Wird es einen baldigen Rückzug aus dem Irak geben? Der Versuch einer Prognose mithilfe der Vetospielertheorie


Hausarbeit, 2006

19 Seiten, Note: 1,0

Manuel Andersch (Autor:in)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Grundannahmen und Konzepte
2.2. Definition und Arten von Vetospielern
2.3. Beziehung zwischen Vetospielern und Staatstätigkeit
2.4. Zusammenfassung der Theorie
2.5. Konstruktive Kritik

3. Fallanalyse
3.1. Verfassungsrechtlicher Rahmen
3.2. Erfassen der Vetospieler
3.3. Distanz der Vetospieler
3.4. Kohäsion
3.5. Zusammenfassung der Fallanalyse

4. Schlussbemerkung

1. Einleitung

Der jüngste Irakkrieg sorgte zunächst vor allem auf der internationalen Ebene für Zündstoff, konkret zwischen den USA auf der einen und den Europäern und den Vereinten Nationen auf der anderen Seite. Innenpolitisch herrschte in den USA allerdings weitestgehend Konsens über das Vorhaben im Irak. Denn die Ermächtigungsresolution zum Einsatz militärischer Gewalt gegen den Irak im Oktober 2002 wurde in beiden Kammern des Kongresses mit einer großen Mehrheit verabschiedet. Im Repräsentantenhaus wurde die „Joint Resolution to Authorize the Use of United States Armed Forces“ mit 296:133, im Senat mit 77:23 Stimmen verabschiedet.1 Ein Erklärungsansatz dafür ist der „rally around the flag-Effekt“, der dem Präsidenten und seiner Administration genügend politisches Kapital bescherte, um diesen heiklen Krieg führen zu können. Es soll hier nicht erneut die Palette der Unwahrheiten bzgl. Massenvernichtungswaffen und Beziehungen Saddam Husseins zum Al-Qaida-Netzwerk diskutiert werden. Diese waren sicherlich notwendige Essenzialen eines Patriotismus-Angst-Gemisches, auf welchem der„rally around the flag-Effekt“ basierte. Es geht vielmehr darum, zu prognostizieren, ob ein Rückzug aus dem Irakkrieg stattfinden könnte und, wenn möglich, sogar zu bestimmen, ob er es wird. Anstoß hierfür sind die tagespolitischen Geschehnisse in den USA, in denen erstmals die politischen Institutionen Senat und Abgeordnetenhaus einen Abzug der Truppen aus dem Irak fordern. Wenn dabei von einem Abzug aus dem Irak die Rede ist, dann bezieht sich dies auf einen absehbaren Abzug. Denn dass die Amerikaner irgendwann aus dem Irak abziehen müssen, liegt in der Natur der Sache, da jede – wenn man diesen etwas normativ angehauchten Begriff verwenden will – Besatzung endlich ist. Als theoretisches Fundament für diese Prognose dient die Vetospielertheorie von George Tsebelis.2 Die zentrale Argumentationsbasis ist die Vetospielerkonstellation im politischen System der USA. „Konstellation“ bezieht sich diesbezüglich auf zwei zentrale Aspekte: Wie viele Vetospieler gibt es und in welchem Abstand stehen sie zueinander? Dem dritten Aspekt der internen Geschlossenheit der Vetospieler wird – wie zu zeigen sein wird – in der konkret zu behandelnden Gemengelage keine große Bedeutung zukommen. Die Zielsetzung ist also, die Möglichkeit eines Politikwechsels in der Irakpolitik zu untersuchen. Die konkrete These lautet dabei, dass aufgrund der aktuellen Vetospielerkonstellation ein Abzug aus dem Irak unter George W. Bush als Präsident und Vetospieler nicht möglich ist.

Die Arbeit teilt sich in einen Theorieteil und einen Empirieteil auf. Im Theorieteil sollen die theoretischen Grundlagen dargestellt werden. Dabei wurde versucht, nur so viel Formalismus wie nötig zu verwenden. Im Empirieteil soll dann das theoretische Wissen auf die politische Großwetterlage hinsichtlich eines möglichen Abzugs aus dem Irak in Form einer Fallanalyse angewendet werden.

2. Theoretische Grundlagen

Tsebelis’ Kernaussage ist, dass für Änderungen des legislativen Status quo (im Folgenden SQ) die Zustimmung einer bestimmten Anzahl an individuellen oder kollektiven Akteure notwendig ist.3 Diese Akteure bezeichnet Tsebelis als Vetospieler. Im Mittelpunkt steht somit die Untersuchung des von Vetospielern ausgehenden Blockadepotentials in einem politischen System. Diese Akteure können für die niedrige bzw. nicht vorhandene Outputleistung eines politischen Systems verantwortlich gemacht werden.4 Die Vetospieler sind in Tsebelis’ Theorie die unabhängige Variable, wohingegen die Unfähigkeit bzw. positiv gewendet die Fähigkeit zum Politikwandel5 die abhängige Variable darstellt. Der Anwendungsbereich der Theorie umfasst den Wandel auf einem bestimmten Politikfeld, eine einzelne Reform aber auch das Politikwechselpotenzial politischer Systeme im Allgemeinen. Die Theorie kann dabei auf ein einzelnes Land angewendet werden oder als Vergleichsrahmen für mehrere Länder dienen.6 Jenseits von Dichotomien wie der klassischen Unterscheidung in präsidentielle und parlamentarische Regierungssysteme oder der Unterteilung in Mehrheits-und Konkordanzdemokratien liefert Tsebelis’ Ansatz einen analytischen Werkzeugkasten zum Vergleich politischer Systeme hinsichtlich ihrer Steuerungsfähigkeit. Politische Systeme werden lediglich auf ihre jeweilige Vetospielerarrangements und den damit verbundenen Implikationen für die Reformfähigkeit verglichen. Insbesondere die nach klassischen Charakterisierungen hybriden politischen Systeme wie z.B. das der USA können so besser verglichen werden. Legt man das Vetospielerkonzept als Vergleichsraster über politische Systeme, kommt es aufgrund der neuen Einteilungskriterien zu anders gelagerten systemischen Ähnlichkeiten politischer Systeme. Das bedeutet bswp., dass „according to the veto players’ theory, the United States and Italy are categorized together as countries with multiple veto players [...]7.

Dieser kleine Exkurs zur Leistungsfähigkeit der Theorie für die vergleichende Politikwissenschaft diente dazu, aufzuzeigen, dass die Vetospielertheorie nicht nur auf Fallstudien innerhalb eines politischen Systems anwendbar ist. Zumal vor allem die Nutzungsmöglichkeiten für die vergleichende Politikwissenschaft die Theorie bekannt gemacht haben. Für die vorliegende Arbeit dient die Theorie allerdings für die Analyse einer konkreten politischen Entscheidung innerhalb eines politischen Systems. Bevor der Inhalt der Theorie en détail vorgestellt wird, müssen zunächst die Axiome und Konzepte, auf denen die Theorie fußt, vorgestellt werden.

2.1. Grundannahmen und Konzepte

Dem Vetospieler-Konzept liegt die Rational-Choice-Theorie zugrunde, denn die politischen Akteure handeln bei Tsebelis strikt nach ihren Interessen. Strittig ist dabei allerdings, inwiefern die Theorie als spieltheoretisch bezeichnet werden kann.8 Spieltheoretisch fundiert wäre sie, wenn die Akteure bei ihrem Handeln die Präferenzen anderer Akteure mitberücksichtigen würden. Dies ist allerdings nicht der Fall, da sich die Vetospieler bei Tsebelis ausschließlich an ihren eigenen Idealpunkten orientieren. Tsebelis leitet seine Hypothesen anhand einfacher mathematischer Darstellungen ab. Jeder Vetospieler hat hinsichtlich einer möglichen Veränderung des policy-SQ eine Wunschvorstellung von einem zukünftigen SQ, welche er anstrebt. In Abbildung 1 wäre diese Idealposition der Punkt 1. Der Kreis um 1 ist eine kreisförmige Indifferenzkurve. Zu allen Punkten – d.h. policy-Zuständen – auf dieser Kreislinie ist der Vetospieler gleich indifferent, da sie alle den gleichen Abstand zum Mittelpunkt 1 haben. Würde der neue SQ auf dieser Kreislinie liegen, gäbe es für den Vetospieler keinen Anreiz, den alten SQ zu überwinden, insbesondere wenn man Transaktionskosten miteinbeziehen würde.9 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Tsebelis aufgrund von Problematiken bei der Operationalisierung Transaktionskosten unbeachtet lässt.10 Konkret würde dies bedeuten, dass 1 gegenüber den policy-Positionen X und Y indifferent wäre. Gegenüber Z wäre 1 nicht einmal mehr indifferent, wohingegen P eine anstrebenswerte Änderung des SQ für ihn darstellen würde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bezieht man mehrere Vetospieler mit ein, lassen sich die zwei zentralen Konzepte des „core“ und des „winset“ veranschaulichen. In Abbildung 2 haben die Indifferenzkurven um A, B und

C durch SQ1 eine gemeinsame Schnittmenge: das winset (straffierte Fläche). Punkte – d.h. neue policy-Zustände – innerhalb dieser Schnittmenge sind für alle Vetospieler besser als der jetzige Zustand, weshalb sie kein Veto einlegen werden. Das winset lässt sich definieren als “the set of outcomes that can defeat the status quo”11. Wohingegen das “core” das “set of points with empty winset“12 ist. In Abbildung 2 ist dies das graue Dreieck. Es ist gut zu erkennen, dass es für SQ2, der innerhalb des Dreieckes ABC liegt, keine Schnittmenge gibt. Mit diesem mathematischen Modell kann geometrisch bestimmt werden, ob ein Vorschlag zur Veränderung des SQ führen wird oder nicht – nämlich dann, wenn er innerhalb des winsets liegt.13 Winset und core sind somit Indikatoren für die Reformfähigkeit eines politischen Systems. Beide Indikatoren sind „highly correlated“14, wobei sich das „higly“ darauf bezieht, dass es spezielle Positionen des SQ gibt, in der diese Korrelation nicht gilt. . Dies kann im Rahmen dieser Arbeit aber vernachlässigt werden kann.

2.2. Definition und Arten von Vetospielern

Vetospieler werden von Tsebelis definiert als „individual or collective actors whose agreement is necessary for a change of the status quo”15. Vetospieler unterscheiden sich zudem danach, ob sie institutionelle oder parteipolitische Vetospieler sind. Institutionelle Vetospieler sind “individual or collective veto players specified by the constitution”16. Beliebtes Beispiel dafür ist der Präsident der USA.

[...]


1 Vgl. Wilzewski, Jürgen: Die Bush-Doktrin, der Irakkrieg und die amerikanische Demokratie, in: Politik und Zeitgeschichte, (45) 2004, S. 24-32, S. 30.

2 Vgl. als Gesamtwerk Tsebelis, George: Veto players. How Political Institutions Work, Princeton: Princeton University Press, 2002.

3 Vgl. Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 2.

4 Vgl. Strohmeier, Gerd: Vetospieler – Garanten des Gemeinwohls und Ursachen des Reformstaus, Baden-Baden: Nomos Verlag, 2005, S. 11.

5 Tsebelis spricht von „policy stability“, wenn er auf die Reformunfähigkeit abzielt.

6 Vgl. Merkel, Wolfgang: Institutionen und Reformpolitik. Drei Fallstudien zur Vetospieler-Theorie. In: Christoph Egle/ Tobias Ostheim/ Reimut Zohlnhöfer (Hrsg.): Das rot-grüne Projekt. Eine Bilanz der Regierung Schröder 1998 – 2002, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2003, S. 163-192, S. 164.

7 Tsebelis, George: Veto Players and Law Production in Parliamentary Democracies: An Empirical Analysis, in: American Political Science Review, (93) 199, S. 591-608, S. 591.

8 Eine spieltheoretische Ausprägung sieht z.B. Wolf, vgl. Wolf, Sebastian: Ein „ganzheitlicher“ Ansatz zur Analyse politischer Institutionen? In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (35) 2004, S. 184-185, S. 184

9 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 22

10 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 29

11 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 21

12 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 21

13 Vgl. Kaiser, André: Beitrag Tsebelis, in: Steffen Kailitz (Hrsg.): Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, Wiesbaden: VS-Verlag, 2005, online unter: http://www.politik.uni-koeln.de/kaiser/Publikationen/Working%20Papers/Tsebelis.pdf [16.04.2007]

14 Tsebelis, Veto Players, 2002, S.30

15 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 19.

16 Tsebelis, Veto Players, 2002, S. 79.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wird es einen baldigen Rückzug aus dem Irak geben? Der Versuch einer Prognose mithilfe der Vetospielertheorie
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V130094
ISBN (eBook)
9783640406555
ISBN (Buch)
9783640406876
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wird, Rückzug, Irak, Versuch, Prognose, Vetospielertheorie
Arbeit zitieren
Manuel Andersch (Autor:in), 2006, Wird es einen baldigen Rückzug aus dem Irak geben? Der Versuch einer Prognose mithilfe der Vetospielertheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130094

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