Existiert politische Haltung in linker Rockmusik?

Eine Analyse am Beispiel von „Rock gegen Rechts“ 1979


Essay, 2002

15 Seiten

Anonym


Leseprobe


1. Das Ereignis „Rock gegen Rechts„

1.1. Das Vorbild für „Rock gegen Rechts„

1976 gründeten in Großbritannien verschiedene Punk- und Reggae-Bands die Kampagne „ rock against racism “(RAR). Mit der Aktion sollte auf die steigenden Aktivitäten der rechtsradikalen neofaschistischen britischen National Front aufmerksam gemacht werden. Diese zeigte starken Rassismus gegenüber der farbigen Bevölkerungsminderheit.

Die ersten Konzerte wurden von noch unbekannten Punk- und Reggae-Bands veranstaltet. Sie liefen unter den Mottos „ Love Music – Hate Racism “ und „ Nazis are no fun “. Teilnehmende Bands waren z.B. Clash, die Tom Robinson Band und später auch The Who und Elvis Costello. Bereits 1977 wurde das erste nationale Büro gegründet, das landesweite Kampagnen, Konzerte und Festivals organisierte. Als zwei Jahre später an einer Manifestation 80.000 Jugendliche teilnahmen, musste die Bewegung als ein bedeutender politischer Faktor im Leben Großbritanniens angesehen werden. Sie zerfiel jedoch bald darauf, da in der Bewegung die Zielsetzung zu umstritten war. Die Grundidee allerdings wurde in weiteren Initiativen, wie z.B. in „ rock against sexism “ oder „Rock gegen Rechts“ aufgegriffen.

1.2. Entstehung des Festivals

Seit 1974 fand jährlich am 17. Juni in Frankfurt am Main das Deutschlandtreffen der NPD statt. 1978 kam es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit ca. 10.000 Antifaschisten, die den Römerberg vor einer NPD-Kundgebung besetzt hatten. Um im folgenden Jahr die Gewalt zu vermeiden, gab es im März 1979 in der Grünen Liste Hessens eine Diskussion über die Probleme des Faschismus. In diesem Rahmen wurde die Bewegung „ rock against racism “ angesprochen. Abgesehen von dem großen Erfolg in Großbritannien sprachen noch drei weitere Gründe für eine ähnliche Aktion mit Rockmusik:

1. Die Annahme, dass „...Rockmusik... von ihrem Ursprung her Ausdruck von Protest gegen etwas Etabliertes...“[1] ist:
2. Mit der Rockmusik sollten perspektivlose und damit für neonazistisches Gedankengut anfälligere Jugendliche angesprochen werden.
3. Die Jugendlichen sollen durch die Rockmusik für die Schönheit und die Chancen des Lebens sensibilisiert werden und so nicht der Destruktivität und Unmenschlichkeit des Faschismus verfallen.

So entschied man sich, ein ähnliches Festival in Frankfurt durchzuführen. Schon seit dem Herbst 1978 existierte in Hamburg, eine von westdeutschen Musikern gegründete Initiative „ Rock gegen Rechts “. Man beschloss für das Festival zusammenzuarbeiten. Die Hamburger Initiative kümmerte sich dabei um die Gruppen aus ganz Deutschland, währenddessen die Grüne Liste Hessen Musiker aus Frankfurt am Main für die Aktion warb.

Mit der Hamburger Initiative kam es dabei jedoch zu Auseinandersetzungen. Sie wollten die bereits bekannte Gruppe Oktober nicht spielen lassen, da diese gegen ihre Grundeinstel-lung verstieß. Nach der Auffassung der Hamburger Initiative sollten bei dem Festival nur weniger bekannte Gruppen spielen. Eine weitere Schwierigkeit mit der Gruppe Oktober war deren Grundeinstellung zu politischer Musik. Oktober vertrat die Meinung, dass politische Musik erst mit der Sprache beginnt. Dem entgegen sieht die Hamburger Initiative bereits Instrumentalmusik als politische Musik an. In der Diskussion siegte der Veranstalter und Oktober durfte spielen.

Bei den Musikern kam es bei der direkten Planung zu einer aktiven Zusammenarbeit mit Den Straßenjungs, der Gruppe Octopus und dem Liedermacher Lerryn. Sie konkretisierten die technischen Dimensionen für die Konzerte, erstellten den Spielplan und kümmerten sich um das Tonstudio und die Lichtanlage.

Es wurden jedoch nicht nur Musiker zur Zusammenarbeit aufgerufen, sondern auch antifaschistische und andere politische Gruppen, sowie Einzelpersonen. So entwickelte sich die Zusammenarbeit zur Verhinderung eines Deutschlandtreffens zu einer Art Schmelztiegel. Es arbeiteten unter anderem Die Falken, die Grüne Liste Umweltschutz, Asta der Uni Frankfurt, die Stadtzeitung Pflasterstrand, das Sozialistische Büro, der Kommunistische Bund, die Ökologiegruppe Frankfurt, Pastoren, die Jusos, das Antifa-Bündnis und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes mit.

Am 16. und 17. Juni fand auf dem Rebstockgelände in Frankfurt am Main das Konzert „Rock gegen Rechts„ statt. Bevor das Konzert am 16. begann, wurde friedlich in der Stadt demonstriert. Insgesamt nahmen ca. 70.000 Menschen an dem Konzert teil.

1.3. Konsequenzen

Nach diesem Konzert kommt es noch zu mehreren Konzerten und Manifestationen gegen die Kandidatur von Franz Josef Strauß, der für die CSU als Bundeskanzler für die Bundestagswahl 1980 kandidierte. Das Festival im Juni blieb allerdings die größte Aktion im Rahmen „ Rock gegen Rechts “. Danach bricht das Bündnis im Großen und Ganzen auseinander, da sich die verschiedenen Gruppierungen nicht auf eine gemeinsame Position einigen können.

Rock gegen Rechts “ verhalf den unbekannten Musikern aus ihrer lokalen Isolation heraus, indem es Probenräume oder Auftrittsmöglichkeiten organisierte. Außerdem unterstütze es den Aufbau von unabhängigen Plattenvertriebsnetzen. Damit half „ Rock gegen Rechts “ in der Bundesrepublik Deutschland eine eigenständige Rockmusik zu entwickeln. Von dieser Entwicklung gingen Impulse auf die Neue Deutsche Welle aus. Eine Art Fortsetzung fand das Bündnis später in der Friedensbewegung der ehemaligen DDR.

Bekannte Musiker des Genres waren: Flog de Cologne, Backboard, Udo Lindenberg, Franz K., Extrabreit und Die Gebrüder Engel.

2. Wie kann Rock „gegen Rechts„ sein?

2.1 Ist Protestmusik nur eine Einbildung?

Günther Jacob erarbeitet in seinem Diskurs „ Was ist ein Protestsong? “ den Gedanken, dass ein kollektives Phantasma nötig ist, damit im Hörer „...die Illusion von realer Anwesenheit solcher Verfassungen [z.B. einer depressiven Gemütsverfassung] und [politischer] Haltungen produziert [wird]. Dieses Phantasma lässt sich im Prinzip ebenso ein- und ausschalten, wie man eine „depressive“ gegen eine „radikale“ CD austauschen kann.“[2] Diese Auffassung würde bedeuten, dass die Wahrnehmung eines Stückes als Protestsong, nur dadurch möglich ist, dass der Mensch, ausgelöst durch die Musik, sich Phantasmen erstellt.

Der Mensch interpretiert demnach eine Haltung in die Musik hinein, ohne dass die Musik sie selber leistet. Weiterhin merkt Günther Jacob an, dass die Bedeutung jeder Musik durch die Kurzweiligkeit der Stücke sehr instabil ist. So muss die Musik erst einige Male wiederholt werden, bevor sie ihre Wirkung entfalten kann. Doch dann setzt sie Gefühle im Zuhörer aus, die ihn psychisch zu einem Teil des Stückes machen. „Die Psyche tritt zu einem transzendenten Erlebnis an. Man durchlebt verschiedene Stimmungen und ist doch nicht involviert oder zu einer konkreten Handlung aufgefordert.“[3] Der Protestsong erstellt also nur ein „Bild“ von bestimmten politischen Situationen, die nicht real sind. Da die Annahme einer politischen Haltung durch die Phantasmen entstehen, ist nicht anzunehmen, dass nicht politisch engagierte Menschen durch Protestsongs mobilisiert werden können. Für diese Menschen ist die Protestmusik nur eine Form der Unterhalt. Sie konsumieren die Musik z.B., weil ihnen die Musik unabhängig vom Text gefällt. Doch auch nicht jeder Musiker hat selbst das Ideal mit seiner Protestmusik tatsächlich seine Zuhörer zu mobilisieren. So muss man sich klar machen, dass die meiste Musik nur dazu da ist, die sozialen und politischen Probleme für die Massen genießbar zu machen.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob überhaupt von politischer Musik gesprochen werden kann. Adorno unterstellt der Musik sogar, sie sei eine Hure, indifferent gegenüber politischen Haltungen. Vollkommen abwegig ist diese These nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass heute ein großer Teil der linken Rock- und Punkmusik rein musikalisch nicht von der rechten Rockmusik zu unterscheiden ist. Selbst die Texte haben eine Gemeinsamkeit nämlich ihre abstruse Radikalität. Betrachtet man die Tatsache, dass ein und dieselbe Musikrichtung zwei völlig konträre politische Haltungen transportieren kann, so muss man sich fragen, wieso Rockmusik als politisch angesehen werden kann und warum sie so gerne zur Transportierung politischer Positionen eingesetzt wird.

Ein Ansatz dafür, ob es politische Rockmusik gibt, könnte in der Bedeutung des kulturellen Umfeldes der Musik liegen. Hier stellt Günther Jacob nämlich fest, dass sowohl jeder einzelne Ton für sich genommen, als auch einzelne Klangfolgen, an sich, nicht politisch sind. Sie sind neutral und beziehen keine Position. Da die Töne jedoch in einem kulturellen Raum erklingen, der durch bestimmte Strukturprinzipien und Tonfolgen geprägt ist, können die Töne nicht mehr als neutral angesehen werden. Es wird ihnen aus ihrem kulturellen Umfeld eine Bedeutung zugeschrieben. Damit erstellt das kulturelle Umfeld die Aussage der Musik, nicht aber die Musik selber.

2.2. Autonomie von Musik

Ausgehend von Günther Jacobs Theorie, dass die Wahrnehmung politischer Musik in den Köpfen der Hörer nur durch Phantasmen, bzw. durch einen bestimmten kulturellen Raum entstehen kann, muss man sich dann von der Idee der politischen Musik verabschieden? Ich persönlich denke nicht, dass dies nötig ist. Meiner Überzeugung nach gibt es Rockmusik mit politischer Haltung. Das Erfolgskonzept lautet die Autonomie der Musik und der Politik zu beachten. Es darf nicht sein, dass „akustische Protestsongs ebenso gut als Schlaflieder... [oder] politische Bluesstücke als Tanzmusik taugen können“[4]. Um dies zu erreichen, muss die Musik autonom bleiben und es muss klar sein, dass keine Musik und auch kein Rockfestival, wie „ Rock gegen Rechts “, politisches Handeln ersetzten kann. Die Musik kann nur übermitteln und Impulse setzen.

Was bedeutet „Autonomie der Musik“?

Die Musik muss ihre Freiheit behalten und „natürlich“ bleiben. Ihre Freiheit behalten, beinhaltet sich weder der Politik, noch der Industrie zu unterwerfen. Sie muss sich selber dienen. Nur so kann sie zu einer Produktivkraft werden, die Impulse für eine politische Befreiung übermitteln kann. Trotz dieser Freiheit muss sich die Musik ihrer Macht bewusst sein.

[...]


[1] Jens Mattaes, Rock gegen Rechts, Musik als politisches Instrument, hg. von Bernd Leukert, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main im Mai 1980, S.21

[2] http://www.t0.or.at/~oliver/protes15.htm

[3] http://www.t0.or.at/~oliver/protes15.htm

[4] http://www.t0.or.at/~oliver/protes16.htm

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Existiert politische Haltung in linker Rockmusik?
Untertitel
Eine Analyse am Beispiel von „Rock gegen Rechts“ 1979
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltung
Popmusik und Politik
Jahr
2002
Seiten
15
Katalognummer
V129543
ISBN (eBook)
9783640358489
ISBN (Buch)
9783640358014
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Existiert, Haltung, Rockmusik, Eine, Analyse, Beispiel, Rechts“
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Existiert politische Haltung in linker Rockmusik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129543

Kommentare

  • Gast am 16.5.2010

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