Zur Soziologie der Zeitarbeitnehmerarbeit

Ein Beitrag zur Arbeitsbeziehungsforschung


Bachelorarbeit, 2008

47 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zeitarbeit in Deutschland
2.1 Genese und Institutionalisierung
2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.2.1 Das Kündigungsschutzgesetz
2.2.2 Teilzeit- und Befristungsgesetze

3. Verortung im sozialen Raum
3.1 Die Selbstdarstellung von Zeitarbeitsunternehmen
3.2 Die Haltung der Gewerkschaften
3.3 Zeitarbeit in der öffentlichen Wahrnehmung

4. Perspektiven und Interessen der Akteure
4.1 Die Perspektive der Kundenunternehmen
4.1.1 Kostenersparnis
4.1.2 Flexibilität und Schnelligkeit
4.1.3 Zeitarbeit als Personalstrategie
4 .2 Interessen der Zeitarbeitsunternehmen
4.2.1 Gewinnerzielungsabsicht
4.2.2 Expansionsstrategien
4.2.2.1. Spezialisierung
4.2.2.2 Funktionswandel
4.2.2.3 Qualifikation der Zeitarbeitnehmer
4 .3 Perspektiven und Interessen von Zeitarbeitnehmern
4.3.1 Sicherung der wirtschaftlichen Existenz
4.3.2 Wahrnehmung von Arbeitsmarktchancen
4.3.3 Expansion der Berufserfahrung

5. Der Arbeitskraftunternehmer als neuer Arbeitnehmertypus
5.1 Wandel der Erwerbsstrukturen
5.2 Autonomiegewinn und Leistungsdruck
5.3 Selbstökonomisierung der Arbeitskraft
5.4 Gesellschaftliche Folgen

6. Das Modell der Zeitarbeitnehmerarbeit
6.1 Prekarität
6.2 Der Arbeitnehmer in der Zeitarbeit
6.2.1 Sozialbeziehungen
6.2.1.1 Kontrolle
6.2.1.2 Die Konstitution einer neuen Rolle
6.3 Zum Wert der Zeitarbeitnehmerarbeit
6.3.1 Ökonomische und ideelle Werte
6.3.2 Stellenwert und Anerkennung
6.4 Zeitarbeitnehmerarbeit und Beruflichkeit
6.4.1 Arbeitszufriedenheit
6.4.2 Die Brückenfunktion der Zeitarbeitnehmerarbeit
6.5 Zeitarbeitnehmerarbeit als Herrschaftsinstrument
6.6 Zeitarbeitnehmerarbeit als Konsumgut?

7. Zusammenfassung und Einordnung des Modellsin den theoretischen Bezugsrahmen

8. Schlussbemerkung und Ausblick

Anhang A: Literaturverzeichnis
Anhang B: Quellenverzeichnis

Einleitung

Die im Jahr 2003 verabschiedete Agenda 2010 mit ihren Hartz-Gesetzen hat nicht nur zu einer weiteren Verschärfung der Dimensionen von sozialer Ungleichheit beigetragen, sondern sie hat die Veränderung in den Strukturen von Erwerbsarbeit weiterhin verstärkt, es ist eine deutliche Abkehr von typischen Arbeitsverhältnissen – auch Normalarbeitsverhältnisse genannt - hin zu so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen zu verzeichnen. Gut ein Drittel aller Arbeit-Nehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist atypisch beschäftigt - in Teilzeit, Minijobs, auf befristeten Stellen oder als Leiharbeitnehmer “. ( Böckler-impuls-Ausgabe 17/2007)

Als typisches Normalarbeitsverhältnis gilt bislang die unbefristete Vollzeitbe-schäftigung. Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen hierbei einen Arbeitsvertrag, durch welchen der Arbeitgeber Direktionsrechte erhält und es gelten die jeweils aktu-ellen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen, wobei die Arbeitnehmer i. d. R. ausschließlich im Betrieb oder Betriebsumfeld des Arbeitgebers eingesetzt und be-schäftigt werden. Abweichungen von diesem Modell werden als atypische Arbeits-verhältnisse bezeichnet, hierunter fallen u. a. die so genannten Mini- und Midijobs, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeitsverhältnisse und die Zeitarbeit.

Zeitarbeit wird auch als Leiharbeit, Arbeitnehmerüberlassung, Personaldienstleistung oder Personalleasing bezeichnet. Gewerkschaften verwenden überwiegend den Terminus Leiharbeit, Juristen und Behörden benutzen den Begriff Arbeitnehmer-überlassung, die Branche selbst spricht von Zeitarbeit und auch im personal-wirtschaftlichen Bereich hat sich der Begriff Zeitarbeit etabliert.

Wegen seines stetigen Wachstums kann Zeitarbeit nicht länger als Randphänomen eingestuft werden und hat sich demzufolge zu einem interessanten Forschungsge-genstand selbstverständlich auch für die Soziologie entwickelt.

Zum Thema Zeitarbeit existiert bereits eine große Zahl von Studien. Viele dieser Untersuchungen betrachten das Thema aus sozio-ökonomischer Perspektive, so z. B. Projekte, die vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben wurden, u. a. von Bellmann/Kühl (2007): „Weitere Expansion der Leiharbeit? Eine Bestandsaufnahme auf Basis des IAB-Betriebspanels“ (Böckler-Boxen)

Auf diesen Seiten finden sich weitere Studien zum Thema Zeitarbeit, wie zum Bei-spiel: „Leiharbeit als Gegenstand betrieblicher Mitbestimmung“, durchgeführt von Wassermann und Rudolph. In den Böckler-impuls-Ausgaben findet man des Weiteren z. B. Untersuchungsbeiträge zur Prekarität atypischer Beschäftigungsverhältnisse und zu diversen weiteren Forschungsfragen im Zusammenhang mit Zeitarbeit.

Daneben gibt es auf Seiten der Gewerkschaften viele Untersuchungen, die die sich mit der Thematik – überwiegend mit Blick auf Tarifbestimmungen und auf Fragen der Mitbestimmung im Betrieb oder auf Vergleiche innerhalb Europas - beschäftigen und auch die Zeitarbeitsbranche selbst ist an Studien beteiligt, wie z. B. das vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft e.V. (IWG BONN) 2007 heraus gegebene Gutachten: „Die Rolle der Zeitarbeit in einem sich ändernden Arbeitsmarkt“, gefördert durch die DIS AG, eines der größten Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland.

Dieses Gutachten befasst sich überwiegend mit der Bedeutungszunahme und den Rahmenbedingungen für Zeitarbeit.

Forscher der Bereiche Betriebs- oder Wirtschaftswissenschaften richten den Fokus bei ihrer Auseinandersetzung mit Zeitarbeit häufig auf personalwirtschaftliche Frage-stellungen, wie z. B. der Personalplanung und der Auslagerung von Tätigkeiten, so beschäftigt sich z. B. Klaus Watzka an der Fachhochschule Jena aus personalwirt-schaftlicher Sicht mit einer „kritischen Bewertung des Konzepts aus Sicht des Personalleasingnehmers und des Zeitarbeiters“.

Im Bereich Psychologie geht es vorrangig um Fragen der Motivation und Arbeits-zufriedenheit, aber auch Fragestellungen zu Themen wie Gruppenarbeit, Führung und Arbeitsbeziehungen werden – z. B. in Nürnberg-Erlangen von Klaus Moser im Rahmen seiner Studie „Psychologische Aspekte der Zeitarbeit“ - bearbeitet.

In Hamburg beschäftigt sich Gerhard M. Zimmer mit der Problematik „Zeitarbeit und Beruflichkeit“; in seinen Untersuchungen geht es um Grenzen und Potentiale der Personalentwicklung von Zeitarbeitnehmern in Entleihbetrieben.

Diese Untersuchungen sind hier exemplarisch genannt, es existiert eine Vielzahl weiterer Studien mit ähnlich gelagerten Forschungsfragen.

Ein Konzept, das die Zeitarbeitnehmerarbeit aus soziologischer Perspektive in ähnlicher Form beschreibt wie es die z. B. die Abhandlungen zur Soziologie der Dienstleistungsarbeit oder zur Soziologie der Angestelltenarbeit leisten, existiert noch nicht.

Diese Arbeit befasst sich daher mit der Entwicklung eines Modells zur Soziologie der Zeitarbeitnehmerarbeit.

Es handelt sich hierbei um die Konzeption eines Idealtypus im Sinne von Max Weber – es ist demzufolge ein analytisch konstruiertes Modell, in welches empirischen Befunde eingearbeitet sind, um ein Deutungsschema herzustellen. (vergl. Max Weber, S. 65 ff)

Zunächst werden die wichtigsten Daten und Fakten zur Entstehung und Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland vorgestellt und ein Überblick über die zum Verständnis der Problematik erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen gegeben.

Nach Beschreibung der Prozesse der öffentlichen Wahrnehmung werden die Interessenlagen der beteiligten Akteure ausführlich erörtert.

Zum Verständnis der Thematik ebenso unverzichtbar sind Ausführungen zu den Le-gitimationsprozessen der Zeitarbeitsunternehmen und der Gewerkschaften.

Hieran anschließend wird der von Pongratz und Voß 1998 entwickelte neue Arbeitnehmertypus „Arbeitskraftunternehmer“ vorgestellt und in seinen Kernaussagen nachgezeichnet.

Dieses Modell wurde gewählt, weil es den aktuellen Wandel in den Erwerbsstrukturen und die Dynamik der Sozialbeziehungen deutlich hervorhebt und weil es beim Vergleich mit der Zeitarbeitnehmerarbeit behilflich ist, deren aktuelle arbeitsso-ziologische Stellung zu konturieren.

Diese Arbeit beschäftigt sich in ihrem Abschluss auch mit der Frage, ob sich – bei zunächst groß scheinender Diskrepanz - zwischen den Arbeitnehmertypen „Zeitarbeitnehmer“ und „Arbeitskraftunternehmer“ Gemeinsamkeiten entdecken lassen.

Nach Skizzierung des Modells „Arbeitskraftunternehmer“ wird auf Grundlage der Ausführungen in den voran gegangenen Kapiteln das Modell der Zeitarbeit-nehmerarbeit entwickelt. Dieses Konzept beschreibt prägnante Merkmale der Zeitarbeitnehmerarbeit und ist - im Sinne des Idealtypus - unabhängig von subjektiven Abweichungen generalisierbar.

Im Rahmen dieser Arbeit können in diesem Modell nicht alle Aspekte Berück-sichtigung finden; die Ausführungen müssen daher auf signifikante Spezifika beschränkt bleiben. Die rechtliche Sonderstellung der Zeitarbeitnehmerarbeit weist zwar nicht unerhebliche Unterschiede zur Normalarbeit auf, wird jedoch in diesem Themenzusammenhang nicht vertieft. Ebenso unberücksichtigt bleiben Vergleiche mit der Zeitarbeitnehmerarbeit in anderen europäischen Ländern.

Das Modell zur Soziologie der Zeitarbeitnehmerarbeit erfüllt den weberianischen An-spruch, ein allgemeines und auf jede Form der Zeitarbeitnehmerarbeit – unabhängig von Dauer und Art der Tätigkeit und unabhängig von individuellen Abweichungen bei der Konstellation der Sinnkonstruktionen - anzuwendendes Modell zu sein.

Die Zusammenfassung des entwickelten Konzeptes und seine Einordnung in den arbeitssoziologischen Bezugsrahmen bilden mit Schlussbemerkungen und einem Ausblick den Abschluss dieser Arbeit.

Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden – mit Ausnahme der Zitationen - der Terminus Zeitarbeit verwendet.

Die Arbeitnehmer in der Zeitarbeit werden in dieser Arbeit als Zeitarbeitnehmer bezeichnet, um eine Vereinheitlichung von kaufmännischer und gewerblicher Arbeit herzustellen und um die Interpretation von ausschließlich gewerblicher Arbeit zu vermeiden, da der häufig verwendete Begriff Zeitarbeiter diesen Eindruck impliziert. Selbstverständlich sind mit dem Begriff Zeitarbeitnehmer beide Geschlechter gemeint.

2. Zeitarbeit in Deutschland

Die Begriffe Zeitarbeit und Leiharbeit als solche sind irreführend und werden gelegentlich fehl interpretiert. Zeitarbeit bedeutet nicht „Arbeit auf Zeit“ im Sinne einer befristeten Beschäftigung und Leiharbeit ist nicht als „unentgeltliche Überlassung einer Sache“ misszuverstehen:

Zeitarbeitsunternehmen haben die Vermittlung und Überlassung menschlicher Arbeitskraft gegen Vergütung zum Gegenstand: Das Zeitarbeitsunternehmen schlie1t mit einem anderen Unternehmen, seinem Kunden, einen Vertrag über die Überlassung der Arbeitsleistung eines bei ihm angestellten Zeitarbeitnehmers ab. Das Arbeitsverhältnis als solches besteht ausschlie1lich zwischen dem Zeitarbeits-unternehmen und dem Zeitarbeitnehmer, wobei der Ort der Beschäftigung stets der entleihende Betrieb, also das Kundenunternehmen, ist.

Zeitarbeitnehmer werden von ihrem Arbeitgeber in unterschiedlichen Kundenun-ternehmen mit unterschiedlicher Beschäftigungsdauer eingesetzt, sie haben hierbei weder ein Auswahlrecht noch das Recht, den Einsatz in einem bestimmten Kundenunternehmen abzulehnen.

Grundsätzlich haben Zeitarbeitsunternehmen die gleichen Pflichten und Rechte wie andere Unternehmen auch, sie unterscheiden sich allerdings dadurch von diesen, dass sie für ihre Geschäftstätigkeit die Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit benötigen und auch der Überwachung dieser Behörde unterliegen. Sie unterscheiden sich im Weiteren durch die Tatsache, dass sie verpflichtet sind, Arbeitnehmer auch in entleihfreien Zeiten – demzufolge ohne Erbringung von Arbeitsleistung - entlohnen zu müssen. Des Weiteren unterscheiden sie von anderen Dienstleistungsunternehmen in ihrem Dienstleistungsgegenstand, der hier in der Überlassung einer menschlichen Ware, der „Ware Arbeitskraft“ besteht.

Zeitarbeitsunternehmen haben – genau wie alle anderen privatwirtschaftlichen Unter-nehmen auch - ökonomischen Gewinn zum Ziel ihrer Geschäftstätigkeit.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie ihre Hauptaufgaben, den Personalbedarf ihrer Kundenunternehmen zu bedienen, erfüllen.

Zu diesem Zweck sind Personalbeschaffungs- und Auswahlaktivitäten ebenso erforderlich sowie die Vertragsgestaltung und die anschlie1ende Betreuung der bei ihnen unter Vertrag stehenden Zeitarbeitnehmer unter Einhaltung aller arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Die Pflege der Kundenkontakte und die Akquisition neuer Kunden sowie die Disposition passender Mitarbeiter auf zu besetzende Stellen im Kundenunternehmen gehören ebenfalls zu den zentralen Aktivitäten.

Die Dienstleistung des Zeitarbeitunternehmens, die Überlassung der Ware Arbeits-kraft, als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet, wird dem Kundenunternehmen in Form von Stunden-Verrechnungssätzen in Rechnung gestellt.

Die Höhe des Gewinns aus den individuellen Verrechnungssätzen wird i. d. R. geheim gehalten, lässt sich jedoch durch Umsatzbekanntgaben in Wirtschaftsmagazinen u. ä. in etwa nachvollziehen. Nach deren Angaben liegen die Margen zwischen 3,4 und über 14 Prozent („Fachpersonal verzweifelt gesucht“ in DER AKTIONÄR 46/2006).

Über die Einnahmen aus den Verrechnungssätzen entlohnen die Zeitarbeitsunter-nehmen sowohl die Zeitarbeitnehmer selbst wie auch ihre internen Mitarbeiter. Des Weiteren werden die Marketingaktivitäten sowie die übrigen Betriebskosten des Zeitarbeitsunternehmens über die Einnahmen gedeckt.

Die Unternehmensbezeichnungen sind in der Praxis zum Teil nicht eindeutig definiert, bzw. gehen ineinander über oder werden uneinheitlich verwendet: Zeitarbeits-unternehmen werden auch in der Praxis auch als Personaldienstleister bezeichnet, allerdings beschäftigt sich nicht jeder Personaldienstleister mit Arbeitnehmer-überlassung, sondern u. U. nur mit Personalberatung und/oder mit der Vermittlung von Bewerbern in feste Arbeitsverhältnisse beim Kunden des Personaldienstleisters.

Des Weiteren gibt es z. B. Personaldienstleister, die sich darauf spezialisiert haben, den kompletten Personalrekrutierungsprozess für ein Unternehmen – als Recruitment Process Outsourcing oder kurz RPO bezeichnet – abzuwickeln.

Diese speziellen Personaldienstleister betreiben i. d. R. keine Arbeitnehmerüber-lassung. Zur klaren Abgrenzung wird in dieser Arbeit der Begriff Zeitarbeitsunter-nehmen zur Beschreibung von Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben, verwendet.

Von der staatlichen Arbeitsvermittlung, zuständige Behörde ist die Bundesagentur für Arbeit, unterscheiden sich die Aktivitäten der Zeitarbeitsunternehmen in signifikanten Merkmalen:

Zeitarbeitsunternehmen sind erfolgreich durch eine offensive Kundenansprache (Akquisition) und persönliche vor-Ort-Betreuung im Kundenunternehmen. Durch-dachte Marketingstrategien und ausgeprägtes kundenorientiertes Verhalten mit hoher Dienstleistungsmentalität fördern des Weiteren eine dauerhafte Kundenbindung.

In größeren Unternehmen bestimmter Branchen ist der Einsatz von Zeitarbeitnehmern im Vergleich zur Stammbelegschaft signifikant angestiegen: In einigen Unternehmen der Metallindustrie befinden sich neben der Stammbelegschaft teilweise 30 Prozent ständige Zeitarbeitnehmer im Einsatz, so z. B. beim Automobilhersteller BMW in Leipzig.

In einer Studie zur Zeitarbeit in Deutschland beobachteten Wissenschaftlicher „zwei Trends beim Wachstum der Branche: Zum einen setzen mehr größere Betriebe Leiharbeitnehmer ein, besonderen im Verarbeitenden Gewerbe: 2006 taten das 44,8 Prozent der Betriebe mit mehr als 250 Beschäftigten. Unter den Großunternehmen über 5.000 Mitarbeiter heuerten zuletzt sogar knapp 60 Prozent Zeitkräfte an.“ (Zeitarbeit in Deutschland: In vielen Großunternehmen gängige Praxis“, Böckler-impuls-Ausgabe 20/2007)

2.1 Genese und Institutionalisierung von Zeitarbeit

1952 trat auf dem deutschen Arbeitsmarkt das schweizerische Unternehmen ADIA Interim in Erscheinung; es eröffnete in Hamburg seine erste Niederlassung und gilt seit dem als Vorreiter für die Zeitarbeitsbranche in Deutschland.

Die damals noch Bundesanstalt für Arbeit genannte Behörde (heute: Bundesagentur für Arbeit) sah seinerzeit ihr Arbeits-Vermittlungsmonopol bedroht und stellte einen Strafantrag gegen das Unternehmen.

1967 urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: „Die Ausdehnung des Arbeitsvermittlungsmonopols auf Arbeitnehmerüberlassungsverträge durch §37 AVAVG ist mit dem Grundrecht der freien Berufswahl gemäß Artikel 12 GG nicht vereinbar“.

Diese Entscheidung machte den Weg für die gewerbliche Arbeitsvermittlung/-überlassung frei und die Dienstleistung "Zeitarbeit" begann sich auch in Deutschland zu etablieren.

Zum damaligen Zeitpunkt musste der Arbeitsvertrag zwischen dem Zeitarbeits-unternehmen und dem Zeitarbeitnehmer noch auf Dauer ausgerichtet sein und demzufolge über die Dauer der Überlassung hinaus fortbestehen.

Um einen sozialen Mindestschutz von Zeitarbeitnehmern zu gewährleisten – dies hatte das Bundessozialgericht in einem Urteil von 1970 verlangt - wurde im Jahre 1972 das Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (kurz AÜG) verabschiedet.

Mit Einführung dieses Gesetzes verfolgte der Gesetzgeber verschiedene Ziele: Die wichtigsten Anliegen waren, das Betreiben von Arbeitnehmerüberlassung einer Erlaubnis zu unterwerfen, die langfristige Arbeitnehmerüberberlassung zu unterbinden und den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Schutz der Zeitarbeitnehmer zu gewährleisten.

Seit 1972 ist die Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland gesetzlich geregelt, nachstehend folgt eine kurze Erläuterung zu den wichtigsten Begriffen:

Das Synchronisationsverbot schreibt vor, dass die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses die Zeit des ersten Entleiharbeitsverhältnisses „erheblich“ überdauern muss. Hier gilt als Faustregel eine Dauer von 25% des Ersteinsatzes.

Das Wiedereinstellungsverbot schließt aus, dass der Verleiher ein Leiharbeitsverhältnis beendet und denselben Leiharbeitnehmer innerhalb von drei Monaten wieder einstellt (hier war die einmalige Beendigung und Wiedereinstellung jedoch zulässig).

Der Gleichbehandlungsgrundsatz legt fest, dass der Leiharbeitnehmer ein Recht auf den gleichen Lohn und die gleichen Arbeitsbedingungen hat wie die Stammbelegschaft im Entleihbetrieb. Die Verleihbetriebe - also die Zeitarbeits-unternehmen - können von diesem Grundsatz jedoch durch Anwendung von Branchentarifverträgen abweichen.

Die Gesetze zur Arbeitnehmerüberlassung wurden stufenweise dereguliert; das nach-stehende Schaubild gibt einen Uberblick über die wichtigsten Anderungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: IAB Bonn

Mit der letzten Stufe seiner Deregulierung wurde die Flexibilität der Zeitarbeits-unternehmen durch die Aufhebung des Synchronisationsverbotes erhöht, denn diese ermöglicht es nun den Zeitarbeitsunternehmen, Arbeitsverträge passgenau auf die Dauer des Einsatzes im Entleihbetrieb bezogen abzuschlieflen.

Des Weiteren entfiel mit der letzten Stufe der Deregulierung die Begrenzung der Überlassungshöchstdauer, d. h. die Zeitarbeitsbranche unterliegt somit nur noch — wie alle anderen Unternehmen auch, den Teilzeit- und Befristungsgesetzen.

Obwohl Zeitarbeit ein relativ junges Phänomen der modernen Arbeitswelt ist, hat die kontinuierliche Expansion durch die starke Annahme der Zeitarbeit auf der Unter-nehmensseite zu einer schnellen Institutionalisierung geführt. Die Branche verzeichnet ein rasches und stetiges Wachstum und die Zahl der Zeitarbeitnehmer wächst dem-zufolge genauso schnell und kontinuierlich.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beziffert die Zahl der aktiven Zeitarbeitnehmer zum Stichtag 31.03.2008 mit 630.000.

Das Inkrafttreten der Hartz-Gesetze im Jahr 2003 und umfassende Deregulierungs-magnahmen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts bedeuteten einen weiteren rasan-en Aufschwung für die Branche.

Das im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz seit dem Jahr 2003 verankerte Gleich-stellungsgesetz erfüllt die Forderung der Gewerkschaften, dass Zeitarbeitnehmer ihren festangestellten Kollegen im Entleihbetrieb in Bezug auf eine grundsätzlich gleiche Behandlung (equal treatment) und gleiche Bezahlung (equal pay) gleichgestellt werden. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit eingeräumt, diese Gleichstellung durch Abschluss von Tarifverträgen zu umgehen.

In der Folge wurden umgehend von der Branche Tarifabschlüsse verhandelt und verabschiedet, was einerseits den Bestand und den Gewinn der Zeitarbeits-unternehmen sichert und anderseits zu einem seriösen Image verhelfen soll. Im Juni 2003 hat der Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen (BZA) mit allen großen Gewerkschaften einen Manteltarifvertrag geschlossen.

Die größten und damit bekanntesten 6 Unternehmen der Zeitarbeitsbranche waren im Jahr 2007 u. a.: Randstad, Manpower, Adecco, Persona Service, Tuja und die DIS AG. Der Umsatz der 25 führenden Zeitarbeitsunternehmen stieg im Jahresdurchschnitt um 28 Prozent auf insgesamt über 7,4 Milliarden Euro an. (Lünendonk®-Liste 2008)

Die Bundesagentur für Arbeit beziffert in ihrer Arbeitsmarktsberichtserstellung die Zahl der Zeitarbeitsunternehmen im Juni 2007 auf 21.000 und den Prozentsatz aller in der Zeitarbeit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf 2,4 Prozent. (Branchen und Berufe in Deutschland – Zeitarbeit, Seite 5)

2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen

Das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte Kündigungssschutzgesetz ist ein Arbeitnehmerschutzgesetz – mit dem Ziel, vor willkürlicher Entlassung durch den Arbeitgeber zu schützen und den Beschäftigten somit eine zumindest relative Sicherheit zu bieten. Die Teilzeit- und Befristungsgesetze legen fest, unter welchen Bedingungen flexible Beschäftigung rechtlich möglich ist.

2.2.1 Das Kündigungsschutzgesetz

Ein häufig bemühtes Argument gegen unbefristete Neueinstellungen ist ein vermeint-lich zu starker Kündigungsschutz:

„Ein starker Kündigungsschutz führt in der Regel zu einer Reduzierung und Umverteilung des Risikos von Arbeitsplatzverlusten. Ein institutionell starker Schutz der Kernbelegschaften hat eine Verringerung des Arbeitsplatzrisikos zur Folge sowie eine geringe Arbeitsmarktdynamik und ein eher vorsichtiges Einstellungsverhalten von Arbeitgebern. In der Folge kommt es zu einer tendenziellen Verschlechterung der Beschäftigungschancen von Arbeitlosen“. ( Rainer Jung 2006/Informationsdienst Wissenschaft)

Empirisch lassen sich nach Schramm und Zachert andere Einstellungen nachweisen: Die Hamburger Wissenschaftler bestätigen eine Befragung durch das WSI: „Auch dabei zeigte sich: Egal, wie Personalverantwortliche über denKündigungsschutz denken und welche konkreten Erfahrungen sie damit gemacht haben – ihr Einstellungsverhalten beeinflusst das nicht. Entscheidend für die Schaffung neuer Jobs ist die wirtschaftliche Situation des Unternehmens“

Die Wissenschaftler haben eine Erklärung dafür, warum der Kündigungsschutz in standardisierten Meinungsumfragen trotzdem häufig als Problem genannt wird:

„... Derartige Äußerungen seien eher dem „gefühlten Arbeitsrecht“ zuzuordnen, mutmaßen sie.“(Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft, 27.09.2006)

Das Arbeitsrecht benennt drei unterschiedliche Formen der arbeitgeberseitigen Kündigung: Die personenbedingte, die verhaltensbedingte und die betriebsbedingte Kündigung.

In der Praxis ist die am häufigsten angewandte Kündigungsform die betriebsbedingte Kündigung, welche im Streitfall – genau so wie bei der personen- oder verhaltens-bedingten Kündigung - einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung standhalten muss.

Die Anwendung der Kündigungsschutzgesetze (KüSchG) unterliegt bestimmten Be-dingungen: Es ist abhängig von der Anzahl der Beschäftigten des Unternehmens so-wie von der Dauer des Arbeitsverhältnisses:

Ein Unternehmen muss i. d. R. mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigen, damit der Kün-igungsschutz für Arbeitnehmer einsetzen kann. Zur Berechnung der Mitarbeiter-zahl wird ein festgelegter Schlüssel angewandt.

Eine arbeitgeberseitige Kündigung unterliegt der betrieblichen Mitbestimmungspflicht, d.h. dass eine ohne vorherige Anhörung der Arbeitnehmervertreter ausgesprochene Kündigung aus formalen Gründen rechtsunwirksam ist.

Des Weiteren setzt der Kündigungsschutz erst ein, wenn das Arbeitsverhältnis min-destens 6 Monate bestanden hat. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, haben Arbeit-nehmer innerhalb von drei Wochen die Möglichkeit, vor dem zuständigen Arbeitsgericht die so genannte Kündigungsschutzklage einzureichen.

In diesem Fall prüfen die Arbeitsrichter die Zulässigkeit der ausgesprochenen Kündigung, was bedeutet, dass das Unternehmen in der Pflicht ist, berechtigte Gründe für die Kündigung nachzuweisen, damit die Kündigung rechtswirksam werden kann.

2.2.2 Teilzeit- und Befristungsgesetze

Zielsetzung dieser Gesetze (TzBfG) ist es, Teilzeitarbeit zu fördern, die Voraus-setzungen für die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge festzulegen und die Diskrimi-nierung von Teilzeit- und befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern:

In § 3 TzBfG wird der Begriff des befristet beschäftigten Arbeitnehmers definiert. Dabei wird festgelegt, dass es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, wenn die Dauer kalendermäßig bestimmt ist oder sich aus „Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt“. Es wird also unterschieden zwischen kalendermäßigen und zweckbefristeten Arbeitsverhältnissen.

In § 14 TzBfG Zulässigkeit der Befristung wird exakt definiert, unter welchen Bedingungen die Befristung eines Arbeitsverhältnisses möglich ist, die für das Problemverständnis dieser Arbeit beiden wichtigsten Absätze werden nachstehend aufgeführt:

(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn

1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht
2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern
3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird
4. die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt
5. die Befristung zur Erprobung erfolgt

(2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig.

Die Teilzeit- und Befristungsgesetze bieten den Unternehmen somit umfassende Mög-lichkeiten, Personalbedarf überaus flexibel und ohne zwingende Inanspruchnahme von Zeitarbeitsunternehmen zu decken.

3. Verortung im sozialen Raum

Seit der Verknappung von Arbeitsstellen gibt es Verteilungskämpfe auf dem Feld „Arbeitsmarkt“. Auf diesem Feld stehen Akteure mit unterschiedlichen Interessenlagen miteinander in Beziehung:

- Erwerbstätige
- Gewerkschaften
- Arbeitslose
- Die Bundesagentur für Arbeit
- Unternehmen
- Die Zeitarbeitsbranche
- Der Gesetzgeber

Da für die meisten Erwerbspersonen das Innehaben eines nicht prekären Arbeitsplatzes die Sicherstellung der wirtschaftliche Existenz bedeutet, sehen sich nun alle erwerbsfähigen und -willigen Akteure vor die gleiche Herausforderung gestellt: Eine möglichst langfristige Erwerbsmöglichkeit mit mindestens Existenz sicherndem Einkommen zu bekommen und/oder zu behalten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Zur Soziologie der Zeitarbeitnehmerarbeit
Untertitel
Ein Beitrag zur Arbeitsbeziehungsforschung
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
47
Katalognummer
V132338
ISBN (eBook)
9783640380152
ISBN (Buch)
9783640380367
Dateigröße
706 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit befasst sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen und Auswirkungen der Zeitarbeit in Deutschland. Die Perspektiven und Interessen der jeweils beteiligten Akteure werden beleuchtet und sowohl die ökonomischen als auch die ideellen Werte werden fokussiert. Das Modell des Arbeitskraftunternehmers wird zu Hilfe gezogen, um ein Modell der "Zeitarbeitnehmerarbeit" zu entwickeln und eine theoretische Einordnung zu erleichtern.
Schlagworte
Soziologie, Zeitarbeitnehmerarbeit, Beitrag, Arbeitsbeziehungsforschung
Arbeit zitieren
B.A. Gisela Christ-Rodenbeck (Autor:in), 2008, Zur Soziologie der Zeitarbeitnehmerarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132338

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