Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Begriffserklärung
2.1 Sprache
2.2 Erstsprache/Muttersprache
2.3 Zweitsprache
3.Mehrsprachigkeit
3.1 Definition der Mehrsprachigkeit
3.2 Allgemeine Erkenntnisse in Bezug auf die Mehrsprachigkeit
3.3 Entwicklung der Mehrsprachigkeit
4. Förderliche Maßnahmen
4.1 Die Rolle der Erzieher/innen und Rahmenbedingungen der Einrichtung
4.2 Die Rolle der Eltern
5. Die Risiken und Chancen der Mehrsprachigkeit
5.1 Risiken der Mehrsprachigkeit
5.1.1 Sprachverweigerung
5.1.2 doppelte Halbsprachigkeit
5.1.3 Sprachverlust
5.2 Chancen der Mehrsprachigkeit
5.2.1 Code-Mixing und Code-Switching
5.2.2 Interkulturelle Kompetenz
5.2.3 Erlernen von weiteren Sprachen
5.2.4 Berufschancen.
5.2.5 kognitiver Aspekt
6.Schlussbemerkung
7.Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Über die Hälfte der menschlichen Bevölkerung spricht täglich mehr als eine Sprache. Kinder wachsen somit weltweit in Umgebungen auf, in der die Mehrsprachigkeit an der Tagesordnung ist (vgl. Barbara Abdelilah-Bauer 2012, S.11). Mehrsprachigkeit spielt sowohl heute als auch in naher Zukunft eine große Rolle. Die Sprachvielfalt wird nach Schätzungen der UNESCO derzeit auf etwa 6000 geschätzt (vgl. o.V., www.unesco.de, 12.02.2021). Sprache ist nicht nur eine wichtige Ressource, sondern auch die wichtigste Voraussetzung, um sich mit Menschen zu verständigen und kommunizieren zu können. Durch Sprache gelingt es uns Kontakt aufzunehmen, unsere Wünsche, Gefühle und Gedanken auszudrücken. Mehrere Sprachen zu beherrschen, ist eine wertvolle Fähigkeit in unserer globalisierten Welt. Dabei bietet eine multilinguale Erziehung im frühen Kindesalter den Eltern die Chance, ihren Kindern diese Fähigkeit effektiv und erfolgreich zu vermitteln.
Jedoch wird die Debatte um die Mehrsprachigkeit in der frühen Kindheit nicht nur von Pädagog/innen sowie Erziehungswissenschaftler/innen geführt, sondern neben Vertreter/innen der Psychologie, Linguistik und Hirnforschung ebenfalls in der Politik thematisiert (vgl. o.V., Bundestagsdebatte, Internet, 13.02.2021). Aus diesem Grund möchte ich in dieser Arbeit der Frage nachgehen, ob Mehrsprachigkeit von Anfang an eine Chance oder ein Risiko ist. Denn es wird oft darüber diskutiert, ob die Mehrsprachigkeit im frühen Kindesalter ein Hindernis oder eine Bereicherung darstellt. Da ich bilingual mit der deutschen und türkischen Sprache aufgewachsen bin und mich die Antwort der Themafrage „Mehrsprachigkeit von Anfang an – Chance oder Risiko?“ besonders interessiert und motiviert, habe ich mich für dieses Thema entschieden.
Meine Facharbeit ist in vier Punkte gegliedert. Als Erstes möchte ich eine Definition über den Begriff Sprache geben und anschließend auf die Erst- und Zweitsprache eingehen. Im weiteren Teil möchte ich Mehrsprachigkeit definieren und erläutern. Anschließend werde ich darauf eingehen, welche Rolle Erzieher/innen und Eltern in Bezug auf die Mehrsprachigkeit haben und welche Rahmenbedingungen der Einrichtung förderlich sind. Im Anschluss zeige ich anhand von Forschungen, welche Chancen oder Risiken die Mehrsprachigkeit mit sich bringt.
2.Begriffserklärung
2.1 Sprache
Zuerst ist es notwendig, den Begriff Sprache näher zu bestimmen, da er hier eine wichtige Rolle spielt. Sprache ist ein Mittel zur Kommunikation, ermöglicht Verständigung und schafft ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl. Sie dient jedoch nicht nur zur Kommunikation, sondern verschafft uns außerdem Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit. Sprache hat mit Macht zu tun, sie kann integrieren und verbinden, aber auch trennen und ausgrenzen (vgl. Scheiber-Schradi, BEF I/2 UK, 7.10.2019).
2.2 Erstsprache/Muttersprache
Unter Erstsprache wird im Allgemeinen die Sprache verstanden, die ein Individuum in den ersten beiden Lebensjahren erwirbt. In den meisten Fällen ist dies die Muttersprache. Erst- und Muttersprache werden meist als Synonym verwendet. Durch die Muttersprache bekommt das Kind die Möglichkeit, sich selbst und die Welt kennenzulernen. Sie trägt zur Gestaltung wichtiger Beziehungen und Bindungen bei und hat einen großen Einfluss auf die Selbst- und Identitätsentwicklung eines Individuums. Die Muttersprache vermittelt dem Kind kulturspezifische Normen, Werte und Regeln (vgl. Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 13.01.2020). Ein Kind, das nach der Geburt in seiner natürlichen Umgebung etwa bis zum dritten Lebensjahr mit zwei Sprachen parallel konfrontiert wird, kann beide als Erstsprache erwerben. Dabei spricht man von einem simultan bilingualen Erwerb, einem simultanen Zweitspracherwerb oder von frühkindlichem Bilinguismus (vgl. Wiebke Scharff Rethfeldt 2013, S.31). Aus diesem Grund können „beide Sprachen den Status einer Muttersprache haben“ (Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 13.01.2020).
2.3 Zweitsprache
Unter Zweitsprache verstehen wir jede Sprache, die nach der Erstsprache erlernt wird. Man spricht von einem sukzessiven Erwerb, wenn Individuen eine weitere Sprache erwerben, nachdem sie bereits eine Sprache in wesentlichen Grundzügen erworben haben und kognitiv weiterentwickelt sind. Sie entwickeln in der Erstsprache/Muttersprache ein Sprachsystem, welches ihnen Vieles erleichtert, da sie beim Erlernen einer Sprache auf das vorhandene Sprachsystem zurückgreifen können und nicht bei Null anfangen müssen (Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 13.01.2020). Dieser Spracherwerb beginnt häufig ab dem Alter von drei Jahren, verläuft jedoch individuell. Dies ist häufig der Fall, wenn fremdsprachige Kinder ab drei Jahren eine deutschsprachige Kindertagesstätte besuchen. In der Gesellschaft, in der das Kind lebt, hat die Zweitsprache eine zentrale Rolle, denn sie dient als zweites Mittel der Kommunikation und wird gewöhnlich in einer sozialen Umgebung erworben, in der man sie spricht (vgl. Scharff Rethfeldt W., 2013, S.31). Man unterscheidet grundsätzlich zwischen dem frühem und spätem Zweitspracherwerb. Zu dem frühen Zweitspracherwerb gehören alle Erwerbsformen, die während der sensiblen Phase des Spracherwerbs erzielt werden. Der späte Zweitspracherwerb beginnt ab dem Schul-, Jugendlichen- oder Erwachsenenalter durch einen Fremdsprachunterricht (Scheiber-Schradi, BEF 1/2 UK, 13.01.2020). Lewandowski (1990) unterscheidet zwischen dem gesteuerten Erwerb einer Fremdsprache, die in einem Sprachunterricht erworben wird, und dem ungesteuerten Erwerb einer Sprache, die ohne Sprachunterricht „natürlich“ erworben wird (vgl. Scharff Rethfeldt W., 2013, S. 31)
3.Mehrsprachigkeit
3.1 Definition der Mehrsprachigkeit
Im Fachbereich wird der Begriff der Mehrsprachigkeit unterschiedlich definiert. Die gängigste Definition ist dabei, dass unter dem Begriff Mehrsprachigkeit verstanden wird, dass ein Kind zwei oder mehr Sprachen im Alltag zur Kommunikation einsetzen kann. Darunter ist zu verstehen, dass ein mehrsprachiges Kind ohne Schwierigkeiten von einer Sprache zur anderen Sprache wechseln kann. Ebenso werden die Begriffe Bilingualismus und Mehrsprachigkeit synonym verwendet (vgl. Günther B. und Günther H., 2004, S.35).
3.2 Allgemeine Erkenntnisse in Bezug auf die Mehrsprachigkeit
Auf der Welt verfügt eine Vielzahl der Bevölkerung über zwei oder mehr Sprachen. In Deutschland ist die Amtssprache zwar Deutsch, jedoch haben nach UNESCO (2004) weitere Sprachen (beispielsweise wie italienisch, serbokroatisch, türkisch etc.) eine zentrale Rolle (vgl. Weskamp R., 2007, S.14 ff.). Die Gründe, weshalb die Kinder eine weitere Sprache sprechen und verstehen können, sind vielfältig. Ein möglicher Grund ist, dass die Elternteile des Kindes jeweils eine andere Sprache als die Landessprache sprechen. Dies bedeutet, dass die Muttersprache eine Minderheitssprache ist. Diese Situation wird vor allem bei Ehen zwischen Partnern verschiedener Kulturen sichtbar. Ein Beispiel wäre eine Mutter die Französisch spricht und ein Vater der Türkisch spricht, sie wohnen allerdings in Deutschland von daher wäre die Landessprache deutsch (o.V., www.goethe.de, 6.02.2021). Für die Bestimmung der Mehrsprachigkeit sind mehrere Kriterien vorhanden. Diese wären der Grad der Sprachbeherrschung, das Alter zum Zeitpunkt des Mehrspracherwerbs, die Funktion und der Gebrauch sowie soziokulturelle Aspekte. Bei dem Grad der Sprachbeherrschung stellt das Sprachvermögen des Kindes in den jeweiligen Sprachen ein ausschlaggebendes Merkmal dar (vgl. Scharff Rethfeldt W., 2013, S.23). Es gibt eine Vielzahl an Ansätzen: Hörmann (1970) ist der Ansicht, „dass Bilingualismus die Fähigkeit beschreibt, sich so gut und fließend in zwei Sprachen auszudrücken, wie man sich üblicherweise in seiner Muttersprache ausdrücken kann“ (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.23). Das Alter zum Zeitpunkt des Spracherwerbs wird auf das chronologische Alter bezogen und dient zur weiteren Klassifikation von Mehrsprachigkeit (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.24). Tracy R. und Gawlitzek-Maiwald I. (2000) vertreten die Meinung: „dass ein doppelter Erstspracherwerb bis zu einem Alter von zwei bis drei Jahren möglich ist“ (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.24), jedoch stellt der Zeitpunkt der Geburt ein striktes Kriterium dar. Von einem simultanen Erstspracherwerb soll so ausschließlich gesprochen werden, „wenn ein Kind vom ersten Lebenstag an mit mehr als einer Sprache aufwächst“ (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.24). Die Anwendung der Sprachen ist ebenso ein wesentliches Kriterium, damit meint man die Funktion der Sprache die von einem mehrsprachigen Individuum genutzt wird. Wie beispielsweise der Sprachwechsel und der Gebrauch der Sprachen erfolgt (vgl. Scharff Rethfeldt W., 2013, S.25). Mehrsprachigkeit dient auch einem funktionellen Aspekt: sie stellt die Fähigkeit dar, „zwei oder mehrere Sprachen sowohl nebeneinander als auch nacheinander zu gebrauchen“ (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.25) . Die soziokulturellen Aspekte beziehen sich auf die Beziehung des Individuums zu seinem Umfeld. Es ist ersichtlich, dass über die Mehrsprachigkeit des Kindes vor allem sein soziokulturelles Umfeld entscheidet. (vgl. Scharff Rethfeldt W., 2013, S.26). Der Wissenschaftler Hakuta K. weist darauf hin „, dass neben den sprachlichen Fähigkeiten des Individuums selbst auch dessen Lebenssituation berücksichtig werden muss“ (Scharff Rethfeldt W., 2013, S.27).
3.3 Entwicklung der Mehrsprachigkeit
Beim Erstspracherwerb eines Kleinkindes entwickelt sich im 8. bis 10. Monat ein Sprachverständnis, ohne dass das Kleinkind die Sprache sprechen kann. Zunächst erfolgt im 10. bis 13. Monat die tatsächliche Sprachentwicklung, das Kind ist in der Lage, die ersten Wörter zu produzieren. Ab dem 18. bis 20. Monat kommt es zur sogenannten Wortexplosion, bei der das Kind tausende von Wörtern lernt und bereits in der Lage ist 50 bis 250 Einwortsätze zu bilden (vgl. Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 20.01.2020). Im 20. bis 24. Monat werden Wortkombinationen gebildet, damit sind Zwei- und Dreiwortsätze gemeint, jedoch sind noch keine Strukturen der Grammatik zu erkennen. Außerdem werden Artikel oder Hilfsverben noch nicht verwendet (vgl. Rörig Y. 2016, S.11). Ungefähr ab dem 28. Monat ist das Kind dazu fähig, vollständige und einfache Sätze zu bilden, darunter ist ein Satz mit drei bis vier Wörtern zu verstehen. Beim simultanen Mehrspracherwerb ist die Abfolge im 8. bis zum 13. Monat dieselbe wie beim Erstspracherwerb. Im 18. bis 20. Monat erfolgt die Zunahme des Wortschatzes im simultanen Mehrspracherwerb als auch im Erstspracherwerb, jedoch gelingt dies etwas langsamer, da die Sprachen gleichzeitig erworben werden müssen. Anschließend erfolgt ab dem 20. Monat auch im simultanen Mehrspracherwerb die Wortkombination mit Verben (vgl. Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 20.01.2020). Das Kind bildet während des Erstspracherwerbs ein neuronales Netzwerk für die erste erlernte Sprache. Wenn es jedoch im frühkindlichen Alter bereits mit zwei Sprachen aufwächst (simultaner Zweitspracherwerb) entsteht ein neuronales Netzwerk für beide Sprachen. Für den sukzessiven Zweitspracherwerb ist es nicht möglich, einen bestimmten Verlauf darzustellen, da dieser je nach Kindergarteneintritt und situativen Bedingungen ganz individuell ablaufen kann. Beim späteren Erlernen einer zweiten Sprache, also bei einem sukzessiven Erwerb wird teilweise neues neuronales Netzwerk in den Sprachzentren des Gehirns entwickelt (vgl. Köls H., www.kindergartenpaedagogik.de, 16.02.2021).
4. Förderliche Maßnahmen
4.1 Die Rolle der Erzieher/innen und Rahmenbedingungen der Einrichtung
Während eines Zweitspracherwerbs benötigt das Individuum natürliche Bedingungen und gleichermaßen eine sprachbildende und -fördernde Unterstützung der Erzieher/in im Alltag. Folgende Aspekte sollten in einer Einrichtung von den pädagogischen Fachkräften besonders beachtet werden (vgl. Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 20.01.2020). Zunächst ist es notwendig zu erfahren, welche Rolle der Gebrauch der Erst- und Zweitsprache aktuell in der Familie spielt. Dies ermöglicht den pädagogischen Fachkräften eine Motivation zum Sprechen herzustellen. Außerdem ist es bedeutsam, sich als Erzieher/in kundig darüber zu machen, welche Sprache das Individuum mit seinen Bezugspersonen bzw. Elternteilen spricht, um zu erfahren, welche sozialen Beziehungen für das Kind wichtig sind. Dadurch kann das Individuum von der pädagogischen Fachkraft besser verstanden werden und es können sich weitere Gelegenheiten zu Sprachanlässen ergeben. Aus diesem Grund ist die Sicht der pädagogischen Fachkräfte für die Vielfalt der Sprachsituationen in Familien unerlässlich. (vgl. Günther B. und Günther H. 2004, S.127). Ein weiterer Aspekt auf den eingegangen werden muss, ist die gemischte Gruppenbildung in der Freispielzeit oder in gezielten Aktivitäten, denn durch die Kommunikation mit anderen Spielpartnern sammeln die Kinder Erfahrungen, die den Spracherwerb begünstigen können (vgl. Scheiber-Schradi BEF 1/2 UK, 20.01.2020). Als pädagogische Fachkraft ist es wichtig zu vermitteln, dass das Individuum sprechen darf, wie es kann und die Grammatik oder weitere Korrekturen vorerst im Hintergrund behalten werden. In diesem Fall kann korrektives Feedback als Methode für die sprachliche Begleitung bzw. Förderung angewendet werden. Für den Erfolg des Mehrspracherwerbs genauer gesagt den Erwerb der deutschen Sprache in einer Einrichtung ist die stabile Beziehung zwischen dem Kind und der Erzieherin von großer Bedeutung. Hier muss ebenso ergänzt werden, dass das Kind sich gegenüber dem Erzieher/innen verstanden und akzeptiert fühlen muss, um sich bei gemeinsamen Handlungen wie beispielsweise einer Bilderbuchbetrachtung zu trauen, etwas zu äußern (vgl. Günther B. und Günther H. 2004, S.128 f.).
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