Bedeutung des Fatalismuskenzepts für das metafiktionale Erzählen in Diderots "Jacques le Fataliste et son maitre"


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

28 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Jacques le Fataliste: Aufklärungsroman?

2. Fatalismus, Determination und das metafiktionale Erzählen in Diderots „Jacques le Fataliste et son maitre"
2.1. Metafiktionales Erzählen in „Jacques le Fataliste"
2.1.1. Das Problem der Gattungszugehörigkeit : „Ceci n'est point un roman"
2.1.2. Autor-Erzähler-Leser: Von enttäuschten Lesererwartungen und autonomen Erzählautomaten
2.1.3. Jacques Liebesgeschichte: „La vérité est souvent froide, commune et plate"
2.2. Spinozistischer Fatalismus versus innerer Determinismus
2.2.1. Jacques Fatalismus: Schicksalsgläubigkeit ?
2.2.2. Die Reisegeschichte: Zufall oder Providenz?
2.2.3. „Est-il bon? est-il méchant?" — Moral, Determination und Zufall in den eingelegten Geschichten
2.3. Vernunft, innere Determination und „neuer Roman": Wie bedingen sich Fatalismustheorie und Metafiktion in Diderots „Jacques le Fataliste et son maitre"?
2.3.1. Der Bruch mit heroisch-galanter providentia und märchenhafter Idealität: Diderots „neuer Roman"
2.3.2. Verantwortung des Individuums in der determinierten Welt

3. Fazit: Selbstaufklärung statt fatalistischer Schicksalsgläubigkeit als Grundlage fur den „neuen Roman"

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur/Quelle
4.2. Sekundärliteratur

5. Anhang

1. Einleitung: Jacques le Fataliste: Aufklärungsroman?

Diderots „Jacques le Fataliste et son maitre"1 wirft viele Fragen auf, die die Forschung bis heute kontrovers diskutiert. Inwiefern handelt es sich trotz der Ablehnung der Bezeichnung als „roman" um einen Roman? Welcher Handlungsstrang ist der vorherrschende, die Reisegeschichte von Herr und Diener, ihr Verhältnis zueinander oder doch eher Jacques unvollendete Liebesgeschichte, die eingelegten Geschichten oder die Thematisierung der Erzähltheorie? Auch die Funktion der eingeschobenen Geschichten ist umstritten ebenso wie die Problematik des Verhältnisses von Leser und Erzähler.

Die grundlegende, Form und Inhalt bestimmende, Frage ist die nach dem Verhältnis von metafiktionalem Erzählen und dem Konzept von Fatalismus und Determinismus in „Jacques le Fataliste et son maitre",2 womit diese Arbeit sich befassen will.

Zunächst soll hierzu die Erzähltheorie unter besonderer Beachtung von Gattungszugehörigkeit und des Leser-Erzähler-Verhältnisses auf den ganzen Roman bezogen untersucht werden sowie das Erzählverhalten in der Liebesgeschichte von Jacques. In Gegenüberstellung von Freiheit und unterschiedlichen Determinismusmodellen wird Jacques Fatalismustheorie, das Prinzip von Zufall und Schicksal in der Reisegeschichte sowie unter Einbeziehung der Moralphilosophie der Determinismus in den eingeschobenen Geschichten näher betrachtet werden. Letztendlich gilt es dann die Verbindung zwischen metafiktionalem Erzählen und Fatalismustheorie herzustellen, wobei der Aspekt der immanenten Erzähltheorie sowie das Problem von freiheitlichem Handeln unter determinierenden Umständen (Charakter, „Fälle") im Vordergrund stehen sollen.

Sehr hilfreich ist vor allem Rainer Warnings „Illusion und Wirklichkeit in Tristram Shandy und Jacques le Fataliste", da entgegen der Suggestion des Titels es nicht allein um den Vergleich der Werke oder gar den Nachweis einer Werkabhängigkeit geht, sondern zunächst eine sehr ergiebige, analytisch gut nachvollziehbare und umfassende Untersuchung eng am Werk stattfindet ohne zwanghafte Parallelisierungen. Eine gute Ergänzung bietet Ruth Groh, auch wenn ihre Beweisf•hrungen etwas langatmig sind und sie immer wieder flr Figuren und Ansichten des Romans Partei ergreift. Auch Erich Köhlers „Est-ce que l'on sait oix l'on va?", ist fir die Fragestellung dieser Arbeit zu empfehlen, obwohl Warning und Groh ihn in einigen Ansichten widerlegen können.

2. Fatalismus, Determination und das metafiktionale Erzählen in Diderots „Jacques le Fataliste et son maître“

2.1. Metafiktionales Erzählen in „Jacques le Fataliste“

2.1.1. Das Problem der Gattungszugehörigkeit: „Ceci n`est point un roman“

Das Paradoxon des Romans, der kein Roman sein mochte, wird durchschaubarer, wenn Diderots Vorstellung eines (zeitgenossischen) Romans zugrunde gelegt wird, der von Zufallen bestimmte Abenteuer- und Liebesgeschichten mit einfach strukturierter Handlung nach aristotelischem Modell darstellte.3 In ironischer Uberspitzung weist der fiktive Erzahler4 mehrfach auf die romanesken Erzahlweisen hin, um sie dann explizit auszuschlagen.

„Vous allez croire que cette petite armee tombera sur Jacques et maitre [...]; et il ne tiendrait qu'à moi que tout cela n'arrivat; mais adieu la verite de l'histoire, adieu le recit des amours de Jacques. [...] Il est evident que je ne fais pas un roman, puisque je neglige ce qu'un romancier ne manquerait pas d'employer."5

„Vous allez croire, lecteur, que ce cheval est celui qu'on a vole au maitre de Jacques: et vous vous tromperez. C'est ainsi que cela arriverait dans un roman, un peu plus tot ou un peu plus tard, de cette maniere ou autrement; mais ceci n'est point un roman, je vous l'ai déjà dit, je crois, et je vous le repete encore."6

Diese Kategorie des heroisch-galanten Romans lasst sich mit Sicherheit nicht auf „Jacques le Fataliste" anwenden.7 Vor allem die Konzepte von Fatalismus und Wahrheit thematisierte Diderot meist in ironischer Uberspitzung in seiner romanimmanenten Erzahltheorie, die sich vor allem im Gesprach zwischen Erzahler und Leser entwickelt.

Sein Romankonzept beinhaltet in „Jacques le Fataliste" eine Thematisierung des Erzahlens sowie zahlreichen Binnenhandlungen, wenn etwa unterwegs die Wirtin des Gasthofes, in dem die Protagonisten ilbernachten, die Geschichte der Madame Pommeraye zu erzahlen beginnt und damit sowohl die Reisegeschichte als auch die Liebesgeschichte von Jacques zwangslaufig aufgeschoben werden, so dass sich ein komplexes Gebilde von ineinandergreifenden Erzahlstrangen ergibt.8 Teilweise greifen diese eingeschobenen Erzahlungen die Struktur der Reise- und Liebesgeschichte Jacques auf, indem sie ohne klar gesetzten Anfang oder ein endgilltiges Ende verlaufen und keine einzige Haupthandlung aufweisen und somit die aristotelisch-einheitliche Gliederung sprengen. Direkt zu Anfang spielt der Erzahler mit den traditionellen Leservorstellungen9, indem er den Fragen „wer? wann? wo? was? wie?" die Antwort verweigert. Als Gegenstiick ist der Schluss zu bewerten, der ebenso wenig eindeutige Auskiinfte gibt. Klar persifliert Diderots Erzahler mit Anfang und Ende die aristotelische Einheit des Handlungsaufbaus, indem er weder den Anfang noch das Ende als klar umrissene, von auBerhalb der Geschichte liegenden Ereignissen unabhangige Endpunkte der Handlung setzt, noch eine zentrale Haupthandlung zum Mittelpunkt des Erzahlten macht.10 Mehrere Erzahlstrange kamen als strukturierende Gliederung des Textes in Frage,11 von denen der Erzahler die Liebesgeschichte von Jacques als Progression bezeichnet und sowohl die Reisegeschichte wie auch die eingeschobenen Erzahlungen als retardierende Momente.12

Die fehlende oder im konventionellen Sinn unbefriedigende Entratselung, etwa in eine vollkommen alltagliche Banalitat, muss die konventionelle Lesererwartung notwendig enttauschen. Ebenso wenig wie die romaneske Fiktion reicht die Wahrheit allein aus, um iiberzeugend und interessant zu erzahlen.

„La verite, me direz-vous, est souvent froide, commune et plate [...] S'il faut etre vrai, c'est comme Moliere, Regnard, Richardson, Sedaine; la verite a ses cotes piquants, qu'on saisit quand on a du genie; mais quand on en manque? — Quand on en manque, il ne faut pas ecrire."13

Die strenge Opposition von Lebenswahrheit (histoire, vérité) und romanesk-unwahrscheinlicher Fiktion (roman) soll aufgelöst werden in der Wahrscheinlichkeit, der ordre universel folgend: „on ne peut pas s'interesser qu'a ce qu'on croit vrai."14 Trotz der allgemein geltenden Vernunftgriinde, die den Ausschlag fiir die Einstufung von wahr und fiktiv bilden, bleibt die Wahrheit doch nur in einer subjektivierten Form bestehen.15

2.1.2. Autor-Erzähler-Leser: Von enttäuschten Lesererwartungen und autonomen Erzählautomaten

Diderot setzte neben den realen Leser16 in „Jacques le Fataliste" einen fiktiven Leser, der mit traditionell-konservativer Lesererwartung an den roman herantritt und durch diesen wie der reale Leser in seinem Leseverhalten „aufgeklärt" werden soll. Durch die Vorwegnahme oder Doppelung der Leserreaktion im Roman wird der reale Leser in seiner konventionellen Reaktion verunsichert. Dadurch soll eine Umorientierung zum impliziten Leser hin erfolgen, der das gewiinschte Leserideal verkörpert. Als Gegenpart sind der fiktive und der implizite Erzähler gesetzt.17 Im Gespräch mit dem fiktiven Erzähler, der die implizite Erzähltheorie ausbreitet, dient der fiktive Leser hauptsächlich als Stichwortgeber, um das diderotsche poetologische Programm in die Erzählpraxis umsetzen zu können.18

„Jacques la Fataliste" besteht aus mehreren ineinander verwobenen einzelnen Geschichten, die mehrfach unterbrochen werden, unvermittelt wieder aufgenommen und zum Teil abrupt enden, ohne zu Ende erzählt worden zu sein. Bis auf den realen Autor Diderot und die Figuren, der auf unterster Ebene eingeschobenen Geschichte, ist jeder Erzähler zugleich Objekt einer iibergeordneten Erzählung.19 Ein retardierendes Moment tritt durch Einmischungen der Erzähler in die Erzählungen, die auf einer anderen Ebene verlaufen, zum Teil mit dem Anschein selbst Handelnder in dieser Erzählebene zu sein, hinzu. Mit dem Illusionsbruch, der eine klare Distanzierung von der aristotelischen Einheit bedeutet, steigert sich die Irritation des in seinem konventionellen Leseverhalten enttäuschten Lesers.20 Fiir weitere Verwirrung sorgt die ironisierende Gleichsetzung von Erzählzeit und erzählter Zeit, mit der der fiktive Erzähler sich als Augenzeuge des Geschehens anbietet und damit eine Authenzität suggeriert, die er selbst etwa durch Vermischung der Erzahlebenen wieder auflost. So entschuldigt der Erzahler sich fiir die falschliche Zuschreibung einer Aussage des fiktiven Lesers an Jacques oder seinen Herren, wodurch ein Paradoxon im Zusammenfall der Zeitebenen auftritt, um dann in einer Persiflage auf die Wahrheitsliebe dem Leser die Aussage zuriickzugeben zu dessen freier Verfiigung.21

Immer wieder provoziert der Erzahler den Leser in seiner passiv-rezipierenden Haltung, indem Zitate des traditionellen Romans eingeworfen werden, die Erwartungen des Lesers sich plotzlich doch zu erfiillen scheinen: Plotzlich taucht eine Rauberbande auf, wird von den Helden iiberwunden, die sich jedoch am nachsten Tag den rachenden Verfolgern (scheinbar) ausgesetzt sehen. Doch hier bricht der Erzahler den Spannungsbogen auf, listet die Moglichkeiten, die ihm der konventionelle Roman bietet auf, um dann in expliziter Berufung auf die vérité auf die Fortsetzung der Geschichte im Sinne des Lesererwartung zu verzichten.

„Vous allez croire que cette petite armee tombera sur Jacques et maitre, [...] et il ne tiendrait qu'a moi que tout cela n'arrivat; mais adieu la verite de l'histoire, adieu le recit des amours de Jacques. Nos deux voyageurs ne'etaient point suivis: j'ignore ce qui se passa dans l'auberge apres leur depart [...] Il est bien evident que je ne fais pas un roman, puisque je neglige ce qu'un romancier ne manquerait pas d'employer. Celui qui prendrait ce que j'ecris pour la verite serait peut-titre moins dans l'erreur que celui qui le prendrait pour une fable."22

Neben die vérité de l`historie, die sich hier nur als Negation der Lesererwartung fassen lasst, stellt der Erzahler mit ironischem Augenzwinkern seine eigene erzahlerische Willkiir als entscheidendes Prinzip iiber den Fortgang der Geschichte.23 Als starker, autonomer Erzahler erweist er sich nicht nur den Figuren, in deren erzahlerische Kompetenzen er eingreift, iiberlegen, sondern auch seiner Erzahlung, die er souveran lenkt, wenn er etwa Erzahlmoglichkeiten andeutet, diese dann jedoch bewusst ausschlagt oder an anderer Stelle diese Moglichkeiten dann eben doch ausschopft, ganz nach seiner souveranen Lenkung. Spielt er das „Schicksal" im Roman?24

Allerdings lasst die Erzahlweise auch Zweifel an der Souveranitat des fiktiven Erzahlers aufkommen. Wenn der Erzahler sich verpflichtet, die Geschichte moglichst wahrheitsgetreu zu erzahlen, so hangt er von dem ab, was sich tatsachlich ereignet hat, und er kann daher eben nicht frei die Erzahlmoglichkeiten ausschopfen. Diese scheinbare Pradestination des Erzahlers lost sich in der Frage nach der vérité, mit der der Erzahler so ironisch spielt und auch darin seine Souveranitat beweist.

Ironisch mit dem Fatalismus kokettierend, mochte sich der Erzahler dem Leser am Ende des Romans als hilflos der Geschichte, seinen Figuren und den Informanten ausgeliefert prasentieren und bietet dem Leser seinen Platz als Erzahler an:

„Et moi, je m'arrtite, parce que je vous ai dit de ces deux personages tout ce que j'en sais. — Et les amours de Jacques? Jascques a dit cent fois qu'il etait ecrit la-haut qu'il n'en finirait pas l'histoire, et je vois que Jacques avait raison. Je vois, lecteur, que cela vous fache; et bien reprenez son recit oix il l'a laisse, et continuez-le j fantaisie, ou bien faites un visite a Mlle Agathe, sachez le nom du village oix Jacques est emprisonne; voyez Jacques, questionnez-le: il ne se fera pas tirer l'oreille pour vous satisfaire; cela le desennuiera. D'après des memoires que j'ai de bonnes raisons de tenir pour suspects, je pourrais peut-titre suppleer qui manque ici; mais a quoi bon? on ne peut s'interesser qu'a ce qu'on croit vrai. [...] L'editeur ajoute: La huitaine est passee. J'ai lu les memoires en question; des trois paragraphes que j'y trouve de plus que dans le manuscrit dont je suis le possesseur, le premier et le dernier me paraissent originaux et celui du milieu evidemment interpole."25

In einer Persiflage auf die konventionelle Manuskript-Fiktion gewichtet der plotzlich auftretende Herausgeber in der Suggestion der Wahrheitssuche die drei moglichen Enden, die zur Wahl stehen, allerdings nach ihrer Wahrscheinlichkeit26 oder subjektiven Wahrheit, wahrend die verite im Sinne einer allgemeingiiltigen, objektiven Wahrheit nicht nur als nicht nachpriifbar gelten muss, sondern auch nicht von wesentlichem Interesse ist. „So gesehen vermittelt das Wahrscheinliche den Gegensatz von Fiktion und Wirklichkeit, von Schein und Wahrheit."27 Mit der Entlarvung der vérité im Roman als lediglich die Wahrheitsversion des Erzahlers, der im Idealfall die Lebenswahrheit (la vérité de l`histoire) entspricht, greift Diderot neben dem Verlangen des traditionellen Lesers nach bloBen Erzahlautomaten28 genauso seine Unterwerfung unter die Willkfir des als absolutes Schicksal waltenden Autors und seiner Marionette, des fiktiven Erzählers, an.29

Jacques selbst begegnet der Forderung seines Herren nach Wahrhaftigkeit abschlägig mit der Negierung der Objektivität der erzählerischen Darstellung und der Wahrheit: „Cela n'est pas aisé. N'a-t-on pas son caractére, son intérêt, son gout, ses passions, d'aprés quoi l'on exagére ou l'on atténue?"30

2.1.3. Jacques Liebesgeschichte: „La vérité est souvent froide, commune et plate“

Mit ebensoviel Spannung wie die Abenteuergeschichten erwartet der traditionelle Leser die Liebesgeschichte von Jacques, von der er in seinem konventionellen Leseverhalten ebenso enttäuscht wird. Zum einen unterbrechen die sich ständig durchkreuzenden Erzählstränge von Liebesgeschichte, Reisegeschichte und eingeschobenen Parallelerzählungen den Fortgang des Liebesabenteuers, zum anderen mutet Jacques Erzählweise wenig heroisch-abenteuerlich an. Scheinbar ffir das Verständnis notwendige Detailinformationen fiber seine Knieverletzung31, ohne die er die Geliebte nie kennen gelernt hätte, zögern die eigentliche Liebesgeschichte hinaus. Während dem Leser die langwierige Schilderung der Einzelheiten fiber Jacques Knieverletzung zunächst erspart bleibt, ffihrt die unreflektierte Wiedergabe der vérité ohne Aussonderung der banalen Einzelheiten beim Herrn dazu, dass er einschläft.32 Der Erzähler kommentiert: „La vérité [...] est souvent froide, commune et plate"33. Gleichzeitig macht die unorthodoxe Erzählweise es dem Herren unmöglich, Handlungsstränge, die Verwicklung der Figuren oder gar den Ausgang zu erahnen, er ist zu einer aufmerksamen („attentif") Zuhörerhaltung gezwungen, ohne eine zu erwartende („attendu") Handlung erahnen zu können.34

[...]


1, Zur Entstehungsgeschichte siehe Anhang 1.

2 Siehe etwa Thomas M. Kavanagh: „[...] the general paradox generated by this conflict between the stories told and the act of telling is intimately related to the key notion of fatalism." (Kavanagh, Thomas M.: Jacques le Fataliste: An Encyclopedia of the novel, in: Undank, Jack/Josephs, Herbert [Hrsg.]: Diderot. Digression and Dispersion. A Bicentennial Tribute, Lexington 1984 (La Charite, R.C. [Hrsg.] [u.a.]: French Forum Monographs Bd. 58), S. 150­165, hier: S. 153). „Die Betrachtung der inzwischen erkannten grundlegenden strukturellen und dramatischen Interdependenz von Fatalismusproblemen und Antiromanpolemik [...]" (Köhler, Erich: « Est-ce que l'on sait oix l'on va? » — zur strukturellen Einheit von Diderots « Jacques le Fataliste et son maitre », in: Schlobach, Jochen [Hrsg.]: Denis Diderot, Darmstadt 1992 (Wege der Forschung Bd. 655), S. 245-273, hier: S. 247-248).

3 Vgl. Groh, Ruth: Ironie und Moral im Werk Diderots, Milnchen 1984 (Fuhrmann, Manfred [Hrsg.][u.a.]: Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Kilnste. Texte und Abhandlungen Bd. 69, N.F., Reihe B, Funktion, Wirkung, Rezeption Bd.2), S. 57.

4 Siehe hierzu Kapitel 2.1.2. Autor-Erzahler-Leser: Von enttauschten Lesererwartungen und autonomen Erzahlautomaten.

5 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 51-52.

6 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 76; An einer Stelle gibt der Erzahler sogar einen ironischen „Echtheitsnachweis", indem er aufzahlt, auf welche Weise er seine Informationen erhalten hat, wobei deren vage Zuordnung eher den gegenteiligen Effekt eines Beweises hat (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 97).

7 Vgl. Groh: Ironie und Moral, S. 57; Siehe auch: „Ce ne sont pas des contes, c'est une histoire" (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 242).

8 In den 180 Unterbrechungen und 21 eingeschobenen Geschichten (Kohler: Est-ce que l'on sait, S. 247) treten fast ausschlieBlich Personen auf, die durch ihr Erscheinen eine der zahlreichen Erzahlinstanzen veranlassen, einen neuen Erzahlfaden aufzunehmen (Kavanagh: Encyclopedia of the novel, S. 151).

9 Ausfiihrlicher dazu Kapitel 2.1.2. Autor-Erzahler-Leser: Von enttauschten Lesererwartungen und autonomen Erzahlautomaten.

10 Vgl. Warning, Rainer: Illusion und Wirklichkeit in Tristram Shandy und Jacques le Fataliste, Miinchen 1965 (Imdahl, Max [Hrsg.][u.a.]: Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Kiinste. Texte und Abhandlungen Bd. 4), S. 86-87.

11 Solche gliedernden Erzahlstrange sind der offensichtliche Erzahlrahmen der Reisegeschichte, die aufgeschobene Liebesgeschichte von Jacques mit motivischer Spiegelung in den eingeschobenen Liebesgeschichten, das Herr-Knecht-Verhaltnis, das philosophische Konzept von Fatalismus, Schicksal und Determination sowie die implizite Erzahltheorie, die vor allem im Gesprach von Erzahler und Leser ausgebreitet wird. In den drei strukturierenden Motiven des (Reise-)Gesprachs von Herr und Diener, dem Gesprachsgegenstand des Fatalismus und der nicht zu Ende erzahlten Liebesgeschichte des Dieners sieht Warning eine Anlehnung von „Jacques le Fataliste et son maitre" an eine Episode (Laurence Sterne: Tristram Shandy, 8. Buch, 19.-22. Kapitel) zwischen Korporal Trim und Onkel Toby (Warning: Illusion und Wirklichkeit, S. 78-79; Vgl. auch: Loy, J. Robert: Jacques Reconsidered: Digression as Form and Theme, in: Undank, Jack/Josephs, Herbert [Hrsg.]: Diderot. Digression and Dispersion. A Bicentennial Tribute, Lexington 1984 (La Charité, R.C. [Hrsg.] [u.a.]: French Forum Monographs Bd. 58), S. 166-179, hier: S. 169-177; Steackelberg, Jiirgen von: Diderot. Eine Einfiihrung, Miinchen und Ziirich 1983 (Brang, Peter [Hrsg.] [u.a.]: Artemis Einfiihrung Bd. 4), S. 99-101.

12 Warning weist darauf hin, dass das vorwartsstrebende Moment der Liebeserzahlung gegeniiber dem retardierenden der Reisegeschichte ohne sofort einsichtigen Zusammenhang, dem konventionellen Romanmuster genau entgegensteht, wo die in medias res einsetzende Liebesgeschichte das progressive Element bildet, die eingeschobenen Erzahlungen der Vorgeschichte das retardierende, aber fiir das Verstandnis notwendige Element (Warning: Illusion und Wirklichkeit, S. 90).

13 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 73-74.

14 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 300; vgl. Groh: Ironie und Moral, S. 53-54. In der „Poésie dramatique" lehnt sich Diderot an die Position der aristotelischen Poetik an, dass der historische Fakt hinter der Fiktion zuriickstehen kann, indem „in der Dichtung das Unmögliche (mithin auch: das Erfundene), das glaubwiirdig ist, vor dem Möglichen (mithin auch: vor dem historischen Faktum) den Vorzug verdient, wenn dieses unglaubwiirdig ist" (zitiert nach: Groh: Ironie und Moral, S. 54).

15 Warning, Illusion, S. 117-119; Savater, Fernando : Fatalité et Liberté chez Diderot, iibers. von Imbert, H., in: Fontenay, E.de/Proust, Jacques: Interpreter Diderot Aujourd'hui. Colloque de Cerisy-la-Salle, [Paris] 1984, S. 233- 244, hier: S. 241; Ausfiihrlicher zum Problem der vérité, Kapitel 2.1.2. Autor-Erzähler-Leser: Von enttäuschten Lesererwartungen und autonomen Erzählautomaten, 2.2.3. „Est-il bon? est-il méchant?" — Moral, Determination und Zufall in den eingelegten Geschichten und 2.3.2. Verantwortung des Individuums in der determinierten Welt.

16 Wichtige Hinweise zu Diderots realer Leserschaft, den zeitgenössischen Adressaten, von Katharina der GroBen, iiber Goethe und Schiller bis hin zu den Lesern der Correspondance littéraire gibt Bridgeman (Bridgeman, Teresa: Negotiating the New in the French Novel. Building Contexts for Fictional Worlds, London und New York 1998, S. 23-26).

17 Groh: Ironie und Moral, S. 22-24; Kavanagh: Encyclopedia of the novel, S. 153; Groh nennt vier Rezeptionsstufen: erstens, die Figuren des Romans als Hörer der Geschichten, zweitens, den fiktiven Leser, dessen Reaktionen als fiir das Lesepublikum „typisch" vom Erzähler kommentiert werden, drittens, der implizite Leser, der von einer theoretischen Ebene aus die verschiedenen Erzählstränge betrachtet, viertens, der reale Leser, der den Roman in die Poetik Diderots einzuordnen versucht (Groh: Ironie und Moral, S. 61). Schliissiger zum Aufbau der Konstellationen Erzähler-Rezipient ist das Schema von Simone Lecointre (Lecointre, Simone: Qui parle dans Jacques le Fataliste?, in: Harth, Dietrich/Raether, Martin [Hrsg.]: Denis Diderot oder die Ambivalenz der Aufklärung, Wiirzburg 1987 (Heidelberger Vortragsreihe zum Internationalen Diderot-Jahr 1984), S. 9-20), vgl. Anhang 2.

18 Groh: Ironie und Moral, S. 101.

19 Klar distanziert sich der fiktive Erzähler von der Position des Autors („si j'en avais été l'auteur", in: Diderot: Jacques le Fataliste, S. 133), womit er implizit die eigens aufgebaute „Beweisfiihrung", wie die Informationen in die Hand des Erzählers gelangten, widerlegt (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 97). Simone Lecointre (Lecointre: Qui parle, S. 10) hat ein iiberzeugendes Modell entwickelt, das die abwechselnde Struktur von Dialog und Narration aufgreift und die unterschiedlichen Erzählebenen darstellt, siehe Anhang 2.

20 Groh: Ironie und Moral, S. 100; Lecointre: Qui parle, S. 13; Indem es dem Erzähler nicht gelingt, einen Gedankengang klar Jacques, seinem Herren oder sich selbst als Erzähler zuzuordnen, vermischt er die Ebenen und stellt sich mit ironischem Augenzwinkern scheinbar auf gleiche Höhe wie die Figuren seiner Erzählung (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 144).

21 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 232; vgl. Groh: Ironie und Moral, S. 58-59; Ein weiteres Beispiel fiir die Gleichsetzung von Erzahlzeit und erzahlter Zeit bietet die Stelle, in der der Erzahler vorgibt, die Handlungspause in der Erzahlung, als die Protagonisten schlafen, zu nutzen, um eine versprochene Geschichte einzuschieben, um im Anschluss daran sich selbst ein wenig hinzulegen, bis Jacques und sein Herr wieder aufwachen (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 124 sowie S. 127). Auch die Vorstellung, dass Jacques iibermaBiges Trinken beim Leser ebenfalls einen schweren Kopf hinterlassen hat, zeugt von einer Vermischung der Erzahlebenen, in diesem Fall noch kombiniert mit dem ironischen Angebot an den Leser aus mehreren „Oberlieferungen" selbst die wahrscheinlichste auszuwahlen (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 188)

22 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 51-52; Wahrend der Erzahler die unwahrscheinlichen Fiigungen des traditionellen Romans verurteilt, ereignen sich genau diese Art von Abenteuern und Zufallen auch in seiner Erzahlung, was er jedoch mit ironischem Augenzwinkern abstreitet, da es sich hier um vérité, dort um fatalistische Fiktion handle.

23 Groh: Ironie und Moral, S. 55; Vgl. Warning: Illusion und Wirklichkeit, S. 82.

24 Groh: Ironie und Moral, S. 56, S. 59 und S. 63 sowie S. 246-247; Mayer, Hans: Diderot und sein Roman „Jacques le Fataliste", in: Schlobach, Jochen [Hrsg.]: Denis Diderot, Darmstadt 1992 (Wege der Forschung Bd. 655), S. 225­231, hier: S. 227; Köhler: Est-ce que l'on sait, S. 273; Die Souveranitat des Erzahlers zeigt sich etwa in den unter 2.2.2. Die Reisegeschichte: Zufall oder Providenz? widergegebenen Abenteuern der Reisegeschichte, wo der Erzahler etwa fiir die Szene des Leichenzugs eine Auflösung vollig verweigert, in Bezug auf das durchgehende Pferd eine vollig banale Erklarung anbietet und schlieBlich sich der Mittel des traditionellen Romans bedient, um die Reisenden das Pferd des Herrn wiederfinden zu lassen. Vom Erzahlautomaten emanzipiert spielt er mit dem Leser. Zugleich erfahrt der Leser die zahlreichen Unterbrechungen unvermittelt wie Schicksalsfalle, deren inneren Zusammenhang er nicht in einer sinngebenden Entwirrung entschliisseln kann. Ganz direkt gibt auch der Erzahler selbst seine Macht zu verstehen: „Vous voyez, lecteur, combien je suis obligeant; il ne tiendrait qu'à moi [...] d'interrompre l'histoire du capitaine de Jacques et de vous impatienter a mon aise" (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 96). Cohen sieht im Erzahler-Leser-Verhaltnis eine weitere Ebene der Herr-Knecht-Problematik (Cohen: Cohen, Huguette: La Figure dialogique dans Jacques le Fataliste, Oxford 1976 (Besterman, Theodore [Hrsg.]: Studies on Voltaire and the eighteenth century Bd. 162), S. 151-152). Siehe hierzu auch 2.2.1. Jacques Fatalismus: Schicksalsglaubigkeit?

25 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 299-300; Wahrend der fiktive sowie der reale Leser mit Irritation darauf reagieren, die Liicken in der „wahren"histoire nach eigenen Plausibilitatskriterien mit wahrscheinlichen Möglichkeiten zu fiillen, begreift der implizite Leser, dass hiermit die asthetische Gleichrangigkeit von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit angedeutet wird (Groh: Ironie und Moral, S. 58). Bereits deutlich friiher im roman finden sich ahnliche Anspielungen auf die scheinbare Abhangigkeit des Erzahlers von der Erzahlung und den Figuren: „je voudrais bien savoir ce qui se passa au fond de son ame" oder „Entre les differents gites possibles ou non possibles, dont je vous ai fait l'enumeration qui precède, choisissez celui qui convient le mieux a la circonstance presente" (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 55 und S. 62).

26 Warning sieht nicht die auffangende Instanz der Wahrscheinlichkeit zwischen romanesker Fiktion und vérité geschaltet: „[...] ein unvermeidbares Ubel: die von der Wahrheit wegfiihrende erzahlerische Subjektivitat. Damit wiirde Diderots ureigenster Anspruch hinfallig: der romanesken Liige die Wahrheit der Wirklichkeit entgegenzustellen" (Warning, Illusion, S. 117).

27 Groh: Ironie und Moral, S. 54; Der „aufgeklarte" Leser soll erkennen, dass „fiir die ,Wahrheit' einer Geschichte unerheblich ist, ob sie erfunden ist oder nicht" (Groh: Ironie und Moral, S. 57). Zugleich sieht Groh jedoch in der relativen, subjektiven Wahrnehmung und damit der Widerspriichlichkeiten der vermeintlichen Wirklichkeit die Unmöglichkeit nicht nur wahr, sondern auch nur wahrscheinlich zu schreiben (Groh: Ironie und Moral, S. 134-135).

28 „Lecteur, vous me traitez comme un automate, cela n'est pas poli [...] Il faut sans doute que j'aille quelquefois j votre fantasie; mais il faut que j'aille quelquefois a la mienne, sans compter que tout auditeur qui me permet de commencer un recit s'engage d'entendre la fin." (Diderot. Jacques le Fataliste, S. 101).

29 Warning: Illusion und Wirklichkeit, S. 93-94; Groh: Ironie und Moral, S. 29, S. 56 und S. 60; Stackelberg: Diderot, S. 96; Bishop, Lloyd: Romantic Irony in French Literature From Diderot to Beckett, Nashville/Tennessee 1989, S. 23; Mit der ironischen Mahnung des souveränen Erzählers an den fiktiven Leser, er mfisse aufpassen, um nicht im Gespräch von Jacques und seinem Herrn „le vrai pour le faux, le faux pour le vrai" zu halten, (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 98) gesteht er implizit ein, dass er neben Wahrem auch Falsches berichte.

30 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 89.

31 Spätestens hier wird die Parallele zu Corporal Trims Liebesgeschichte aus „ Tristram Shandy" (8. Buch, 22. Kapitel) deutlich, wenn Jacques etwa Trim wörtlich zitiert: „... chaque balle qui partait d'un fusil avait son billet" (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 41; vgl. Anmerkung 1, Diderot: Jacques le Fataliste, S. 41, Warning: Illusion, S. 79 und 87 oder auch Loy: Digression and Dispersion, S. 169-177 und Stackelberg: Diderot, S. 99-101). Diderots Umsetzung weicht jedoch in der Bedeutung der Liebesgeschichte ffir die Haupthandlung, Verzögerungstaktik und im Objekt des amourösen Abenteuers merklich von der Vorlage ab. Eine mehr als deutliche Anspielung auf den Vorbildcharakter von Sternes „Tristram Shandy" bildet das zweite mögliche, allerdings als unwahrscheinlich abgelehnte, Ende der Liebesgeschichte von Jacques (Diderot: Jacques le Fataliste, S. 301-302).

32 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 87.

33 Diderot: Jacques le Fataliste, S. 73; Vgl. Groh: Ironie und Moral, 63.

34 Warning: Illusion und Wirklichkeit, S. 87-90; Lecointre: Qui parle, S. 13; Kavanagh: Encyclopedia of the novel, S. 156.

Fin de l'extrait de 28 pages

Résumé des informations

Titre
Bedeutung des Fatalismuskenzepts für das metafiktionale Erzählen in Diderots "Jacques le Fataliste et son maitre"
Université
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Cours
Hauptseminar: Metafiktionales Erzählen: Sterne – Diderot – Brentano
Note
1,7
Auteur
Année
2006
Pages
28
N° de catalogue
V125500
ISBN (ebook)
9783640311323
ISBN (Livre)
9783640310210
Taille d'un fichier
715 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bedeutung, Fatalismuskenzepts, Erzählen, Diderots, Jacques, Fataliste
Citation du texte
M.A. Alexandra Schäfer (Auteur), 2006, Bedeutung des Fatalismuskenzepts für das metafiktionale Erzählen in Diderots "Jacques le Fataliste et son maitre", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125500

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