Herder über Shakespeare - Das Bild des Dichters


Dossier / Travail, 1995

17 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Ein historischer Überblick

III Herder über Shakespeare
1. Wann und warum wurde der Shakespeare - Aufsatz geschrieben? Was hat Herder dabei empfunden?
2. Das Bild des Dichters
3. Shakespeares Einfluß auf das deutsche Drama

IV. Zusammenfassung

V. Literatur

I. Einleitung

Ich habe dieses Thema gewählt genommen, weil ich es nicht nur für interessant halte, sondern weil ich mich persönlich schon seit langer Zeit für das Theater und für die Dramentheorie interessiere. Besonders interessant finde ich die Geschichte des Theaters, vor allem die des deutschen Theaters. Das war der Grund, warum ich auch einen kurzen historischen Überblick angefertigt habe. Ich bin der Meinung, daß man jedes Thema geschichtlich und zeitlich einordnen soll. So wird man ein klares Bild über den Gegenstand des Themas bekommen. Es wird auch eine Vorstellung von den Zeitumständen geschaffen, in denen sich alles abspielt. Leider ist mein Interessenkreis viel breiter, als man in einer kurzen Hausarbeit darstellen kann.

Mein Thema behandelt das Bild des Dichters Shakespeare. Ich will zeigen, was typisch für Shakespeare ist, und möchte den Einfluß Shakespeares auf das deutsche Theater näher erläutern. Ich habe versucht, die Erscheinungen in Deutschland zu Herders Zeit widerzuspiegeln. Dabei habe ich die Shakespeare-Rezeption von damals im Auge behalten. Das war auch ein Ziel von mir. Ich habe mich bemüht, wenn schon nicht über alle Debatten um Shakespeare, zumindest den Unterschied zwischen dem aufklärerischen Theater, den aufklärerischen Theatertheorien und dem Theater in der Zeit des Sturms und Drang aufzuzeigen. Ich habe meine Aufmerksamkeit vor allem auf das "Sturm und Drang" - Theater gerichtet, weil, wie allgemein bekannt ist, der frühe Sturm und Drang Shakespeare als Vorbild genommen hat. Für mich persönlich war das Durchbrechen der Aristotelischen Tradition durch Shakespeares Dramatik besonders wichtig.

Mein Thema heißt: "Herder über Shakespeare". Das bedeutet, daß die Persönlichkeit Herders ebenso wichtig wie die Shakespeares ist. Herder ist der Mann, der zu Shakespeares Rezeption sehr viel beigetragen hat. Er bildete eine theoretische Grundlage und Voraussetzung für die Entwicklung des deutschen nationalen Theaters. Mit seinem Shakespeare-Aufsatz hat Herder in einer für Sturm und Drang typischen subjektiven und individuellen Form das Shakespeare-Bild der deutschen Klassik und Romantik für Jahrzehnte bestimmt. Mit Herders Namen verbindet sich die Erinnerung an das Erwachsen der deutschen Nation im 18. Jahrhunderts, dessen Träger die bürgerliche Jugend des Sturmes und Dranges war.

II. Ein historischer Überblick

Mein Thema handelt über Herder und über Shakespeare, und ich möchte einen Rückblick auf die Zeit machen, in der sie gelebt und gearbeitet haben. Das bedeutet, einen kurzen Rückblick in das 17. und in das 18. Jahrhundert zu machen. Ich will zeigen, daß es auf das deutsche Drama verschiedene Einflüsse gab. Der Weg zu einem deutschen Theater war langwierig und schwer. Der Blüte des europäischen Theaters - Lope de Vega, Monteverdi, Corneille, Racine, Molière, Calderón - hatte Deutschland wenig entgegenzusetzen. Theater im Deutschland des 17. Jahrhunderts bedeutete vielerlei: Laienspiel, professionelles Wandertheater, protestantisches Schultheater, katholisches Ordendrama, Hoftheater, Oper. Von größerer Bedeutung für die deutsche Entwicklung waren die sogenannten englischen Komödianten. Diese englischen Berufsschauspieler brachten einen neuen Schauspielstil nach Deutschland, der sich durch seine Anschaulichkeit und seinen Naturalismus grundsätzlich vom deklamatorischen Stil des humanistischen Schultheaters unterschied. Die englischen Schauspieler kamen zum ersten Mal im Jahre 1586 nach Deutschland. Sie gastierten in Dresden. Durch die englischen Komödianten war schon im Laufe des 17. Jahrhunderts Shakespeare zum stofflichen Besitz von weiten Kreisen des deutschen Volkes geworden. Sie vermittelten einen ersten Eindruck von der zeitgenössischen, elisabethanischen Dramatik. Allerdings waren diese in Bearbeitungen, die die Originale auf eine Reihe möglichst effektvoller Szenen reduzierten. Neben den Haupt- und Staatsaktionen gehörten aber auch biblische Stücke und Werke deutscher Autoren zum Repertoire der Truppen. Es erweiterte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um italienische, spanische und französische Stücke. Das französische Theater bekam später eine starke Stellung, und im Jahre 1695 war es schon beliebt und galt als eine Art Muster für das deutsche Theater.

Es ist bekannt, daß Shakespeare viel von den Haupt- und Staatsaktionen als Beispiel genommen hat. Deshalb möchte ich hier eine ganz kurze Erklärung geben, was man darunter versteht. Die Haupt- und Staatsaktionen existierten schon vor Shakespeare. Sie stellten große Personen aus der Geschichte mit ihren privat- politischen Problemen in grellen Farben dar. Es wurde das Sensationelle gesucht. Das waren prominente Skandalgeschichten, die sehr vom Volk geliebt wurden. Hier ist die Mischung von verschiedenen Ständen typisch, die normalerweise nicht von den Dramenregeln her damals erlaubt waren. Neben den Figuren aus dem Adel konnte man z. B. die niedere Gestalt von Hanswurst antreffen, der ungebildet und schlau ist, aber immer und unter allen Umständen zu seinem eigenen Nutzen agiert. Hieraus ergibt sich der Grund, warum die Haupt- und Staatsaktionen so sehr vom Volk geliebt wurden. Für die Haupt- und Staatsaktionen sind die Szenenkonflikte, die Verbindung von Tragik und Komik, vom höheren und von den niederen Ständen charakteristisch. Diese Art von Theater war eine panoramartige Abbildung der Welt, der Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Shakespeare ging vom englischen Volkstheater und von den Haupt- und Staatsaktionen aus. Er hat aus diesen Vorgaben eine neue Entwicklungsstufe in der Geschichte des Theaters geschaffen. Sein Drama war eine Mischung der Stilebenen und kommt aus einer volkstümlichen Tradition.

In der Zeit des Sturms und Drang kam es zu einer neuen Konzeption dessen, was vorher existierte. Es wurde Protest gegen alle Normierungen und Konventionen erhoben. Man wollte und konnte sich nicht Normen und neuen Konventionen unterwerfen. Es gab keine Regel mehr. Die schöpferische Kraft des Genies stand im Mittelpunkt der neuen ästhetischen Auffassungen, und die Aufmerksamkeit richtete sich auf das Individuum. "Der Geniekult der Stürmer und Dränger hob den Dichter über das gewöhnliche Menschenmaß hinaus. Kunst war nicht länger erlernbar, der Künstler schöpft aus dem ihm eigenen Genie." (Meid,V. 1989:131) Durch die Shakespeare- Rezeption erhielt die Genieauffassung wesentliche Anregungen. Die Entdeckung Shakespeares ab den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts eröffnete eine neue Welt. Die Ablösung von der französischen, klassizistischen Dichtung war schon möglich geworden. "Vorbereitet waren die Abwertung des französischen klassizistischen Dramas und der 'reinen' Gattungen, die Schätzung Shakespeares, die Ablösung der Regeldogmatik durch eine innere Gesetzlichkeit und Einheit der Formen; ebenso die Veränderungen in der Wahl der Stoffe und der Sprache und in der Bestimmung der Leidenschaften." (Martini 1971:124) Dazu haben Wielands Übersetzungen von 22 Dramen Shakespeares, die zwischen 1762 und 1766 erschienen sind, und die darauf folgenden von J. J. Eschenburgs (1775 - 82) sehr viel beigetragen. Shakespeare wird zum Sinnbild des genialen Dichters und zum Vorbild der eigenen dichterischen Praxis.

III. Herder über Shakespeare

1. Wann und warum wurde der Shakespeare - Aufsatz geschrieben? Was hat Herder dabei empfunden?

Herder hat 1773 seinen Shakespeare-Aufsatz in "Fliegenden Blättern von deutschen Art und Kunst" veröffentlicht. Der Aufsatz knüpft an die Shakespeare- Tradition von der Mitte der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts an. Dieser Aufsatz ist von großer Bedeutung für die Literatur und für die Entwicklung des deutschen Dramas. Er hat auch zu einem neuen Verständnis von Shakespeare beigetragen. Der Weg, der Herder zu Shakespeare führte, war mühsam. Herders Beschäftigung mit Shakespeare begann in der Zeit seines Studiums in Königsberg. "Joh. G. Hamann war es, der ihn 1764 das Englische lehrte und mit ihm 'Hamlet' las." (Dobbek 1955:29) Das sollte aber nur einen Monat dauern. Später war er vor allem auf das Selbststudium angewiesen. "Sein am französischen Drama und an einer klassischen Ausbildung (griechische und lateinische Sprache) geformter Geschmack konnte sich schwer mit Shakespeares Lebensfülle und offener Form abfinden. Er tastete vorsichtig das Gelände ab, bemühte sich, Shakespeare verstehend näher zu kommen". (Dobbek 1955:31) Herder hat hier zum ersten Mal Shakespeares Kunst nach eigenen Maßstäben aus dem Werk gedeutet. Dabei hat er sein eigenes Gefühl für die Einmaligkeit und die Individualität menschlichen Daseins benutzt.

Es waren nicht viele Menschen, die sich vor Herder mit Shakespeare beschäftigt haben. Von großer Bedeutung war Lessing. Er brachte wesentliche Voraussetzungen für ein neues Verständnis von Shakespeare mit und hat damit die Bahn für Herder frei gemacht. Die Idee für einen Shakespeare-Aufsatz entstand Herder aus vielen Gesprächen mit Goethe, die in Straßburg 1770/71 stattgefunden haben. Durch diese Gespräche kam Goethe auf den Gedanken, ein Shakespeare gewidmetes Fest zu organisieren. Herder sollte dazu einen Aufsatz über Shakespeare schreiben, das als ein Sendschreiben für das von Goethe gemachte Fest geplant war. Goethe wartete im Oktober 1771 aber vergeblich auf den Beitrag zu seinem Frankfurter Shakespeare - Tag. Herder konnte und wollte nicht schnell schreiben. Sein Aufsatz war das Ergebnis langen Mühens und wiederholten Umformens. Er zeigte die zeitgebundenen Kämpfe um eine produktive oder nichtproduktive Literatur.

Herder betrachtete Shakespeare vor allem vom historischen Gesichtspunkt aus. Er war mehr Theoretiker. Das Theatralische lag ihm leider nicht. Er hat in Shakespeare nur den Dichter, den Lyriker erlebt. Herder zeigte sich dabei der alten Wertungstradition der Gattungen verpflichtet. Er konnte die Komödie nicht der Tragödie ebenbürtig stellen. Deshalb beschäftigte er sich hauptsächlich mit Shakespeares Tragödien. Er empfing und erlebte den Engländer, um eine Gesamtschau zu gewinnen. So erschien der ganze Shakespeare zum ersten Mal im Blickpunkt der Betrachtung. Es werden seine Phantasiestücke, seine menschlichen Tragödien und seine Historien wahrgenommen.

Herder erlebte echte Begeisterung für Shakespeare, ein Enthusiasmus, in dem intuitive Erkenntnis, Wissen um das Geheimnis des Poetischen und tiefes Erleben der Dichtung nach Ausdruck suchten. "Alles klingt wie im Rausche geschrieben, alle Kritik und jede lehrmäßige Erörterung fehlt." (Dobbek 1955:34) Die Sprache, die Herder benutzte, war akzentuiert, individuell und antisystematisch. Er sprach vom individuellen Autor und Werk. Im ganzen Shakespeare-Aufsatz kann man den Geist der Zeit des Sturms und Drang fühlen. Alles was typisch für die jungen Stürmer und Dränger war, kann man in der Sprache, in dem individuellen Stil und in der Begeisterung Herders herausfinden. Selbst die Beschäftigung mit Shakespeare und mit dem Bild des Genies ist für diese Zeit charakteristisch. Er lenkte dabei den Blick vor allem auf den geschichtlichen und nationalen Gehalt in den Werken Shakespeares. Das war besonders wichtig für die Entwicklung der deutschen Literatur und für das Formieren des nationalen deutschen Theaters.

2. Das Bild des Dichters

Schon am Anfang des Aufsatzes begann Herder direkt mit dem Bild des Dichters. "Wenn bei einem Manne mir jenes ungeheure Bild einfällt: "Hoch auf einem Felsengipfel sitzend! zu seinen Füßen Sturm, Ungewitter und Brausen des Meers; aber sein Haupt in den Strahlen des Himmels!" so ist's bei Shakespeare! - Nur freilich auch mit dem Zusatz, wie unten am tiefsten Fuße seines Felsenthrones Haufen murmeln, die ihn - erklären, retten, verdammen, entschuldigen, anbeten, verleumden, übersetzen und lästern! - und die er alle nicht höret!" (Herder 1975:15) Wie W. Stellmacher es richtig bemerkte, gibt es hier zwei Gesichtspunkte. Von einer Seite wird die künstlerische Größe des Dichters hervorgehoben, die schon damals erkannt und hochgeschätzt wurde. Von anderer Seite wird uns der Stand der Shakespeare-Kritik gezeigt. Shakespeares Feinde behaupteten, daß er, "wenn auch ein großer Dichter, doch kein guter Schauspieldichter, und wenn auch dies, doch wahrlich kein so klassischer Trauerspieler sei als Sophokles, Euripides, Corneille und Voltaire..." (Herder 1975:15) Die Shakespeare - Dramen aber sind für die Bühne geschrieben. Sie müssen vom Theater her interpretiert werden. Dabei wird uns gleich klar, daß Herder nichts Gemeinsames mit dieser traditionellen Kritik hat. Er verkündet eine grundsätzlich neue Sicht des englischen Dichters.

Shakespeare wurde von Herders Zeitgenossen als Negation des bisher geltenden Dramas und Theaters, als Eröffnung eines die Gattung und die Bühne sprengenden Dichtungsverständnisses empfunden.

[...]

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Herder über Shakespeare - Das Bild des Dichters
Université
Free University of Berlin  (Germanistik)
Cours
Dramentheorien von Lessing bis Richard Wagner
Note
2,3
Auteur
Année
1995
Pages
17
N° de catalogue
V123202
ISBN (ebook)
9783640276196
ISBN (Livre)
9783640276288
Taille d'un fichier
506 KB
Langue
allemand
Mots clés
Herder, Shakespeare, Bild, Dichters, Dramentheorien, Lessing, Richard, Wagner, Theater
Citation du texte
Dr. Mariana Parvanova (Auteur), 1995, Herder über Shakespeare - Das Bild des Dichters, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123202

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