„Mitte der 1980er Jahre bemerkten die Statistiker, dass sie etwas übersehen hatten. Herrschende Meinung war bis dahin gewesen, dass Demokratien in ihrer Außenpolitik genauso gewaltbereit agieren würden wie andere Staaten auch. Offenkundig schreckten sie weder vor militärischen Konflikten noch vor der bewaffneten Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder zurück. Die USA kämpften in Vietnam, England kämpfte um die Falklandinseln, Frankreich kämpfte in Schwarzafrika und Indien kämpfte gegen Pakistan, um nur vier Beispiele zu nennen.[...] Es ist das Verdienst von Michael Doyle (1983), die Forschung auf [die] bemerkenswert geringe Gewaltanfälligkeit zwischendemokratischer Beziehungen aufmerksam gemacht zu haben. Seither fahndet eine Unzahl von SozialwissenschaftlerInnen nach einer liberalen Erklärung für dieses Phänomen“.
Der aktuelle Forschungsstand und die zugrunde liegenden Informationen auf dem zu untersuchenden Gebiet sind aufgrund der Streitbarkeit und dem hohen Diskussionspotenzial sehr weitläufig und schwer zu überschauen.
Da die wissenschaftliche Forschungslandschaft seit dem Ende der 1970er Jahre hier stark angewachsen ist, werde ich mich zur Klärung der Kernbegriffe der Theorie auf die einführende und grundlegende Literatur beschränken. Unter anderem liegen hier die Arbeiten zu den Autoren Czempiel, Doyle, Moravcsik und Russett vor. Im Hauptteil der Arbeit soll der Doppelbefund der demokratischen Friedenstheorie kritisch beleuchtet werden. Zentrale Begriffe für die kommende Betrachtung sind: Die Theorie des Liberalismus, Demokratie und Frieden, sowie ihre jeweiligen Gegenspieler (also nichtdemokratischen Staaten und Krieg).
Inhaltsverzeichnis
A)Einleitung
1. Einleitende Worte und Fragestellung
2. Forschungsstand, zentrale Begriffe und Argumentationsgang
B) Hauptteil
3. Der Liberalismus
4. Die Bedeutung des Staatentypus im Liberalismus - Partizipation in der Demokratie
5. Unabhängige Variable: Demokratie - Abhängige Variable: Frieden
6. Kernelemente des Doppelbefundes der Theorie des demokratischen Friedens
6.1 Die Wirtschaftlichkeit des Krieges
6.2 Die Gesellschaftsform – ein Wahrnehmungsproblem
6.2.1 Das Problem der leichten Kriegsführung
6.2.2 Konfliktive Wertesysteme
6.2.3 Sozial-konstruktivistische Erklärungsversuche
C) Schluss
7. Fazit
8. Weiterführende Fragestellung
„[...] absolutistische Staaten mit geographisch und funktional zentralisierten Regierungen unter einer autokratischen Führung [sind] wahrscheinlich am kriegerischsten [...] konstitutionelle Staaten mit geographisch und funktional föderalisierten Regierungen unter einer demokratischen Führung wahrscheinlich am friedlichsten. [...] Die Regierungstypen, die zur Kriegsneigung tendieren, sind also diejenigen, die zu einer effizienten Handhabung des Systems des Machtgleichgewichts neigen, während die auf den Frieden ausgerichteten Regierungstypen langfristig zu einem auf Recht und Organisation basierenden internationalen System tendieren.“
Quincy Wright
A Study of War
Chicago/London 1969
In: Gert Krell:
Weltbilder und Weltordnung.
Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen
Baden-Baden 2004
A) Einleitung
1. Einleitende Worte und Fragestellung
„Mitte der 1980er Jahre bemerkten die Statistiker, dass sie etwas übersehen hatten. Herrschende Meinung war bis dahin gewesen, dass Demokratien in ihrer Außenpolitik genauso gewaltbereit agieren würden wie andere Staaten auch. Offenkundig schreckten sie weder vor militärischen Konflikten noch vor der bewaffneten Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder zurück. Die USA kämpften in Vietnam, England kämpfte um die Falklandinseln, Frankreich kämpfte in Schwarzafrika und Indien kämpfte gegen Pakistan, um nur vier Beispiele zu nennen.[...] Es ist das Verdienst von Michael Doyle (1983), die Forschung auf [die] bemerkenswert geringe Gewaltanfälligkeit zwischendemokratischer Beziehungen aufmerksam gemacht zu haben. Seither fahndet eine Unzahl von SozialwissenschaftlerInnen nach einer liberalen Erklärung für dieses Phänomen“.[1]
„Die Theorien vom demokratischen Frieden [...] liegen in zwei – in ihren Kausalitätsannahmen eng verbundenen – Varianten vor. Die „monadische Theorie des demokratischen Friedens“ behauptet, dass Demokratien [...] friedfertiger seien als andere staatliche Formen. Die „dyadische Theorie des demokratischen Friedens“ unterstellt hingegen, dass Demokratien sich ausschließlich gegeneinander auffällig friedlich verhielten“.[2] Wie an der Einleitung zu erkennen ist, soll das Augenmerk in dieser Arbeit auf die dyadische Betrachtungsweise von der Theorie des demokratischen Friedens, im weiteren Verlauf „DF-Theorie“ genannt, gelegt werden. „Die beiden (nicht unumstrittenen) Kernthesen [dieses dyadischen Ansatzes] bilden einen Doppelbefund: Erstens führen Demokratien gegeneinander (fast) keine Kriege, und zweitens sind Demokratien nahezu ebenso häufig wie andere Herrschaftstypen in Kriege verwickelt, sie sind also nicht inhärent friedlicher“.[3] Im Folgenden soll dieser, den genannten Doppelbefund beinhaltende, dyadische Ansatz der DF-Theorie mit Blick auf sein liberales Fundament untersucht werden.
„Der „demokratische Frieden“ wird [...] aus liberaler Perspektive aus dem innenpolitischen Entscheidungsumfeld gewählter Regierungen heraus erklärt, die ein fundamentales Interesse am Erhalt ihrer Ämter haben“.[4]
„Der Kern liberaler Theorienbildung in den IB und zugleich die entscheidende Differenz zum Realismus wie zum Institutionalismus besteht in der Verlagerung des Fokus der Analyse. Nicht der Staatenwelt, ihrer Machtverteilung, ihren strukturellen Kooperationshindernissen oder ihren Institutionen, nicht der Weltgesellschaft oder der Weltwirtschaft, sondern der Welt der staatlich organisierten Gesellschaften gilt das vorrangige Interesse des (neuen) Liberalismus“.[5]
Es gilt nun, von einem liberalen Standpunkt aus kurz zu benennen warum Demokratien augenscheinlich untereinander eine weniger gewaltbereite Politik verfolgen, warum Gleiches nicht auch gegenüber nichtdemokratischen Systemen gilt und einige wesentliche Schwächen und Kritikpunkte der Theorie des demokratischen Friedens zu beleuchten, wobei ich mich auf einige ausgewählte Probleme im Doppelbefund der Theorie[6] beschränken werde. Diese Auswahl wird im Besonderen die Themenfelder behandeln, welche einer starken Anlehnung an sozialkonstruktivistische Sichtweisen unterliegen. Dabei geht es vor allem um die Konstruiertheit von Wahrnehmung.
2. Forschungsstand, zentrale Begriffe und Argumentationsgang
Der aktuelle Forschungsstand und die zugrunde liegenden Informationen auf dem zu untersuchenden Gebiet sind aufgrund der Streitbarkeit und dem hohen Diskussionspotenzial sehr weitläufig und schwer zu überschauen.
Da die wissenschaftliche Forschungslandschaft seit dem Ende der 1970er Jahre hier stark angewachsen ist, werde ich mich zur Klärung der Kernbegriffe der Theorie auf die einführende und grundlegende Literatur beschränken. Unter anderem liegen hier die Arbeiten zu den Autoren Czempiel, Doyle, Moravcsik und Russett vor. Im Hauptteil der Arbeit soll der Doppelbefund der demokratischen Friedenstheorie kritisch beleuchtet werden. Zentrale Begriffe für die kommende Betrachtung sind: Die Theorie des Liberalismus, Demokratie und Frieden, sowie ihre jeweiligen Gegenspieler (also nichtdemokratischen Staaten und Krieg).
B) Hauptteil
3. Der Liberalismus
Wie in den einleitenden Worten bereits mit Hilfe zweier Zitate angedeutet basiert die Theorie des Liberalismus auf der Betrachtung der Gesellschaft und ihrer individuellen Einflussnahme auf die Außenpolitik eines jeden Staates. Der Liberalismus verknüpft also ganz bewusst Innenpolitik und außenpolitisches Handeln. „So wird die Reihenfolge von Ursache und Wirkung in der internationalen Politik umgekehrt: Nicht das internationale System bestimmt das Handeln der Staaten und ihre Präferenzen, die entscheidenden Akteure sind vielmehr Individuen und Gruppen, die ihren materiellen und ideellen Interessen nachgehen. [...] Für die liberale Theorie der internationalen Beziehungen ausschlaggebend ist, dass die Präferenzen der Staaten durch die Aufnahme und Umwandlung von Anforderungen aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld entstehen, und zwar zunächst unabhängig von den Strategien anderer Staaten. [...] Sie folgen vielmehr bestimmten Interpretationen und Kombinationen von Sicherheit, Wohlfahrt und Souveränität, so wie sie von mächtigen Interessengruppen definiert werden“.[7]
4. Die Bedeutung des Staatentypus im Liberalismus - Partizipation in der Demokratie
Da nun der Fokus auf die Gesellschaft und die dort vorherrschenden Interessengruppen mit all ihren Bedürfnissen gelegt wird, ist folglich die innerstaatliche Struktur der Staaten von besonderem Interesse. Wie können Interessen geäußert werden, unter welchen Bedingungen finden sich Gruppen zusammen und mit wie viel Nachdruck lassen sich bestimmte Zielvorstellungen von Interessenverbänden auf die Politik des Trägerstaates übertragen? Da die Theorie des Liberalismus genau hier ansetzt ist nicht weiter verwunderlich, dass sie auch das theoretische Konstrukt für die DF-Theorie darstellt. Vergleicht man demokratische Systeme mit Nichtdemokratien so ist ein maßgeblicher Unterschied in den Partizipationsmöglichkeiten und den Möglichkeiten der Willensbildung und Äußerung der Bürger zu finden. „[...] in einer liberalen Demokratie führt das politische System kein Eigenleben, sondern reagiert auf Anforderungen aus seinem gesellschaftlichen Umfeld. Es wird deshalb nicht zum Agenten bestimmter Verbände, etwa der Wirtschaft, sondern behält durchaus seinen Spielraum, den es zur Herstellung eines möglichst breiten Konsens benutzen kann. Es kann sich jedoch von seinem gesellschaftlichen Umfeld niemals so weit emanzipieren, dass es eigene, nicht aus der Gesellschaft stammende Interessen realisiert“.[8] Hier liegt der Unterschied zu nichtdemokratisch aufgebauten Staaten. In diesen ist die Politik der Machthaber weniger oder gar nicht an eine bürgerliche Legitimation, etwa durch Wahlen, gebunden und somit höchstens durch einflussreiche Gruppierungen wie der Wirtschaft, der Kirche oder des Militärs beeinflusst.
5. Unabhängige Variable: Demokratie - Abhängige Variable: Frieden
Bevor aber mit dem Doppelbefund der DF-Theorie der Kern der Arbeit eingeleitet wird, gilt es noch zu klären, warum Demokratie und Frieden, sowie ihre Gegenspieler zentrale Begrifflichkeiten darstellen. Dies tun sie, weil diese Begriffe keineswegs so einfach zu handhaben sind wie es eventuell auf den ersten Blick scheint. Einer der wesentlichen Kritikpunkte an den statistischen Belegen für die DF-Theorie, welche manchmal sogar als empirisches Gesetz der Sozialwissenschaften betitelt wird[9] ist, dass die Staaten, welche als Demokratien in die statistischen Erhebungen einbezogen werden auf ganz unterschiedliche Art und unterschiedlich stark Demokratien repräsentieren. Welche Variablen herangezogen werden um eine Demokratie, die unabhängige Variable in der Theorie, als solche auszuweisen ist durchaus nicht unstrittig. Spiro kritisiert die Operrationalisierung als bereits auf ein positives Ergebnis ausgerichtet. „[Er] sieht das Grundproblem der Forschung darin, dass viele der Studien über Demokratie und Krieg wenig mit den Theorien zu tun hätten, die sie zu bestätigen suchen, und dass die Forscher selektive Definitionen von Schlüsselvariablen verwenden, damit die Datenanalyse die gewünschten Ergebnisse produziere“.[10] Vorgefertigte Demokratiebemessungen, zum Beispiel von „Freedom House“ haben ähnliche Probleme bei der Bestimmung von Demokratien und können nicht als per se problemlose Variablen herangezogen werden.[11] Ebenso problematisch stellt sich die Messung der abhängigen Variable „Frieden“ dar. Wenn Frieden nur die Abwesenheit von Krieg beschreibt und dieser nur den kleinen Rahmen von zwischenstaatlichen Konflikten abdeckt, in welchen mindestens zwei nationale Armeen gegeneinander kämpfen und mindestens 1000 Gefallene unter den eingesetzten Streitkräften zu verbuchen sind[12], so werden etliche Konflikte unterhalb dieser Schwelle nicht in die empirische Erfassung mit einbezogen und das Bild der friedlichen Demokratien deutlich überzeichnet dargestellt. Ferner werden alle Konflikte ausgeschlossen, welche von einem Staat gegen einen Gegner geführt wurden, der nicht als souveränes Mitglied der Staatengemeinschaft anerkannt ist, wie zum Beispiel während der Kolonialkriege. Kämpfen auf einer der Seiten irreguläre Truppen, wie etwa Guerilla-Angehörige, so wird ein solcher Konflikt ebenfalls unbedacht gelassen.[13]
[...]
[1] Andreas Hasenclever: Liberale Ansätze zum „demokratischen Frieden“. In: Siegfried Schieder/ Manuela Spindler (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen. 2. Auflage. UTB Verlag.
Opladen & Farmington Hills 2006. S.213-214.
[2] Harald Müller: „Antinomien des demokratischen Friedens“. In: Politische Vierteljahresschrift 43. Jahrgang März 2002 Heft 1. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden 2002. S.46-47.
[3] Anna Geis: Diagnose: Doppelbefund – Ursache: ungeklärt? Die Kontroversen um den „demokratischen Frieden“. In: Politische Vierteljahresschrift 42. Jahrgang Juni 2001 Heft 2. Westdeutscher Verlag.
Wiesbaden 2001. S.282.
[4] Hasenclever: Liberale Ansätze. S.220.
[5] Gert Krell: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen. 3. erweiterte Auflage. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden 2004. S.188-189. Und:
Vgl. Andrew Moravcsik: Taking Preferences Seriously. A Liberal Theory of International Politics. In: International Organization. 51:4 1997. Cambridge University Press. Cambridge 1997. S.513-553.
[6] Vgl. Anna Geis: Diagnose: Doppelbefund.
[7] Krell: Weltbilder und Weltordnung. S. 189. Und:
Vgl. Moravcsik: Taking Preferences Seriously. S. 518-519.
[8] Ernst-Otto Czempiel: Internationale Politik. Ein Konfliktmodell. UTB Verlag für Wissenschaft. München, Paderborn, Wien 1981. S. 21.
[9] Vgl. Anna Geis: Diagnose: Doppelbefund. S. 286.
[10] Vgl. Anna Geis: Diagnose: Doppelbefund. S. 283.
[11] Vgl. Anna Geis: Diagnose: Doppelbefund. S. 284.
[12] Vgl. Bruce Russett: Grasping the Democratic Peace. Princeton University Press. Princeton 1993. S. 16-23.
[13] Vgl. Melvin Small/David J. Singer: Resort to Arms: International and Civil Wars, 1816-1980. Annals of the American Academy of Political and Social Science. Vol. 475. Sage Publications Inc. Beverly Hills 1982.
- Arbeit zitieren
- Julian Liese (Autor:in), 2009, Die Theorie des demokratischen Friedens – mehr Schein als Sein?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126296
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