Die litauische Energiewirtschaft: Im Spannungsfeld von Importabhängigkeit und Versorgungssicherheit


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Litauische Primärenergiebedarf

3. Die Litauische Importabhängigkeit

4. Die Bedeutung des AKW Ignalina in der litauischen Energiewirtschaft

5. Folgen der Schließung des AKW Ignalina
5.1 Erhöhte Importabhängigkeit
5.1.1 Rohölversorgung
5.1.3 Erdgasversorgung

6. Potentielle Ressourcen

7. Fazit

Quellenverzeichnis:

1. Einleitung

In den letzten Jahren werden in Deutschland und der Europäischen Union zunehmend mögliche Folgen einer hohen Importabhängigkeit von russischen Energieträgern, vor allem Erdgas, diskutiert und kritisiert. Besondere Relevanz erfuhr die Problematik der europäischen Energieversorgung zuletzt dadurch, als der russische Erdgasmonopolist Gazprom, dessen Aktienmehrheit in der Hand des russischen Staates liegt, mit der Ukraine, einem ehemaligen „Bruderstaat“, damit drohte, die Erdgaszufuhr zu unterbrechen, falls das damals seit knapp einem Jahr von Viktor Juschtschenko regierte Land nicht den auf „Weltmarktniveau“ angehobenen Preis für Erdgas zahlen würde. Ein Jahr später sicherte sich Gazprom durch eine ähnliche Preiserhöhung in Weißrussland die Eigentumsrechte am weißrussischen Pipelinenetz und baute somit seine Kontrolle der Erdgaszufuhr nach Westeuropa hin aus.

In Litauen ist die Diskussion über eine mögliche politische Instrumentalisierung von Energieträgern alles andere als neu: Bereits 1990 wurde die Bedrohung der nationalen Sicherheit Litauens deutlich, als die sowjetische Regierung im Zuge der litauischen Unabhängigkeitsbewegung aus politischen Gründen für mehrere Monate den Import von Öl- und Benzinprodukten blockierte sowie die Lieferungen von Erdgas reduzierte, um somit Druck auf Litauen auszuüben.[1] Im Jahr 2006 wurde der Druck, den Russland im Energiesektor auf Litauen ausüben kann, erneut deutlich, als im Zuge der Übernahme der Mažeikių-Raffnierie, die 1980 als einzige Ölraffinerie des Baltikums und sogleich als modernste der Sowjetunion ihre Arbeit aufnahm und bis heute das umsatzstärkste Unternehmen Litauens darstellt, indem es mit 2% bis 4 % zum litauischen Bruttoinlandsprodukt beiträgt,[2] Russland zum wiederholten Male versuchte, die Zukunft der Aktiengesellschaft „Mažeikų Nafta“ zu beeinflussen. Nachdem es dem polnischen Ölkonzern PKN gelungen war, sich die Anteile des litauischen Staates und die Anteile aus der Konkursmasse des russischen Konzerns Jukos an der Raffinerie zu sichern, wurde die Ölzufuhr über eine Pipeline aus Russland durch das russische Staatsunternehmen Transneft unterbrochen, nachdem man die litauische Regierung zuvor vor einem „schweren Fehler“ gewarnt hatte.[3]

Paradoxerweise hat die litauische Importabhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl in der Vergangenheit nicht abgenommen, sondern ist angestiegen. Auch der Beitritt in die Europäische Union schaffte keine Besserung der Situation Litauens: Die erhoffte Integration in das westeuropäische Stromnetz über eine „Strombrücke“ nach Polen blieb bislang aus, von der Privatisierung großer energiewirtschaftlicher Objekte profitierten bisher vor allem russische Unternehmen und mit der Schließung des Atomkraftwerkes (AKW) Ignalina, die Bedingung für den litauischen EU-Beitritt war, wird das Abhängigkeitsverhältnis Litauens zunehmen. Der erste Reaktor Ignalinas wurde bereits 2007 vom Netz genommen, der zweite soll 2009 abgeschaltet werden, so dass Litauen im Jahre 2010 dann „(…) bezogen auf Energielieferungen das verletzlichste Land der EU (…)“ sein wird, wie Vaclovas Mišikins, Direktor des Litauischen Energieinstituts in Kaunas, feststellt.[4] Sigitas Babilius, Leiter der politischen Wochenzeitung „Atgimimas“, stellt in diesem Zusammenhang sogar die Hypothese auf, dass „[j]e weiter die Einbindung in westliche Strukturen voranschreitet, desto stärker (…) Litauens Abhängigkeit von Rußland [wird].“[5]

Diese Arbeit soll sich primär mit den Folgen der Schließung des Atomkraftwerkes Ignalina für die litauische Energiewirtschaft auseinandersetzen und dabei aufzeigen, dass die Schließung Ignalinas zu einer erhöhten Nachfrage an fossilen Brennstoffen, hierbei vor allem an Erdgas, in Litauen führen wird, gleichzeitig Litauen sich somit in eine Abhängigkeit von Energieimporten begeben wird, die massive politische und wirtschaftliche Folgen haben kann. Hierbei gilt es zunächst den derzeitigen Primärenergiebedarf Litauens zu analysieren und aufzuzeigen, dass Litauen seine Importabhängigkeit in den letzten Jahren drastisch reduzieren konnte, um dann anhand der Bedeutung des AKW Ignalina für die litauische Energieversorgung die zu erwartenden Veränderungen aufzuzeigen, die die geplante Abschaltung Ignalinas mit sich führt. Dabei muss besonders der litauische Erdöl- und Erdgassektor vor dem Hintergrund einer zu erwartenden steigenden Nachfrage hinsichtlich eventueller Diversifizierungsmöglichkeiten analysiert werden. Im Erdgassektor sollen hier insbesondere die Auswirkungen der so genannten „Ostseegaspipeline“ herausgearbeitet werden, einem von der EU unterstützten russisch-deutschem Projekt, das zukünftig eine sichere Erdgasversorgung Deutschland gewährleisten soll, zugleich allerdings die Versorgungssicherheit Polens, Estlands und Lettlands vor allem aber auch Litauens beeinträchtigen wird. Hierbei soll belegt werden, dass die von Litauen geäußerte Kritik an der Ostseegaspipeline neben Gesichtspunkten des Umweltschutzes vor allem geopolitisch begründet ist. Schließlich soll die These der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen bestätigt und zugleich aufgezeigt werden, dass es Litauen trotz einer von der EU zugestandenen Verlängerung der Frist zur Abschaltung des zweiten Reaktors des AKW Ignalina nicht gelungen zu sein scheint, eine Strategie der zukünftigen Energieversorgung auszuarbeiten und mögliche Alternativen zu russischen Energieimporten ausreichend zu fördern. Gerade dieser Aspekt scheint derzeit besonders deutlich zu werden, wenn Litauen versucht, eine Verlängerung der Laufzeit des AKW Ignalina bei der EU zu erreichen.[6] Ebenso soll es Ziel dieser Arbeit sein, mögliche Potentiale für die litauische Energieversorgung aufzuzeigen. Hierbei scheinen allerdings die Planungen für einen Neubau des AKW Ignalina vor allem notwendige Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien zu blockieren.

2. Der Litauische Primärenergiebedarf

Betrachtet man den litauischen Primärenergiebedarf, so fällt auf, dass Atomkraft mit einem Anteil von etwa 31 % am Gesamtprimärenergiebedarf im Jahr 2005 den wichtigsten Energieträger für die litauische Energiewirtschaft darstellt. Erdöl und Erdgas belaufen sich jeweils auf etwa 28 %, Kohle hingegen wird in Litauen relativ wenig genutzt, so dass ihr Anteil am Primärenergiebedarf lediglich knapp über 2 % darstellt, während der Anteil von aus Holz und Holzabfällen gewonnener Energie etwa 8 % beträgt. Wasserkraft, Solar- und Windenergie sowie die Nutzung von Geothermie bilden insgesamt etwas über 2 % des litauischen Primärenergiebedarfs.

Schaubild 1: Anteile des Primärenergiebedarfs in 2005[7]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierbei ist ebenso festzustellen, dass zwischen den Jahren 2000 bis 2005 keine signifikante Veränderung im litauischen Energiemix stattgefunden hat, der gesamte Primärenergiebedarf Litauens seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 allerdings um 19,6 % gestiegen ist, während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im gleichen Zeitraum um 56,1 % anstieg.[8]

Der im Vergleich zum BIP relativ geringe Anstieg des Primärenergiebedarfs deutet insgesamt auf eine effizientere Nutzung der Energieträger hin. Gleichzeitig muss diese Beobachtung zwei Einschränkungen erfahren: Erstens muss in Bezug auf die Transformation Litauens angemerkt werden, dass der aus der sowjetischen Wirtschaftsstruktur stammende stark energieverbrauchende industrielle Sektor der litauischen Wirtschaft in der Vergangenheit stark zugunsten des Dienstleistungssektors zurückging, so dass dieser im Jahr 2007 60 % des litauischen BIP erwirtschaftete.[9] Zweitens handelt es sich zwar im Verhältnis um eine insgesamt effizientere Nutzung der Energieträger, allerdings nach wie vor nicht um eine durchaus effiziente Nutzung.

Schaubild 2: Energieintensität der Wirtschaft 1995-2005[10]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch wenn gerade in den letzten Jahren die Energieeffizienz gestiegen ist, so gilt die litauische Energiewirtschaft nach wie vor als sehr ineffizient, was bei Betrachtung der litauischen Energieintensität der Wirtschaft (Schaubild 2) deutlich wird: Litauen benötigte im Jahr 2005 etwa sechs Mal so viel Energie wie Deutschland und etwa 1,5 Mal mehr Energie als Lettland zur Erwirtschaftung der jeweils gleichen Menge des BIP, wie in Schaubild 2 zu erkennen ist. Somit stellt Litauen neben Estland, Bulgarien und Rumänien bezüglich der Energieintensität das Schlusslicht in der EU dar.[11] Auch die Europäische Kommission verweist Litauen an dieser Stelle auf die Notwendigkeit der Erhöhung der Energieeffizienz.[12]

Bezüglich der ersten Einschränkung lässt sich derweil feststellen, dass Litauen Anfang der 1990-er Jahre einen in Rohöläquivalent ausgedrückten Primärenergiebedarf von 18 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2000 auf mehr als die Hälfte reduzierte (7,2 Millionen Tonnen Rohöläquivalent).[13] Der in den letzten Jahren zu verzeichnende kontinuierliche Anstieg wird sich allerdings voraussichtlich auch in Zukunft fortsetzen. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass das litauische BIP pro Kopf zurzeit lediglich 51 % des EU-27 Durchschnitts beträgt, die Wirtschaft allerdings weiterhin wächst: „Mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (…) von 8,1% in der ersten Jahreshälfte 2007 (2006: 7,5%) liegt Litauen nach wie vor in der Spitzengruppe der EU-Mitgliedstaaten“[14], was für einen anhaltenden Anstieg des Energiebedarfs Litauens in der Zukunft spricht. Dementsprechend verzeichneten im Zeitraum vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 der hauswirtschaftliche Sektor mit einem Anstieg von 7 %, die Industrie mit 24 %, der kommerzielle- und Dienstleistungssektor mit 31 % sowie das Transportwesen mit 46 % die größten Anstiege im Energieverbrauch.[15]

3. Die Litauische Importabhängigkeit

Das Hauptziel der litauischen Energiepolitik besteht seit Anfang der 1990-er Jahre in der Verminderung der litauischen Energieimportabhängigkeit. Vor allem unter der aus der Unabhängigkeitsbewegung Sąjūdis hervorgegangenen Konservativen Regierung unter Führung von Vytautas Landsbergis wurde ein Konzept verfolgt, „(…) dessen Kern darin bestand, Litauens Abhängigkeit von Rußland zu reduzieren und das Land in die geopolitische Einflusszone Westeuropas zu führen.“[16] Hierbei ist es Litauen gelungen, seine Importabhängigkeit von 72 % im Jahr 1991 so zu senken, dass sich Litauen im Jahr 2001 mit einer Importabhängigkeit der Primärenergieträger von 49 % genau im EU-Durchschnitt befand.[17] Diese Entwicklung ist zum einen darauf zurückzuführen, dass im Rahmen einer Diversifizierungsstrategie damit begonnen wurde, mehr Öl aus eigenen Ölquellen zu fördern. Während es lange Zeit keine Anreize gab, einheimische Erdölressourcen zu nutzen, da die Preise für Ölprodukte in der Sowjetunion nicht nur stabil, sondern auch überaus niedrig waren, führte die gravierende Preissteigerung für Energie und Rohmaterialien in den letzten Jahren indes zu einer Erhöhung der Rentabilität der eigenen Erdölförderung.

[...]


[1] Vgl.: Miškinis, Vaclovas 2004: Atomausstieg und Abhängigkeit. Energieversorgung in Litauen, in: OSTEUROPA, 54. Jg., 9-10/2004, S. 238-249, hier S. 239.

[2] Vgl.: Auswärtiges Amt: Litauen. Wirtschaft, Oktober 2007: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Litauen/Wirtschaft.html [05.03.2008].

[3] Klussmann, Uwe 2006: Litauen: Kalter Krieg ums Öl, in: Der Spiegel, 51/2006, S. 110-112, hier S. 110.

[4] Miškinis 2004: S. 247.

[5] Babilius, Sigitas 2002: Ans Rohr gebunden … Energiepolitik und Energiewirtschaft in Litauen, in: OSTEUROPA, 52. Jg., 9-10/2002, S. 1306-1318, hier S. 1306.

[6] Vgl.: The Baltic Times: Odds stacked against Ignalina extension, 28.02.2008: http://www.baltictimes.com/news/articles/19928/ [05.03.2008].

[7] Vgl.: IEA Energy Statistics 2007: Share of total Energy Supply in 2005. Lithuania: http://www.iea.org/textbase/stats/pdf_graphs/LTTPESPI.pdf [13.03.2008; eigene Darstellung].

[8] Vgl.: Juška, Antanas Petras / Miškinis, Vaclovas (Hrsg.) 2007: Lietuvos Energetika. Energy in Lithuania 2006, Lietuvos energetikos institutas: http://www.ukmin.lt/lt/veiklos_kryptys/energetika/informacija/doc/LEI_2006.pdf [07.03.2008] S. 4.

[9] Vgl.: CIA - The World Factbook 2008: Lithuania: https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/lh.html#Intro [13.03.2008].

[10] Vgl.: Eurostat 2008: Energieintensität der Wirtschaft: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&language=de&pcode=tsdec360&tableSelection=1&footnotes=yes&labeling=labels&plugin=1 [13.03.2008; eigene Darstellung].

[11] Vgl.: Eurostat 2008: Energieintensität der Wirtschaft: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&language=de&pcode=tsdec360&tableSelection=1&footnotes=yes&labeling=labels&plugin=1 [07.03.08].

[12] Vgl.: Europa - Das Portal der Europäischen Union 2004: Litauen: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/e14105.htm [07.03.2008].

[13] Vgl.: IEA Energy Statistics 2007: Evolution of Total Primary Energy Supply from 1990 to 2005. Lithuania: http://www.iea.org/textbase/stats/pdf_graphs/LTTPES.pdf [07.03.2008] sowie: Juška / Miškinis (Hrsg.) 2007: S. 4.

[14] Auswärtiges Amt: Litauen. Wirtschaft, Oktober 2007: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Litauen/Wirtschaft.html [07.03.2008].

[15] Vgl.: Juška / Miškinis (Hrsg.) 2007: S. 4 [eigene Berechnungen].

[16] Vgl.: Babilius 2002: S. 1308.

[17] Vgl.: Miškinis 2004: S. 246.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die litauische Energiewirtschaft: Im Spannungsfeld von Importabhängigkeit und Versorgungssicherheit
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut )
Veranstaltung
PS: Die Osteuropäischen Krisenherde nach der "Wende" - Bilanz und Perspektiven 16 Jahre später
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V124105
ISBN (eBook)
9783640672905
ISBN (Buch)
9783640672806
Dateigröße
642 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Energiewirtschaft, Spannungsfeld, Importahängigkeit, Versorgungssicherheit
Arbeit zitieren
Steffen Halling (Autor:in), 2008, Die litauische Energiewirtschaft: Im Spannungsfeld von Importabhängigkeit und Versorgungssicherheit , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124105

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