich sehr ungern seine „schmutzige Wäsche“ in der Weltöffentlichkeit wäscht. Das ist an sich auch teilweise gut verständlich, weil das Ansehen sonst global gesehen immens leiden kann. Als Beispiel: Verwüsten in Deutschland einige Skinheads einen jüdischen Friedhof, ist innenpolitisch gesehen sehr daran gelegen, diese Schändlichkeit zu verbergen, weil es sonst vielleicht übertrieben heißen kann: Deutschland rüstet zum Vierten Reich. Wie „Stille Post“ funktioniert, haben wir alle zu einem frühen Zeitpunkt in unserem Leben eindrucksvoll auf Kindergeburtstagen gelernt. Dass im Zeitalter des Internets und der multimedialen Community nichts im Verborgenen bleibt, führt heutzutage zu anderen Mitteln, vornehmlich der Krisen – PR. Das heißt, vor der Weltöffentlichkeit zu verharmlosen, zu desensibilisieren und - wenn gar nichts mehr hilft - die pure Wahrheit berichten, mit Augenmerk auf eine stark bemühte Öffentlichkeit, die gegen das Unrecht oder die Katastrophe angeht. Wenn nämlich etwas vertuscht oder verheimlicht wird, kommt es meistens doch an die Weltöffentlichkeit und dann mit sehr viel grösserer Wucht.

Im Fall von Tschernobyl galten andere Voraussetzungen und es wurde anders gehandhabt. Ersten geschah der Unfall in einem Land, das nach außen immer sauber dastehen wollte, das heißt, ein Land regiert aus der Hauptstadt, mit einer Pressezentrale, die hemmungslos zensierte und reglementierte. Zweitens regiert wurde aus einem Politbüro, das die Ausmaße nicht verstand und wenn ja, nicht in der Lage war, adäquat zu reagieren. Drittens, die Unvorstellbarkeit der Katastrophe, vielmehr das Unverständnis über die Materie an sich. Viertens wollte man eine Panik verhindern und sich erst einen eigenen Überblick des Unglücks verschaffen. Fünftens galt die Devise, erst einmal alles abzustreiten, der Schaden mag ja nur marginal sein und sonst hat man sich ganz unnötig lächerlich gemacht. Und letztlich nahm man die Verluste in Kauf, um einen Imageverlust zu vermeiden.

Man nahm an, dass die Lage nicht so schlimm war. Experten, die vor Ort waren, erkannten augenblicklich die Gefahr und wiesen darauf hin aber sie waren es nicht, die die Entscheidungen fällten. Noch in der Nacht, als der Reaktor brannte und Feuerwehrmänner, die unzureichend ausgerüstet waren, reihenweise zusammenbrachen, Schwindelanfälle oder Ohnmachten hatten, wies der Parteioffizier des Werks an, weiter zu machen, „Strahlung würde nicht entweichen“ und schließlich müsste man das Planziel des Tages noch erreichen.

[...]


[1] http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C02HI02.HTM (Stand vom 16.10.02)

[2] Beilageheft zum Film: RASPAD – DER ZERFALL

[3] Chernousenko, V.M.: Chernobyl – Insight from the Inside. Berlin 1991. Aussenband

[4] http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C02HI02.HTM (Stand vom 16.10.02)

[5] Beilageheft zum Film: RASPAD – DER ZERFALL

[6] http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C02HI02.HTM (Stand vom 16.10.02)

[7] Beilageheft zum Film: RASPAD – DER ZERFALL

[8] http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C02HI02.HTM (Stand vom 16.10.02)

[9] Kröger, W. und Chakraborty, S: Tschernobyl und weltweite Konsequenzen. Köln 1989. S. 71

[10] http://www.greenpeace.de/GP_DOK_3P/HINTERGR/C02HI02.HTM (Stand vom 16.10.02)

Final del extracto de 37 páginas

Detalles

Título
Der Supergau im AKW Tschernobyl. Kollektive Verantwortungslosigkeit der Regierung?
Universidad
Leuphana Universität Lüneburg
Curso
Dokumentarfilm: Theorie und Geschichte
Autor
Año
2002
Páginas
37
No. de catálogo
V122314
ISBN (Ebook)
9783640274925
ISBN (Libro)
9783640275113
Tamaño de fichero
2911 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Dokumentarfilm, Katastrophe, AKW, Ukraine, Kernschmelze, Unfall, Radioaktivität, Supergau, Bereichterstattung, Zensur, Untersuchung, Weltpolitik, Nuklear, Alternative Energie, Störfall, Evakuierung, Menschenverachtend, Gefahr
Citar trabajo
Magister Artium Kevin Kutani (Autor), 2002, Der Supergau im AKW Tschernobyl. Kollektive Verantwortungslosigkeit der Regierung?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122314

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