Liebe in Zeiten des neuen Kapitalismus. Die Sehnsucht nach romantischer Liebe zwischen Produktivität, Flexibilität, Risikobereitschaft und Konsum


Masterarbeit, 2007

46 Seiten, Note: C+


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Liebe
2.1. Annäherung an den Begriff der romantischen Liebe
2.1.1. Was ist romantische Liebe?
2.1.2. Die Epoche der Romantik und ein bürgerliches Ideal der Liebe
2.2. Liebe und Konsum nach Eva Illouz
2.2.1. Das erste Rendezvous
2.2.2. Romantisierung der Ware
2.2.3. Konsumpraktiken als Ausdruck und Halt der Liebe
2.2.4. Gesellschaftspolitische Dimension von Liebesbeziehungen
2.2.5. Romantische Liebe als Überschreitung und ausseralltäglicher Erfahrungsraum einer Utopie

3. Der Kapitalismus
3.1. Annäherung an den Begriff des neuen Kapitalismus
3.1.1. Der Rheinische Kapitalismus und seine Unterschiede zum Angloamerikanischen Kapitalismus
3.2. Neuer Kapitalismus nach Richard Sennett
3.2.1. Drifting als Lebens- und Arbeitsmaxime
3.2.2. Flexibilität und Veränderung des Zeitbegriffs
3.2.3. Risiko und Scheitern

4. Die Werbung
4.1. Annäherung an die Webung in Film und Fernsehen

5. Medienanalyse
5.1. Eigensinn des Mediums
5.2. Narrative Struktur und Beschreibung
5.3. Werbekonzept und Marketingstrategies 31

6. Interpretation des Werbespots
6.1. Darstellung von Wolken und Nebel
6.2. Darstellung der Protagonistinnen und Protagonisten
6.3. Darstellung der Sehnsucht
6.4. Lokale Verortung und globale Ausrichtung
6.5. Konzept «Swissness»
6.6. Konstruktion von Rollenbildern und Geschlechtszuschreibungen
6.7. Fehlende Bilder
6.8. Kleine Entdeckung zum Schluss

7. Schlussfolgerungen

Anhang

Literaturverzeichnis

Bilddokumente

Internetdokumente

Dank

1. Einleitung

Dies ist eine Arbeit über die Liebe - die romantische Liebe.

Was geschieht mit der Sehnsucht nach romantischer Liebe, in einer Gesellschaft, die von neoliberalen Werten der Wirtschafts- und Arbeitswelt geprägt ist? Und welche Rolle nehmen dabei die vom Kapitalismus gesteuerten und entwickelten Konsumpraktiken und -güter ein?

Im ersten, theoretischen Teil, im Themenkomplex «Liebe und Konsum», werde ich mich in dieser Arbeit schwerpunktmässig auf die Studien und Erkenntnisse der Soziologin und Anthropologin Eva Illouz stützen. Sie ist u. a. Dozentin an der He- bräischen Universität in Jerusalem und Autorin mehrerer Bücher im Forschungs- bereich der Soziologie der Emotionen, der Konsumgesellschaft und der Medienkultur. Überzeugend gelingt es ihr, soziologische Theorien mit kulturwissenschaftlichen Methoden zu verbinden, sie erhält dadurch einen performativen, hegemonialen, aktuellen, zeitgemässen und postmodernen Zugang.

In ihrem Buch «Der Konsum der Romantik» beschreibt sie es selbst so: Dieses Buch versucht somit, die kulturellen Repertoires zu rekonstruieren, die das menschliche Verständnis ihrer romantischen Gefühle prägen; die sonst nützlichen statistischen Methoden der Soziologie und Anthropologie können dazu relativ wenig beitragen.1 Als methodische Hauptkriterien wählt sie in ihren Untersuchungen und Interviews die Konsistenz und die Kohärenz. Da sie dadurch der Vielfältigkeit und Komplexität des Themas und den subjektiven Gefühlswelten Rechnung tragen kann und gleichzeitig eine hybride und performative Analyse unserer postmodernen, globalen und multimedialen Gesellschaft zu entwerfen vermag.

In unserer heutigen technoiden und virtuellen Welt scheint alles möglich und mach- bar. Deshalb beleuchte ich parallel dazu im zweiten Teil den neuen Kapitalismus und seine Auswirkungen auf das Individuum. Ich glaube, noch kaum je waren wirt- schaftliches Denken und Handeln in einer Gesellschaft und durch alle Schichten, Be- rufe und in verschiedensten Bereichen des Lebens so massgebend und bestimmend. Die Schlagwörter sind uns allen geläufig und gehen Hand in Hand mit der rasanten Entwicklung einer Globalisierung, die fast täglich neue Möglichkeiten schafft. Ratio- nalisierung, Gewinnmaximierung, flexible Märkte, Fusionen und Firmenübernahmen sind nur einige Stichwörter. Ich werde in dieser Arbeit beleuchten, inwiefern wirt- schaftliche Ideen, Strategien und Handlungsmodelle das Private sowie die Form und die Gestaltung von Liebesbeziehungen prägen. Ob, wie und wo dies funktioniert und wo diese nicht zu vereinen sind oder an Grenzen stossen.

Im aktuellen Diskurs des neuen, neoliberalen Kapitalismus und der momentanen Entwicklungsrichtung, in welcher der globale, wirtschaftliche Einfluss die Eigenständigkeit und die politische Macht der einzelnen Staaten und ihre Regierungsziele schon längst beeinflusst beziehungsweise auflöst, scheint sich die Welt in Gewinnende und Verlierende zu teilen.

Mittlerweilen wird diese Entwicklung über viele Wissenschaftsgebiete beobachtet, analysiert und interpretiert. Für meine Arbeit war es mir wichtig, eine Theorie zu be- leuchten, die nicht nur das wirtschaftliche Phänomen und das Wachstumspotenzial beschreibt, sondern das Individuum - mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen - ins Zentrum der Untersuchung stellt. Eine ideale Grundlage dafür fand ich beim Histori- ker und Soziologen Richard Sennett. Er ist Professor in London und New York und hat mehrere kulturhistorische und kulturkritische Bücher über die Entwicklung von Zivilisation, Kapital und Gesellschaft verfasst. In seinem Buch «Der flexible Mensch» untersucht er die persönlichen Folgen des neuen Kapitalismus, in dem Arbeitsformen und Arbeitsinhalte kurzfristig und flexibel sind. Er kommt zum Schluss, dass selbst die Gewinnerinnen und Gewinner in einer ständigen Ungewissheit leben, und zeigt die Nebenprodukte der globalen Ökonomie in unserer Gesellschaft auf. Interessant ist, dass seine Untersuchungen sich stark auf die US-amerikanische Wirtschaft be- ziehen, was meines Erachtens einer Zukunftsprognose für die Weiterentwicklung des Kapitalismus in der Schweiz und in den meisten europäischen Ländern entspricht.

Die Literatur zu diesen Themen ist zahlreich. Es gibt kaum ein Fachgebiet, das nicht den Einfluss der Ökonomie und die menschlichen Beziehungen beleuchtet und untersucht. Und natürlich sind Omnipräsenz und Einfluss der Medien in allen Humanwissenschaften unbestritten und werden erforscht. Deshalb musste ich mein Thema stark eingrenzen. Themen wie Biopolitik oder philosophische Betrachtungen, ethnologische Differenzierung und gesellschafts- und staatspolitische Aspekte werden nur als Randbemerkungen vereinzelt eingeflochten.

Sehnsucht und tiefe romantische Gefühle scheinen unabhängig von Börsengängen und Wirtschaftsentwicklung krisensicher und - in einem gewissen Sinne - stabil. Diesen Umstand haben die Industrie und der Markt längst entdeckt und machen ihn sich in Form von Produktentwicklung und -marketing zunutze. In Werbespots und an den Plakatwänden sehen wir dies täglich. Die Produkte stehen für Glück, Zufrie- denheit, Erfolg, Schönheit und romantische Liebe. Was im ersten Moment absurd scheint, hat sich schon längst bewährt. Es werden primär Emotionen verkauft.

Deshalb möchte ich im dritten Teil meiner Arbeit das Augenmerk auf die Verbindung von Liebe und Konsum richten. Dazu werde ich den aktuellen Werbespot Fliegen, Swiss Made der Swiss International Air Lines analysieren und darin die Verknüpfun- gen von romantischer Liebe, Konsum und neoliberaler Ökonomie herausfiltern. Ich werde dabei mein Augenmerk insbesondere auf die Konstruktionen und Rezeptio- nen, die Geschlechter und deren Rollenverteilungen und -zuschreibungen richten.

2. Die Liebe

2.1. Annäherung an den Begriff der romantischen Liebe

2.1.1. Was ist romantische Liebe?

Wer an die romantische Liebe glaubt und diese leben will, wird von Vernunft und Verstand nicht allzu viel halten. Es ist der Wunsch und die Sehnsucht nach dem ganz grossen Gefühl, das alle Hindernisse, Grenzen und Probleme zu überwinden ver- mag, auch die Grenzen des eigen Ichs und des Todes. Sich über alle Normen und Werte einer Gesellschaft hinwegsetzen kann und in der blossen Zweisamkeit und einer symbiotischen Verschmelzung - im körperlichen wie geistigen Sinne - ewiges Glück und Zufriedenheit verspricht.

Aber zur diesem Ideal der romantischen Liebe - die vielleicht nur Illusion, Sehnsucht oder ein Konstrukt ist - gehört es, das Scheitern in Kauf zu nehmen. «Himmelhoch jauchzend» und «zu Tode betrübt» scheinen um Haaresbreite auseinander zu liegen beziehungsweise sich gegenseitig zu bedingen und sind zwei Hälften eines unteil- baren Ganzen. Oder anders formuliert: Vielleicht können solche intensivste Gefühle nur in der Sehnsucht und der Vorstellung existieren und sind im Kontakt mit der Wirk- lichkeit und dem Alltäglichen nicht überlebensfähig. Oder wie Luhmann es nennt, ist Liebe nicht nur eine Anomalität, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit?2

Der heutige, postmoderne Mensch findet sich also in einem Dilemma und Spannungsfeld wieder, in dem Vernunft und Wissen, Erfahrung und Verletzung das Romantische und Schwärmerische als sinnlose Naivität entlarven und einen selbst in unverständlicher Dummheit erscheinen lassen.3 Roger Willemsen schreibt dazu in seinem Debütroman «Kleine Lichter»: Diese Worte sind doch gar nicht mehr in Gebrauch. Vielleicht weil die Gefühle dazu nicht mehr wahr sind. Macht denn die Liebe aus uns Menschen von früher?»4

Und trotz allem tun, versuchen, wagen wir es wieder und wieder. Irgendwie verhal- ten wir uns alle zu diesem Ideal der grossen Liebe. Wir können uns darüber lustig machen, davon träumen oder es pragmatisch betrachten. Aber - egal, welchen Um- gang wir wählen - es scheint, dass dieses romantische Phantasma nicht ganz aus unserem Kopf zu verbannen ist, da hilft aller Zynismus nichts. Dies ist Ausdruck einer starken, transformierenden Urkraft der Liebe, die vielleicht um einiges stärker ist als wir selbst, unser Intellekt, all unsere Wissenschaften, die Forschung und deren Er- kenntnisse und all die Veränderungen der Welt, des Lebens und der Zeit.

Es scheint, als ob die jüngste intellektuelle Generation wieder ein reines, leiden- schaftliches und unverkrampftes Verhältnis zum Mythos der romantischen Liebe fin- det und pflegt und weder Zweifel, Scham noch Ängste kennt. Ein Beispiel dafür liefert uns die noch nicht dreissigjährige deutsche Philosophin Ariadne von Schirach mit ihrem ersten Buch, «Der Tanz um die Lust». Sie fasst den aktuellen Liebesdiskurs in einer Definition wie folgt zusammen:

Liebe ist das letzte grosse Versprechen, dass alles hier, unser Leben, unsere Existenz doch einen Sinn ergeben. Dass es Magie gibt, Schicksal und nicht enden wollende Bezauberung.»5

Erleben wir hier wirklich eine Art cultural turn zurück ins Zeitalter der Romantik? Der Grund dafür liegt mit Sicherheit nicht in einem der bekanntesten physikalischen Gesetze. Darauf hat uns nämlich bereits Albert Einstein mit einem Schmunzeln hingewiesen: Gravitation cannot be held responsible for people falling in love.

2.1.2. Die Epoche der Romantik und ein bürgerliches Ideal der Liebe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten6

Die Romantik als Epoche kann man als Abkehrung vom und als Gegenströmung zum Ideal des rationalen, kühlen und vernunftgelenkten Denkens und Handelns der Aufklärung verstehen. Diese fand ihren Ausdruck in der Beschwörung der tiefen Gefühle, des Schönen, Wahren, Echten, Einzigen, der Sehnsucht und im Leiden. Im individuellen und persönlichen Erleben und in einer starken Verbundenheit mit der Natur und einer religiöser Grundhaltung.

Diese Epoche hat uns vor allem in der Literatur und Musik eine Vielzahl von beseelten Werken hinterlassen. Ich möchte hier nur einige bekannte Dichter und ihre Werke nennen, weil sie mir wichtig und bezeichnend für die Entstehung des Mythos der romantischen Liebe und der Sehnsucht nach grossen Gefühlen unserer heutigen Zeit und immer noch aktuell erscheinen.

Novalis, dieser schöne, blasse und zartgliedrige Junge7, der seine grosse Liebe in einem dreizehnjährigen Mädchen fand und in der fünfzehnjährigen Frau und Verlobten wieder verlor. Seine Gedichte sind wunderschön, traurig, beschwören in den Beschreibungen der Nacht, der Natur die wahre Liebe, die unendliche Sehnsucht nach der verlorenen Geliebten und den Wunsch, im Tode vereint zu sein. Selbst starb er, keine dreissig, an Schwindsucht (Tuberkulose).

Oder Goethes «Die Leiden des jungen Werther» - wer von uns hat nicht Seite für Seite (mit)gelitten, ob all dieser unmöglichen, unerfüllbaren, ungestillten Liebe und dieser endlosen Glücks- und Leidensgefühlen, die zum einzigen Inhalt und Sinn des Lebens werden. Und wie nur im selbst gewählten Tod Werther Erlösung bzw. Ewig- keit erlangen können. Obwohl sich Goethe kritisch mit der Romantik auseinander- setzte und nicht oder sicher nicht nur zu den Dichterinnen und Dichter der Romantik zählte, scheint mir dieses Buch bezeichnend für das Liebesideal dieser Epoche.

Die viktorianische Gesellschaft prägte das bürgerliche Liebesideal im 18. und im 19. Jahrhundert massgebend. Sie verehrte die romantische Liebe als eine Art Gottheit des Reinen, Schönen und - vor allem auf das weibliche Geschlecht bezogen - des Jungfräulichen.

Die Liebe war aber auch ein elementarer Bestandteil des Ich-Empfindens. Sich selbst zu kennen und nicht nur den Partner oder die Partnerin gewann an Wichtigkeit. Die Liebe war eine Plattform des authentischen, wenngleich eingeschränkten Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit, aber sie war auch Mittel, um geistige Vollendung zu er- langen, wie sich deutlich in der durchgängigen Assoziation des romantischen Diskur- ses mit den Werten und Metaphern der Religion zeigt.8 Romantisches Empfinden und Liebe kamen einem religiösen Gefühl gleich, das in der selbstlosen Hingabe die Grundinstinkte unterdrückte und die Seele erhöhte. Der Liebesdiskurs war also stark mit der Religion und deren Werteskala verwoben.9

Dieses Ideal beschreibt stärker die Seite der Frau, da in der viktorianischen Gesell- schaft eine klare Geschlechtertrennung bestand. So wurde die Liebe stark mit «weib- lichen» Aufgaben verknüpft. Liebe fand ihren Ausdruck im Pflegen, Erbauen und Nähren. Durch die Säkularisierung10 der vorletzten Jahrhundertwende veränderte sich auch das romantische Liebesideal von Aufopferung und Selbstlosigkeit. Diese Vorstellungen wurden zunehmend als antiquiert und überholt empfunden. Gleichzei- tig wurden Liebe und Ehe gleichgesetzt und als Synonym für persönliches Glück ge- handelt. Es war eine neue Mythologie geboren, in der die Romantik die Religion als Mittelpunkt des Alltagslebens ersetzte.

Es ist also nicht die Massenkultur, die dieses Ideal der romantischen Liebe schuf, und es sind nicht die Hollywoodfilme oder die Produkte der Werbeindustrie. Sie verwandelten lediglich das alte, romantische Ideal in eine «visuelle Utopie», die Ele- mente des «amerikanischen Traums» mit romantischer Fantasie verbindet.11

2.2. Liebe und Konsum nach Eva Illouz

Die soziologischen Untersuchungen von Eva Illouz über den Zusammenhang von Ökonomie und Liebe in ihrem Buch «Der Konsum der Romantik» beobachten schwerpunktmässig die Entwicklungen im 20. Jahrhundert.

Dieses Jahrhundert war von einer rasanten Entwicklung und tiefgreifenden Umwäl- zungen geprägt. Ich möchte hier nur kurz einige Aspekte antönen, die für den Blick- winkel meiner Arbeit wichtig sind. Der Wirtschaftsaufschwung zu Beginn der Zwanzi- gerjahre, mit Produktionssteigerungen, neuen Technologien, Rationalisierungs- und Gewinnmaximierungsprozessen bis hin zur heutigen Globalisierung, ist sicher ein entscheidender Einfluss. Ebenfalls wichtig sind die Veränderungen im sozialen und gesellschaftlichen Kontext. Beispielsweise die Lockerung der viktorianisch geprägten Ehe- und Sexualmoral, Erweiterungen des Privaten in den öffentlichen Raum (Frei- zeit und Ausgehen) und erste formale Schritte in Richtung Gleichstellung von Frau und Mann aufgrund des Zugangs zu Bildung und Freizeitaktivitäten. Parallel dazu entwickelte sich die ganze Medien- und Kommunikationstechnologie hin zu einer Massenkultur.

Es überrascht also nicht, dass diese Entwicklungen die Bedeutung der Liebe veränderten und gleichzeitig wiederum von den entstehenden Märkten und Medien aufgenommen wurden.

Illouz zeigt auf, dass sich dieser Transformierungsprozesse besonders gut am Beispiel von Werbung und deren medialer Verbreitung beobachten, erklären und interpretieren lassen.12

Charakterisierende Entwicklungen der Bedeutung der Liebe:

- Die Befreiung der Liebe von der Religion, das heisst Säkularisierung des Liebesdiskurses
- Die zunehmende Bedeutung des Themas Liebe in der Massenkultur, vor allem im Film und in der Werbung
- Die Verherrlichung des Liebesthemas als höchster Wert und die Gleichsetzung von Liebe und Glück
- Assoziation von Liebe und Konsum, genauer die Romantisierung der Ware
- Einbeziehung von «Intensität» und «Spass» in die neuen Definitionen von Liebesromantik, Ehe und häuslichem Leben.

Diese verschiedenen kulturellen Entwicklungen artikulierten eine neue Utopie der Liebesbeziehung, die alle Bereiche durchdringen und vielen Konsumhandlungen eine neue Bedeutung verleihen sollte.13

2.2.1. Das erste Rendezvous

Eine einschneidende und richtungsweisende Veränderung im Habitus unserer abendländischen Kultur ereignete sich Ende des 19. Jahrhunderts, als sich die Praxis von Partnersuche und Eheschliessung grundlegend veränderte. Es waren nicht mehr die Eltern, die untereinander die Ehen arrangierten, planten und ihre Söhne und Töchter versprachen. Und es war nicht mehr normal, dass der Mann bei den Eltern seiner Angebeteten vorsprach. Es kam einer kulturellen Revolution gleich, dass Kennenlernen und Werben in den öffentlichen Raum verlegt wurden.

Somit war das (erste) romantische Rendezvous geboren und damit eine starke Verschränkung mit der Konsumwelt. Dies zog ein Angebot von Freizeitaktivitäten nach sich, das sich zu einem Industriezweig entwickeln sollte. Ausgehen, Tanzen, Kino und Restaurantbesuche wurden zur massgebenden Erfahrungswelt für Frischverliebte und für die Anbahnung von Liebesbeziehungen.14

Diese Entwicklung befreite die Liebesbeziehungen zwar von bestimmten engmaschi- gen sozialen Kontrollmechanismen, gleichzeitig band es sie aber über das Geld und die entsprechenden Konsumakte an den Markt. Will heissen; Geld bekam eine mass- gebende Rolle bei der Gestaltung und den Möglichkeiten der romantischen Interakti- onen in einer Beziehung und verstärkte die Macht- und Wirtschaftsverhältnisse mar- kant.15 Oder wie es Illouz formuliert: Die «politische Ökonomie der Liebesbeziehung» meint hier die Klassenverhältnisse, welche die Integration der Liebesbeziehung in die ökonomischen Praktiken der Konsumsphäre ermöglichten und aufrechterhielten. Hat diese neue kulturelle und ökonomische Matrix die sozialen Unterschiede verstärkt oder aufgeweicht?16

Illouz zieht hier zwar keine definitiven Schlüsse, zeigt aber die hohen Ansprüche und Anforderungen in finanzieller Sicht wie auch im gesellschaftlichen Kontext auf. Dies betrifft insbesondere den Mann, da er Einladungen, Geschenke etc. ausrichtet.

2.2.2. Romantisierung der Ware

Eva Illouz widmet sich in ihrem Buch im ersten Kapitel regelrecht einer Archäologie des Vermarktlichungsprozesses und untersucht darin historisch genau, wie sich die kulturellen Praktiken veränderten, als der kapitalistische Markt Einfluss auf die private Sphäre und die Liebesbeziehungen nahm. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass es sich keineswegs um einen einseitigen, marktwirtschaftlichen Prozess handelt (eine Verökonomisierung der Paarbeziehung), sondern um eine Verschränkung mit gegenseitiger Beeinflussung und komplementärer Entwicklung. Zwar richtet sich die Konsumwerbung immer stärker am romantischen Ideal der Lie- be aus, aber gleichzeitig werden die Praktiken der Liebe immer stärker über den Wa- renkonsum gelebt und ausgedrückt. Vor allem in den USA wird dieser Umstand ab den Dreissigerjahren in der Werbung bewusst und suggestiv genutzt und eingesetzt.

Dadurch wird das Romantische in der Liebe nicht nur in einem gewissen Sinne in- strumentalisiert, sondern entwickelt eine versachlichte Entsprechung in bestimmten Gegenständen des Konsums. Illouz spricht hier von einer Romantisierung der Ware, die in steigendem Masse die entsprechenden Gefühle, Einstellungen und Ideale in einer symbolischen Form widerspiegeln. Interessant ist hier, dass Illouz in ihren Un- tersuchungen und Interviews zwei Formen des Konsums unterscheidet. Sie nennt dies den offenen und den verborgenen Konsum.17 Während der offene Konsum klare Produkte bezeichnet, etwa den Besuch eines bestimmten Restaurants, Südseeferien eines speziellen Anbieters oder den Lippenstift einer glamourösen Kosmetikfirma, handelt es sich beim verborgenen Konsum um Produkte, die nicht explizit erwähnt oder benannt werden, jedoch implizit und oft paradoxerweise Romantik versprechen. Ob dies das Fahren eines bestimmten Autos ist, das ein perfektes Familienglück bedeutet, oder das Essen der richtigen Cornflakes, wodurch sich jeder Mann in die Konsumentin verlieben wird.

Der Hinweis auf den verborgenen Konsum ist deshalb so wichtig, weil er zeigt, wie Freizeitaktivitäten durch die romantische Aura, die sich über so viele andere Waren legte, tiefgreifend fetischisiert werden: Dadurch werden Konsumakte unsichtbar vervielfacht und nachhaltig bestärkt.18 Damit werde ich mich in meiner Analyse noch differenzierter auseinandersetzen.

2.2.3. Konsumpraktiken als Ausdruck und Halt der Liebe

Zweifellos ist es in unserer heutigen, abendländischen Gesellschaft kaum möglich, eine Liebesbeziehung ausserhalb von Konsumpraktiken und -gütern, Freizeitangeboten und tradierten Liebesritualen zu leben.

Wie schwierig so ein Versuch sein kann, zeigt die «kommerzielle Erfindung» des Valentinstags als Geld- und Geschenkmache. Wenn man sich dem verschliesst, können unter Umständen tiefe Risse und Erschütterungen in einem Paarleben die Folge sein, wenn eine Partnerin oder ein Partner dies als tradiertes Ritual des Liebesbeweises versteht. Zusätzlich haben solche Rituale einen starken Einfluss auf die Vorstellungen und Erwartungen an eine ideale Liebesbeziehung und prägen das Bild der Wunschpartnerin oder des Traummanns entscheidend mit. Das Konsumieren wird dadurch zum symbolischen Ausdruck des Verliebtseins.19

In den Untersuchungen und Interviews von Illouz hat sich herauskristallisiert, dass vor allem Luxusartikel in Fantasie und Erinnerung stark mit romantischen Erlebnissen verknüpft werden und bleiben. Illouz wertet diesen Umstand jedoch nicht moralisch oder kulturkritisch, sondern verfolgt das Phänomen weiter und kommt zur Erkenntnis, dass solche Luxusgüter oft ein Potenzial zur nachreligiösen Ritualbildung besitzen. Und damit innerhalb der Zweierbeziehung oft selbst zu einem symbolischen, verbin- denden und intensivierenden Ritual werden.20 Dieser zeremonielle Gebrauch der Lu- xusgüter innerhalb einer Liebesbeziehung beinhaltet für Illouz eine soziale Parado- xie, die sich dadurch zeigt, dass die Liebenden gerade durch den Konsum einerseits vom Markt und von der Ökonomie abhängig sind, andererseits über die symbolische und rituelle Handlung sich gerade gegen ebendiese wirtschaftlichen Werte stellen und sich davon abgrenzen.

Oder wie es Illouz formuliert: Es ist allein der Warenmarkt, sein Reichtum an affektiv besetzbaren Symbolen, der heute die antiutilitarischen Motive des romantischen Liebesideals am Leben erhält.21 Es entsteht der Eindruck, dass Illouz in diesem Punkt der Überzeugung ist, dass es legitim und notwendig sei - und eine gewisse Kreativität und Fantasie des Subjekts voraussetzt -, solche Konsumpraktiken als Mittel und Ausdruck der emotionalen Zuneigung und der wechselseitigen Liebe zu nutzen. Um durch diesen «Konsumakt» dem gefährdeten Liebesverhältnis die notwendige Stabilität, den Halt und die Dauer zu verleihen.

Natürlich finden wir zu diesem Punkt in der Fachliteratur sehr unterschiedliche und gegensätzliche Meinungen. Ich möchte hier als einen Kontrapunkt Adorno zitieren, der dazu sagte: Das Ideal der Liebe, als reines Gefühl, ist unter Druck der individuellen Selbsterhaltung inzwischen einer Neigung zu passiven Grausamkeiten und zerstörerischen Einbildungen gewichen.22

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch die von Illouz befragten Liebespaare diese Abhängigkeit von und Verknüpfung mit dem Kommerziellen und dem Markt nicht wahrnehmen oder verdrängen. Es scheint, dass sie den Konsumcharakter ihrer Liebespraktiken verkennen, um sich die Utopie einer freien, reinen, gefühlsbetonten und unabhängigen Liebesbeziehung erhalten zu können.

2.2.4. Gesellschaftspolitische Dimension von Liebesbeziehungen

Immer wieder wurde - und wird noch heute - der Liebe eine subversive und transgressive Kraft zugesprochen, die sich über alle gesellschaftlichen Grenzen und Normen hinwegzusetzen vermag. Oder die rechtliche und gesellschaftliche Ordnung und deren Regulationsmechanismen in Frage stellt.

Die Vorstellungen, die unsere romantische Imagination bestimmen, beharren auf dem unteilbaren Recht auf Leidenschaft, sie widersetzt sich den üblichen Anordnung und Teilung nach Geschlecht, Klasse oder nationaler Zugehörigkeit.23 Vielleicht ist uns dies viel stärker aus der Musik, Romanen und Filmen geläufig als aus den eigenen Erfahrungen in Alltags- und Liebesleben.

Eine Liste von Beispielen würde endlos lang. Angefangen bei «Romeo und Julia» über «Tristan und Isolde», «West Side Story» bis hin zu «Titanic» ist dies ein wichtiges, wenn nicht das tragende Element, das die Liebensbeziehungen romantisiert und intensiviert bzw. ihr einen Hauch von Ewigkeit verleiht. Und dadurch diesem Mythos und der Utopie der grossen, wahren Liebe Vorschub leistet.

Marx und Engels sind in ihrem «Kommunistischen Manifest» sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Sie sind der Überzeugung, dass sich wahre romantische Liebe nur in der Arbeiterklasse zu entwickeln vermag, weil diese keine materiellen Vorteile daraus ziehen kann. Ihre politische Ideologie und Utopie impliziert un- übersehbar eine absolute Trennung von Ware und Gefühl von Interesse und Liebe als Vorbedingung authentischer, im vollsten Sinne des Wortes menschlicher Beziehungen.24 Eine noch stärkere (gesellschafts)politische Komponente schreibt der Soziologe Francesco Alberoni der romantischen Beziehung zu. Er spricht in seinem Buch «Verliebt sein und lieben» der romantischen Liebe eine phänomenologische Eigenschaft mit einem revolutionären Potenzial zu, die durch das Entstehen von einem starken und bindenden Wir-Gefühl Transformierungsprozesse und kollektive Bewegungen in unserer Gesellschaft zu injizieren vermag25.

2.2.5. Romantische Liebe als Überschreitung und ausseralltäglicher Erfahrungsraum einer Utopie

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Kapitel, was die Liebe vermag, welche Bedürfnisse sie weckt und befriedigt, findet im privaten und zurückgezogenen Rahmen statt und zielt auf eine Intensivierung der Zweierbeziehung durch die Abschottung von der Aussenwelt hin. In diesem Zusammenhang wirken Elemente von Natur, Freiheit und Abenteuer als verbindend und verstärkend. Was wiederum in unseren Vorstellungen der Romantik eine Vielzahl von Bilden produziert, deren sich die Massenmedien bedienen.

Wichtige theoretische Hintergründe und Grundlagen zur Erklärung dieses Phänomen lieferte der Ethnologe Victor Turner bereits in den Sechzigerjahren. Er prägte mit seinen Arbeiten und Untersuchungen den Begriff der Liminalität (Schwellenüber- schreitung). Anfänglich konzentrierten sich seine Untersuchungen vor allem auf die Schwellenerfahrungen und -überschreitungen durch Rituale im religiösen Bereich und wurden erst einiges später von ihm auf die moderne Gesellschaft und ihre Be- ziehungen übertragen.

Bezogen auf die romantische Liebe besagt die zentrale These von Turners Theorie, dass sich die Liebenden über rituelle Praktiken gemeinsam aus den Fesseln des All- tagslebens befreien, um sich dadurch in einen Zustand der Verschmelzung und eines echten Liebesgefühls zu versetzten. Es entsteht ein Moment, in dem sich die Liebenden inner- und ausserhalb der Zeit befinden.26 In diesem Moment der Zwi- schen- und Übergangsphase sind Status, gesellschaftliche Strukturen und Normen wie aus-gelöscht, Realität und Fiktion, blosse Fantasie und unabhängige Wirklichkeit lassen sich nicht mehr klar unterscheiden und wirken verstärkend auf die emotiona- len Empfindungen.

Illouz interpretiert die theoretischen Erkenntnisse von Turner vor allem aus soziologischer Sicht und stellt die These auf, dass sich Liebespaare mit rituellem Umgang und der Hilfe von Konsumartikeln in jene Schwellenzustände versetzen und dadurch die Beziehung festigen und intensivieren können.27

[...]


1 Illouz, Der Konsum der Romantik, 2003, S. 21

2 Luhmann, Liebe als Passion, 2001, S.10

3 Eva Illouz hat bei ihren Interviews mit europäischen Paaren festgestellt, dass sie im Gegensatz zu amerikanischen nicht über eigene grosse, romantische Gefühle sprechen können, ohne sie in der Erzählung selbst zu relativieren oder zu ironisieren.

4 Willemsen, Kleine Lichter, 2005, S.25

5 Von Schirach, Der Tanz um die Lust, 2006, S. 284

6 www.staff.fim.uni-passau.de/~schmidtb/philosophie/Kunst/Wuenschelrute/index.html

7 Im heutigen Sprachgebrauch würde er wohl als metrosexuell bezeichnet.

8 Illouz, Der Konsum der Romantik, 2003, S. 32

9 Meines Erachtens findet sich diese Form von Einfluss noch heute in der ideologischen und moralischen Sichtweise auf Familie, Liebe und Sexualität bei einzelnen politischen Parteien und kirchlichen Institutionen.

10 Religion galt nicht mehr als wichtigster Wert, Halt und Heil.

11 Illouz, 2003, S. 28-38

12 Illouz, 2003, S. 31

13 Illouz, 2003, S. 31

14 Vgl. Illouz, 2003, Vorwort, S. XI

15 Vgl. Illouz, 2003, S. 60-63

16 Illouz, 2003, S. 61

17 Illouz, 2003, S. 43

18 Illouz,2003, S. 43/44

19 Illouz, 2003, S. 11

20 Illouz, 2003, Vorwort, S. XVI

21 Illouz, 2003, Vorwort, S. XVI

22 Theodor W. Adorno, Minima moralia, 1997, S. 314

23 Illouz, 2003, S. 10

24 Illouz, 2003, S. 8/9

25 Vgl. Alberoni, Verliebt sein und lieben, 1985

26 Turner, Das Ritual - Struktur und Anti-Struktur, 1984, S. 96

27 Vgl. Illouz, 2003, Vorwort, S. XV und S. 139-43

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Liebe in Zeiten des neuen Kapitalismus. Die Sehnsucht nach romantischer Liebe zwischen Produktivität, Flexibilität, Risikobereitschaft und Konsum
Hochschule
Zürcher Hochschule der Künste  (Institut für Cultural Studies in Art, Media and Design)
Veranstaltung
MAS Cultural/Gender Studies
Note
C+
Autor
Jahr
2007
Seiten
46
Katalognummer
V129380
ISBN (eBook)
9783668078147
ISBN (Buch)
9783668078154
Dateigröße
1500 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zur Masterarbeit, gibt es unter dem Titel Men's Heartware eine Videoarbeit: http://www.youtube.com/watch?v=7957fWyww9Q
Schlagworte
liebe, zeiten, kapitalismus, sehnsucht, produktivität, flexibilität, risikobereitschaft, konsum
Arbeit zitieren
Petra Wigger (Autor:in), 2007, Liebe in Zeiten des neuen Kapitalismus. Die Sehnsucht nach romantischer Liebe zwischen Produktivität, Flexibilität, Risikobereitschaft und Konsum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129380

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