Die didaktische Rechtfertigung der Verbindung des Fachunterrichts mit dem interdisziplinären Unterricht in der (Grund-)Schule


Term Paper, 2009

18 Pages


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Rückblick und aktueller Bezug
2.1 Die Anfänge der Schulfächer
2.2 Comenius’ „weltanschauungskonzentrische Bildung“
2.3 Der vielkritisierte Fächerkanon und seine Alternativen

3. Fächerung vs. interdisziplinärer Unterricht
3.1 Orientierung an den wissenschaftlichen Disziplinen
3.2 Interdisziplinärer Unterricht
3.3 Aus der Praxis: Der integrative Sachunterricht

4. Resümee

Bibliographie

1. Einleitung

Bereits seit Jahrhunderten machen sich Gelehrte Gedanken über die Form und die Legitimation eines bestimmten Fächerkanons im Bildungssystem. Gerade in der heutigen Zeit, in der das deutsche Schulsystem ständiger Kritik ausgesetzt ist, versucht man, das Schulsystem, die Lehrerausbildung und den Fächerkanon zu reformieren. Dabei stößt man leicht auf Kritikpunkte, wie z.B. dass viele Lehrer die mittlerweile stark heterogenen Klassen nach wie vor als homogene Gruppe betrachten, die viel diskutierte PISA-Studie, veraltete Lehrer, die schlechte Allgemeinbildung der Schüler und Erwachsenen und veraltete didaktische Konzepte und natürlich auf die von vielen Seiten als fragwürdig bezeichnete Fächerung in der Grundschule und in der höheren Schule . „Schulreformen haben Hochkonjunktur in der gesellschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Diskussion.“[1] Die Kindheit und Jugendzeit hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Demzufolge lockt man die Schüler mit dem traditionellen Unterricht definitiv „nicht mehr hinter dem Ofen hervor“ und es darf auch nicht dementiert werden, dass die Schule heutzutage nun einmal eine Brückenfunktion einnimmt, d.h. das zu kompensieren versucht, was das Kind im Elternhaus nicht lernen konnte/kann.

Im Hinblick auf die diversen Meinungen und Ansätzen fragt man sich, ob die Fächerung in der (Grund-)Schule noch zeitgemäß ist und ob es nicht sinnvoller wäre, den interdisziplinären Unterricht als Unterrichtsgrundlage einzuführen? Dies werde ich in dieser Hausarbeit untersuchen, indem ich zunächst die wichtigsten historischen Aspekte und ihren Bezug zur Gegenwart skizziere - mich dabei auf Memmert beziehe – und diese diskutiere. Im Anschluss daran werde ich auf die Legitimation des „fächerübergreifenden“ oder „fächerverbindenden“ Unterrichts in der (Grund-)Schule, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, eingehen. In diesem Zusammenhang erachte ich es als notwendig, dass ich ebenso auf den einen oder anderen fachspezifischen Aspekt eingehe.

2. Geschichtlicher Rückblick und aktueller Bezug

2.1 Die Anfänge der Schulfächer

Im Laufe der Zeit haben sich unsere Lebensverhältnisse weiter ausdifferenziert und sowohl das prozedurale als auch das deklarative Wissen und die beruflichen Tätigkeiten wurden umfangreicher. „Bei der Bewältigung bestimmter Lebensaufgaben haben wir es im Alltag mit sehr komplexen Situationen zu tun.“[2]

2.2 Comenius’ „weltanschauungskonzentrische Bildung“

Bereits in Comenius’ Unterrichtswerk Orbis sensualium pictus findet man diverse Wissensgebiete, die man zwar nicht als akademische Disziplinen, dafür jedoch als lebensbedeutsam bezeichnen kann (z.B. „die physische Welt“, „Berufe“, „Zusammenleben“ oder „Christliche Kirche und andere Religionen“) und dieser Vorläufer erinnert stark an Hermann Meyers „Lebensschule“, welche erst viel später von ihm entwickelt worden ist. Bei Comenius war alles fächer- bzw. weltanschauungskonzentriert und es wurde besonderer Wert auf die religiöse und ethische Bildung gelegt. Heutzutage wird weiterhin ein Augenmerk auf die Vermittlung von Werten oder Tugenden gelegt, allerdings verfolgt man dabei nicht das Ziel, die Schüler zu bekehren oder sie in eine bestimmte weltanschauliche Richtung zu drängen. Bei der zunehmenden Säkularisierung spielt die Religion, v.a. das Christentum, wenn man einmal von den süddeutschen Regionen absieht, mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Seit einigen Jahrzehnten haben wir laut Memmert eine pluralistische, tolerant-allzutolerante Gesellschaft und er schreibt sogar: „Auf jeden Fall lohnt es sich, über eine zeitgemäße Mitte für eine weltanschauliche Konzentration der Fächer nachzudenken.“[3] Dies hat bei näherer Betrachtung einen starken Uniformitätscharakter und man fragt sich im Hinblick auf eine so einschneidende Erfahrung wie z.B. das Nazi-Deutschland, ob es nicht wirklich besser wäre, die pluralistische Gesellschaft beizubehalten? Die Schule und die Fächer sollten zu einer umfassenden Bildung des Kindes beitragen und dabei unter keinen Umständen versuchen, es in eine bestimmte Richtung (politisch, religiös, sozial, ethisch, psychologisch o.ä.) zu lenken.

2.3 Der vielkritisierte Fächerkanon und seine Alternativen

Der Fächerkanon wie wir ihn heute kennen, ist in den Epochen des Pietismus, Philanthropismus und Neuhumanismus entstanden. Das mittelalterliche Bildungssystem war traditionsbestimmt: man las, kommentierte und repetierte die Werke kanonischer Autoren. An ihren Texten entlang wurden die Sachfragen und sprachlichen Künste geübt.[4] Während man in früheren Jahrhunderten auf eine „volkstümliche“ bzw. „höhere“ Bildung setzte, ging man später von dem Prinzip der „Wissenschaftsorientierung“ aus. Dies gilt für alle Fächer mit kognitiver Grundlage und für alle Schularten.[5] Merkmale des Fächerkanons: 1. Gliederung der Fächer in fachimmanente, systematische Kriterien, 2. „stellen die Fächer inhaltlich einen oft mehrfach verdünnten Aufguss der akademischen Bezugsdisziplinen dar“[6], 3. dauern die Unterrichtseinheiten 45 Minuten (früher: 60 Minuten) 4. werden die einzelnen Fächer von Fachlehrern erteilt. Dieser Fächerkanon wird gemeinhin kritisiert und von Reformpädagogen gibt es auch zahlreiche Ansätze, das Lernen aus dem starren Korsett des Fächerzwangs[7] zu lösen. Was wird am Fachunterricht eigentlich kritisiert? Zum einen wird ihm eine einseitig kognitive Ausrichtung vorgeworfen, die emotionale und soziale Aspekte vernachlässige, ferner dass er lehrerzentriert und zu frontal sei, dass die Lebenswirklichkeit des Kindes oft ausgeblendet werde und dass die 45-Minuten-Einheiten den Schulalltag zersplitten[8] Trotz dieser Kritik wird das seit langem bestehende Fächersystem beibehalten und es ist bislang auch keine Reform in Sicht. Immerhin halten sich die Schulfächer nun seit etwa zwei Jahrhunderten. Der in den meisten westlichen Ländern vorherrschende Fächerkanon hat sich bereits vor 1850 herausgebildet, was mit den preußischen Gymnasialreformen der Humboldtzeit einher ging und der gleiche Prozess war für die Elementar und niederen Sekundarschulen etwa um 1900 abgeschlossen.[9]

Giel schreibt bzgl. der Fächerung:

Fächer sind, wie der Name sagt, Schubladen, in denen das Wissen, nach Relevanz-Graden und -Kategorien sortiert, abgelagert wird. So bildet die Ordnung, der Kanon der Schulfächer, eine Topographie des kollektiven Gedächtnisses der Wissenschaften: Jedes Fach ist eine Ordnung von Örtern, an denen relevantes Wissen aufbewahrt ist und gefunden werden kann.[10]

Schubladen, i.e. Fächer allein nützen allerdings ohne eine Vernetzung des Wissens und der Herangehensweisen nichts. Diese Tatsache hat man schnell erkannt und infolgedessen haben sich reformpädagogische Konzepte wie Freiarbeit, offener Unterricht, handlungsorientierter Unterricht und fächerübergreifender Unterricht etabliert – diese Konzepte werden aber noch lange nicht von allen Lehrern bzw. in allen Schulen umgesetzt..

Zum Beispiel der Projektunterricht existiert seit dem 19. Jahrhundert und wird seit jeher als interdisziplinär betrachtet. Ein Beispiel für ein Projekt, in dem sehr viele Fächer und Tätigkeitsfelder zum Tragen kommen, sei laut Bossing und Memmert die Probe und Aufführung eines Theaterstückes.[11] Auf der einen Seite verbindet ein Theaterprojekt diverse Disziplinen; Doch auf der anderen Seite wird beim Projektunterricht oft kritisiert, dass er schwer in den herkömmlichen Unterricht einzubinden sei.[12] Wenn man darüber nachdenkt, dass in vielen öffentlichen Schulen maximal zwei mal eine Projektwoche pro Jahr stattfindet, scheint die Kritik von Memmert und weiteren Pädagogen nicht unberechtigt zu sein. Der Projektunterricht erfordert Planung von Seiten der Lehrkräfte und bei all den Vorbereitungen, die die meisten Lehrer bereits auf Grund des herkömmlichen Unterrichts zu treffen haben, lässt sich ein regulärer Projektunterricht konsequenterweise schwer realisieren.

Schwenk schreibt/sagt:

Betrachten wir die schulpädagogische Literatur, die Bildungspläne der letzten Jahre und die Schulbücher einzelner Fächer, so drängt sich als Ergebnis auf, dass die Leistung der Schulfächer darin besteht, bestimmte Arbeitsformen, Methoden und Normen zu vermitteln. Sie wollen individuelle Erfahrungen, Wissen und situ­ative Eindrücke aus der Lebenswirklichkeit der Schüler systematisieren, verall­gemeinern und abstrahieren.[13]

Dies ist sicherlich richtig, doch erscheint diese Form des Unterrichts nicht mehr zeitgemäß. Ein einzelnes Fach jedoch kann die Fähigkeiten und Kenntnisse, die der Schüler erwerben soll, nicht abdecken. Von daher ist es in jedem Fall von Nöten, die Fächer sinnvoll miteinander zu verbinden.

Der Fächerunterricht kommt der Politik entgegen, insofern als dass er in organisatorischer Hinsicht von außen überschaubarer ist, als ein Unterrichtssystem, für das es keine klaren Vorgaben gibt. Hierbei darf man allerdings nicht vergessen, dass Deutschland nun mal im europäischen und internationalen Bildungssystem- bzw. Schulleistungsvergleich lediglich im Mittelfeld oder noch schlechter abschneidet. In puncto Bildungsverbesserung der Schüler ist es definitiv von Nöten, dass das System und dessen Rahmenbedingungen grundlegend verändert werden.

[...]


[1] Geigle, Martina, Chancen und Grenzen des fächerübergreifenden Unterrichts, In: Die Grundschulzeitschrift 11/08, Seite 14.

[2] Memmert, Wolfgang, Welt Verstehen – Welt verändern, Vom Sinn der Schulfächer. In: Prof. Dr. Werner Loch (Hg.) und Prof. Dr. Jakob Muth (Hg.), Neu pädagogischeBemühungen, Band 97, Essen: Neue-Deutsche-Schule-Verlagsgesellschaft, 1986, Seite 11

[3] Memmert, Wolfgang, Über den Umgang mit den Fächern – Sechs historische Modelle. In: Duncker, Popp: Über Fachgrenzen hinaus - Chancen und Schwierigkeiten des Fächerübergreifenden Lehrens und Lernens, Heinsberg: Dieck, 1997, Seite 20.

[4] Vgl. hierzu: Lust an der Erkenntnis: Die Pädagogik der Moderne, hrsg. von Hans Scheuerl - München: Piper GmbH & Co. KG, 1992, Seite 21

[5] vgl. hierzu: Handlexikon zur Didaktik der Schulfächer / hrsg. von Leo Roth. – München: Ehrenwirth, 1980. 1. Abschnitt.

[6] Vgl. hierzu: Memmert (1997), Seite 21

[7] Formulierung von Schwenk, Dominik, „Interdisziplinäres Lehren und Lernen“, Vortragskonzept für die Seminarleiter-Tagung in Schöntal - Juni 2001, übernommen, Seite 4

[8] Geigle, (2008), Seite 14-15.

[9] Vgl. hierzu: Hopmann, Stefan & Riquarts, Kurt, Das Schulfach als Handlungsrahmen - Tradition und Perspektiven der Forschung. In: Riquarts, Kurt (Hg.): Bildung und Erziehung. Beihefte, Köln: Böhlau Verlag, 1999, Seite 10

[10] Giel, Klaus, Zur Philosophie der Schulfächer, htp://www.klaus-giel.de/doc/Schulfaecher.pdf, Stand: 1997, Seite 2

[11] vgl. Memmert, (1997), Seite 22

[12] vgl. Memmert, (1997), Seite 22

[13] Schwenk, Dominik, „Interdisziplinäres Lehren und Lernen“, Vortragskonzept für die Seminarleiter-Tagung in Schöntal - Juni 2001, Seite 2

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Details

Title
Die didaktische Rechtfertigung der Verbindung des Fachunterrichts mit dem interdisziplinären Unterricht in der (Grund-)Schule
College
University of Hamburg
Course
Proseminar: Zur Geschichte und Theorie der Grundschule
Author
Year
2009
Pages
18
Catalog Number
V124825
ISBN (eBook)
9783640299089
ISBN (Book)
9783640304110
File size
445 KB
Language
German
Keywords
Rechtfertigung, Verbindung, Fachunterrichts, Unterricht, Proseminar, Geschichte, Theorie, Grundschule
Quote paper
Nadine Richters (Author), 2009, Die didaktische Rechtfertigung der Verbindung des Fachunterrichts mit dem interdisziplinären Unterricht in der (Grund-)Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124825

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