Selbsterkenntnis, Annahme, Veränderung – Die Tugend der Demut bei Thomas von Aquin

(S. th. II-II. q. 161, a. 1)


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2008

13 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

0. EINLEITUNG

1. SED CONTRA, RESPONDEO
1.1 Problem: Demut – für den antiken Menschen so nicht vorstellbar
1.2 Lösung: Demut als Maßhaltung

2. ARG. 1/ARG. 2, AD 1/AD 2
2.1 Problem: Demut als Unterdrückung
2.2 Lösung: Differenzierung der Begrenzung
2.2.1 Zwei Arten der Begrenzung
2.2.2 Gott als Obergrenze – Universalität der Demut
2.2.3 Natur als Untergrenze – Möglichkeit zur Veränderung
2.3 Demut von Herzen

3. ARG. 4, AD 4
3.1 Problem: Demut als Ende aller Strebsamkeit
3.2 Lösung: Demut als Zurückhaltung

4. ARG. 5, AD 5
4.1 Problem: Unterordnung als Gesetzesgerechtigkeit
4.2 Lösung: Demut nicht dem Staat, sondern Gott gegenüber

5. SCHLUSSBEMERKUNG

LITERATURVERZEICHNIS

0. Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll die Ausführungen des heiligen Thomas zur Demut behandeln, wie er sie in der 161. Frage des zweiten Teils im zweiten Buch der summa theologiae darlegt. Im Besonderen habe ich diese Arbeit auf den ersten Artikel („Ist die Demut eine Tugend“) beschränkt und möchte zeigen, mit welchen Problemstellungen sich Thomas von Aquin beschäftigen muss, um seine Auffassung der Demut darzulegen.

Ich möchte mit dieser Arbeit den ersten Artikel keinesfalls lückenlos behandeln, sondern auf vier Grundprobleme hinweisen, die sich Thomas von Aquin gestellt haben und zeigen, wie er diese gelöst hat.

Alle vier Grundprobleme entspringen dabei dem aristotelischen Gedankengut, dessen sich Thomas in seiner summa theologiae immer wieder bedient, um die Vereinbarkeit von antikem und christlichem Weltverständnis zu zeigen.

In Bezug auf die Frage, ob Demut eine Tugend ist, steht so vor allem der Bedeutungsunterschied der Demut im Mittelpunkt der Überlegungen. Ist Demut im christlichen Kontext eine der wichtigsten sittlichen Tugenden, wird sie in der Antike als Schwäche ausgelegt. Hier steht also der Demutsbegriff an sich in Frage. Auch der Tugendbegriff, wie Aristoteles ihn sieht, scheint sich nicht mit der Demut zu decken, wenn man diese als Schwäche beurteilt.

Die Struktur dieser Arbeit habe ich ein wenig an den Aufbau der summa theologiae angelehnt: Auf eine Problemstellung oder einen Vorwurf aus der antiken Welt der Demut gegenüber folgt die Lösung des Thomas von Aquin.

Wie ich schon andeutete, möchte ich dabei nicht alle Argumente behandeln, sondern diejenigen, die ich als besonders schwerwiegend empfunden habe.

Im Laufe der Arbeit soll deutlich werden, wie Thomas der Demut immer wieder gewisse Aufgaben zuweist und dadurch auch die Problemstellungen allesamt lösen kann. Diese „gewissen Aufgaben“ der Demut habe ich im Titel dieser Arbeit ein wenig plakativ als Selbsterkenntnis, Annahme und Veränderung definiert.

Neben der summa theologiae als Quelle habe ich vor allem in den Aufsätzen von Stefan ERNST[1] und Gerhard KRIEGER[2] wichtige Informationen gefunden, die Standardwerke von Wolfgang KLUXEN (Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin) oder Eberhard SCHOCKENHOFF (bonum hominis) boten leider wenig zur Demut im Speziellen. Wenige Details konnte ich dem englischsprachigen Werk von Leo. J. ELDERS[3] entnehmen, der einen Großteil der Fragen des zweiten Teils des zweiten Buches kommentiert.

Ich hoffe, mit diesen meinen Ausführungen obgleich der doch recht spärlichen Literaturauswahl ein angemessenes Gesamtbild der thomanischen Auffassung der Demut zeichnen zu können, wie er sie im ersten Artikel behandelt.

1. sed contra, respondeo

1.1 Problemstellung 1: Demut – für den antiken Menschen so nicht vorstellbar

Seine Ausführungen über die Demut beginnt Thomas im sed contra des 1. Artikels der 161. Frage. Dabei zitiert er die Ausführungen Origenes’, welcher ein Zitat aus der Heiligen Schrift anführt: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“. Dieser Satz aus Mt 11,29 taucht bereits im ersten Teil des zweiten Buchs auf, in dem Thomas konstatiert, dass diese beiden Tugenden Sanftmut und Demut den Menschen Christus gleichgestalten (quia ipse dominus praecipue nos inducit ad sui conformitatem secundum humilitatem et mansuetudinem).[4]

Durch diesen Christusbezug, den Thomas hier herstellt, taucht die Frage auf, ob diese beiden Tugenden dann auch spezifisch christliche Tugenden sind, ob sie dem Christentum eigen sind. ERNST führt hier verschiedene antike, nicht-christliche Tugendkataloge an, die belegen, dass die Demut (humilitas) nicht in diesen Katalogen enthalten ist.[5] Weiter spricht er davon, dass das griechische Pendant zum lateinischen humilis nicht den gleichen Bedeutungshorizont hat, welchen es zu einer Tugend werden lässt, sondern die „Haltung der Unterwürfigkeit und Servilität“[6] bezeichnet, eine Haltung der Schwachheit. Die antike Grundhaltung sollte nicht die Demut, sondern die Großgesinntheit sein, die dem Menschen helfen soll, zwischen Aufgeblasenheit und Kleinmütigkeit das rechte Maß zu finden.

ERNST belegt dann anhand der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, dass die Antike auch eine Art Bescheidenheit kannte, diese aber im Vergleich zur heutigen Auffassung zur „Haltung des Mittelmäßigen“[7] abgewertet worden sei. Die Haltung des freiwilligen Statusverzichts und damit der Demut sei der gesamten Antike fremd.

Für die jüdisch-christliche Welt sei die Demut im Gegensatz dazu zur „fundamentalen Grundhaltung der sittlichen Lebensführung“[8] geworden und zwar seit dem ersten Heilshandeln Jahwes, der sich den Gedemütigten zuwendet, bis zur Sendung des Messias, der sich selbst erniedrigt und seine Jünger einlädt, es ihm gleich zu tun. Weiterhin unterstrichen die Kirchenväter und sowohl die spirituelle als auch die scholastische Theologie des Mittelalters den grundlegenden Wert der Demut für ein christliches Leben.

Mit diesem Problem, dem Bedeutungsunterschied zwischen Antike und christlicher Welt muss sich Thomas in seinen Überlegungen beschäftigen. Er tut dies im 1. Artikel („Ist die Demut eine Tugend?“ seines Traktats über die Demut.[9] Möchte er zeigen, dass Demut eine Tugend ist, so muss er aufweisen, dass seine These mit dem aristotelischen Tugendbegriff zusammenhängt (oder übereinstimmt), oder er muss den Tugendbegriff erweitern.

1.2 Lösung: Die Demut als Maßhaltung (respondeo)

Im weiteren Verlauf des Artikels muss Thomas nun zeigen, dass Demut keine Schwäche ist. Um darzustellen, warum er die Demut als Teil der Maßhaltung aufführt, setzt er in der Antwort (respondeo) des ersten Artikels an, indem er das Streben eines Menschen nach einem schwer zu erlangenden Gut (bonum arduum) als Beispiel anführt.[10]

Das Gutsein des Gutes ist das Anziehende, Motivierende (Hoffnung, spes), die Schwierigkeit dieses Gut zu erreichen ist das Zurückstoßende (Verzweiflung, desperatio). So wird im Menschen ein „ambivalentes Gefühl“[11] erzeugt.

Um diese Diskrepanz in die Vernunftordnung einzubringen, setzt Thomas darum zwei Tugenden diesen Gefühlen entgegen. Eine Tugend, die den Menschen hinsichtlich der Hoffnung bremst (Demut, humilitas), eine andere, die den Geist gegen das Verzweifeln festigt (Hochherzigkeit, magnanimitas). Beide Tugenden sind folglich komplementär.

Dieser Art der Demut kann man nun nicht mehr, wie in der Antike geschehen, Schwäche attestieren, denn sie ermöglicht eine realistischere Selbsteinschätzung.

[...]


[1] ERNST, Stefan: Die bescheidene Rolle der Demut. Christliche und philosophische Grundhaltungen in der speziellen Tugendlehre, in: A. SPEER (Hg.): Thomas von Aquin – Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005, 343-376

[2] KRIEGER, Gerhard: „ne immoderate tendat in excelsa“ – Menschliche Gesundheit und Bescheidenheit (humilitas) bei Thomas von Aquin, in: Das Mittelalter, 10 (2005), 11-19

[3] ELDERS, Leo J.: The Ethics of St. Thomas Aquinas, Frankfurt am Main 2005

[4] Siehe S.th.I-II, q. 68, a. 1

[5] Vgl. ERNST, Rolle der Demut, 344

[6] Siehe ebd.

[7] Siehe ERNST, Rolle der Demut, 345

[8] Siehe ebd.

[9] Anm.: S.th. II-II. q. 161, a.1

[10] Zu den folgenden Ausführungen vgl. ERNST, Rolle der Demut, 355f. sowie ELDERS, Ethics of St. Thomas, 292

[11] Siehe ebd.

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Selbsterkenntnis, Annahme, Veränderung – Die Tugend der Demut bei Thomas von Aquin
Sous-titre
(S. th. II-II. q. 161, a. 1)
Université
University of Trier
Cours
Proseminar
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
13
N° de catalogue
V125220
ISBN (ebook)
9783640308668
ISBN (Livre)
9783640306763
Taille d'un fichier
429 KB
Langue
allemand
Mots clés
Selbsterkenntnis, Annahme, Veränderung, Tugend, Demut, Thomas, Aquin, Proseminar
Citation du texte
Christian Baltes (Auteur), 2008, Selbsterkenntnis, Annahme, Veränderung – Die Tugend der Demut bei Thomas von Aquin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125220

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Selbsterkenntnis, Annahme, Veränderung – Die Tugend der Demut bei Thomas von Aquin



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur