Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Projektarbeit
2 Homeoffice während der COVID-19-Pandemie in der Mesutec GmbH
2.1 Abgrenzung Homeoffice, mobiles Arbeiten und Telearbeit
2.2 Stellenwert und Nutzung von Homeoffice während der Pandemie
2.3 Probleme und Herausforderungen im Homeoffice
2.4 Chancen und Perspektiven von Homeoffice-Angeboten
2.4.1 Homeoffice als Beschleuniger der Digitalisierung
2.4.2 Homeoffice als Antrieb für einen Strukturwandel
2.4.3 Homeoffice als Turbo zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität
3 Führungskräfteentwicklungsprogramm für die Mesutec GmbH
3.1 Herausforderungen für Führungskräfte
3.1.1 Die Führungskraft als Motivatorin
3.1.2 Die Führungskraft als Zielbegleiterin
3.1.3 Die Führungskraft als Sinnstifterin
3.1.4 Die Führungskraft als Personalentwicklerin
3.1.5 Die Führungskraft als Feedbackgeberin und Konfliktbewältigerin
3.2 Konzept
3.2.1 Schritt 1: Sensibilisierungsphase
3.2.2 Schritt 2: Vermittlungs- und Anwendungsphase
3.2.3 Schritt 3: Übungsphase
3.2.4 Schritt 4: Beratungsphase
3.3 Methoden und Instrumente
3.3.1 Mentoring
3.3.2 Coaching
3.3.3 Kollegiale Beratung
3.3.4 Transfertagebuch
3.4 Modulbeschreibungen
3.5 Erfolgsfaktoren und Risiken
3.5.1 Erfolgsfaktoren
3.5.2 Risiken
4 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Mesutec GmbH, ein mittelständisches Unternehmen mit Sitz in Nürnberg, produziert seit 1992 Metallsuchgeräte für die industrielle Anwendung zur Metall- und Fremdkörpererkennung. Ihr weltweites Leistungsangebot umfasst Metalldetektoren, Metallseparatoren, Röntgenscanner, Förderanlagen, Ausscheideweichen und Netzwerklösungen für Kund:innen in den Branchen Nahrungsmittel, Pharmazie, Kunststoff, Textil und Bergbau.
Das Unternehmen beschäftigt 250 festangestellte Mitarbeitende und 15 Auszubildende in neun Abteilungen. Die Belegschaft besteht größtenteils aus älteren Beschäftigten. Aktuell ist jede:r dritte Mitarbeitende mind. 45 Jahre alt. Des Weiteren werden in den kommenden fünf Jahren einige Mitarbeitende das Unternehmen durch den Eintritt in die Rente verlassen.
Insgesamt blieb die Mitarbeiteranzahl bis 2019 stabil. In den letzten drei Jahren zeichneten sich jedoch ein zunehmender Fachkräftemangel sowie die Fluktuation von Mitarbeitenden zu einem Konkurrenzunternehmen ab, das sich nur 20 Kilometer von der Mesutec GmbH entfernt befindet.
Die Organisationsform des Unternehmens entspricht einem klassischen Einliniensystem, bei dem jede Stelle einer Abteilung zugeordnet und einer bzw. einem direkten Vorgesetzten (sog. Abteilungsleiter:in) unterstellt ist. Jeweils drei Abteilungen sind einer bzw. einem Fachbereichsleiter:in zugeordnet. Den zwei Geschäftsführern obliegt die kaufmännische und technische Leitung.
Als einer der weltweiten Technologieführer für Geräte zur Metall- und Fremdkörpererkennung erwirtschaftete das Unternehmen in den letzten drei Jahren einen Umsatz in Höhe von rund 25 Mio. Euro im Jahr.
Im Unternehmen gibt es einen Betriebsrat.
1.1 Problemstellung
Seit einigen Jahren ist die Mesutec GmbH einem stetigen Wandel ausgesetzt, bedingt durch technische oder wirtschaftliche Veränderungen, die u. a. auch eine Anpassung von Prozessen und Strukturen erforderten, um am Markt bestehen und konkurrenzfähig bleiben zu können. Im Bereich der Arbeit basieren diese Veränderungen auf vier Trends: dem dramatischen Wissenszuwachs, der fortschreitenden Globalisierung, dem demografischen Wandel und der Digitalisierung. Mit dieser Entwicklung und den daraus resultierenden Herausforderungen setzte sich die Mesutec GmbH mit Beginn des Jahres 2020 auseinander, mit dem Ziel, sie zukunftssicher bewältigen zu können.
Die COVID-19-Pandemie veränderte diese Situation jedoch von einem Tag auf den anderen. In der Mesutec GmbH ging es während der Pandemie nicht mehr um die Bewältigung der vier Trends, sondern schlichtweg um das wirtschaftliche Überleben. Auslöser für die Bedrohung ihrer Existenz waren die lang anhaltenden und vielfältigen öffentlichen Einschränkungen. Insbesondere die Regelungen behördlicher Betriebsschließungen, Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen sowie die fehlenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung, begründet durch nahezu flächendeckende Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten während der Lockdowns, erforderten ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität des Unternehmens. Vor allem die Flexibilisierung des Arbeitsortes durch eine Verlagerung der betrieblichen Tätigkeiten in das Homeoffice wurde bei der Mesutec GmbH erstmals notwendig und in einem so nie geahnten Ausmaß Realität. Fast drei viertel der Beschäftigten versuchten teilweise oder vollständig, plan- oder unplanmäßig, ihre Arbeitsleistung behelfsmäßig von zu Hause aus zu verrichten.
Sind Beschäftigte jedoch im Homeoffice tätig, so erfolgen die Kommunikation und Führung auf Distanz. Das stellte nicht nur die Mitarbeitenden selbst, sondern vor allem die Führungskräfte vor Herausforderungen und Probleme, die sie so nicht kannten und die es zu bewältigen galt.
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Projektarbeit
In den vergangen zwei Jahren gestaltete sich die Führung auf Distanz mehr schlecht als recht und die Zusammenarbeit der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden führte mitunter zu erhöhten Belastungen, Produktivitäts- und Motivationsverlusten bis hin zu Konflikten.
Begründet dadurch ist das Ziel der Projektarbeit die Entwicklung und Implementierung eines Führungskräfteentwicklungsprogramms zum Thema Mitarbeiterführung auf Distanz, denn die Mesutec GmbH möchte ihren Mitarbeitenden auch zukünftig eine Beschäftigung im hybriden Homeoffice ermöglichen, zum einen, um die Mitarbeiterbindung zu erhöhen und zum anderen, um neue Mitarbeitende zu gewinnen (Steigerung der Arbeitgeberattraktivität).
Neben wertvollen Informationen und Empfehlungen, welche das Führen im Homeoffice zukünftig unterstützen werden, sollen weitere Personalentwicklungsmaßnahmen (u. a. Coaching, Mentoring, digitale Lerntools, Seminare) Inhalt des Förderprogramms sein und die Kompetenzen der Führungskräfte so weiterentwickeln, dass sie eine gezielte Führung auf Distanz realisieren und die Herausforderungen des hybriden Homeoffice zukünftig (noch) besser bewältigen können.
2 Homeoffice während der COVID-19-Pandemie in der Mesutec GmbH
Mit Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020 rückte angesichts der Kontakt- und Ausgangssperren sowie häuslicher Quarantäne das Homeoffice zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit der Mesutec GmbH.
2.1 Abgrenzung Homeoffice, mobiles Arbeiten und Telearbeit
Der Begriff Homeoffice ist gesetzlich nicht definiert (vgl. Beismann/Steinau-Steinrück 2020: 626). Umgangssprachlich beschreibt er die teilweise oder vollständige Erbringung der Arbeitsleistung von zu Hause aus. Dementsprechend handelt es sich bei einer Tätigkeit im Homeoffice um eine klassische ortsgebundene Tätigkeit (vgl. Bertram/Falder/Walk 2021: 8).
Vom Homeoffice zu unterscheiden ist das mobile Arbeiten, das eine Organisationsform beschreibt, bei der Arbeitnehmer:innen die Arbeitsleistung nicht zwingend von ihrer Wohnungsstätte aus verrichten müssen (sog. Vertrauensarbeitsort). Damit verbunden ist auch meist die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer:innen hinsichtlich der zeitlichen und inhaltlichen Verteilung ihrer Arbeit (vgl. Arnold/Günther 2021: Kap. 3 Rn. 78).
Die Telearbeit ist ein weiterer häufig anzutreffender Begriff. Umgangssprachlich gilt die Telearbeit als Oberbegriff für alle Organisationsformen ortungebundener Tätigkeiten außerhalb der Betriebsstätte und unter Nutzung diverser Telekommunikationsmittel. Demzufolge sind der Telearbeit auch das Homeoffice und das mobile Arbeiten zuzuordnen (vgl. Bissels/Hidalgo 2014: Rn. 99). In Abhängigkeit vom Flexibilisierungsgrad wird dann beim Homeoffice von der sog. alternierenden Telearbeit und beim mobilen Arbeiten von der sog. mobilen Telearbeit (auch: ständige Teleheimarbeit) gesprochen (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2019: 49). Eine Legaldefinition der Telearbeit findet sich in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und wurde mit ihrer Novellierung im November 2016 geschaffen. Ihr entsprechend handelt es sich bei Telearbeitsplätzen um vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für welche der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festlegt (§ 2 Abs. 7 S. 1 ArbStättV). Ferner müssen die Bedingungen der Telearbeit arbeitsvertraglich geregelt und eine entsprechende Ausstattung des Telearbeitsplatzes muss vom Arbeitgeber bereitgestellt und installiert werden (§ 2 Abs. 7 S. 2 ArbStättV).
2.2 Stellenwert und Nutzung von Homeoffice während der Pandemie
Die Nutzung von Homeoffice kann das Infektionsrisiko der Beschäftigten deutlich senken. Das zeigten bereits erste empirische Evaluierungen, Umfrageergebnisse und Simulationsstudien, die berichten, dass Mitarbeitende in Präsenzarbeit vier bis acht Mal häufiger von einer COVID-19-Infektion betroffen waren. Begründet dadurch ist es auch nur verständlich, dass sich die Politik bereits zu Beginn der Pandemie für eine Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice ausgesprochen hat, wo immer es möglich ist bzw. die Tätigkeitsprofile es zulassen. Eine gesetzliche Homeoffice-Pflicht wurde allerdings erst Monate nach Pandemiebeginn am 19. Januar 2021 durch die Bund-Länder-Konferenz beschlossen und in die bereits bestehende Arbeitsschutzverordnung integriert. Ihre Änderungen traten dann zum 27. Januar 2021 in Kraft. Fortan waren Arbeitgeber nun verpflichtet, ihren Mitarbeitenden Homeoffice anzubieten, soweit keine betriebsbedingten Gründe dem entgegenstanden (vgl. Corona Datenplattform 2021: 4). „Mit dem Beschluss des Deutschen Bundestags am 21. April 2021 zur vierten Novelle des Infektionsschutzgesetzes ist diese Verpflichtung aus der Arbeitsschutzverordnung ins Infektionsschutzgesetz gewandert“ (Corona Datenplattform 2021: 4). Gleichzeitig wurde eine Änderung hinsichtlich der Annahme eines Homeoffice-Angebots seitens des Arbeitnehmers eingeführt. Bisher stand es diesem nämlich frei, ein solches Angebot des Arbeitgebers anzunehmen. Im Zuge der vierten Novelle besteht diese freie Wahl der Annahme nicht mehr und Arbeitnehmer müssen nun ein Homeoffice-Angebot annehmen, wenn keine Gründe ihrerseits dem entgegenstehen. Eine räumliche Enge, Störungen durch Dritte oder eine nicht ausreichende technische Ausstattung sind jedoch als Gründe unzureichend (vgl. Corona Datenplattform 2021: 4).
Die Umsetzung dieser Homeoffice-Pflicht gestaltet sich bei der Mesutec GmbH sehr schwierig, da das sog. Homeoffice-Potenzial, welches die Möglichkeit der Verlagerung der Arbeitsplätze (ganz oder teilweise) ins Homeoffice darstellt, bei nur rund 35 % lag, denn bei dem wesentlich größeren Anteil der Arbeitsplätze handelt es sich um ausführende Stellen in der Produktion. Im deutschlandweiten Vergleich lag das Homeoffice-Potenzial im Jahr 2021 bei 53 % (vgl. Corona Datenplattform 2021: 4–5).
Werden diese 35 % Homeoffice-Potenzial der Mesutec GmbH der tatsächlichen Nutzung von Homeoffice gegenübergestellt (sog. Homeoffice-Quote), so kann festgestellt werden, dass diese vor der Pandemie bei nicht einmal 5 % lag und im Verlauf der Pandemie auf 30 % anstieg. Somit wurde das Potenzial zwar nie voll ausgeschöpft, aber das Homeoffice wurde in einem deutlichen Umfang erstmals umgesetzt. Warum vor der Pandemie das Homeoffice-Potenzial in der Mesutec GmbH nahezu gar nicht ausgeschöpft wurde, hatte u. a. folgende Gründe: Ein Homeoffice war aufgrund der Tätigkeit nicht möglich, es fehlte an der technischen Ausstattung, die Vorgesetzten hatten nur wenig Vertrauen in die Produktivität der Mitarbeitenden im Homeoffice, es gab datenschutzrechtliche Bedenken.
2.3 Probleme und Herausforderungen im Homeoffice
Seit der Gründung der Mesutec GmbH im Jahr 1992 waren es die Mitarbeitenden gewohnt, ausschließlich vor Ort im Büro tätig zu sein und die Zusammenarbeit im Team wurde von allen Beschäftigten sehr geschätzt. Die COVID-19-Pandemie veränderte diese Situation jedoch und zwang den Großteil der Belegschaft ins Homeoffice.
Sind Beschäftigte im Homeoffice tätig, so erfolgen die Kommunikation und Zusammenarbeit auf Distanz und dies führt nicht selten zu neuen Herausforderungen und Problemen, die es zu bewältigen gilt. Auch die Mesutec GmbH war davon betroffen, denn bereits nach kurzer Zeit im Homeoffice stellte die Geschäftsleitung fest, dass insbesondere die Zusammenarbeit kaum mehr funktionierte. Daher nahm sie eine kurzfristige Umverteilung der Aufgaben vor, sodass weniger Arbeit im Team nötig war.
Des Weiteren traten Probleme im technischen, organisatorischen und mitarbeiterbezogenen Bereich auf. Technische Probleme resultierten überwiegend aus der mangelnden technischen Ausstattung, der fehlenden Bandbreite und den Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit. Organisatorische Probleme ergaben sich aufgrund der erschwerten Kommunikation mit Kolleg:innen sowie der fehlenden Möglichkeiten der Abstimmung und der mangelnden Zusammenarbeit. Als mitarbeiterbezogene Probleme wurden von den Mitarbeitenden die erschwerte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mögliche Auswirkungen infolge der Mehrbelastung, wie beispielsweise Vereinsamung oder Stress, angegeben.
Dennoch möchte das Unternehmen am Homeoffice festhalten und seinen Mitarbeitenden auch zukünftig eine Tätigkeit von zu Hause aus ermöglichen, insbesondere weil eine kürzlich durchgeführte Mitarbeiterbefragung zeigte, dass auch langfristig der Wunsch der Mitarbeitenden zum Homeoffice besteht. Des Weiteren konnte mithilfe der Befragung auch festgestellt werden, dass die Umsetzung von Homeoffice während der Coronapandemie in der Mesutec GmbH insgesamt zu geringen technischen Problemen führte, hingegen organisatorische und mitarbeiterbezogene Probleme, deren Ursachen vorwiegend in den Nachteilen des Homeoffice liegen, wie beispielsweise der erschwerten Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kolleg:innen sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von fast allen Beschäftigten geäußert wurden.
2.4 Chancen und Perspektiven von Homeoffice-Angeboten
Das Homeoffice, als ein bedeutendes Instrument der Arbeitsflexibilisierung, hat nicht nur während der Coronakrise die Arbeit in der Mesutec GmbH verändert, sondern soll diese auch in der Zukunft prägen. So geht die Mesutec von wesentlich mehr Homeoffice nach der Pandemie aus, als sie es vor der Pandemie gewohnt war (5 %). Zudem ist eine Erhöhung der Homeoffice-Quote von aktuell 35 % auf 40 % geplant. Auch Beschäftigte in der Produktion sollen zumindest einmal in der Woche im Homeoffice tätig sein können.
Allerdings sind nicht alle Führungskräfte dem Homeoffice gegenüber positiv gestimmt. Eine Vielzahl von ihnen hegt weiterhin Skepsis, insbesondere aufgrund bestehender bzw. möglicher Probleme (siehe Abschnitt 2.3) und Herausforderungen für Führungskräfte (siehe Abschnitt 3.1). Ob und inwieweit Homeoffice nach der Pandemie weiter möglich bleibt, wird stark von der Stelle, aber auch von der Führung auf Distanz abhängig sein.
2.4.1 Homeoffice als Beschleuniger der Digitalisierung
Die Pandemie verschärft auch die Diskussion zum Pro und Contra von Homeoffice vor dem Hintergrund der Digitalisierung in der Mesutec GmbH.
Traditionell beschreibt die Digitalisierung den Prozess der Überführung analoger Informationen in eine digitale Speicherform (vgl. Streicher 2020: 1). Inflationär wird der Begriff ‚Digitalisierung‘ jedoch regelmäßig im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel als eine Art Revolution verwendet, wodurch bereits die Digitalisierung als eine tief greifende Transformation aller gesellschaftlichen Bereiche angesehen und mit dem Begriff der digitalen Transformation synonym gesetzt wird (vgl. Kleine Sextro et al. 2019: 10). Mit anderen Worten: „Wird im unternehmerischen Umfeld von der Digitalisierung gesprochen, ist häufig gleichzeitig die Rede von der sogenannten digitalen Transformation“ (Kleine Sextro et al. 2019: 10).
Der Prozess der digitalen Transformation geht aber wesentlich weiter und beinhaltet nicht nur die reine Digitalisierung von Informationen, sondern „bezeichnet erhebliche aktive Veränderungen des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken sowie deren Auswirkungen“ (Pousttchi 2019: o. S.).
Wie bereits festgestellt wurde, stiegen in der Mesutec GmbH die Nutzung und Intensität von Homeoffice in der Coronakrise deutlich an und die Zufriedenheit der im Homeoffice tätigen Mitarbeitenden war sehr hoch. Die Einführung von Homeoffice zur Bewältigung der Pandemie stellte die Mesutec GmbH jedoch zunächst vor Herausforderungen, die es zu bewältigen galt. So mussten beispielsweise zahlreiche Arbeitsprozesse sowie die Kommunikation digitalisiert werden, um ein Arbeiten von zu Hause aus überhaupt erst zu ermöglichen und einen effizienten Austausch mit den Kolleg:innen zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund kann Homeoffice, als ergriffene Maßnahme zur Bewältigung der Pandemie, durchaus als Beschleuniger der Digitalisierung der Mesutec GmbH betrachtete werden und weitere Möglichkeiten eröffnen. So trägt sie u. a. zu möglichen Lösungen für die Probleme bei, die sich aus dem steigenden Energie- und Ressourcenbedarf ergeben und auch die Umwelt belasten. Zudem eröffnet sie neue Formen der Interaktion untereinander und mit Maschinen.
2.4.2 Homeoffice als Antrieb für einen Strukturwandel
Mit einem Blick in die Vergangenheit wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung von einer sogenannten vierten industriellen Revolution gesprochen bzw. von der Industrie 4.0. Die Zahl 4 geht dabei auf den historischen Verlauf der Industriegeschichte zurück, bei dem vier Stufen der industriellen Revolution unterschieden werden (vgl. Abbildung 1) (vgl. Deimling 2021: 17).
Anmerkung der Redaktion: Die Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Stufen der industriellen Revolution; Quelle: Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz 2021: o. S.
„Unter dem Stichwort Industrie 4.0 wird seit geraumer Zeit die Vision einer sich anbahnenden vierten industriellen Revolution beschrieben“ (Obermaier 2019: 3). Der Terminus Industrie 4.0 resultierte ursprünglich aus einem Zukunftsprojekt der Bundesregierung zur digitalen Vernetzung klassischer Fertigungsindustrien, um wettbewerbsfähige industrielle Strukturen zu implementieren (vgl. Obermaier 2019: 6).
In der Öffentlichkeit tauchte der Begriff erstmalig im Jahr 2011 auf der Messe in Hannover auf. Eine offizielle Definition erfolgte 2014 auf der Plattform Industrie 4.0, die durch das Bundeswirtschafts- und Bundesforschungsministerium initiiert wurde und einer Vielzahl von Industrie- und Forschungsverbänden die Kommunikation nach außen ermöglichte (vgl. Obermaier 2019: 6). Im Vergleich zu 2014 findet sich heute auf dieser Plattform eine wesentlich kürzere Definition: „Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2021: o. S.).
Im Gegensatz zu der dritten Revolution, bei welcher die Informationstechnologie mit PCs und IT-Office-Programmen in die Unternehmen Einzug hielt, dominiert bei der Industrie 4.0 nicht der Computer, sondern das Internet als zentrale Technologie, da es eine weltweite Vernetzung ermöglicht (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2021: o. S.). Die daraus resultierende Flexibilität trägt zu einer verbesserten Anpassung der Unternehmen an die Anforderungen der zunehmend schnelllebigen und dynamischen Umwelt bei (vgl. Spath et al., 2013: 22–24).
Im Zuge der vierten industriellen Revolution verändert sich auch die Arbeitswelt und nimmt Einfluss auf das gesamtwirtschaftliche Geschehen. „Während die Industrie 4.0 für [eine] technologisch veränderte Unternehmenslandschaft im Produktionsumfeld steht, geht die Arbeit 4.0 [auch eine Initiative der Bundesregierung] über das produzierende Gewerbe hinaus und betrachtet die Arbeitswelt gesamtheitlich“ (Kleine Sextro et al. 2019: 17).
Ein Vergleich der wissenschaftlichen Publikationen führt zu drei wesentlichen Merkmalen, die inhaltlich übereinstimmend die Arbeit 4.0 kennzeichnen. Bei diesen Merkmalen handelt es sich um:
- Die Flexibilisierung der Arbeit auf verschiedenen Ebenen
- Die strukturelle Vielfalt von Organisationen
- Die Veränderung der Arbeitsbeziehungen
Die Flexibilisierung der Arbeit auf verschiedenen Ebenen basiert auf einer zeitlichen und örtlichen Unabhängigkeit der Arbeit und dementsprechend auf einer zunehmenden Mobilität der Mitarbeitenden. Die strukturelle Vielfalt von Organisationen kennzeichnet die Notwendigkeit der Transformation der Organisationsstruktur – weg von starren, hierarchischen Strukturen, hin zu flexiblen, agilen und offenen Netzwerken.
Die zuvor definierten Merkmale lassen bereits erahnen, dass die Arbeit 4.0 erhebliche Auswirkungen auf Organisationen hat bzw. auch in Zukunft haben wird. Diese sind vielschichtig und komplex und bergen eine Menge Voraussetzungen und Herausforderungen (vgl. Werther/Bruckner 2018: 18).
Vor dem Hintergrund des Merkmals der Flexibilisierung müssen Organisationen sich auf veränderte Bedürfnisse und Forderungen der Mitarbeitenden einstellen (vgl. Werther/Bruckner 2018: 18). „Das beginnt bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten – z. B. durch Jobsharing und weitaus flexiblere Regelungen, als sie heute an vielen Stellen üblich sind – und setzt sich fort bei den Arbeitsorten“ (Werther/Bruckner 2018: 18). Resultierend daraus folgt die Notwendigkeit eines kulturellen Wandels von der Präsenzkultur zur Ergebniskultur, die wiederum eine Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen und neuer Kompetenzen (z. B. Selbstkompetenz) der Mitarbeitenden voraussetzt (vgl. Werther/Bruckner 2018: 18). Ob und inwieweit die Coronapandemie diesen Wandel beschleunigt hat, wird sich in den Monaten nach der Pandemie zeigen.
Das Merkmal der strukturellen Vielfalt umfasst einen grundlegenden revolutionären Wandel der Organisationsstrukturen, der zu einer vermehrten Agilität im Unternehmen führen soll, die viele Organisationen allerdings in Angst vor Verlusten ihrer Stabilität und Sicherheit im Unternehmen versetzt (vgl. Werther/Bruckner 2018: 18). „Darüber hinaus werden durch neue Organisationsstrukturen ganz neue Anforderungen an gängige HR-Funktionen gestellt – von Recruitingprozessen über Feedbackinstrumente bis hin zu Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement ist die Bandbreite hier sehr groß“ (Werther/Bruckner 2018: 18).
Über die Auswirkungen der Veränderung der Arbeitsbeziehungen vor dem Hintergrund der übergreifenden Vernetzung und Zusammenarbeit kann zum aktuellen Zeitpunkt kaum Auskunft gegeben werden, da nur wenige Unternehmen bisher eine Vernetzung auf allen Ebenen realisieren und sie demnach auch noch nicht selbstverständlich ist. Somit bleiben an dieser Stelle auch noch viele Fragen offen (vgl. Werther/Bruckner 2018: 18).
Zusammenfassend kann die Umsetzung von Homeoffice in der Mesutec GmbH dazu beitragen, diesen komplexen Strukturwandel anzutreiben und sowohl den Anforderungen der Unternehmen als auch den Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht zu werden.
2.4.3 Homeoffice als Turbo zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität
Die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der Unternehmen gerückt. Ein sehr bedeutender Grund dafür besteht im demografischen Wandel und dem daraus resultierenden anhaltenden Fachkräftemangel.
Beeinflusst wird der demografische Wandel durch drei wesentliche Faktoren: Geburtenrate, Sterberate und Migration. Aktuell existiert in Deutschland eine leicht zunehmende Geburtenrate bei einer steigenden Lebenserwartung. Dennoch kommen heutzutage weniger Kinder zur Welt als früher (vgl. Kühn 2017: o. S.). In der Zukunft wird das zu Veränderungen führen, so wie bereits der demografische Wandel der vergangenen Jahrzehnte zu brisanten Veränderungen der Altersstruktur führte. Besonders deutlich wird das bei der Betrachtung konkreter Zahlen: Während im Jahr 1871 noch 43 % der Bevölkerung in Deutschland unter 20 Jahre alt waren und nur 5 % über 65 Jahre, besteht heute ein fast umgekehrtes Verhältnis. Prognosen zufolge wird der Anteil der unter 20-Jährigen bis zum Jahr 2060 auf unter 16 % sinken (vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2013: 12). Infolgedessen werden zukünftig immer weniger junge und mehr ältere Arbeitnehmer:innen in den Unternehmen beschäftigt sein und allgemein wird sich auch die Anzahl der erwerbstätigen Menschen reduzieren. So werden „die mittleren Jahrgänge der 20- bis unter 67-Jährigen […] von gegenwärtig 52 Millionen auf etwa 40 bis 46 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen“ (Bundesministerium für Gesundheit 2021: 14). Bereits zwischen 1990 und 2018 sank der Anteil der jungen Erwerbsfähigen von 29 % auf 22 % (vgl. Bund-Länder Demografie Portal 2021: o. S.).
Die Folgen des demografischen Wandels spiegeln sich auch in der Mesutec GmbH wider. So sind in den letzten drei Jahren u. a. ein zunehmender Fachkräftemangel insbesondere bei der jüngeren Generation und eine erhöhte Fehlzeitenquote durch Krankheit bei den lebensälteren Arbeitnehmer:innen zu beobachten. Vor diesem Hintergrund rückt auch die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität in den Fokus der Überlegungen der Mesutec GmbH.
Das Angebot von Homeoffice kann zu einer Steigerung der Arbeitgeberattraktivität beitragen, weil es für Arbeitnehmer:innen verschiedene Vorteile mit sich bringt. So haben Arbeitnehmer:innen beispielsweise ein höheres Maß an Flexibilität und Selbstbestimmung. Das ermöglicht ihnen mehr Zeitsouveränität insbesondere hinsichtlich der Vereinbarung von Familie und Beruf. Zudem ist eine Ablenkung durch Kollegen:innen oder das Umfeld (z. B. Kund:innen) im Homeoffice deutlich reduziert. Das kann zu einer erhöhten Konzentration und zu einer gesteigerten Arbeitsleistung beitragen. Des Weiteren entfallen Fahr- und Reisezeiten. Das kann nicht nur Arbeitnehmer:innen entlasten, sondern trägt auch zu mehr Nachhaltigkeit bei. Auch kann Homeoffice das Stresspotenzial verringern und zu mehr Motivation beitragen (vgl. Bertram/Falder/Walk 2021: 10–11).
Diese Vorteile für Arbeitnehmer:innen eröffnen der Mesutec GmbH auch neue Chancen. So kann das Angebot von Homeoffice zu einer Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterbindung beitragen. Das wiederum kann zu einer höheren Motivation und Produktivität führen. Auch ein positives Image wird dadurch begünstigt. Des Weiteren bietet es der Mesutec GmbH ein Kosteneinsparungspotenzial (z. B. Strom) und die Möglichkeit der Arbeitsplatzeinsparung beispielsweise durch alternierende Arbeitsmodelle (Desksharing). Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil liegt in der Erleichterung des Wiedereinstiegs in das Berufsleben (z. B. nach einer Elternzeit, dem Mutterschutz oder einer Familienpflegezeit).
Diesen Vorteilen stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Für Arbeitnehmer:innen besteht ein bedeutender Nachteil im fehlenden persönlichen Austausch mit den Kollegen:innen und Vorgesetzten. Dadurch bestehen das Risiko der sozialen Isolation und die Gefahr psychischer Belastungen bis hin zu psychischen Erkrankungen. Des Weiteren kann die fehlende Trennung zwischen Berufs- und Privatleben Probleme verursachen, beispielsweise verursacht durch die ständige Erreichbarkeit oder die Anwesenheit von Familienmitgliedern. Darin begründet liegt auch ein weiteres Risiko, nämlich die Möglichkeit der Ablenkung durch Familie und Haushalt (vgl. Bertram/Falder/Walk 2021: 10–11).
Für die Mesutec GmbH besteht ein bedeutender Nachteil in der mangelnden Kontrollmöglichkeit der im Homeoffice tätigen Arbeitnehmer:innen. Führungskräfte müssen diesbezüglich allerdings nicht nur auf die Anwesenheit der Mitarbeitenden vertrauen, sondern auch auf ihre Motivation, Produktivität und Verantwortung. Gerade die Verantwortung spielt eine große Rolle, denn Führungskräfte geben diese an die Mitarbeitenden ab, wenn es z. B. um die Einhaltung des Datenschutzes oder von Arbeitsschutzbestimmungen geht. Zudem bestehen weitere Nachteile in der Gefahr der mangelnden Mitarbeiteridentifikation sowie einem erhöhten Ausfallrisiko aufgrund der psychischen Mehrbelastung, u. a. verursacht durch die soziale Isolation (vgl. Bertram/Falder/Walk 2021: 10–11).
Zusammenfassend kann die Einführung von Homeoffice aufgrund der zahlreichen Arbeitnehmervorteile durchaus zu einer Förderung der Arbeitgeberattraktivität der Mesutec GmbH beitragen. Gestützt werden kann diese Annahme auch durch die Umfrageergebnisse einer Studie des Bayerischen Forschungsinstitutes für Digitale Transformation (2020: 6), bei der 70 % der befragten Arbeitnehmer:innen den Wunsch äußerten, nach der Coronakrise weiter zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten zu können. Die Befürchtungen, dass ihre Arbeitgeber:innen die Möglichkeit des Homeoffice nach der Krise wieder auf Vorkrisenniveau beschränken, äußerten 55 % der Befragten.
Ob die Einführung von Homeoffice jedoch ein Turbo zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität der Mesutec GmbH darstellt, ist zu bezweifeln, da die Vor- und Nachteile für die Arbeitnehmer:innen sehr stark vom konkreten Einzelfall abhängen (u. a. häusliche/familiäre Situation der Arbeitnehmer:innen) und Homeoffice nur eine Möglichkeit der Flexibilisierung der Arbeit darstellt, die allein für die Arbeitgeberattraktivität i. d. R. nicht ausschlaggebend ist.
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