Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
III. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Organisationsentwicklung - Ein Überblick
2.1 Das Fundament der Organisationsentwicklung - Begriffe und Konzepte
2.2 Idealtypischer Organisationsentwicklungsprozess
3. Industrie 4.0
3.1 Merkmale und Prinzipien von Industrie 4.0
3.2 Wandel der Arbeitswelt im Kontext von Industrie 4.0
3.2.1 Beschäftigungseffekte
3.2.2 Arbeitsorganisation und Kompetenzverschiebung
3.2.3 Flexibilisierung der Arbeitswelt
4. Veränderung von Organisationsentwicklung im Kontext von Industrie 4.0
4.1 Datengestützte Organisationsentwicklung
4.2 Agile Organisationsentwicklung
4.3 Vernetzte Organisationsentwicklung
4.4 Binnenorganisatorische Logik der Organisationsentwicklung
4.5 Kompetenzgeleitete Organisationsentwicklung
4.6 Internationalisierungstendenz der Organisationsentwicklung
5. Schlussbetrachtung und offene Diskussion
A. Literaturverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Phasenmodell der Organisationsentwicklung nach Elbe & Sam
Abbildung 2: Prozessablauf der Organisationsentwicklung nach Schiersmann & Thiel
Abbildung 3: Die vier Stufen der Industriellen Revolution
Abbildung 4: Arbeitszeit 4.0
Abbildung 5: 6 Dimensionen von Organisationsentwicklung 4.0
III. Abkürzungsverzeichnis
beziehungsweise
circa cyber-physisches System eingetragener Verein et alii; und andere
et cetera
folgende
fortfolgende
gegebenenfalls
gegenüber
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Human Resources
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Internet of Things
Interview 1; Interview 2
Künstliche Intelligenz Mergers&Acquisitions Nummer
Organisationsentwicklung
Seite
und andere; unter anderem
und so weiter
vergleiche zum Beispiel Prozent und
1. Einleitung
Die technologische Revolution im Kontext von Industrie 4.0 und die damit einhergehenden Veränderungen in den Dimensionen Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen auch organisationale und soziale Transformationsprozesse (vgl. Roth 2016: 2f.). Der Entwicklungsprozess zu Industrie 4.0 ist demnach auch durch einen strukturell-organisationalen und mentalen Veränderungsprozess gekennzeichnet, welcher die gesamte Organisation und die darin befindlichen Rollen, das Führungsverständnis, die Unternehmenskultur, Prozesse und damit auch die Organisationsentwicklung auf den Prüfstand stellen (vgl. Goschy & Rohrbach 2017: 4).
Zum einen spielen strategische Organisationsentwicklungsprozesse hinsichtlich der Umsetzung von Industrie 4.0 eine große Rolle (vgl. Goschy & Rohrbach 2017: 4). Zum anderen beeinflusst auch eine Veränderung in den Bereichen Wirtschaft, Organisation und Gesellschaft die Art und Weise, in der Organisationen sich verändern müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern (vgl. Goschy & Rohrbach 2017: 4).
Das Kunstwort Organisationsentwicklung 4.0 spielt dabei auf eine mögliche Veränderung von Prinzipien, Prozessen oder Strategien der Organisationsentwicklung hinsichtlich der vierten industriellen Revolution an. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern sich Organisationsentwicklung im Kontext von Industrie 4.0 verändert.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird in einem ersten Schritt der Status quo der Organisationsentwicklung dargestellt und in diesem Zusammenhang auf grundlegende Begriffe und Konzepte sowie die Vorstellung eines idealtypischen Organisationsentwicklungsprozesses eingegangen. Im Folgenden wird der Themenkomplex Industrie 4.0 vorgestellt und der Einfluss von Industrie 4.0 auf die Arbeitswelt untersucht. Daran anknüpfend wird der Wandel der Organisationsentwicklung im Kontext der vierten industriellen Revolution analysiert und damit die Vorstellung einer Organisationsentwicklung 4.0 diskutiert. Abschließend sollen die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit in einer Schlussbetrachtung resümiert und diskutiert werden.
2. Organisationsentwicklung - Ein Überblick
Die Leistungsfähigkeit von Organisationen ist im Kontext sich verändernder Rahmenbedingungen wie der Digitalen Transformation, Industrie 4.0 oder disruptiven Innovationsprozessen von der Veränderungs- und Lernfähigkeit der Organisation abhängig (vgl. Elbe 2018: 2). Organisationale Transformationsprozesse wirksam, strategisch und nachhaltig zu gestalten ist eine der zentralen Herausforderungen der heutigen Zeit, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sich die Bedeutung der Organisationsentwicklung in den letzten Jahren deutlich erhöht hat (vgl. Schanne 2009: 2). Für die steigende gesellschaftliche und ökonomische Relevanz von Organisationsentwicklung können unter anderem ein zunehmendes Forschungsinteresse mit steigenden Publikationszahlen, eine Erhöhung der Nachfrage von Organisationsberatung wie auch florierende Umsatzzahlen diverser Unternehmensberatungen in den Geschäftsbereichen Organisationsentwicklung und Change Management aufgeführt werden (vgl. Elbe 2018: 2ff.).
Bevor im Verlauf dieser Arbeit auf die Vorstellung einer Organisationsentwicklung 4.0 eingegangen werden kann, soll der Begriff der Organisationsentwicklung überblicksartig vorgestellt und die Vorstellung eines idealtypischen Organisationsentwicklungsprozesses diskutiert werden. Daran anknüpfend wird im Folgenden eine Differenzierung von Organisationsentwicklung und Change Management vorgenommen, um den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit möglichst präzise zu fassen.
2.1 Das Fundament der Organisationsentwicklung - Begriffe und Konzepte
Eine einheitliche Definition von Organisationsentwicklung ist aufgrund der facettenreichen Vorstellungen und Konzepte nicht adäquat möglich. Vielmehr ist es so, dass unterschiedliche Schulen sowie Fachbereiche Organisationsentwicklung spezifisch geprägt haben und dementsprechend die Begriffskonzeption je nach Perspektive variiert (vgl. Krämer-Stürzl 2014: 2).
Nach French und Bell (1990) handelt es sich bei Organisationsentwicklung um „eine langfristige Bemühung, die Problemlösungs- und Erneuerungsprozesse in einer Organisation zu verbessern, vor allem durch eine wirksamere und auf Zusammenarbeit gründende Steuerung der Organisationskultur - unter besonderer Berücksichtigung der Kultur formaler Arbeitsteams durch die Hilfe eines OE-Beraters oder Katalysators und durch Anwendung der Theorie und Technologie der angewandten Sozialwissenschaften unter Einbeziehung der Aktionsforschung“ (French & Bell 1994: 31).
Ergänzend zur Definition von French und Bell wird von der Gesellschaft für Organisationsentwicklung e. V. die Bedeutung des individuellen und kollektiven Lernens sowie der Mitwirkung aller Hierarchieebenen am Organisationsentwicklungsprozess hervorgehoben. Demnach handelt es sich bei Organisationsentwicklung um „einen längerfristig angelegten, organisationsumfassenden Entwicklungs- und Veränderungsprozess von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der Prozess beruht auf Lernen aller Betroffenen durch direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung“ (Gesellschaft für Organisationsentwicklung e. V. 1980, zitiert nach; Becker & Langosch 1995: 5).
Darüber hinaus soll Organisationsentwicklung als ganzheitliches Konzept verstanden werden, welches die gesamte Organisation sowie die darin befindlichen Prozesse, Strukturen und Rollen auf allen Organisationsebenen beeinflusst (vgl. Balck 2005: 311f.). Aus systemtheoretischer Perspektive zeichnet sich Organisationsentwicklung dadurch aus, dass Teilsysteme gleichwertig in ihrer Interdependenz sowie in Abhängigkeit zur Umwelt betrachtet werden. Eine Veränderung eines Teilsystems beeinflusst also das Zusammenspiel der gesamten Organisation, da alle organisationalen Elemente, Strukturen und Prozesse direkt oder indirekt miteinander verbunden sind. Organisationaler Wandel wird im systemtheoretischen Kontext als Prozess der Autopoiesis, also als eine Veränderung aus dem System heraus, verstanden, weshalb sich die Rolle der Organisationsentwicklung nicht auf die reine Umsetzung von technischen oder prozessualen Veränderungen beschränkt, sondern sich vielmehr auch auf eine Beeinflussung des sozialen Systems einer Organisation bezieht (vgl. Balck 2005: 311f.). Darauf bezogen leistet die Organisationsentwicklung gemäß dem Subsidiaritätsprinzip Hilfe zur Selbsthilfe durch die Schaffung geeigneter Strukturen und einer ganzheitlichen Begleitung der Organisation im Veränderungsprozess. Allerdings muss Veränderung als iterativer Prozess verstanden werden, da sich eine Organisation aus systemtheoretischer Perspektive permanent durch interne und externe Kommunikation wandelt und dementsprechend der Organisationsentwicklungsprozess langfristig andauert (vgl. Balck 2005: 13f.).
In Abgrenzung zur tayloristischen Vorstellung einer kleinteiligen Prozessrationalisierung basiert Organisationsentwicklung auf einer modifizierten Rationalisierungslogik, welche den Faktor Mensch als zentrales Element des Unternehmenserfolges identifiziert. Obwohl im Kontext der Organisationsentwicklung neben weichen Faktoren wie der Organisationskultur auch harte Faktoren wie Strukturen und Prozesse stets einem Effizienzgedanken unterworfen werden, so wird dennoch der Mensch mit seinen Bedürfnissen berücksichtigt bzw. als entscheidender Leistungsträger der Organisation in den Mittelpunkt gerückt. In diesem Zusammenhang verweist Schanne 2009 auf den Zieldualismus im Kontext der Organisationsentwicklung, welcher sowohl eine Steigerung der Produktivität als auch eine Humanisierung der Arbeit zum Gegenstand hat (vgl. Schanne 2009: 2f.).
Anknüpfend an den Zieldualismus werden als zentrale Handlungsfelder der Organisationsentwicklung alle Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeit (u. a. Gruppenarbeit, Selbstorganisation, Mitarbeitermitbestimmung, Job-Enlargement, Job-Enrichment, etc.), zur Verbesserung der organisationalen Leistungsfähigkeit (u. a. Arbeits- und Ablauforganisation, Strukturen, Prozessoptimierung, etc.) und der Personalentwicklung (u. a. Empowerment, Employability, Kompetenzentwicklung, etc.) aufgeführt (vgl. Krämer-Stürzl 2014: 3f.).
Instrumente und Techniken der Organisationsentwicklung setzen gemäß der systemtheoretischen Vorstellung auf allen Systemebenen an, rücken allerdings aufgrund des Zieldualismus den Faktor Mensch in den Fokus der Veränderung. Aus diesem Grund wird eine organisationale Veränderung durch Organisationsentwicklungsmethoden auf den Ebenen von Individuen, Gruppen und der gesamten Organisation begleitet. Individuumsbezogene Methoden zielen auf eine Veränderung der Empfindungen, Einstellung und Gefühle der Mitarbeiter ab und haben den individuellen Wahrnehmungs- und Lernprozess zum Gegenstand. Eine Steigerung der Effizienz in der Zusammenarbeit sowie der damit verbundene Kommunikationsprozess wird im Kontext von gruppenbezogenen Methoden fokussiert. Organisationsbezogene Methoden haben eine Veränderung des gesamten Systems zum Ziel, wobei in diesem Fall eine prozessorientierte Perspektive unter Zuhilfenahme von individuumsbezogenen und gruppenbezogenen Methoden eingenommen wird (vgl. Pfaff & Klein 2002: 310f.).
Die vielseitigen Konzepte und Vorstellungen zu Organisationsentwicklung verdeutlichen den Facettenreichtum dieses Begriffes und die variantenreichen Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis. Zusammenfassend soll Organisationsentwicklung als ein geplanter, zielgerichteter, umfassender, ergebnisoffener sowie langfristiger Veränderungsprozess einer Organisation oder eines Organisationsteils verstanden werden, welcher die Überlebensfähigkeit der Organisation durch Effizienzsteigerung und Humanisierung zum Gegenstand hat.
2.2 Idealtypischer Organisationsentwicklungsprozess
Die Vorstellung eines idealtypischen Organisationsentwicklungsprozesses, sozusagen eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Veränderungsprozess, findet sich in zahlreichen Publikationen wieder (vgl. Balck 2005; vgl. Schanne 2009; Arnold & Becker 2012; Schiersmann & Thiel 2014; vgl. Elbe & Peters 2016; etc.). Allerdings stellt sich die Frage, ob es aufgrund der Diversität von Organisationen und einer volatilen Unternehmensumwelt überhaupt eine solche idealtypische Blaupause des Organisationsentwicklungsprozesses gibt. Um diese Frage zu diskutieren, werden nachfolgend ausgewählte Phasenmodelle des Organisationsentwicklungsprozesses vorgestellt.
Nach Kurt Lewin wird organisationaler Wandel idealtypisch mit den Phasen unfreeze, move und refreeze beschrieben. Ein Veränderungsprozess ist dementsprechend durch ein „Auftauen“ der Organisation zur Vorbereitung der Veränderung, eine spezifische Veränderungsphase und eine Stabilisierungsphase, also durch ein „Einfrieren“ des neuen Organisationszustandes, gekennzeichnet (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 58). Zwar kann das Modell aufgrund der Generalisierbarkeit auf nahezu jede Veränderung übertragen werden, doch wird insbesondere die Dynamik im Rahmen eines organisationalen Transformationsprozesses nicht berücksichtigt und damit ein wesentliches Element von Veränderung übersehen.
In Anlehnung an das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin entwickelten Elbe und Sam (2008) ein erweitertes idealtypisches Phasenmodell des Organisationsentwicklungsprozesses, unterteilt in die Phasen (1) Startphase, (2) Diagnose, (3) Handlungsplanung, (4) Durchführung und (5) Abschluss. Die Startphase ist durch die Wahrnehmung eines Problems oder eines Optimierungsversprechens gekennzeichnet und umfasst zudem die Entscheidung, ob der Organisationsentwicklungsprozess intern begleitet oder an eine externe Beratung vergeben wird. In diesem Zusammenhang werden Ziele und Erwartungen hinsichtlich des Veränderungsprozesses geklärt und diesbezüglich die Rahmenbedingungen definiert. In der Diagnosephase erfolgt auf Basis qualitativer und quantitativer Methoden ein Soll-Ist-Vergleich sowie eine ursachenzentrierte Problemanalyse. Anknüpfend an die Ergebnisse der Diagnosephase wird ein Handlungsplan zur schrittweisen Optimierung von Strukturen und Prozessabläufen entwickelt und dieser in der folgenden Durchführungsphase umgesetzt. Der Abschluss des Organisationsentwicklungsprozesses erfolgt durch die Akzeptanz bzw. Annahme der Veränderung durch die Organisationsmitglieder und eine evidente Evaluation des Optimierungsgegenstandes des Veränderungsprojektes (vgl. Elbe & Peters 2016: 128-131).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Phasenmodell der Organisationsentwicklung nach Elbe & Sam
Quelle: Eigene Darstellung
Die idealtypische Vorstellung eines Organisationsentwicklungsprozesses nach Elbe und Sam verfolgt den betriebswirtschaftlichen Optimierungsgedanken und kann tendenziell eher als projektbezogenes Phasenschema einer Veränderung als eines langfristigen zyklischen Organisationsentwicklungsprozesses verstanden werden. Vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen verweisen Schiersmann & Thiel (2014) auf die Bedeutung iterativer Feedbackschleifen im Kontext eines organisationalen Veränderungsprozesses und auf die Notwendigkeit einer individualisierten sowie nachhaltigen Organisationsentwicklung. Diese Forderungen werden im nachfolgenden Prozessablauf nach Schiersmann & Thiel illustriert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Prozessablauf der Organisationsentwicklung nach Schiersmann & Thiel
Quelle: Schiersmann & Thiel 2016: 24
Ausgangspunkt für einen iterativen und langfristigen Organisationsentwicklungsprozess ist die Auftragsklärung. Diese Phase umfasst die Analyse der Rahmenbedingungen, der Aufbauorganisation, relevanter Stakeholder und den Entwurf einer ersten Prozessarchitektur als Planungsgrundlage sowie die Formulierung einer ersten Vision bezüglich der geplanten Veränderung (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 27-32). Die Auftragsinitiierung kann dabei Top-Down durch das Management oder durch Mitarbeiter Bottum-Up erfolgen (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 203f.). Gemäß dem Zieldualismus wird bereits frühzeitig durch eine mögliche Partizipation aller Ebenen eine Zielvorstellung erarbeitet, welche sowohl den ökonomischen Effizienzgedanken als auch die Humanisierung von Arbeit betrifft.
Basierend auf den identifizierten Interessen, der formulierten Zielsetzung und Vision der Veränderung werden Startszenarien konzipiert und im Rahmen von Workshops und/oder Großgruppenverfahren1 validiert. Auf der einen Seite soll durch eine weitläufige Kommunikation der geplanten Veränderung im Rahmen der Workshops Unsicherheit reduziert, Partizipation gefördert und dadurch Widerstände verringert werden. Auf der anderen Seite wird versucht, durch die systematische Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven die Zielsetzung und Veränderungsvision zu validieren und dadurch festzustellen, ob die bisherige Vorstellung der geplanten Veränderung in dieser Form auch wirklich gewollt und realisierbar ist (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 109-115). Zudem können Mitarbeiter im Rahmen von Großgruppenverfahren den Entwicklungsprozess maßgeblich mitgestalten und dadurch selbstorganisiert an der Veränderung teilhaben (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 140ff.).
Letztendlich wird das weitere Vorgehen durch die Erfahrungen im Kick-Off-Prozess beeinflusst. Wird festgestellt, dass der prognostizierte Veränderungsbedarf nicht dem der Organisation entspricht, so muss die Zielsetzung und Veränderungsvorstellung nochmal in der Auftragsklärungsphase überprüft und ggf. angepasst werden. Diese Feedbackfunktion soll die Organisation unter anderem vor unbegründetem Aktionismus wie auch nicht tragfähigen Veränderungsprojekten schützen. Sofern in den Startszenarien eine Validierung der geplanten Veränderung erfolgt, wird mit der detaillierten Strategieentwicklung und Projektplanung begonnen und diese im Kontext eines Gesamtsystems umgesetzt (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 24ff.). Als zentrale Elemente der Umsetzungsphase führen Schiersmann & Thiel das Prozessmanagement, die Teamentwicklung, das Wissens- und Kompetenzmanagement, Coaching und Supervision, Strategieentwicklung, Organisationsmediation, Projektmanagement, Erfolgscontrolling und weitere individuelle Maßnahmen auf, wodurch die Vielseitigkeit eines Veränderungsprozesses sowie die Notwendigkeit einer individuellen Gestaltung des Entwicklungsprozesses verdeutlicht wird (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 464ff.).
Die Veränderung wird durch Evaluationsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft und nach Bedarf weiter modifiziert. In diesem Zusammenhang ist die Nachhaltigkeit der Veränderung durch geeignete Strukturen und Maßnahmen sowie eine gezielte Einbindung der jeweiligen Mitarbeitergruppen sicherzustellen und ein Transfer der gewonnenen Erkenntnisse für zukünftige Veränderungen erstrebenswert. Darüber hinaus ist es je nach Veränderungsthematik relevant, die neuen mentalen Denkstrukturen in den Arbeitsalltag zu integrieren und damit einen Theorie-Praxistransfer zu gewährleisten (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 222 & 228-232).
Wenn der organisationale Wandlungsprozess gemäß dem Phasenmodell nach Schiersmann & Thiel als beweglicher Ordnungsübergang mit instabilen Phasen anzusehen ist und darüber hinaus weder eine lineare Steuerung der Veränderung noch eine gezielte Vorhersage bezüglich des Wandlungsprozesses möglich ist, dann besteht eine zentrale Herausforderung der Organisationsentwicklung darin, gemeinsam mit den am Veränderungsprozess beteiligten Stakeholdern auf Augenhöhe zu kommunizieren und für alle Beteiligten die Komplexität des Veränderungsprojektes durch Projektmanagement und partizipatives Stakeholdermanagement zu reduzieren, gleichzeitig allerdings flexibel und individuell auf Veränderungen im Veränderungsprozess reagieren zu können (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 467f.).
Aus diesem Grund muss die Vorstellung eines idealtypischen Organisationsentwicklungsprozesses divergent bewertet werden. Auf der einen Seite können solche Modelle eine grundlegende Orientierung für die Planung und Umsetzung des Organisationsentwicklungsprozesses geben und dadurch auf theoretischer Ebene zu einer Komplexitätsreduktion führen. Allerdings hat sich in der Praxis gezeigt, dass aufgrund unterschiedlichster Organisationsstrukturen und -kulturen stets eine individuelle Betrachtung der Situation und eine flexible Vorgehensweise im Organisationsentwicklungsprozess erforderlich ist. Dementsprechend muss auch die Vorstellung eines idealtypischen Organisationsentwicklungsprozesses zumindest in der praktischen Anwendung verworfen werden. Abschließend lässt sich festhalten, dass es nicht die Organisationsentwicklung gibt, sondern Organisationsentwicklung als vielseitiges und multidimensionales Konzept gedacht werden muss.
3. Industrie 4.0
Nachdem nun die Vorstellung von Organisationsentwicklung, welche dieser Arbeit zugrunde liegt, dargestellt und abgegrenzt wurde, soll im Folgenden das Themengebiet Industrie 4.0 fokussiert werden. In einem ersten Schritt werden die Merkmale und Prinzipien von Industrie 4.0 beschrieben und damit ein grundlegendes Verständnis der vierten Industriellen Revolution erarbeitet. Daran anknüpfend wird in einem zweiten Schritt der Wandel der Arbeitswelt durch eine Entwicklung zu Industrie 4.0 analysiert. In diesem Zusammenhang werden die Bereiche Beschäftigungseffekte, Arbeitsorganisation und Kompetenzverschiebung sowie eine Flexibilisierung der Arbeitswelt tiefergehend betrachtet.
3.1 Merkmale und Prinzipien von Industrie 4.0
Der Begriff Industrie 4.0 bezeichnet eine durch die Forschungsunion der Bundesregierung im September 2014 initiierte High-Tech-Strategie zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und bezieht sich auf eine disruptive Veränderung der Arbeits- und Wirtschaftswelt im Rahmen der vierten industriellen Revolution (vgl. Kaufmann 2015: 4f.). Gekennzeichnet ist die vierte industrielle Revolution durch einen Veränderungsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft, basierend auf einer intelligenten sowie echtzeitbasierten Vernetzung von Technologie, Prozessen, Maschinen und Menschen mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie (vgl. Roth 2016: 3).
Hinsichtlich der Merkmale und Prinzipien von Industrie 4.0 ist auffällig, dass in zahlreichen Publikationen eine Übereinstimmung des Begriffsverständnisses vorliegt und sich die Vorstellung von Industrie 4.0 zudem sehr stark an der ursprünglichen Beschreibung der Forschungsunion orientiert (Kagermann et al. 2013; Becker 2015; Ittermann 2015; Jäger et al. 2015; Kaufmann 2015; Erol et al. 2016; Siepmann 2016; Bauernhansl 2017; Goschy & Rohrbach 2017; usw.). Roth hat im Kontext seiner Forschung zu Industrie 4.0 aus einer Vielzahl von Vorstellungen zur vierten industriellen Revolution eine zusammenfassende und allgemeine Definition erarbeitet, welche im Kontext dieser Arbeit als zentrale Definition von Industrie 4.0 herangezogen wird: „Industrie 4.0 umfasst die Vernetzung aller menschlichen und maschinellen Akteure über die komplette Wertschöpfungskette sowie die Digitalisierung und Echtzeitauswertung aller hierfür relevanten Informationen, mit dem Ziel die Prozesse der Wertschöpfung transparenter und effizienter zu gestalten, um mit intelligenten Produkten und Dienstleistungen den Kundennutzen zu optimieren.“ (Roth 2016: 6). Ergänzend zu der generalistischen Begriffsbestimmung von Roth ist es notwendig, die Vielseitigkeit von Industrie 4.0 durch die Beschreibung zentraler Merkmale und Prinzipien hervorzuheben.
Die zentralen Elemente von Industrie 4.0 beziehen sich auf die technische Integration von Cyber-Physischen-Systemen (CPS) und der damit verbundenen Echtzeitsensorik (Big Data) in den Wertschöpfungsprozess sowie die Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt durch das Internet der Dinge und Dienste (IoT) (vgl. Kagermann et al. 2013: 17f.). Dieser Technisierungs- und Digitalisierungsprozess kann als Erweiterung der vorangegangenen industriellen Revolutionen verstanden werden und baut dementsprechend auf der Mechanisierung der Produktion (1. Industrielle Revolution), der Fließband- und Massenproduktion (2. Industrielle Revolution) sowie der Automatisierung durch Elektronik und IT (3. Industrielle Revolution) auf (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2015: 7f.).
[...]
1 Bei Großgruppenverfahren handelt es sich um eine partizipative Methode zur Einbindung großer Personengruppen in den Veränderungsprozess, um unter anderem die aktuelle Situation gemeinsam zu analysieren, Visionen und Ziele zu entwickeln und entsprechende Veränderungsmaßnahmen zu planen. Beispiele für Großgruppenverfahren sind das World-Cafe, eine Real Time Strategic Change Konferenz, Zukunftswerkstatt, Openspace, etc. (vgl. Schiersmann & Thiel 2016: 129f.).