Lebenswelten rechtsextremer Skinheads - Konsequenzen für die Soziale Arbeit im Kontext sozialräumlicher Ansätze


Tesis de Máster, 2009

78 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Methode der Lebensweltanalyse

3 Konkreter Gegenstand der Lebensweltanalyse: rechtsextreme Skinheads
3.1 Rechtsextremismus – eine Begriffsdefinition
3.2 Die Skinhead-Bewegung
3.2.1 Geschichte der Skinheadbewegung
3.2.2 Die unterschiedlichen Gruppierungen in der Skin-Szene
3.2.3 Zum Begriff der Subkultur /Szene
3.3 Zwischenfazit

4 Die Skinhead-Lebenswelt
4.1 Erscheinungsbild und Kleidung
4.2 Sozialstruktur innerhalb der Skinhead-Szene
4.2.1 Personenpotenzial
4.2.2 Alters- und Geschlechtsstruktur
4.2.3 Familiärer Hintergrund
4.2.4 Ausbildung/Bildung
4.3 Musik und andere Kommunikationsmedien
4.3.1 Rechte Musik – Einstiegsdroge, Propagandamittel, Vernetzungsinstrument?
4.3.1.1 Inhalte der Musik
4.3.1.2 Psychologische Wirkung und Funktion
4.3.2 Szenekommunikation: Vom Fanzine bis zum Internet
4.4 Gewalt, delinquentes Verhalten und Straftaten
4.4.1 Statistische Befunde
4.4.1.1 Grundlegende Problematiken
4.4.1.2 Ausgewählte Daten
4.4.2 Qualitative Untersuchungen
4.5 Gruppenprozesse – Das „Wir“- Gefühl
4.5.1 Die Psychologie der Gruppe
4.5.2 Die Bedeutung der Gruppe für rechtsextreme Skinheads
4.6 Ideologie und Weltanschauung
4.6.1 Szenespezifische Ideologiefragmente in der Eigendarstellung
4.6.1.1 Geschichte und Politik
4.6.1.2 Feindbilder und Rassen
4.6.1.3 Selbstverständnis und Tugenden
4.6.2 Haben rechte Skins eine fundierte Ideologie?
4.6.3 Fazit

5. Konsequenzen für die soziale Arbeit im Kontext sozialräumlicher Ansätze
5.1 Ein- und Ausstiegsmotive
5.2 Die Akzeptierende Jugendarbeit
5.2.1 Das Konzept der Akzeptierenden Jugendarbeit nach Krafeld
5.2.2 Die Bedeutung des Aufsuchenden Ansatzes
5.3 Jugendliche und ihre Sozialräume
5.4 Sozialraumanalyse am Beispiel „Distanz(ierung) durch Integration“
5.4.1 Grundsätzliche Überlegungen und Konzeptziele
5.4.2 Thematische Schwerpunkte und Arbeitsbereiche
5.4.3 Stellungnahme
5.4.3.1 Bewertung des Bremer Konzepts für die Arbeit mit rechten Skins
5.4.3.2 Bedeutung der Sozialraumanalyse

6. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Skin|head [...het] der; -s, -s <engl.>: Angehöriger einer Gruppe männlicher Jugendlicher, die äußerlich durch Kurzhaarschnitt bzw. Glatze gekennzeichnet sind u. zu aggressivem Verhalten u. Gewalttätigkeiten neigen [auf der Grundlage rechtsradikalen Gedankenguts]“ (Duden 2006: 962).

Die meisten Menschen würden einer solchen Definition wahrscheinlich zustimmen.

Aber entspricht diese im aktuellen Fremdwörterbuch des Duden enthaltene Umschreibung eines Skinheads tatsächlich der Lebenswirklichkeit?

Bei der Betrachtung dieser Definition bleiben jedoch einige Fragen offen: Sind nun alle Skinheads als rechtsradikal zu bezeichnen? Und was bedeutet „Rechtssein“ überhaupt? Man könnte sich zudem fragen, ob man einen Skinhead auf der Straße wirklich immer schon an seinem äußeren Erscheinungsbild erkennen würde. Spielt Gewalt im Leben von Skinheads tatsächlich so eine große Rolle, dass sie als konstituierendes Merkmal des „Skinhead-Seins“ angesehen werden kann und daher sogar in der Begriffsdefinition erscheint? Zu untersuchen wäre auch, ob dieses gewalttätige Verhalten, wie im Duden behauptet, wirklich einer politisch fundierten Ideologie entspringt.

In jedem Fall spiegelt die oben angeführte Begriffsbestimmung die vorherrschenden Einstellungen in unserer Gesellschaft wider.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob das gezeichnete Bild von den meist jugendlichen Skinheads der Realität entspricht. Um dies beurteilen zu können, ist eine Analyse der Lebenswelt dieser Gruppierung vorzunehmen. Dabei werden die im Duden angesprochenen Bereiche der Kleidung und des Erscheinungsbildes, der Gewalt, des rechtsextremen Gedankenguts bzw. bestimmter ideologischer Orientierungen sowie die Bedeutung von Gruppenphänomenen genauer beleuchtet.

Dass Rechtsextremismus nicht an Aktualität verloren hat, verdeutlichen die aktuellen Ausschreitungen Rechtsextremer bei den Mai-Kundgebungen in verschiedenen deutschen Städten in diesem Jahr. Auch seitens der Regierung wird im neusten Verfassungsschutzbericht, der am 19.5.2009 durch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgestellt wurde, mit Besorgnis auf die Zunahme rechtsextremistischer Taten in Deutschland im Jahr 2008 hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund wird erneut die Frage nach Präventionsmaßnahmen laut.

Wie kann dem Einstieg in die rechte Szene und damit den rechtsextremistischen Straftaten vorgebeugt werden?

Welche Möglichkeiten bestehen, um den Ausstieg aus der Szene zu fördern?

Wie könnte eine erfolgreiche Jugendarbeit aussehen und welchen Nutzen könnte die Orientierung an sozialräumlichen Ansätzen in diesem Rahmen haben?

Existieren bereits erprobte Konzepte speziell für die soziale Arbeit mit rechten Jugendlichen?

Insgesamt soll ein umfassendes Bild der Lebenswelt rechtsextremer Skinheads unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen gezeichnet werden. In einem nächsten Schritt werden auf der Grundlage dieser Erkenntnisse der Lebensweltanalyse sozialraumorientierte Ansätze in der Jugendarbeit auf ihren Nutzen für den Umgang mit rechten Skins beleuchtet. Hierbei wird auf die Wichtigkeit der Sozialraumanalyse speziell für derartige Konzepte eingegangen.

2 Zur Methode der Lebensweltanalyse

Die Methode der Lebensweltanalyse dient dazu, ein möglichst genaues und umfassendes Bild von der Lebenswirklichkeit eines Individuums zu erstellen. Der Begriff der Lebenswelt wurde maßgeblich von Husserl in seinen Ausführungen über „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie" geprägt. Er sah die Krise der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts darin, dass vergessen wurde, dass alle modernen und sehr an der Theorie orientierten mathematischen Naturwissenschaften der anschaulichen Lebenswelt entspringen. Die Welt der mathematischen Gegenstände werde zu der einzig wahren erklärt; dabei gehe jedoch die Lebensbedeutsamkeit verloren (vgl. Möller 2009). Die Lebenswelt wird von Husserl als unveränderliche Welt der Wahrnehmungen gesehen.

Die Grundlage jeder lebensweltanalytischen Betrachtung stellt der Begriff der „Lebenswelt“ dar. Nach Merchel ist das Individuum hierbei der Ausgangspunkt; das bedeutet, dass der Begriff der „Lebenswelt“ zunächst als auf das Individuelle bezogen auszulegen ist. Die Lebensweltanalyse rückt daher die konkrete Betrachtung der Lebenswelt jedes Einzelnen in den Mittelpunkt und untersucht seine sozialen und räumlichen Bezugspunkte. Aufgrund der unterschiedlichen individuellen Ausprägung und des Grades der Mobilität jedes zu untersuchenden Individuums sind Lebenswelten als flexible und räumlich ausdifferenzierte Konstrukte zu verstehen (vgl. Merchel 2001: 372).

Nach Schütz/Luckmann ist die „[...] alltägliche Lebenswelt [...] die Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann [...]“ (Schütz/Luckmann 2003: 29).

Da die Wahl von Räumen, Sprache, Symbolen oder Verhaltensweisen beim Individuum selbst liegt, kann die Lebenswelt als Teil des persönlichen Lebensentwurfs jedes Einzelnen angesehen werden (vgl. Keller 1998: 6). Diese subjektive Dimension ist aber eng mit einer objektiven verknüpft, da die elementare Wirklichkeitsstruktur der Lebenswelten verschiedener Individuen teilweise kongruent ist. Somit dienen diese auch als „[...] Ort konkreter Erfahrung gesellschaftlicher Ereignisse“ (Springer 1996: 97).

In der Lebenswelt, die z.B. Wohnen, Nachbarschaft, soziale Beziehungen, Freizeit, Arbeit oder Gesundheit umfasst, wird die Grundlage sozialen Handelns in einer stillschweigenden, gemeinsamen Auslegung der Bedeutung sozialer Regeln, Strukturen und Abläufe gelegt (vgl. Deutscher Verein für Öffentliche und Private Vorsorge 1997: 609 f.).

Abschließend lässt sich die Lebensweltanalyse als eine Methode beschreiben, die die je spezifischen Besonderheiten sozialer Teilsysteme abbildet und gleichsam deren implizierte Deutung der Welt widerspiegelt.

3 Konkreter Gegenstand der Lebensweltanalyse: rechtsextreme Skinheads

Ausgehend von der oben dargestellten dogmatischen Konstruktion der Lebenswelt soll im Folgenden auf den in dieser Arbeit gewählten Bezugspunkt der Lebensweltanalyse eingegangen werden: rechtsextreme Skinheads.

3.1 Rechtsextremismus – eine Begriffsdefinition

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Quelle: Stöss 2005: 20.

Ein konsensuales Verständnis bzw. eine einheitliche Verwendung des Begriffs „Rechtsextremismus“ exis­­­­­­­­­­tiert in der einschlägigen Fachliteratur nicht; die vorherrschende begriffliche Verwirrung wird von verschiedenen Seiten kritisiert (vgl. z.B. Coester/Gossner 2002: 10). Vor allem für einen großen Teil sozialwissenschaftlicher Veröffentlichungen über Rechtsextremismus stellt sich die an den Verfassungsschutzzielen orientierte begriffliche Definition „Gegnerschaft zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“ als zu eng gefasst dar (vgl. Oepke 2005: 32). Grundsätzlich gilt die Bezeichnung „Extremismus“ als Oberbegriff für Orientierungen am linken und rechten Rand jenseits des verfassungskonformen Spektrums; dabei wird von der Vorstellung ausgegangen, dass sich das politische Spektrum entlang einer Achse gruppiert, die von links über die Mitte bis nach rechts reicht und bei der die Extrempositionen rechts- und linksaußen angesiedelt sind (vgl. Schubarth/Stöss 2001: 13). Der Begriff „radikal“ wird in der Umgangssprache häufig benutzt, um bestimmte Gruppen vom verfassungskonformen Spektrum abzugrenzen; so werden Extremisten nicht selten als Links- oder Rechtsradikale tituliert. Wie in Abbildung 1 jedoch deutlich wird, trennt die staatliche Verfassung „[...] zwischen verfassungsfeindlichen ‚Extremisten’ und verfassungskritischen ‚Radikalen’“ (Grumke 2007: 21). Inhaltliche Einstellungselemente, die am häufigsten mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht werden, sind Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Ethnozentrismus, Rassismus, Antisemitismus, Autoritarismus, antidemokratische Haltungen, Kollektivismus, Antipluralismus und Vergangenheitsorientierung, insbesondere eine verharmlosende, teilweise verherrlichende Haltung zum Nationalsozialismus. In einigen Fällen wird nur das Vorliegen all dieser Elemente zusammen als Rechtsextremismus charakterisiert (vgl. Schubarth/Stöss 2001: 170 f.). Nach der Auffassung von Pfahl-Traughber beinhaltet der Begriff vier grundlegende Ideologieelemente, die mehr oder weniger allen rechtsextremistischen Bestrebungen zugrunde liegen, wenn auch nicht in einer einheitlichen Form: Die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, eine Ideologie der Ungleichheit, Antipluralismus und Autoritarismus (vgl. Pfahl-Traughber 1999: 17). Extremisten wird als Gemeinsamkeit die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates zugeschrieben (vgl. Pfahl-Traughber 1999: 12). In Abgrenzung zum Linksextremismus weist der Rechtsextremismus folgende besondere Ideologieelemente auf: die Ablehnung des Gleichheitsprinzips und die Vorstellung von der Ungleichheit der Menschen, wobei bestimmten Gruppen ein minderer Rechtsstatus bzw. nur beschränkte Rechte zugewiesen werden (vgl. Pfahl-Traughber 1999: 14; Verfassungsschutzbericht NRW 2008: 29).

Eine von der Verfassung losgelöste Definition entwickelte Wilhelm Heitmeyer im Rahmen seiner jugendsoziolo­gischen Untersuchungen: Rechtsextremismus liegt seiner Ansicht nach dann vor, wenn sich eine in ihren Strukturen gewaltorientierte Ideologie der Ungleichheit bzw. Ungleichwertigkeit mit Varianten der Gewaltakzeptanz als Handlungsform verbindet (vgl. Heitmeyer 1992: 14). Dieses Begriffsverständnis beinhaltet eine antidemokratische Haltung nur mittelbar und ist stark auf das Gewaltmerkmal fixiert. Der auf der Basis dieses Verständnisses entwickelte „soziologische Rechtsextremismusbegriff“ (Oepke 2005: 32) definiert sich durch drei wesentliche Merkmale: Erstens erweitert er den am Verfassungsschutz orientierten Begriff „[...] um alltägliche Mentalitäten und Orientierungsmuster [...]“ (vgl. Oepke 2005: 32), die auf die Auflösung und Beeinträchtigung demokratischer Strukturen und Prozesse gerichtet sind. Zweitens umfasst er nicht die Organisationen, sondern bezieht sich ausschließlich auf Individuen. Als letztes und drittes Merkmal wird der Rechtsextremismusbegriff als Anhäufung verschiedenster Dimensionen auf der Einstellungs- und Verhaltensebene von Individuen verstanden (vgl. Oepke 2005: 33).

Laut Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen lassen sich drei elementare Ausprägungen des Rechtsextremismus festlegen: Der aktionsorientierte Rechtsextremismus definiert sich hauptsächlich durch die Machtausübung seiner Mitglieder im öffentlichen, für alle sichtbaren Raum, wie bei Demonstrationen auf der Straße. Besonders neonazistische Gruppierungen zielen mit ihrer Demonstrationspolitik auf die quantitative Zunahme ihrer Anhängerschaft; zum einen haben solche Aktionen einen „[...] identitätsstiftenden Stellenwert nach innen [...]“ (Verfassungsschutzbericht NRW 2008: 29) sowie einen „[...] demonstrativen Stellenwert für die Durchsetzung konkreter politischer Ziele nach außen [...]“ (Verfassungsschutzbericht NRW 2008: 29). Hierunter fallen laut Verfassungsschutzbericht auch gewaltbereite rechtsextreme Jugendliche der Skinhead-Szene, die ihren Schwerpunkt jedoch eher auf die Planung und Durchführung rechtsextremer Konzerte und anderer Musikveranstaltungen legen.

Weiterhin wird der parlamentsorientierte Rechtsextremismus genannt, der auf einen zunehmenden Einfluss im parlamentarischen und politischen Raum abzielt. Hierzu zählen Parteien wie die NPD oder die DVU, deren Ziel die Abschaffung des demokratischen Systems unter Beachtung der formalen Regeln eines demokratischen Rechtsstaates ist. Durch das Zusammenwirken mit der Neonazi-Szene und anderen rechtsgesinnten Gruppierungen (wie den Skin-Gruppierungen) kommt insbesondere der NDP die Rolle der „Vermittlerin“ zwischen aktionsorientiertem und parlamentsorientiertem Rechtsextremismus zu (vgl. Verfassungsschutzbericht NRW 2008: 30).

Die letzte Form ist der diskursorientierte Rechtsextremismus: Kleingruppen und Organisationen beeinflussen intellektuell und propagandistisch den gesellschaftspolitischen Diskurs und deuten gesellschaftliche Ereignisse so um, dass diese rechtsextremistische Theorien zu bestätigen scheinen. Als eine besonders starke Ausprägung hierfür lässt sich der sogenannte Revisionismus anführen, der unter anderem die Leugnung des Holocaust beinhaltet (vgl. Verfassungsschutzbericht NRW 2008: 30).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Begriff des Rechtsextremismus sehr unterschiedlich definiert wird; es können hier nur beispielhaft die Auffassungen einzelner Autoren aufgeführt werden. Gemeinsam scheint den Begriffsverständnissen aber zum einen die Voraussetzung einer Ideologie der Ungleichheit als wesentliches Merkmal einer rechtsextremistischen Einstellung zu sein. Hierunter versteht man die aus der objektiv feststellbaren Ungleichheit der Menschen abgeleitete Ungleichwertigkeit und die damit verbundene Abwertung der als anders oder fremd erscheinenden Menschen (vgl. Pfahl-Traughber 1999: 14). Zum anderen sieht ein Großteil der Begriffsauffassungen Rechtsextremismus als Gegenbild zur Demokratie, was gleichbedeutend mit der Feindschaft gegenüber dieser begriffen werden kann (vgl. Oepke 2005: 29).

3.2 Die Skinhead-Bewegung

Wie bereits erläutert, bezieht sich die Lebensweltanalyse einerseits primär auf das Individuum; es existieren andererseits jedoch Fälle, in denen sich die Wirklichkeitsstrukturen verschiedener Lebenswelten/Individuen so stark angenähert und überlagert haben, dass eine zusammenfassende Betrachtung ihrer Lebenswelt möglich ist. Dies ist insbesondere in (Jugend-)Szenen und/oder Subkulturen gegeben. Daher werden zunächst – bevor detaillierter auf die charakteristischen Kennzeichen der Skinhead-Lebenswelt eingegangen wird – der Begriff und die Wesensmerkmale von Subkulturen/Szenen erläutert. Es soll aufgezeigt werden, dass Skinheads in einer eigenen Subkultur/Szene leben und damit eine szenespezifische lebensweltorientierte Analyse sinnvoll und möglich erscheint.

3.2.1 Geschichte der Skinheadbewegung

Die Wurzeln der deutschen Skinheadbewegung[1] sind in den späten 60er Jahren in England zu suchen. Dort trat der Begriff 1969 zum ersten Mal auf, um eine Jugendbewegung zu beschreiben, die ihre sie mit Stolz erfüllende proletarische Herkunft in Form von schweren Arbeiterstiefeln, robuster Arbeiterkleidung und sehr kurz geschorenen Haaren („number-one-crop“[2] ) nach außen hin dokumentieren wollte (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 18). Anhand dieser Protesthaltung sollte auf die zunehmende Arbeitslosigkeit und das Verschwinden vertrauter Sozialstrukturen aufmerksam gemacht werden (vgl. Innenministerium NRW 2002: 26). Die Skinhead-Bewegung, welche in der Geschichte kein völlig neues Phänomen darstellte, ließ sich als eine sprachliche Zusammenfassung verschiedener Gruppierungen verstehen: die „Hard-Mods“[3], die aus karibischen Einwanderern zusammengesetzten „Rude-Boys“ und die am Rande von Fußballspielen immer wieder als gewalttätig auftretenden „Boot-Boys“. Trotz der sich daraus ergebenden heterogenen Szene können die Liebe zur Ska-Musik[4], die Neigung zu gewalttätigen Aktionen und ein starker Drang zur überzogenen maskulinen Selbstdarstellung als Gemeinsamkeiten aller Gruppierungen festgehalten werden. Eine einheitliche politische Einstellung existierte zunächst nicht; allerdings waren Skinheads nicht als rechtsextrem, sondern eher als stark konservativ anzusehen (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 18; El-Nawab 2001: 21). Nachdem die erste Welle der Skinheadbewegung zu Beginn der 70er Jahre abflachte, bildete sich 1977 – ebenfalls in England – eine neue Bewegung aus sogenannten Streetpunks, die den Stil (Kleidung und Musik) der ersten Skinheads kopierte und sich somit von den Modepunks[5] distanzieren wollte. Schon bald erweiterten ehemalige Mods sowie ehemalige Rude-Boys die Szene mit dem Namen „Oi!“[6]. Im Gegensatz zur ersten Bewegung wurden Skinheads zum ersten Mal auch politisch aktiv, da es einigen rechtsextrem orientierten britischen Parteien gelang, sie für ihre politischen Vorstellungen und Ziele zu begeistern.

In Deutschland lässt sich der Beginn der Skinhead-Bewegung auf Anfang der 80er Jahre festlegen. Als die aus Großbritannien stammende „Punk-Welle“ bereits wieder abflachte und sich Punk-Musik etabliert hatte, begann innerhalb der deutschen Punk-Szene ein Differenzierungsprozess: Während ein Teil mit der britischen Oi!-Bewegung sympathisierte, entwickelte sich ein anderer Teil politisch immer mehr nach links. So kam es zu einer Spaltung der Szene, in Punks auf der einen und Skinheads auf der anderen Seite. Mit der Wiedervereinigung nahmen der Zulauf von Skinheads zu extremen Skinhead-Gruppierungen wie der „Blood&Honour“- oder der „Hammer-Skin“-Bewegung ebenso wie rechtsextremistische Gewalttaten in den neuen Bundesländern enorm zu (vgl. Innenministerium NRW 2002: 26; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2003: 6 f.).

Durch die Einflüsse verschiedener Jugendkulturen gestaltet sich die Szene hinsichtlich äußerer Erkennungsmerkmale sowie des Musikstils sehr heterogen.[7] So berichtet das Bundesinnenministerium in seinem Verfassungsschutzbericht 2007: „Innerhalb des deutschen Rechtsextremismus ist eine anhaltende Abkehr von der klassischen Skinhead-Subkultur festzustellen“ (Verfassungsschutzbericht 2007: 58).

3.2.2 Die unterschiedlichen Gruppierungen in der Skin-Szene

Wie Wahl bei seiner Gerichtsaktenanalyse mit fremdenfeindlichen Gewalttätern feststellte, ist in vielen Gerichtsurteilen über Taten mit fremdenfeindlichem Motiven verallgemeinernd von Skinheads die Rede. Inwieweit die Täter anderen fremdenfeindlichen oder rechtsextremistischen Gruppierungen angehören, wird hierbei jedoch nicht erwähnt (vgl. Gaßebner et al. 2003: 42). Auch der Verfassungsschutz stufte zu Beginn seiner szenespezifischen Ermittlungen alle Skinheads pauschal als rechtsextrem ein. Mittlerweile lässt sich jedoch sagen, dass die Skinheadbewegung durch viele unterschiedliche Strömungen und weniger auffallende Erscheinungsformen geprägt ist. Dies macht eine szeneinterne Differenzierung zur realitätsgetreuen Darstellung der Skinheadkultur notwendig. Wie heterogen und gespalten sich die Skinhead-Szene heutzutage darstellt, zeigt die folgende Aussage eines Skins:

„Ich bin kein Neo-Nazi, ich bin Skin-Head. Skin-Heads sind mehr unpolitisch, unpolitische Arbeiter. [...] Es gibt verschiedene Arten von Skin-Heads. Es gibt die ‚SHARP-Skins’, die sind mehr politisch, nämlich rot eingestellt. Dann gibt es die ‚Oi-Skins’, die sind mehr auf den Spaß aus, die halten sich von allem fern. Dann gibt es die ‚rechten Skins’, die sind gegen ‚Punks’ oder gegen die ‚SHARPs’. Die Skins, die gegen Ausländer sind, nennen sich ‚White-Power-Skins’[...]“ (Gaßebner et al. 2003 : 42).

Die größte Gruppierung innerhalb der Skin-Bewegung[8] bilden die „Oi!-Skins“. Dieser Teil der Szene hat sich gegen die rechtsextremis­tischen Strömungen gewehrt und steht politi­schen Extremen eher negativ gegenüber (vgl. Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 22). Für Oi!-Skins steht der skinheadspezifische Spaß (Alkohol, Sex, Gewalt), das alleinige Skinheaddasein primär im Vordergrund. Diese Sichtweise beinhaltet jedoch nicht, dass für diese Skin-Gruppierung keine Feindbilder existieren. Auch sie zeigen deutlich ihre Ablehnung gegen Ausländer, Linke oder andere Minoritäten (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 19). Ob auch solche Gruppierungen ins rechte Spektrum einzuordnen sind, hängt unter anderem von der Auslegung des Rechtsextremismus-Begriffes ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Quelle: Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 24.

Eine Minderheit der Skin-Szene bildet sich aus den linksorientierten oder antifaschistischen Skins, auch „Red-Skins“, „Red & Anarchist Skinheads“ (RASH) oder „SHARPs“ („Skinheads Against Racial Prejudice“) genannt. Red- und Rash-Skins verstehen sich als militante Arbeiterjugendbewegung und werden in den meisten Fällen der linksextremistischen Autonomen-Szene zugeordnet. Äußerlich heben sie sich beispielsweise durch das Tragen roter Jacken von rechten Skins ab. Sharp-Skins sehen sich als weitgehend unpolitische Bewegung der Skinhead-Szene an. Sie setzen sich jedoch stark und provokant für Ausländer ein (teilweise auch unter Anwendung von Gewalt) und bilden so ein Gegengewicht zu den rechten Skins (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 19; Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 22; Schäfer-Vogel 2007: 379).

Eine immer stärker werdende Strömung innerhalb der Skinhead-Szene ist die rechtsextremistische. Zu den häufigsten Bezeichnungen für solch geartete Skin gehören „Nazi-Skins“, „Fascho-Skins“[9] oder „White-Power-Skins“, mit denen rassistisch gesinnte Skins gemeint sind. Skinheads, die den militanten Kern der rechtsextremen Skinhead-Szene bilden, werden auch als „Bonehead“ (Knochenkopf) genannt.

Die so bezeichneten „Blood&Honour-Skins“ (B&H-Skins) oder die „Hammer-Skins“ sind im Gegensatz zu den bereits angesprochenen rechtsextremen Bewegungen gut organisierte Gruppierungen mit erkennbarer Struktur. Die B&H-Bewegung wurde Ende der 80er vom Leader der Band „Skrewdriver“ Ian Stuart[10] gegründet. Die Ideologie dieser Bewegung orientiert sich stark an Adolf Hitler und dem rassistischen Gedankengut des Nationalsozialismus. Durch eine Verfügung des Bundesinnenministers wurden alle deutschen B&H-Gruppierungen und -organisationen 2001 verboten. Die Hammerskin-Bewegung hat ihre Anfänge Mitte der 80er in den Vereinigten Staaten von Amerika. Heutzutage ist die Strömung international organisiert und strebt eine weltweite Vereinigung der Skins zur so genannten „Hammerskin-Nation“ an. Auch diese Skins sind in ihrer Einstellung stark rassistisch und neonazistisch geprägt (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 19, Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 22).

3.2.3 Zum Begriff der Subkultur /Szene

Wie später noch zu zeigen sein wird, setzen sich Skinhead-Gruppierungen hauptsächlich aus Jugendlichen und Heranwachsenden zusammen. Diese Lebensphase der Adoleszenz ist maßgeblich geprägt durch eine provozierende ‚Anti-Haltung’, die sich gegen die Einstellungen und Normen der „Erwachsenen-Welt“ richtet und zur Entstehung typisch jugendlicher „Sonderwelten“ mit eigenen Idealen sowie Normen und Werten führt. „In der Vergangenheit wurden diese jugendlichen ‚Sonderwelten’ oftmals als ‚Subkulturen’ bezeichnet, in denen sich die jugendspezifische ‚Anti-Haltung’ zu einer ‚gesellschaftskritischen’ Lebensform mit alternativen Werten, Verhaltensformen und kulturell-ästhetischen Präferenzen verdichtete“ (Gebhardt 2006: 1 f.).

Die Bezeichnungen „Subkultur“ und „Szene“ werden jedoch in der aktuellen Diskussion meist synonym verwendet. Eine klare Abgrenzung fällt aufgrund der teilweise inhaltlichen Überschneidungen schwer.

Schwendter, der den Begriff umfassend auslegt, spricht dann von einer Subkultur, wenn „[...] Teile der Gesellschaft [...] von der Kultur, d.h. vom gesamten System der herrschenden Werte und Institutionen abweichen [...]“ (Schwendter 1973: 27). Seiner Ansicht nach ist die Skinheadkultur als regressive Subkultur einzuordnen, da ihre Normen und Institutionen dem Zweck dienen sollen, einen vergangenen Stand der Gesellschaft wiederherzustellen (vgl. Schwendter 1973: 37). Auch die zur Zeit der achtziger Jahre verwendete Definition von „Subkultur“ in der Jugendforschung verstand diese als „[...] homogene, von spezifischer Herkunft geprägte [...] Gemeinschaft, die einen ausgeprägten Kult mit spezifischen Symbolen, Ritualen und Deutungsstrukturen aufweisen. Diese Strukturen stehen entweder in einem affirmativen oder in einem oppositionellen Verhältnis zur Gesamtgesellschaft“ (Vaskovics 1995: 16). Dabei haben die gesellschaftlichen Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte nicht nur zu einem Verlust der Akzeptanz von bis dahin angesehenen Instanzen (Parteien, Kirche etc.) und zur Auflösung subkultureller Bindungen an bestimmte Klassen geführt (vgl. Beck 1986: 122). „[...] [Sie] haben auch die individuelle Wahlfreiheit – insbesondere was die ästhetische und weltanschauliche Gestaltung des eigenen Lebens betrifft – enorm erhöht. Folge dieser Entwicklungen ist eine akzelerierende Pluralisierung [...] kultureller Sinn- und Lebensstilangebote, unter denen nicht nur, aber vor allem Jugendliche ‚auswählen’ können“ (Gebhardt 2006: 2) sowie eine zunehmende gesellschaftliche Individualisierung – wie sie von Beck in seinen Ausführungen zur Risikogesellschaft beschrieben wird. (vgl. Beck 1986: 206 ff.) Die Entwicklung in Form der zunehmenden Pluralisierung schlug sich auch in den sozialwissenschaftlichen Begriffsverwendungen nieder, so dass der für viele aufgrund des Aufbrechens subkultureller Strukturen nicht mehr zutreffende Begriff der Subkultur immer weniger gebraucht wurde. Nach und nach setzte sich ein moderneres Konzept durch, welches die neuen gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigte und sich aufgrund seiner höheren Differenzierungsfähigkeit als wesentlich genauer herausstellte: die (Jugend-)Szene (vgl. Gebhardt 2006: 4 f.). Im Folgenden soll daher in Anbetracht der Entwicklungen der Begriff der Szene verwendet werden.

Hitzler kristallisiert in seinen Ausführungen wesentliche Merkmale jugendlicher Szenen heraus. Da das durchschnittliche Alter der Skinheads unter 25 Jahren liegt, handelt es sich bei dieser Gruppierung hauptsächlich um ein Jugendphänomen. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die Skinhead-Gruppierung diese Merkmale erfüllt.

Das nach außen hin auffälligste Merkmal von Szenen ist der Kleidungsstil. Er dient nicht nur der Identifikation mit der eigenen Szene, sondern auch als Mittel zur Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen oder gegenüber der breiten Masse.

Ebenso wie die Kleidung zählt auch der Musikstil in vielen Szenen zu den wichtigsten Interessensbereichen. Die Bedeutung der Musik zeigt sich bereits daran, dass heute die quantitativ größten Jugendszenen aus Musikszenen entsprungen sind, wie die Techno- oder Punk-Szene.

Events, also (Groß-)Ereignisse in Gesellschaft vieler Mitglieder, haben besonders in Szenen, in denen der Musik eine tragende Rolle zukommt, eine große Bedeutung (vgl. Gebhardt 2006: 8). Die Musik der Skinhead-Bewegung lässt sich als ein wesentlicher Interessensbereich der Bewegung hervorheben. Durch die Musik und die veranstalteten Skinhead-Konzerte treten viele Außenstehende zum ersten Mal mit der Skin[11] -Lebenswelt in Kontakt.

Des Weiteren führt der Autor den thematischen Fokus (vgl. auch Gebhardt 2006: 6) als ein Kennzeichen jugendlicher Szenen an: „Eine Szene konstituiert sich kraft der zentralen Relevanzen ihrer Mitglieder“ (Hitzler et al. 2005: 33). Häufig beschränken sich Szenen nicht nur auf einen thematischen Fokus, sondern ragen darüber hinaus und beziehen andere Themenfelder in den Interessensbereich mit ein.

Weiterhin sind Einstellungen und Motive von großer Bedeutung. Das Handeln der Szenemitglieder lässt eine grundsätzliche Einstellung erkennen, die nicht nur für die eigene Identität, sondern auch für die Existenz der Menschheit Gültigkeit haben soll. Die Skin-Bewegung ist insbesondere von fremdenfeindlichen und rassistischem Gedankengut sowie von einem starken Nationalstolz geprägt.

Ebenso spielt der gemeinsame Lebensstil eine große Rolle. Nach Hitzler ist damit die „[...] thematisch übergreifende, ‚ästhetische’ Überformung des Lebensvollzuges [...]“ (Hitzler et al. 2005: 34) gemeint. Szenen lassen sich dementsprechend auch danach unterscheiden, inwieweit die typischen Verhaltensweisen und Handlungsnormen über die zeitlichen und räumlichen Grenzen des Szenelebens hinausreichen. Eng verbunden ist hiermit auch, wie einzelne Szenemitglieder ihr „Szene-Dasein“ in ihren persönlichen Lebensalltag integrieren (vgl. Hitzler et al. 2005: 34).

Gemeinsame Treffpunkte sind für Szene deshalb so existentiell, da – laut Hitzler – erst durch „[...] lokal verdichtete Geselligkeiten Interessensnetzwerke zu Szenen [...]“ (Hitzler et al. 2005: 34) werden. Dabei können feste und szenetypisch hergerichtete Orte (Techno-Discotheken) ebenso als Treffpunkte fungieren wie öffentliche Plätze (Parkplätze für die Skater-Szene). Gemeinsame Treffpunkte der Skinheads sind vor allem diese Örtlichkeiten in der Öffentlichkeit oder aber organisierte Veranstaltungen wie Musikkonzerte.

Wie sich gezeigt hat, erfüllt die Skinhead-Bewegung die wesentlichen Merkmale einer jugendlichen Szene nach Hitzler.[12]

3.3 Zwischenfazit

Es ist deutlich geworden, dass die Frage, welche der unterschiedlichen Skinhead-Strömungen als rechtsextrem zu bezeichnen sind, von der Auslegung des Rechtsextremismusbegriffs abhängt. Weiterhin hat sich aber auch gezeigt, dass Skinhead-Gruppierungen typische Merkmale von Szenen erfüllen, sodass eine auf die Gruppe bezogene Lebensweltanalyse möglich ist.

4 Die Skinhead-Lebenswelt

Im Folgenden soll auf die unterschiedlichen Elemente der Lebenswelt rechtsextremer Skinheads eingegangen werden mit dem Bestreben, ein detailliertes Bild heutiger jugendlicher Skinheads zu zeichnen. Dabei werden von äußerlich sichtbaren Merkmalen bis hin zu ideologischen Vorstellungen alle Bereiche der Skin-Szene beleuchtet und aktuelle Entwicklungen berücksichtigt.

4.1 Erscheinungsbild und Kleidung

Die Bezeichnung „Skinhead“ ist auf den ersten Blick als Namensgeber der gleichnamigen Szene zu betrachten. Skinhead (im deutschen „Hautkopf“) bezeichnet das Durchscheinen der Kopfhaut aufgrund sehr kurz geschorener Haare. Zur Zeit des Beginns der Skin-Bewegung, als die Haare allgemein eher lang getragen wurden, fielen Personen mit extrem kurzen Haaren und langen Koteletten in der Gesellschaft auf. Besonders die Kombination dieser Frisur mit schweren Arbeiterstiefeln erzeugte eine besonders starke rebellische Wirkung auf andere Menschen. Beliebt war vor allem der „Number-One-Crop“, benannt nach der Einstellung der Haarschneidemaschinen. Mädchen trugen den sogenannten feathercut, d.h. am Ober- und Hinterkopf kurz geschoren mit gefransten Haarsträhnen an Pony, Koteletten und am Nackenhaar. Erst einige Zeit später trauten sich auch die Mädchen, ihre Haare komplett kurz zu scheren. Die Verbindungen zum Militär, die sich durch das äußere Erscheinungsbild ergeben, sind zumindest von rechten Skins so gewollt (vgl. Bredel 2002: 58). Kurz geschorenes Haar lässt sich zudem auch als Zeichen von Strafe, Demütigungen und auferlegter Unterwerfung deuten. Die harten Konturen des Kopfes betonen die Körperlichkeit und können in diesem Zusammenhang als Zeichen männlicher Härte und Stärke gedeutet werden (vgl. El-Nawab 2001: 64 ff.).

In der Anfangsphase der Skin-Bewegung wurden schwere Bergarbeiter- oder Armeestiefel (häufig mit einem Stahlkappen-Einsatz in der Schuhspitze) zumeist mit einer 8- oder 10-Loch-Schnürung getragen. Später dann gelangten die in der Skin-Szene legendären Dr. Martens-Schuhe (auch Docs genannt) auf den Markt. Man trug sie klassisch in schwarz oder in bordeaux. Die Schuhe bekamen einen besonders hohen Stellenwert als szenetypisches Kleidungsmerkmal in der Außendarstellung, was der Grund dafür war, dass besonders darauf geachtet wurde, saubere und polierte Stiefel zu tragen. Das spezielle Schuhwerk wirkte sich zudem äußerlich sichtbar auf die Gangart aus: der Gang wirkte durch das relativ hohe Eigengewicht wesentlich schwerfälliger und für Außenstehende bedrohlicher. Dieser Eindruck wurde durch die Assoziation mit dem Militär weiterhin verstärkt: Skins, die diese Stiefel trugen, verdeutlichten, dass sie vor dem Kampf und vor gewalttätigen Handlungen keinen Halt machen (vgl. El-Nawab 2001: 69 f.; Schäfer-Vogel 2007: 439).

Als Beinbekleidung werden enganliegende Jeans oder Camouflagehosen von Levi´s oder Wrangler in schwarz, blau oder in weiß bevorzugt. Um die Stiefel entsprechend in Szene zu setzen, werden die Hosen meistens hochgekrempelt. Wichtig sind unter anderem auch Hosenträger, die häufig herunterhängend getragen werden und an die Nähe der Bewegung zum Arbeiterkult erinnern sollen (vgl. El-Nawab 2001: 70; Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 33). Passend dazu werden meist Hemden oder T-Shirts mit den Aufdrucken von Bandnamen oder rechtsextremistischen Symbolen getragen sowie die sogenannten Bomber- oder Fliegerjacken.

Am Kult bezüglich bestimmter Modemarken hat sich nach wie vor nichts geändert. Beliebte Marken sind Doc Martens (Stiefel), Ben Sherman, Lonsdale oder Fred Perry (T-Shirts, Button-Down-Hemden, Sweatshirts), obwohl sich deren Vertreter zum Teil entschieden von der rechten Szene und rechtsextremistischem Gedankengut in der Öffentlichkeit distanzieren. Andere Textilhersteller wie das deutsche Label „Consdaple“[13] machen sich die Anspielung auf rechtsextreme Inhalte gezielt zunutze, um neue Kunden für sich zu gewinnen. Zum einen beinhaltet der Firmenname das Kürzel „NSDAP“ (für Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und spielt damit gezielt auf die NS-Zeit an. Zum anderen bedruckt die Firma ihre Kleidung mit Zahlencodes, die nur von Szenekennern zu dechiffrieren sind. So bedeutet die Zahl 88[14] „HH“, für „Heil Hitler“. Dies dient zum einen der Herstellung eines engen Zugehörigkeitsgefühls, zum anderen dem legalen Ausdruck verfassungswidriger Inhalte. (vgl. Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz 2006: 26; Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern 2008: 11; Verfassungsschutzbericht 2007: 58).

Hinsichtlich des Erscheinungsbildes und des Kleidungsstils der Szene lässt sich besonders in Ostdeutschland ein Trend erkennen: der ursprüngliche, unverwechselbare Stil wird immer mehr von modischer Kleidung, Turnschuhen, langen Haaren und Piercings verdrängt. Somit kommt es immer häufig zu Verwechslungen zwischen Skins und anderen jugendlichen Randgruppen wie Hooligans, Psychobillies, Hardcore- oder Gabber-Anhängern (Bredel 2002: 59 f.). Der Kleidungsstil und das äußere Erscheinungsbild dienen heutzutage nicht mehr als eindeutige Abgrenzung der Szene. Es lässt sich vielmehr eine „Anpassung“ der Kleidung feststellen, die mit dem Rückzug der Szene aus der Öffentlichkeit einhergeht.

4.2 Sozialstruktur innerhalb der Skinhead-Szene

Bei der Analyse der Sozialstruktur der Szene werden überwiegend statistisch erhobene Daten verwendet, die unter anderem dem 2. Periodischen Sicherheitsbericht oder den Verfassungsschutzberichten entnommen sind. Dieser Teil der Arbeit soll dazu dienen, das Personenpotenzial, die Alters- und Geschlechtsstruktur, die Ausbildungs- bzw. Bildungssituation sowie die familiären Hintergründe der Mitglieder der Skin-Szene darzulegen.

4.2.1 Personenpotenzial

Genaue und vor allem wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Aussagen zur Entwicklung des Personenpotenzials der rechtsextremen Skinhead-Szene sind aufgrund der oben genannten Erfassungs- und Erhebungsprobleme nicht ohne Weiteres möglich. Auch hier können die hauptsächlich in den Verfassungsschutzberichten aufgeführten Daten nur gewisse Tendenzen aufzeigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Quelle: Möller/Schuhmacher 2007a: 37.

Eine Zusammenfassung der Zahlen aus den Verfassungsschutzberichten für den Zeitraum von 1985-2005 findet sich bei Möller/Schuhmacher:

Von besonderem Interesse sind hierbei die Daten der „subkulturell Gewaltbereiten“, die sich nach Angaben des Verfassungsschutzes zum größten Teil aus Skinheads zusammensetzen. Speziell in dem Zeitraum von 1995 bis 2005 zeigt sich eine deutliche Steigerungsrate um fast 90% auf ca. 10.400 Personen (vgl. Möller/Schuhmacher 2007: 36-27). Der Verfassungsschutzbericht 2007 spricht von einer aktuellen Personenanzahl von 10.000 (Verfassungsschutzbericht 2007: 56). Mit der Erhebung dieser Personengruppe im Jahr 1991 wurden „subkulturell Gewaltbereite“ zum ersten Mal überhaupt und erstmalig aus West- und Ostdeutschland nach der Wende zusammengefasst. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Anstieg des Personenpotenzials dieser Gruppierung in Ost und West deutlich vor 1989 einzuordnen ist.

Laut Innenministerium NRW ließ sich in Nordrhein-Westfalen ein Anstieg von 330 Personen zu Beginn der 90er Jahre auf ca. 700 um die Jahrtausendwende verzeichnen. Nach eigenen Angaben sind diese Zahlen nur grobe Einschätzungen, da hauptsächlich Skinheads erfasst wurden, die durch rechtsextreme Straftaten auffällig wurden. Zudem besteht ein hoher Grad der Vermischung mit der Neonazi-Szene und auch teilweise mit organisierten rechtsextremen Strukturen wie NPD-Kreisen (vgl. Innenministerium NRW 2002: 26).

Dem 2. Periodischen Sicherheitsbericht[15] zufolge finden sich nennenswerte Skin-Szenen im Großraum Berlin, im Westen Sachsens und im südlichen Sachsen-Anhalt. Die größten Skinhead-Gruppierungen finden sich allerdings im Ruhrgebiet und im Großraum Hamburg (vgl. 2. Periodischer Sicherheitsbericht 2006: 147).

Die Entwicklung des Personenpotenzials der Szene gibt keinen Grund zur Entwarnung. Nach Möller/Schuhmacher lassen die Daten im Gegenteil

„[...] eine qualitative Verschärfung der Problematik erkennen und verweisen auf die Notwendigkeit, Aufmerksamkeit gerade für die gewaltbereit und militant auftretende [Skin-]Szene [...] zu entwickeln, zumal es sich dabei nicht um ein deutsches Sonderphänomen handelt, sondern sich auch in anderen europäischen Ländern vergleichbare Entwicklungen zeigen“ (Möller/Schuhmacher 2007: 37).

4.2.2 Alters- und Geschlechtsstruktur

Hinsichtlich der Alters- und Geschlechtsstruktur der Skinhead-Szene weichen die Zahlen der unterschiedlichen Untersuchungen, wie schon bei der Entwicklung der Mitgliederzahlen deutlich wurde, teilweise stark voneinander ab. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass Quellen wie die Verfassungsschutzberichte vornehmlich straffällige und/oder tatverdächtige Skinheads in ihre Analyse aufnehmen. Weitere Untersuchungen (wie beispielsweise Heitmann oder Willems/Steigleder) beziehen hingegen auch nicht straffällig gewordene Skinheads mit ein.

In der 1995 durchgeführten Heitmann-Studie, die aufgrund der geringen Teilnehmerzahl nur einen Bruchteil der Szene widerspiegeln kann, zeigte sich, dass einige Strukturdaten der Skinhead-Szene von denen der Jugendlichen in Deutschland allgemein nur wenig abwichen. Dies traf unter anderem auch für den Altersdurchschnitt zu: Über 55% der Szeneanteile machten die 19 - 24-Jährigen aus, etwa 23% waren jünger; 2,7% der 23% bildeten die unter 16-Jährigen (vgl. Heitmann 2001: 74).

Die Studie von Willems/Steigleder (2003) konnte hingegen folgende Daten ermitteln: 50,7% der Untersuchten waren bis einschließlich 20 Jahre alt. Davon stellten die 15-17jährigen mit 24,2% den größten Anteil, gefolgt von den 18-20jährigen mit immer noch 22,7% (vgl. Willems/Steigleder 2003: 10). Insgesamt ist bei der Bewertung der Zahlen aufgrund der hohen Fluktuationsrate innerhalb der Szene von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Beobachtungen zeigen jedoch, dass das Einstiegsalter in die Skin-Szene immer weiter abnimmt und somit vor allem Jugendliche, teilweise auch Kinder, sogenannte „Baby-Skins“, in die Szene gelangen (vgl. Innenministerium NRW 2002: 31 f.).

Eine ähnliche Problematik lässt sich auch für die Erfassung der Geschlechtsstruktur der Szene festhalten: Sowohl Willems/Steigleder als auch Wahl kommen in ihren Forschungen auf eine Quote von 90%, die der Anteil der Männer innerhalb der Szene ausmacht (vgl. Willems/Steigleder 2003: 9, Wahl 2003: 212). Heitmann gelangte zu einem Potenzial von 87,3% männlicher und 12,7% weiblicher Szeneangehöriger (vgl. Heitmann 2001: 74). Auch das Innenministerium NRW gelangt zu ähnlichen Ergebnissen und geht von einem Frauenanteil von 10% aus. Weibliche Skinheads, sogenannte „Skingirls“ oder „Renees“, organisieren sich in gemischtgeschlechtlichen Gruppierungen, aber auch zunehmend in rein weiblichen Gruppen. In der stark männlich dominierten Welt spielen sie eher eine Komplementärrolle als Freundin oder als Begleiterin (vgl. Innenministerium NRW 2002: 36).

[...]


[1] Siehe Anhang, Anlage 1.

[2] Benannt nach dem Aufsatz der Haarschneidemaschinen.

[3] Als „Mods“ (Modernists) wurden vor allem Angehörige der wohlhabenden Mittelschicht bezeichnet.

[4] Einer aus Jamaika stammenden frühen Form des Reggae.

[5] Punks, die sich rein durch den Kleidungsstil und nicht durch ihre Überzeugung definierten.

[6] Englischer Slangausdruck für „Hey!“, wird als Gruß- und Schlachtruf benutzt; Oi! Steht seit Anfang der 80er für Punkrock der Arbeiterklasse.

[7] Hierauf wird in den entsprechenden Kapiteln 4.1 Erscheinungsbild und Kleidung und 4.3 Musik und andere Kommunikationsmedien noch detaillierter eingegangen.

[8] Die Grafik zeigt lediglich die wesentlichen Ausprägungsformen der Szene.

[9] Vom Wortstamm „Faschismus“ hergeleitet.

[10] Ian Stuart wird seit seinem Unfalltod 1993 als Kult- und Heldenfigur der Szene verehrt.

[11] Skin wird als Kurzform für Skinhead verwendet.

[12] Im Folgenden wird daher der Begriff der Szene zur Beschreibung der Skinhead-Gruppierung verwendet.

[13] Siehe Anhang, Anlage 2.

[14] Da „H“ der 8. Buchstabe des Alphabets ist.

[15] Die Bundesregierung richtete zur kontinuierlichen Verbesserung der inneren Sicherheit ein mit Wissenschaftlern aus den Bereichen Kriminologie, Soziologie und Psychologie sowie mit Vertretern des Bundeskriminalamtes, des statistischen Bundesamtes und der Kriminologischen Zentralstelle besetztes Gremium ein, welches mit der Erstellung eines Sicherheitsberichtes beauftragt wurde. Dabei werden Erkenntnisse aus den vorhandenen amtlichen Datensammlungen (Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik, und der Strafrechtspflegestatistiken) erstmalig in einem Bericht für Deutschland zusammengefasst und mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien zu Erscheinungsformen und Ursachen von Kriminalität verknüpft.

Final del extracto de 78 páginas

Detalles

Título
Lebenswelten rechtsextremer Skinheads - Konsequenzen für die Soziale Arbeit im Kontext sozialräumlicher Ansätze
Universidad
Bielefeld University
Calificación
1,0
Autor
Año
2009
Páginas
78
No. de catálogo
V132341
ISBN (Ebook)
9783640380626
Tamaño de fichero
1681 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Lebenswelten, Skinheads, Konsequenzen, Soziale, Arbeit, Kontext, Ansätze
Citar trabajo
Sebastian Willeke (Autor), 2009, Lebenswelten rechtsextremer Skinheads - Konsequenzen für die Soziale Arbeit im Kontext sozialräumlicher Ansätze, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132341

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