Gibt es die Wiederkehr der Götter?

Über die Stellung der Religion in der modernen Gesellschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einführung

2. Begriffliche Annäherung
2.1 Was ist Säkularisierung?
2.2 Religion in der modernen Gesellschaft
2.2.1 Zum Begriff „Religion“
2.2.2 Die „Moderne“
2.2.3 Zum Verhältnis von Religion und Moderne

3. Religionssoziologische Modelle
3.1. Die Säkularisierungsthese
3.2 Individualisierungsthese
3.3 Das ökonomische Marktmodell

4. Kritische Betrachtungen
4.1 Joas Kritik an der „postsäkularen Gesellschaft“
4.1.1 Der Sonderfall Europa
4.2 Die Kritik an der Säkularisierungsthese – zu Recht?

5. Fazit

6. Literatur

1. Einführung

Die Modernisierung führe zu einem Bedeutungsverlust der Religion innerhalb der modernen Gesellschaft. Vor wenigen Jahrzehnten war die Idee, die einen Zusammenhang zwischen Moderne und Säkularisierung impliziert, eine anerkannte These in den Sozialwissenschaften. Mit dieser Hypothese berief man sich auf Ideen von Max Weber und Emile Durkheim, die mitunter inhaltlich als Begründer der Säkularisierungsthese gelten. Die Bedeutung von Religion und Kirche nehme in der modernen Gesellschaft ab und würde zurückgehen im Zuge der Modernisierung.

Rationalisierung[1], Industrialisierung, Urbanisierung, Mobilisierung[2] und die Auflösung der traditionalen Bindungen[3] seien Charakteristika dieser Moderne und der Modernisierung.

Lange Zeit wurde in den Sozialwissenschaften von der gänzlichen Säkularisierung der Gesellschaften in der Moderne gesprochen. In den aktuellen sozialwissenschaftlichen Veröffentlichen jedoch scheint davon kaum noch die Rede zu sein. Die abnehmende Relevanz von Religion in modernen Gesellschaften mutet fragwürdig an, betrachtet man die gegenwärtigen politischen Konfliktlinien und Diskurse auf globaler Ebene. Man spricht von „De-Säkularisierung“, „Re-Spiritualisierung“ und sogar von einer „Wiederkehr der Götter“.

Es war Jürgen Habermas der im Herbst des Jahres 2001[4] in seiner Dankesrede beim Deutschen Friedenspreis des Buchhandels erstmals von der „post-säkularen Gesellschaft“ sprach. Von einer Gesellschaft,

„die sich auf das Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Umgebung einstellt.“

Dahinter verbirgt sich ein gänzlich neues Verständnis von Säkularisierung. Dessen ungeachtet gibt es auch Theoretiker wie Hans Joas. Dieser bestreitet, dass es jemals zu einem solchen Phänomen wie der Säkularisierung gekommen sei. Das bedeutet, Joas konsequent folgend, dass es auch keine „postsäkulare Gesellschaft“, wie Habermas sie zeichnet, geben kann.

„Von einer abnehmenden Bedeutung der Religion kann in globaler Perspektive keine Rede sein.“[5]

Die Annahme, die Jahrzehnte fast unhinterfragt geglaubt und rezipiert wurde, dass Religion in der modernen Gesellschaft eine untergeordnetere Rolle spielen wird als in der Vormoderne, ist nun in Frage gestellt und nur wenige Sozialwissenschaftler möchten ihr heute noch zustimmen. Dennoch, es finden sich Theoretiker, die bedeutende Argumente für die Säkularisierung der Gesellschaft darzulegen wissen.

Im Folgenden soll die These der Säkularisierung der modernen Gesellschaft überprüft und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet sowie deren Kritiker benannt und diskutiert werden. Andere Thesen, die die Stellung der Religion in der modernen Gesellschaft beschreiben, werden dargelegt um vergleichend die Plausibilität von Säkularisierung und postsäkularer Gesellschaft bemessen zu können. Die Begrifflichkeiten „Moderne“ und „Religion“ sollen in einer Annäherung erklärt werden um auf das Verhältnis von Moderne und Religion Bezug nehmen zu können.

Diese Arbeit findet Argumente, die sich der Säkularisierungstheorie anschließen, aber auch Argumente, um diese zu widerlegen und um sich schlussendlich in der aktuellen Diskussion positionieren zu können und eine Antwort auf die Frage, ob es „Die Wiederkehr der Götter[6] - wie der Titel eines Buches des Religionssoziologen Friedrich W. Graf pointiert - in die heutige Zeit gibt, zu finden.

2. Begriffliche Annäherung

Insbesondere in einem Diskurs, der sich um all zu oft verwendete und missverstandene Begrifflichkeiten wie Religion, Moderne und Säkularisierung spannt, ist es von Bedeutung diese Begrifflichkeiten und das Verhältnis von Religion und Moderne klar zu erläutern. Der folgende Abschnitt setzt sich mit den Deutungsmöglichkeiten der benannten Begrifflichkeiten auseinander und erläutert die Interpretation, die für die folgenden Darstellungen von Bedeutung sind.

2.1 Was ist Säkularisierung?

Zunächst war der Begriff der Säkularisierung ein Rechtbegriff, der den Wechsel von Ordensmitgliedern zu „Weltpriestern“ beschrieb und wurde erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur sozialwissenschaftlichen Beschreibung von Gesellschaften gebraucht.

Säkularisierung kann also zunächst einmal als „Verweltlichung“ gedeutet werden, denn sie beschreibt die steigenden Ablösungsprozesse des Individuums, der Gesellschaft selbst und des Staates von Religionsgemeinschaften und Einflüssen der Kirche. Zudem verlieren traditionelle religiöse Glaubensinhalte, Moralvorstellungen, Sanktionsmechanismen und Verhaltensweisen an Relevanz im Normensystem der Gesellschaft.[7]

Dennoch, eine einheitliche Definition von diesem gesellschaftlichen Phänomen „Säkularisierung“ besteht nicht. Der spanisch-amerikanische Religionssoziologe José Casanova hält drei Bedeutungen von Säkularisierung fest. Sie beschriebe erstens den Rückgang der Bedeutung der Religion innerhalb der Gesellschaft, zweitens den Rückzug der Religion aus dem öffentlichen Raum und drittens die Freisetzung gesellschaftlicher Teilbereiche von direkter religiöser Kontrolle.[8]

2.2 Religion in der modernen Gesellschaft

2.2.1 Zum Begriff „Religion“

Das Verständnis von Religion scheint zunächst nicht sonderlich komplex. Doch bei genauerer Betrachtung kann Religion auf verschiedene Weisen verstanden werden. Es kann sich dabei erstens um eine reine Glaubenseinstellung handeln, zweitens um die Häufigkeit oder Intensität der Teilnahme an religiösen Praktiken oder Ritualen und letztlich auch um die reine Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft. Es wäre jedoch ein Trugschluss anzunehmen, dass die Abnahme eines Kriteriums die Zunahme eines anderen Kriteriums nach sich zieht.[9]

Jegliche Formen der Religionen stellen Deutungssysteme für die gläubigen Anhänger der Religion. Aufgabe und Ziel von Religion ist es ein Bild des „Ganzen“ zu liefern und sie hat somit ihre primäre Aufgabe in der Kontingenzbewältigung.

Die Frage, wann eine Glaubensgemeinschaft oder Glaubensrichtung schon eine bzw. noch eine Gemeinschaft mit sektenhaften Zügen darstellt soll an dieser Stelle nicht erörtert werden.

2.2.2 Die „Moderne“

Beschäftigt man sich mit der Frage der Stellung der Religion innerhalb der heutigen Gesellschaft, so kommt man nicht um den Begriff der „Modernisierung“ herum. Die Modernisierung stehe in einem Spannungsverhältnis zur Religion in modernen Gesellschaften. Um darzustellen was moderne Gesellschaften auszeichnet arbeitet Detlef Pollack hierzu fünf wesentliche Merkmale moderner Gesellschaften heraus.

1. Die Erhöhung des Wohlstandsniveaus und der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. Diese zwei gesellschaftlichen Mechanismen bewirken auf der einen Seite einen Abhängigkeitsabbau, haben andererseits jedoch auch einen individuellen Kontrollverlust zur Folge.
2. Die funktionale Differenzierung beschreibt den Prozess in dem sich gesellschaftliche Teilbereiche voneinander abkoppeln und sich unabhängig voneinander weiterentwickeln. Dadurch verlieren gesamtgesellschaftliche Werte, Werte, die bisher für alle Teilbereiche der Gesellschaft gültig waren, an Bedeutung. Allerdings bringt diese Abkoppelung auch eine Abhängigkeit der Teilbereiche untereinander mit sich, aufgrund der hohen Spezifizierung. Somit stehen die differenzierten Systeme in einem autonomen Austauschverhältnis zueinander.
3. Da der Lebensstil und die soziale Lage eines Individuums freier gewählt und individuell und unabhängig von der Herkunft verändert werden können, als dies in vormodernen Gesellschaften möglich war, spricht Pollack von der Individualisierung als Kennzeichen der Moderne. Trotz bestehender gesellschaftlicher Grenzen kann sich das Individuum emanzipieren.
4. Als weiteres Kennzeichen der Moderne identifiziert Pollack die Pluralisierung kultureller Orientierungen und der Identitäten. Die Konkurrenz verschiedenster kultureller Konzepte und damit auch religiöser Möglichkeiten dominiere das gesellschaftliche Bild von Religion.
5. Das erhöhte Maß an Mobilität und die vielfältigen Kommunikationsmittel der modernen Gesellschaften hätten zudem Prozesse der Horizonterweiterung in die Wege geleitet. Die Erweiterung der Kontaktmöglichkeiten weltweit, haben dazu geführt, dass der moderne Mensch verschiedene Perspektiven vergleichen, prüfen und reflektieren kann, so dass an die Stelle der vormodernen Gewissheit die Reflexion tritt.[10]

2.2.3 Zum Verhältnis von Religion und Moderne

Das Spannungsverhältnis von Religion und Moderne ist besonders vielfältig in den Konsequenzen für die Religion in der Moderne. Auf der einen Seite stehen die positiven Konsequenzen, die der Religion und religiösen Gemeinschaften tendenziell zum Vorteil sind und diese stärken und andererseits die negativen Konsequenzen, die das Gegenteil bewirken.

Zum einen kann der Zuwachs der nicht-religiösen Teilsysteme, die durch die funktionale Differenzierung entstehen, auch einen Zuwachs der religiösen Subsysteme initiieren. Hierbei würde der Glaube des Individuums in den Vordergrund treten und hätte eine Stärkung der Religion zur Folge. Zudem entstehe individuelle Religiosität ganz und gar unabhängig von gesellschaftlich etablierten Institutionen. Die erhöhte Eigenverantwortung im Glauben macht persönliches Engagement des Gläubigen nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Dieses persönliche Engagement kann sich zusätzlich positiv auf die religiöse Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft auswirken. Monopolbildungen im religiösen Bereich berauben diese zumindest im Ansatz ihrer Vitalität. Plurale Möglichkeiten des Individuums hingegen führen zu mehr Reflektiertheit und zeitgemäßen Veränderungen in den Strukturen der Religionsgemeinschaft. Veränderungen innerhalb der Gesellschaft haben den Wertekosmos von materialistischen Werten hin zu postmaterialistischen Werten geformt. Sinnfragen und der Wunsch nach Selbstverwirklichung sind in den Vordergrund gerückt worden und betreffen fast jedes Individuum. Religion könnte hierbei die Chance nutzen und sich als Helfer bei Orientierungslosigkeit in den Pluralen Lebenswelten der modernen Gesellschaft selbst neu definieren.

Jedoch sind es ebenfalls die pluralen Lebenswelten, die das Funktionssystem Religion immens schwächen können, da dieses dem Mensch nicht mehr insgesamt und auf alle Lebensbereiche bezogen eine einheitliche Orientierungshilfe bereitstellen kann. Die voranschreitende Individualisierung zwingt den Menschen immer häufiger unabhängig von Religion Entscheidungen zu treffen. Als Folge dieser absinkenden Unterstützungsleistung werden religiöse Überzeugungen kritischer betrachtet und in Frage gestellt. Da Risiken in modernen Gesellschaften kontrollierbarer sind als in vormoderner Zeit sinkt gleichzeitig auch das Bedürfnis nach Sicherheit durch religiöse Identifikation.

3. Religionssoziologische Modelle

Um Religion in der modernen Gesellschaft verorten zu können gibt es zudem verschiedene theoretische Ansätze von denen im Folgenden drei Theorien dargestellt werden sollen. Die Theorien machen verständlich inwieweit Religion von verschiedenen Theoretikern verstanden wird und liefert das argumentative Werkzeug für die Diskussion um säkularisierte Gesellschaften.

3.1. Die Säkularisierungsthese

Die These der Säkularisierung geht maßgeblich auf die Arbeiten der Soziologen Max Weber und Emile Durkheim zurück. Darin beschreiben sie den Bedeutungsverlust, den Religion in der modernen Gesellschaft zu bewältigen habe. Religion könne in der Moderne keine verbindlichen Weltanschauungen mehr bieten und verliere somit an Bedeutsamkeit für das Individuum.

Weber spricht von Säkularisierung als dem, für die moderne Gesellschaft typischen, Konflikt verschiedener Wertsphären. Durkheim wiederum sieht den Grund der Säkularisierung in den Formen der Differenzierung und der Arbeitsteilung der Moderne. Einig sind sich die Soziologen in de Auffassung, dass religiöse Weltanschauungen und Praktiken in die Peripherie der Gesellschaft verschoben werden. Wertvermittlung findet nun über andere soziale Instanzen und Institutionen der Gesellschaft statt.

Im Gegensatz zu Auguste Comte jedoch sagen weder Durkheim noch Weber den Untergang der Religion und ihren Ersatz durch die Wissenschaft voraus, sondern sie prognostizieren lediglich, dass die Modernisierungsprozesse nicht spurlos an religiösen Traditionen und Institutionen vorbei gehen werde.

[...]


[1] Vgl. Max Weber

[2] Vgl. David Martin

[3] Vgl. Johannes Berger

[4] Nur kurze Zeit nach den Anschlägen des 11. September 2001

[5] Joas, H. (2004) S. 123

[6] Friedrich Wilhelm Graf (2004): „Die Wiederkehr der Götter. – Religion in der modernen Kultur“

[7] Vgl. Hillmann, K.-H. (1994). Stichwort „Säkularisierung“

[8] Vgl. Walter, P. (2007) S. 10-11

[9] Vgl. Walter, P (2007) S. 11

[10] Vgl. Walter, P. (2007). S. 28-37

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Gibt es die Wiederkehr der Götter?
Untertitel
Über die Stellung der Religion in der modernen Gesellschaft
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Soziologie)
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V131226
ISBN (eBook)
9783640372911
ISBN (Buch)
9783640372836
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gibt, Wiederkehr, Götter, Stellung, Religion, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Beate Jaschik (Autor:in), 2009, Gibt es die Wiederkehr der Götter?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131226

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