Was läuft queer? Spezifische Probleme trans*identer Jugendlicher im Kontext Sozialer Arbeit


Bachelorarbeit, 2022

87 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Begriffsdefinitionen
3.1 LSBTI*Q
3.2 Sexuelle und geschlechtliche Orientierung
3.3 Trans*identität
3.4 Passing

4. Das „System" der Heteronormativität
4.1 Rechtliche Bedingungen
4.2 Medizinischer Kontext
4.3 Forderungen zur Selbstbestimmung und Entpathologisierung

5. Trans*idente Jugendliche
5.1 Coming-Out
5.1.1 Chancen, Risiken und Bedingungen
5.2 Entwicklungsaufgaben im Jugendalter
5.3 Entwicklung der Identität
5.4 Lebenswelt trans*identer Jugendlicher
5.4.1 Familie
5.4.2 Freund*innen/Peergroup
5.4.3 Ausbildungsstätte
5.4.4 Community/Internet

6. Bezug zur Sozialen Arbeit
6.1 Relevanz für die Soziale Arbeit
6.2 Der heteronormative Einfluss auf die Soziale Arbeit
6.3 Zugänge der Sozialen Arbeit
6.4 Anforderungen an Fachkräfte
6.5 Einflussnahme queerer Jugendarbeit
6.6 Kritik an LSBTI*Q spezifischen Angeboten in der Sozialen Arbeit

7. Entwicklung Workshop
7.1 Bedarfsanalyse
7.2 Zielgruppenanalyse
7.3 Organisationsform
7.4 Lernzielformulierung
7.5 Planung
7.5.1 Tag 1
7.5.2 Tag 2
7.6 Chancen und Grenzen

8. Zusammenfassung und Ausblick

9. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Des sin‘ doch Ferz!“1, ist eine der beliebtesten abwertenden Einwürfe, wenn das Thema um Trans*identität eröffnet wird. Einwürfe dieser Art kommen meist von cisgeschlechtlichen, privilegier­ten Personen, welche sich bisher nur unzureichend mit der Thematik befasst haben.

Durch die zunehmende, oft tabuisierte oder unerwünschte Präsenz der Thematik geriet die Betrach­tung von Trans*identität auch im wissenschaftlichen Kontext in den Fokus. Da das Jugendalter, mit der der Entwicklungsaufgabe der Entwicklung einer (geschlechtlichen) Identität (vgl. 5.2 & 5.3) einhergeht, hat die folgende Arbeit trans*idente Jugendliche als Gegenstand.

Mein erstes Interesse an der Thematik ergab sich aus dem sozialarbeiterischen Einfluss der Jugend­hilfe, welche Jugendliche in den verschiedensten Problemlagen unterstützen kann. So durfte ich im Rahmen meiner studentischen Honorartätigkeit einen Jungen in einer Wohngruppe kennenlernen, welcher sich unter anderem auf Grund seiner Trans*identität dort befand. Leider verließ er die Wohn­gruppe nach kurzer Zeit, was eine intensivere Beschäftigung mit auftretenden Problematiken im Zu­sammenhang mit Trans*identitäten verhinderte. Kurze Zeit später wurde ich jedoch im Rahmen mei­ner ehrenamtlichen Tätigkeit als Gruppenleiterin in einem Mädchenzeltlager, mit einem Jugendlichen konfrontiert, der sich mir mit einem männlichen Namen vorstellte, obwohl ich ihn die Jahre zuvor als Mädchen kennengelernt hatte. Daraus ergaben sich für mich viele Fragen.

Einige dieser Fragen versuche ich in der vorliegenden Arbeit zu beantworten.

Das Ziel der literaturanalytischen Arbeit ist zunächst die Beantwortung der Frage, mit welchen spezifi­schen Problemen trans*idente Jugendliche in Deutschland konfrontiert sind. Dabei werden unter dem Begriff der spezifischen Probleme, all jene Probleme verstanden, welche sich auf Grund der geschlecht­lichen Orientierung der jugendlichen Trans* ergeben. Nachdem diese dargestellt wurden, wird die Frage beantwortet, welchen Beitrag die Soziale Arbeit zur Verbesserung der Lage der Jugendlichen leisten kann.

Aufgrund meiner Erfahrung im Zeltlager, stellte sich mir außerdem die Frage, wie Ehrenamtliche im Freizeitbereich für die Thematik sensibilisiert werden können, um trans*identen Jugendlichen vorbe­reitet und selbstsicher begegnen zu können. Dafür wird ein zweitägiger Workshop entworfen, wobei der Fokus auf der Auswahl der zu vermittelnden Inhalte, welche sich unter anderem aus den spezifi­schen Problemlagen trans*identer Jugendlicher ergeben sowie deren didaktische Umsetzung, liegt.

Um den Forschungsfragen nachzugehen, wird zunächst der Forschungsstand beschrieben und die für die Beantwortung herangezogenen Studien erläutert (vgl. 2.). Es folgt eine theoretische Auseinander­setzung mit den Begrifflichkeiten (vgl. 3.). Um die Ausgangslage, in der sich trans*idente Jugendliche befinden zu erfassen, werden zunächst die gesellschaftlichen Bedingungen erörtert. Das vierte Kapitel widmet sich daher der Erklärung des „Systems" der Heteronormativität. Dabei werden direkt sichtbare Auswirkungen auf trans*idente Jugendliche, anhand von rechtlichen und medizinischen Rahmenbe­dingungen (vgl. 4.1 & 4.2) dargestellt. Im Anschluss folgt die Auflistung verschiedener Forderungen bezüglich der Änderung der zuvor beschrieben Rahmenbedingungen (vgl. 4.3), welche die Ausgangs­lage weiterhin beleuchten, sowie einen Ausblick auf eine mögliche Verbesserung geben.

Unter der Berücksichtigung der Ausgangslage werden im fünften Kapitel die spezifischen Probleme trans*identer Jugendlicher, anhand von Fachliteratur sowie verschiedener Studien, beleuchtet. Dabei wird zunächst auf den Prozess des Coming-Outs (vgl. 5.1), mit den einhergehenden Chancen, Risiken und Bedingungen (vgl. 5.1.1) eingegangen worauf die Darstellung der Herausforderungen bei der Be­wältigung von Entwicklungsaufgaben (vgl. 5.2) folgt. Dies führt hin zu Kapitel 5.1, welches sich mit der Entwicklung der (geschlechtlichen) Identität auseinandersetzt. Dabei wird das Modell der Identitäts­entwicklung nach Marcia (1996, zitiert nach Oerter und Dreher, 2008, S. 303 ff.) aufgegriffen und unter dem Einbezug des Coming-Out Prozess auf die Entwicklung trans*identer Jugendlicher angewendet.

Anhand des Kapitels „Lebenswelt trans*identer Jugendlicher" (vgl. 5.4) werden die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln in einen lebensweltlichen Kontext eingeordnet und mittels verschie­dener Studienergebnisse ergänzt.

Nachdem die spezifischen Problemlagen in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt und erläutert wurden, erfolgt der Versuch die Frage zu beantworten, welchen Beitrag die Soziale Arbeit zur Verbes­serung der Lebenssituation der jungen Trans* leiten kann. Hierfür wird zunächst die Relevanz der The­matik (vgl. 6.1) sowie der Einfluss des heteronormativen Systems auf die Soziale Arbeit betrachtet (vgl. 6.2). In Kapitel 6.3 werden anschließend trans*freundliche Zugänge von Sozialer Arbeit mit der The­matik erläutert. Darauf Folgend werden in Kapitel 6.4 die Anforderungen an Fachkräfte der Sozialen Arbeit beleuchtet. Es folgt ein Einblick in die „queere Jugendhilfe" mit der Vorstellung verschiedener Handlungsmöglichkeiten, welche die Lage der jungen Trans* verbessern können (vgl. 6.5). Im An­schluss wird die mit der queeren Jugendhilfe einhergehende Differenzierung von Jugendlichen in „straight" und „queer", kritisch diskutiert (vgl. 6.6).

Es folgt in Kapitel 7. die Ausarbeitung eines Workshops, welcher junge, ehrenamtlich tätige Erwach­sene für das Thema der Trans*identität sensibilisieren soll. Dieser soll zusätzlich als Beitrag zur Verbesserung von Sozialer Arbeit verstanden werden, da er von Sozialarbeiter*innen konzipiert und durchgeführt wird.

Zuletzt werden in Kapitel 8. die wichtigsten Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln zusam­mengefasst, die Forschungsfragen beantwortet sowie ein Ausblick auf zukünftige Forschungen gege­ben. Die Arbeit endet mit einem Fazit.

In der folgenden Arbeit wird in Anbetracht der Thematik sowie der Sicherstellung einer möglichst in­klusiven Sprache der Genderstern verwendet.

2. Forschungsstand

Das folgende Kapitel widmet sich dem Forschungsstand bezüglich trans*identer Jugendlicher in Deutschland und ihrer Lebenswelten. Dabei werden die für diese Arbeit relevanten Studien aufgelistet und abgewogen.

Der Beginn der „Transgender Studies“ findet sich Anfang der 1970er Jahre (vgl. Baumgartinger, 2017, S. 103). Dabei stellten verschiedenste Forschungsrichtungen die Natürlichkeit von Geschlechtern in Frage (ebd.). Die ersten Trans*wissenschaftler*innen waren meist selbst Aktivist*innen und ihre The­orien wurden gesellschaftlich als widerständige Reaktionen auf binäre Geschlechtervorstellungen an­gesehen (ebd.).

Die spezifischen Problemlagen trans*identer Jugendlicher in Deutschland wurde bisher nur wenig er­forscht. Dennoch existieren Studien von Sauer und Meyer (2020) und Krell und Oldenmeier (2015; 2017;2018), welche verschiedene Lebensbereiche und Erfahrungen trans* Jugendlicher beleuchten. Die Studie von Sauer und Meyer (2020) informiert über die Erfahrungen und Diskriminierung von trans* Jugendlichen in verschiedenen Lebensbereichen, wie der Familie, Schule und Arbeit, Peer­Group, institutionellen und medizinischen Herausforderungen sowie der eigenen geschlechtlichen Zu­schreibung und dem Coming-Out Prozess. Im Gegensatz zu anderen Studien handelt es sich um eine Befragung von ausschließlich trans*Jugendlichen. Weiterhin positiv anzumerken ist, dass es sich um einen partizipativen Forschungsansatz handelt. Die Betroffenen selbst waren daher an der Erstellung, Durchführung und Auswertung der Studie beteiligt. Außerdem finden sich am Ende der Studie kon­krete Forderungen der Jugendlichen, welche Leser*innen im Umgang mit den jungen Trans* helfen können.

Jedoch ist die Studie nicht repräsentativ für alle Trans*jugendlichen in Deutschland, da lediglich 15 Jugendliche in qualitativen Interviews retrospektiv befragt wurden. Durch die Vielzahl an verschiede­nen Lebensbereichen und Erfahrungen konnte ein umfassender Einblick in die Lebenswelt der Jugendlichen gegeben werden, allerdings wurden einige Bereiche, wie „FreundInnen" oder „Commu­nity" nur oberflächlich dargestellt.

Krell und Oldenmeier (2015;2017;2018) haben in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut die Studien „Coming-Out und dann.?!" und „Queere Freizeit" publiziert. Beide Studien wurden an­hand qualitativer sowie quantitativer Datenerhebungen durchgeführt. Die Studie „Coming-Out und dann.?!" thematisiert die persönlichen Erfahrungen von unter anderem trans* Jugendlichen mit ihren Coming-Out Verläufen sowie der Reaktion der Umwelt. In ihren quantitativen Datenerhebungen wird außerdem auf die Unterschiede der Trans*jugendlichen bezüglich Bildungsstands oder Lebensraum und mögliche Zusammenhänge von Bewältigungsstrategien und Diskriminierungserfahrungen einge­gangen.

Die Studie „queere Freizeit" beschäftigt sich mit verschiedenen Teilbereichen der Freizeit, in denen sich LSBTI*Q Jugendliche aufhalten. So werden das Internet, Sportangebote, Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, kulturelle Orte sowie der öffentliche Raum thematisiert. Beide Studien beschäftigen sich mit LSBTIQ* Jugendlichen. Hier gilt es, eine mögliche Gleichsetzung von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung zu kritisieren, da der Begriff der LSBTIQ* Jugendlichen eine mögliche homoge­nisierende Wirkung aufweist. Dennoch zeigt der direkte Vergleich von homosexuellen Jugendlichen mit trans* und gender*diversen Jugendlichen auch, dass vor allem Trans*jugendliche in vielen Lebens­bereichen noch höherer Diskriminierung ausgesetzt sind als homosexuelle Jugendliche (vgl. Krell & Oldenmeier, 2015; 2017; 2018).

Thomack (2021) stellt in ihrer veröffentlichten Masterarbeit die Auswirkungen der Trans*identität auf die individuellen Bildungsbiografien von jungen Erwachsenen dar. Dabei hebt sie innere und äußere sowie unterstützende Faktoren, welche das Trans*sein beeinflussen hervor. Aufgrund der von den Trans*jugendlichen berichteten Herausforderungen und Spannungsverhältnissen, entwickelt Thomack (2021) Handlungsbedarfe welche unter Betrachtung des sozialarbeiterischen Kontexts auf­gegriffen werden (vgl. 6). Dennoch kann die Studie von Thomack (2021) nicht als vollwertige wissen­schaftliche Quelle behandelt werden, da es sich lediglich um eine Masterarbeit handelt. Auf Grund der geringen Datenauswahl in Bezug auf die Lebenswelt trans*identer Jugendliche, ist sie für diese Arbeit nichtsdestotrotz bereichernd.

3. Begriffsdefinitionen

Im Folgenden werden einige, für diese Arbeit relevanten, Begriffe und Phänomene definiert und er­läutert. Dabei wird zunächst auf das Akronym LSBTI*Q eingegangen und im Anschluss die Differenzie­rung zwischen der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität vorgenommen. Auf Grundlage dessen, wird danach der Begriff der Trans*identität sowie das Phänomen „Passing" defi­niert.

3.1 LSBTI*Q

Wie im Forschungsstand bereits angedeutet, werden Erkenntnisse zu Trans*jugendlichen häufig unter dem Akronym LSBTI*Q aufgelistet. LSBTI*Q steht als Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans­geschlechtlich, intergeschlechtlich und queer. Diese werden im Folgenden definiert:

- Lesbisch sein, ist eine sexuelle Orientierung, welche beinhaltet, dass sich eine Frau sexuell und/oder romantisch zu einer anderen Frau hingezogen fühlt (vgl. DJI, o. J.).
- Schwul sein, ist eine sexuelle Orientierung, welche beinhaltet, dass sich ein Mann sexuell und/oder romantisch zu einem anderen Mann hingezogen fühlt (vgl. DJI, o. J.).
- Bi sein, ist eine sexuelle Orientierung, welche beinhaltet, dass sich eine Person sexuell und/oder romantisch zu Männern und Frauen hingezogen fühlt (vgl. DJI, o. J.).
- Trans* sein bedeutet, sich nicht mit dem Geburtsgeschlecht zu identifizieren (mehr dazu in Kapitel 3.3) (vgl. DJI, o. J.).
- Inter* sind Personen, „[.] die Merkmale, welche insbesondere einem Geschlecht zugerechnet werden, mit Merkmalen vereinigen, die dem anderen Geschlecht zugeordnet werden" (Re­mus, 2015, S. 64).
- Queer ist als eine Art Sammelbegriff für die eben genannten Formen zu verstehen (vgl. DJI, o. J.).

Die Begriffe schaffen Sichtbarkeit für verschiedene marginalisierte Gruppen. Menschen, die sich kei­nen oder zwischen den genannten Kategorien verorten, werden durch den Anhang des Sternchens repräsentiert. Damit wird die gewünschte Offenheit ihrer Zugehörigkeiten abgebildet (vgl. DJI, o. J.).

Dennoch wird kritisiert, dass durch eine Vereinheitlichung, z.B. des Begriffes „queer" spezifische Le­benslagen der unterschiedlichen Gruppen unberücksichtigt bleiben und die Formulierung politischer Interessen erschwert wird (vgl. ebd.). Dies wurde besonders bei der Recherche bezüglich der Lebens­welt trans*identer Jugendlicher deutlich. So existieren Studien, welche die Problemlagen von LSBTI*Q Jugendlichen untersuchen und dabei möglicherweise spezifische Probleme junger Trans*, in Abgren­zung zu cisgeschlechtlichen Jugendlichen, ausblenden. Daher soll in der folgenden Arbeit, soweit es die Daten der Studienergebnisse und die Literatur zulassen, näher auf die spezifischen Probleme und Bedarfe von Trans*jugendlichen eingegangen werden.

3.2 Sexuelle und geschlechtliche Orientierung

Um den Begriff der Trans*identität zu definieren, wird zunächst der Unterschied zwischen der ge­schlechtlichen Zugehörigkeit sowie der sexuellen Orientierung erläutert, da diese häufig in einen Zu­sammenhang gebracht werden, jedoch getrennt voneinander zu betrachten sind.

Gaupp und Krell (2020, S. 291) verstehen unter sexueller Orientierung „[...] das fortbestehende indivi­duelle Interesse einer Person mit Blick auf die geschlechtliche Zugehörigkeit möglicher Partner*innen.“ Diese umfasst emotionale und romantische Aspekte und/oder sexuelle Attraktion (vgl. ebd.). Es exis­tiert ein breites Spektrum an sexuellen Orientierungen. Selbstbezeichnungen sind beispielsweise les­bisch, schwul, hetero-, bi-, pan- oder asexuell (vgl. ebd.).

Im Gegensatz dazu steht die geschlechtliche Zugehörigkeit. Diese bezeichnet nach Gaupp und Krell (2020, S. 291) „[.] die individuelle Selbstverortung einer Person als weiblich, männlich, keinem, beiden oder einem weiteren Geschlecht zugehörig“. Der Begriff „gender“ bezeichnet das soziale Geschlecht und kann zur Abgrenzung an „sex“, den körperlichen geschlechtlichen Merkmalen dienen (vgl. ebd.).

Mögliche Selbstbezeichnungen für die geschlechtliche Identität sind beispielsweise trans*, inter*, cis, genderqueer und nicht-binär (vgl. ebd.). Die Zuschreibung zu einem Geschlecht geht mit einer „[.] Vielzahl von geschlechtsbezogenen Erwartungen oder Vorschriften“ (Trautner, 2008, S. 625) einher. Das Geschlecht kann daher als soziale Kategorie begriffen werden. Dies bedeutet, dass die geschlecht­liche Zugehörigkeit „[.] ähnlich wie Klasse, die Hierarchien, die soziale Ordnung und die sozialen Be­ziehungen der modernen Gesellschaft prägt“ (Bereswill & Ehlert, 2018, S. 32). Die Auswirkungen der geschlechtlichen Zugehörigkeit auf verschiedene (lebensweltliche) Aspekte von jugendlichen Trans* werden im weiteren Verlauf der Arbeit aufgegriffen.

3.3 Trans*identität

Trans*sein wird häufig mit den Begriffen der Trans*identität oder der Trans*sexualität benannt. Dabei umschreiben beide Begrifflichkeiten das gleiche Phänomen. Da der, auch heute noch, kursierende Be­griff der Trans*sexualität aus einer pathologisierenden Sichtweise entstand, wird der Begriff der Trans*identität von Betroffenen sowie in Fachkreisen bevorzugt (vgl. Rauchfleisch, 2006, S. 23). Daher wird in dieser Arbeit der Begriff der Trans*identität verwendet. Zudem betont der Begriff der Trans*identität die Bedeutung der geschlechtlichen Identität und vermeidet die Gleichstellung von se­xueller Präferenz und geschlechtlicher Orientierung.

Im Folgenden wird der Begriff der Trans*identität, insbesondere in Abgrenzung zu cisgeschlechtlichen Identitäten, definiert. Rauchfleisch (vgl. 2019, S. 22) unterscheidet die Geschlechtsidentität in Cis- und Trans*identität. Die Identität von cisgeschlechtlichen Menschen entspricht dem biologischen Ge­schlecht, welches ihnen ab der Geburt zugewiesen wurde (vgl. ebd.). Dabei leben diese einvernehmlich mit den körperlichen sowie sozialen Konsequenzen ihrer zugewiesenen Geschlechterrolle (vgl. Baum- gartinger, 2017, S. 80). Die geschlechtliche Zugehörigkeit von Trans*personen stimmt hingegen nicht mit dem ab Geburt zugewiesenen Geschlecht überein (vgl. Gaup & Krell, 2020, S. 291).

Rauchfleisch (vgl. 2019, S. 22) differenziert in Trans*personen, welche sich dem binären Geschlechter- system verorten, nicht-binären Personen und genderfluiden Trans*personen. Trans*personen, welche sich dem binären Geschlechtersystem verordnen, identifizieren sich nach ihrer Transition vollständig mit der Rolle als Frau oder des Manns. Nicht-binäre Personen können sich „[.] keinem der dichotom gedachten Geschlechter, Mann oder Frau, zuordnen, sondern empfinden sich dazwischen'" (Rauch­fleisch, 2019, S. 22). Wenn die Identität zwischen dem weiblichen und männlichen Pol fluktuiert, wird dies als „genderfluid" bezeichnet (vgl. ebd.). In der folgenden Arbeit wird größtenteils auf nicht-binäre und, den sich dem binären Geschlechtersystem zuweisenden Trans*Jugendlichen eingegangen. Dies ist den Daten der verwendeten Studien zuzuschreiben.

Baumgartinger (2017, S. 82) kritisiert die Einteilung der geschlechtlichen Identität in cis und trans*, da beispielsweise Inter*personen unsichtbar gemacht werden. Obwohl diese nicht den Forschungsgegen­stand der Arbeit abbilden, sollen sie an dieser Stelle sichtbar gemacht werden. Um diese Sichtbarkeit herzustellen, werden sie bei der Nutzung des Akronyms LSBTI*Q, entgegen Teilen der verwendeten Literatur, stets mitbenannt.

Trautner (2008, S. 625) bezeichnet Trans*identität als „[.) seltene Ausnahmen von der generellen Zweigeschlechtlichkeit." Schätzungen zufolge, fassen sich circa 1 % der Bevölkerung unter Trans*(vgl. Güldenring und Sauer, 2017, S. 234; vgl. Schmauch, 2020 a, S. 306). Dabei muss der Begriff Trans* weit gefasst sein und medizinische Maßnahmen unberücksichtigt bleiben. Dadurch, dass es sich bei Trans*personen folglich um eine Minorität handelt, sind Betroffene oftmals mit Diskriminierung, man­gelnder Akzeptanz sowie Ausgrenzung konfrontiert, welche sich in der Darstellung der spezifischen Probleme in Kapitel 5 wiederfinden.

3.4 Passing

Menschen werden meist unbewusst einem bestimmten Geschlecht zugeordnet. Dies geschieht zu­nächst auf Grund des äußeren Erscheinungsbilds. Daher versuchen die meisten Menschen ihr ge­schlechtliches Empfinden nach außen ersichtlich darzustellen (vgl. Sauer, 2015, S. 121). Dabei hängt die Geschlechtsidentität nach Sauer (vgl. 2015, S. 121) allein vom geschlechtlichen

Zugehörigkeitsempfinden eines Menschen ab und kann daher dem von außen sichtbaren Geschlechts­ausdruck widersprechen.

Trans*jugendliche werden oftmals fälschlicherweise in ihrem Geburtsgeschlecht gelesen, da sie sich meist im Prozess der Transition befinden. So berichten Jugendliche in einer Studie von Sauer und Meyer (vgl. 2020, S. 20) von falschen Zuschreibungen in alltäglichen Situationen. Besonders trans*männlich Identifizierte leiden unter einer falschen Zuschreibung und werden oftmals jünger ge­schätzt (vgl. ebd.).

Ist die geschlechtliche Selbstpräsentation allerdings erfolgreich und der*die Jugendliche wird „[.] als Mitglied der Geschlechtsgruppe identifiziert [.], zu der man sich zugehörig fühlt, spricht man von ei­nem erfolgreichen Passing“ (Sauer, 2015, S. 121). Der Begriff des „Passings“ umschreibt folglich das Wahrnehmen von Trans*personen in ihrem Identitätsgeschlecht. Besonders Trans*jugendliche emp­finden einen erfolgreiches Passing als wichtigen Schritt ihrer Transition (vgl. Sauer & Meyer, 2020, S. 20f.).

4. Das „System“ der Heteronormativität

Die Notwendigkeit der Begriffsdefinition von Trans*identität legitimiert sich nicht nur durch den For­schungsgegenstand dieser Arbeit, sondern auch durch das fehlende Wissen darum. Dieses ist unter anderem in den gängigen Wert- und Normvorstellungen der heutigen Gesellschaft begründet. Da in der vorliegenden Arbeit häufig auf die Begriffe der Wert- und Normvorstellungen zurückgegriffen wird, werden diese definiert.

Unter Werten werden im Sinne dieser Arbeit „[.] die allgemeinsten Grundprinzipien der Handlungs­orientierung und der Ausführung bestimmter Handlungen“ (Schäfers, 2006, S. 36) verstanden. Dabei umfasse diese „[.] Vorstellungen vom Wünschenswerten, kulturelle und religiöse, ethische und sozi­ale Leitbilder, die die gegebenen Handlungssituationen transzendieren“ (ebd.). Normen beinhalten un­ausgesprochen geltende, für das soziale Handeln explizit gemachte Verhaltensregeln, welche Standar­disierung und damit Handlungserwartungen ermöglichen (vgl. ebd., S. 30). Dabei gilt all das was der Norm entspricht als „normal“ und das was dieser nicht entspricht als „abnormal“ (vgl. ebd.).

So gilt es als „normal“ eine binäre Zuordnung eines Menschen zu einem biologischen Geschlecht zu treffen (vgl. Bublitz, 2006, S. 86). Unsere Gesellschaft orientiert sich dabei in vielen Bereichen an dem System der Zweigeschlechtlichkeit, also der Geschlechterkategorien „weiblich“ und „männlich“ als Norm (vgl. DJI, o. J.). Güldenring und Sauer (vgl. 2017, S. 232) stellen fest, dass sich die Zuweisung zu einem Geschlecht allein am anatomischen Körpergeschlecht orientiert. Dies geht meist mit der Erwar­tung einer heterosexuellen Orientierung einher (vgl. DJI, o. J.). Beide Phänomene werden als 8 naturgegeben angesehen und bleiben größtenteils unhinterfragt. Dies wird im Zusammenspiel als He­teronormativität bezeichnet (vgl. ebd.).

Hartmann (2016, S. 107) fasst den Begriff der Heteronormativität als Kritik an einer gesellschaftlichen Ordnung, „[.] in der Heterosexualität als natürlich gesetzt und mit Privilegien verbunden ist.“ Neben der dominanten Form der Sexualität wird auch die dominante Form von Geschlecht in Frage gestellt (vgl. Hartmann, 2016, S. 107). Das Konzept der Heteronormativität kann daher als „[.] machtkritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Differenzordnungen“ (ebd.) verstanden werden. Weiterhin gilt die Kritik „[.] einer Ordnung, in der Geschlechter innerhalb einer heterosexuellen Matrix hervor­gebracht, Geschlechtsidentitäten als kohärent entworfen, Geschlechterverhältnisse ausschließlich in Beziehungen zwischen ,Männern‘ und ,Frauen‘ repräsentiert und weitere geschlechtliche und sexuelle Identitäten marginalisiert bzw. auf binär-hierarchisierte Kategorien, wie die von ,homosexuell‘ vs. ,he- terosexuell', reduziert werden“ (ebd.).

Die heteronormativen gesellschaftlichen Konstruktionen und die damit einhergehenden Wert- und Normvorstellungen der Gesellschaft beeinflussen ebenso die strukturellen Rahmenbedingungen für Trans*Jugendliche in Deutschland. Als Folge der Heteronormativität gehen Trans*identitäten als Ab­weichung der gesetzten Normalität einher (vgl. Hartmann, 2016, S. 108).

Um diese Annahme zu veranschaulichen wird im Folgenden auf die rechtlichen Rahmenbedingungen bezüglich Namens- und Personenstandsänderung sowie auf den Umgang im medizinischen Kontext und der damit einhergehenden Pathologisierung von Trans*Jugendlichen in Deutschland eingegangen. Im Anschluss werden daraus resultierende Forderungen und Wünsche für und von Trans*personen an den rechtlichen, medizinischen sowie gesellschaftlichen Kontext vorgestellt. Diese beleuchten die Sichtweisen von Betroffenen und geben einen Ausblick auf eine mögliche Verbesserung der Bedingun­gen.

4.1 Rechtliche Bedingungen

Die rechtlichen Bedingungen für die Änderung von Vornamen und Personenstand für trans* Personen sind in Deutschland im Transsexuellengesetz (TSG) verankert. Für die Änderung des Vornamens müs­sen die folgenden Voraussetzungen des § 1 TSG gegeben sein:

„(1) Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern, wenn
1. sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem zugehörig emp­findet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen ent­sprechend zu leben,
2. mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird, und
3. sie
a) Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist,
b) als Staatenloser oder heimatloser Ausländer ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat,
c) als Asylberechtigter oder ausländischer Flüchtling ihren Wohnsitz im Inland hat oder
d) als Ausländer, dessen Heimatrecht keine diesem Gesetz vergleichbare Regelung kennt, aa) ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt oder
bb) eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich dauerhaft rechtmäßig im Inland aufhält.“

Die Voraussetzungen zur Änderung der Geschlechtszugehörigkeit sind in § 8 TSG verankert. Dabei müs­sen zunächst alle Bedingungen aus § 1 Abs 1., Nr. 1-3 TSG vorliegen. Die weiteren Voraussetzungen, dass Antragsteller*innen dauerhaft fortpflanzungsunfähig sowie sich mindestens einem operativen Eingriff bezüglich der äußeren Geschlechtsmerkmale unterzogen haben müssen, wurde im Jahre 2011 als verfassungswidrig erklärt. Dennoch scheint die körperliche Selbstbestimmung von Trans*personen beschnitten, da Betroffene vor Gericht ein Gutachten vorlegen müssen, um die Voraussetzungen be­weisen zu können. Diese Fremdbestimmung untergräbt die Autonomie der Antragsteller*innen. So spricht der „Entwurf des Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes“ von Lehmann et al. (2020, S. 1) von Hürden, welche durch das Transse­xuellengesetz aufgestellt und „[.] das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdiger Weise beein­trächtigen.“

Zudem ist es teilweise in verfassungsrechtlicher Kritik, beispielsweise durch den psycho-pathologisie- renden Begutachtungszwang sowie der Abhängigkeit von ärztlichen Attesten (ebd., S. 1f.). Güldenring und Sauer (2017, S. 241) kritisieren, dass sie Voraussetzungen des TSG „[.] mit einem veralteten psy­chiatrischen Kenntnisstand arbeitet“, da von einer rein gegengeschlechtlichen Identifikation ausgegan­gen wird. Nicht-binäre Personen bleiben folglich unberücksichtigt. Auch die „[.] Dauerhaftigkeitser­wartung und [der] Ernsthaftigkeitsnachweis stellen einen Kritikpunkt dar“ (ebd.). Zudem stehen hohe Kosten und ein hoher zeitlicher Aufwand in der Kritik (vgl. ebd., S. 243).

Besonders Trans*jugendliche unterliegen einer doppelten Abhängigkeit. So sind sie, wie erwachsen Trans*personen auch, von medizinischen Gutachten abhängig. Zusätzlich sind sie nach dem Bürgerli­chen Gesetzbuch (BGB) nach § 106 mit Vollendung des siebten Lebensjahres bis zur Volljährigkeit nur beschränkt geschäftsfähig. Daher bedarf es in bestimmten Angelegenheiten eine Einwilligung des/der gesetzlichen Vertreter*in nach § 107 BGB. Güldenring und Sauer (vgl. 2017, S. 242) stellen fest, dass vor allem minderjährige Trans* bei einem TSG- Antrag auf eine Zustimmung der Eltern oder der ge­setzlichen Betreuer*innen angewiesen und somit in ihrer Unabhängigkeit beschnitten sind.

4.2 Medizinischer Kontext

Die Einordnung von Trans*identität im medizinischen Kontext hat sich in den vergangenen 50 Jahren immer wieder gewandelt. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde „Transsexualität“ als juristische und me­dizinische Kategorie eingeführt und unhinterfragt pathologisiert (vgl. Rauchfleisch, 2006, S. 130). Zu diesem Zeitpunkt waren Hormonbehandlungen und Operationen nur für wenige Trans*menschen zu­gänglich und das medizinische Fachpersonal war vielfach unwissend (vgl. Rauchfleisch, 2018).

Heute herrscht in Fachkreisen größtenteils die Auffassung, dass Trans*identität eine Normvariante sei und in keinem Zusammenhang mit psychischer Gesundheit oder Krankheit stehe (vgl. ebd.). Durch die neu gewonnene Offenheit äußern Trans*menschen oftmals den Wunsch nach einer körperlichen An­gleichung an das angestrebte Geschlecht. Dies resultiert nach Rauchfleisch (vgl. 2018) aus den inneren Spannungen und dem Leid, welche durch die Diskrepanz zwischen der Geschlechtsidentität und dem biologischen Körper verursacht werden. Dieses Leiden „[.] birgt die Gefahr schwerwiegender psycho­sozialer Beeinträchtigungen“, daher werden die Kosten für hormonelle und chirurgische Angleichun­gen von der Krankenkasse übernommen (ebd.).

Dennoch wird in der Literatur sowie in verschiedenen Studien immer wieder von einer Pathologisie- rung von Trans*identität gesprochen (vgl. BMSFJ, 2017, S. 15; Baumgartinger, 2017, S. 53; Timmer- manns et al., S. 95). Mit Blick auf die Geschichte der Behandlung von Trans*identität im medizinischen Kontext wird deutlich, dass der Pathologisierung im Laufe der Zeit entgegengewirkt wurde, jedoch eine Pathologisierung vor lediglich knapp 50 Jahren erfolgte.

Die Diagnose „Transsexualität (302.5)“ findet sich erstmals in der ICD-92 von 1975 (Rauchfleisch, 2018). Dabei wurde Transsexualität den ,Sexuellen Verhaltensabweichungen und Störungen' zugeschrieben (vgl. ebd.). Im Jahr 1990 wurde diese überarbeitet und bezeichnete Transsexualismus (F64.0) in der ICD-10 als „Störungen der Geschlechtsidentität“ (F64) und ordnet sie allgemein den Persönlichkeits­und Verhaltensstörungen (F 60 - F69) zu (vgl. ebd.). Mit der Einführung der ICD-11 im Januar 2022 findet sich die Diagnose „Gender Incongruence“ (Geschlechtsinkongruenz) in dem neu erschaffenen Kapitel „conditions related to sexual health“ (Probleme/Zustände im Bereich sexueller Gesundheit) (vgl. ebd.).

Die Beschreibung der „Gender Incongruence“ im ICD-11 lautet wie folgt:

„Gender incongruence is characterised by a marked and persistent incongruence between an individ­ual's experienced gender and the assigned sex. Gender variant behaviour and preferences alone are not a basis for assigning the diagnoses in this group.“ (WHO, 2022)

Die Diagnose kann als fortschrittlich angesehen werden, da Stigmatisierungen und Marginalisierungen durch die neue Zuordnung zur Rubrik „Zustände/Probleme sexueller Gesundheit“, statt zu den „Per- sönlichkeits- und Verhaltensstörungen“, entgegengewirkt werden (vgl. Rauchfleisch, 2018). Zudem „[.] referiert die Diagnose Geschlechtsinkongruenz nicht auf ein Zweigeschlechtermodell und stellt auch insofern einen Fortschritt [.]“ (ebd.) dar.

Allerdings berichten Trans*jugendliche heute, von unzureichendem Fachwissen seitens medizinischen Fachpersonals, welche sich hinderlich auf die Entwicklung der geschlechtlichen Identität auswirkt (vgl. Thomack, 2021, S. 45). Bei einer Befragung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. 2017, S.15) gaben rund ein Drittel der Trans*jugendlichen an, Gespräche mit ihren Thera- peut*innen als pathologisierend zu empfinden. Dies zeigt, dass auch in Fachkreisen weiterhin ein Man­gel an Wissen im Umgang mit der Förderung der Selbstbestimmung von Trans*jugendlichen vor­herrscht.

4.3 Forderungen zur Selbstbestimmung und Entpathologisierung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Trans*personen (insbesondere Trans*jugendliche) eine we­sentliche Fremdbestimmung erfahren. Dies zeigt sich besonders im medizinisch-rechtlichen Rahmen, in dem sie von der Bereitschaft zur Kooperation der Eltern sowie von medizinisch-psychologischen Gutachten, welche teils pathologisierend ausfallen, abhängig sind.

Rauchfleisch (2018) formuliert daher einige Ziele im medizinischen sowie gesellschaftlichen Kontext, welche die Selbstbestimmung und Entpathologisierung von Trans*personen fördern sollen. Ebenso formulierten die Teilnehmenden der Studie von Sauer & Meyer (2016, S. 60 - 63) verschiedene Forde­rungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Die Forderungen werden im Folgenden zusammenge­führt und vorgestellt:

Forderungen zu den medizinischen Rahmenbedingungen

Die Bestimmungen und Ziele der Transition liegen allein bei dem Trans*menschen selbst (vgl. Rauch­fleisch, 2018). Als Konsequenz daraus, sollen keine Begutachtungen, fachliche Stellungnahmen oder sonstige Forderungen notwendig sein (vgl. ebd.). Dennoch sollte jede Trans*person die Möglichkeit erhalten, sich psychotherapeutisch und sozial begleiten zu lassen. Die Bestimmung der Art und des Umfangs bzw. der Inanspruchnahme liegt bei den Trans*personen selbst (vgl. ebd.). Zudem soll Trans*identität in Fachkreisen als Normvariante betrachtet werden, unabhängig von Krankheit oder psychischer Gesundheit (vgl. ebd.). Fachleute, die im Verlauf der Transition von Trans*menschen be­teiligt sind, sollen Fachwissen zur medizinischen, sozialen und rechtlichen Situation vermitteln und da­mit selbstverantwortliche Entscheidungen der Betroffenen bezüglich ihrer Transition fördern und un­terstützen (vgl. ebd.).

Forderungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen

Formale Prozeduren bezüglich der Vornamens- und Personenstandsänderungen sollen vereinfacht und verkürzt werden, auch für minderjährige Trans* (vgl. Sauer & Meyer, 2020, S. 61). Zudem soll eine unbürokratische Verwendung des gewünschten Vornamens und der zugehörigen Pronomen in Institu­tionen und anderen Kontexten des öffentlichen Lebens, z. B. in einer Arztpraxis, auch vor in Kraft treten der Namensänderung ermöglicht werden (vgl. ebd.). Außerdem wünschen sich die jungen Trans* eine Ausstellung einer offiziell anerkannten, vorläufigen Bescheinigung über die rechtlich noch ausstehende Namensänderung (vgl. ebd.).

Wünsche, bezogen auf die Gesellschaft

Gesamtgesellschaftlich sollen dichotome Vorstellungen von binären Geschlechtern hinterfragt und eine Vielfalt von Identitäten und Lebensformen als Bereicherung wahrgenommen werden (vgl. Rauch­fleisch, 2018). Auch die Öffentlichkeit soll vorurteilsfrei und umfassend zum Thema Trans*identität informiert werden (vgl. ebd.). Außerdem ist eine geringere Zuordnung zu einem bestimmten Ge­schlecht sowie die besondere Entstigmatisierung von Trans* mit mehrfachdiskriminierenden Erfahrun­gen gewünscht (Sauer & Meyer, 2020, S. 60f.) Besonders von Fachleuten in sozialen Berufen wird ein offener, selbstverständlicher und akzeptierender Umgang gefordert (vgl. ebd., S. 60).

Dennoch kann diskutiert werden, ob die Gesetzeslage nicht als Schutz der Jugendlichen wahrgenom­men werden kann. So unterliegen auch cisgeschlechtliche Jugendliche einer Abhängigkeit der Eltern in rechtlichen Angelegenheiten, allerdings betrifft dies nicht das Ausleben ihrer geschlechtlichen Identi­tät.

5. Trans*idente Jugendliche

Das folgende Kapitel befasst sich mit der Teilbeantwortung der Forschungsfragen, indem die spezifi­schen Probleme trans*identer Jugendlicher in Deutschland beleuchtet werden. Dabei wird zunächst der Prozess des Coming-Outs mit den einhergehenden Herausforderungen aber auch unterstützenden Faktoren erläutert. Weiterhin werden die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters dargelegt und auf die Lebenswelt trans*identer Jugendlicher bezogen. Das folgende Kapitel widmet sich dem Prozess der Identitätsbildung, wobei das Modell von Marcia auf den Prozess der Identitätsfindung von trans*iden- ten Jugendlichen angewendet wird. Zuletzt wird die Lebenswelt der Jugendlichen anhand verschiede­ner Studienergebnisse dargelegt.

5.1 Coming-Out

Das Coming-Out ist für Jugendliche ein zentraler Moment ihrer Identitätsfindung. Es kann als ein Pro­zess begriffen werden, welcher die Lebensrealität der Jugendlichen enorm beeinflusst. Mit einem voll­zogenen Coming-Out ergibt sich einerseits das reale Ausleben der eigenen Identität, andererseits kann es im Umfeld zu Ablehnung führen. Im Folgenden sollen der Prozess des Coming-Outs definiert und erläutert sowie Chancen und Risiken dargestellt werden. Zusätzlich werden innere, äußere und unter­stützende Faktoren für Trans*jugendliche anhand verschiedener Studien erörtert. Das Coming-Out kann als ein spezifisches Problem trans*identer Jugendlicher wahrgenommen werden. Dabei werden in Abgrenzung zu homosexuellen Jugendlichen, welche ebenfalls ein Coming-Out durchlaufen, trans*spezifische Herausforderungen dargestellt.

Krell und Oldenmeier (vgl. 2015, S. 9) begreifen den Prozess des Coming-Outs, für Menschen die sich nicht als heterosexuell oder cisgeschlechtlich erleben, als notwendig, da heteronormative und binäre Vorstellungen das Bewusstsein der Gesellschaft prägen (vgl. 4.). Dabei unterscheiden sie zwischen dem Prozess des inneren und äußeren Coming-Outs (vgl. ebd.).

Das innere Coming-Out umfasst die innere Bewusstwerdung und Auseinandersetzung mit der eigenen geschlechtlichen Identität und/oder sexuellen Orientierung (vgl. ebd.). Dabei wird sich die Person be­wusst, „[.] dass sie nicht-heterosexuell oder cis-geschlechtlich ist und setzt sich, zeitlich und individu­ell wiederum unterschiedlich, mit diesem Empfinden auseinander“ (ebd., S. 9). Gaupp und Krell (2020, S. 292) beschreiben das innere Coming-Out für LSBTI*Q Jugendliche als „[.] eine ambivalente bis schwierige Zeit, in der sie zum Teil eine starke Isolation erleben.“ Die Studie von Krell und Oldenmeier (vgl. 2015, S. 15) stellt fest, dass das innere Bewusstwerden von trans* und genderdiversen Jugendlichen, über die eigene abweichende geschlechtliche Identität zum biologischen Geschlecht, zwischen 3,5 und 6,8 Jahren liegt.

Das äußere Coming-Out beinhaltet das Informieren Außenstehender über die geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung und kann erst nach dem inneren Coming-Out vollzogen werden (vgl. ebd.). In Bezug auf Trans*jugendliche enthält dies „[...] das Mitteilen und Ändern der gesendeten, geschlecht­lichen Signale.“ (Sauer & Meyer, 2020, S. 44). Krell und Oldenmeier (vgl. 2015, S. 9) beschreiben das äußere Coming-Out als einen lebenslangen Prozess, da je nach Lebensbereich ein Coming-Out erfolgen kann. So berichtet „Kiwi, 19 Jahre“ von partiellem Outing auf der Arbeit, um Diskussionen zu vermei­den (vgl. Sauer & Meyer, 2021, S. 25). Das Durchschnittsalter für das äußere Coming-Out lag bei einer Studie von Krell und Oldenmeier (vgl. 2015, S. 15) bei 18,3 Jahren. Die Diskrepanz zwischen dem Durch­schnittsalter von innerem und äußerem Coming-Out verdeutlicht wie unzulänglich Betroffene infor­miert und wie angstbesetzt ein äußeres Coming-Out empfunden werden könnte.

Pröpper (vgl. 2020, S. 299) ergänzt das soziale Coming-Out insofern, dass ein Coming-Out in allen Le­bensbereichen erfolgt. Timmermanns et al. (2022, S. 51) stellen fest, „[.] dass die vorherrschende Geschlechterbinarität in der Gesellschaft ein bedeutendes Hindernis beim Coming-Out als trans* Per­son ist.“ Auch Sauer und Meyer (vgl. 2020, S. 5) ergänzen ein drittes, institutionell erzwungenes Co­ming-Out, mit der Anpassung an das gesellschaftliche System der Zweigeschlechtlichkeit. Dies ge­schieht durch beispielsweise Namens- und Personenstandsänderung (vgl. ebd.). Laut einer Studie des BFSFJ (vgl. 2017, S. 14) gaben rund 78 % der Befragten an, dass ihre trans* Angehörigen bzw. die trans* Jugendlichen selbst, ihre geschlechtliche Identität offen leben. Dabei nutzen circa 75 % einen anderen Namen, als den in der ursprünglich eingetragenen Geburtsurkunde (vgl. ebd.). Allerdings gaben nur circa 15 % der Befragten an, diesen auch in das Personenstandsregister einzutragen (vgl. ebd.).

5.1.1 Chancen, Risiken und Bedingungen

Meist steht es dem*der Jugendlichen offen, ob er*sie den Prozess des Coming-Outs vollzieht, es sei denn er*sie wird von anderen Personen unfreiwillig geoutet. Bei der Entscheidung ergeben sich be­stimmte Chancen und Risiken, welche von den Betroffenen abgewogen werden können. Baer und Fi­scher (vgl. 2021, S. 73) greifen Risiken nach Plöderl (2005) auf. Zwar beziehen sich Baer und Fischer auf homosexuelle Jugendliche und Erwachsene, dennoch können einige Aspekte auf trans* Jugendliche übertragen werden.

Durch ein fehlendes Coming-Out umfassen Risiken die Verstrickung in Lügenkonstruktionen, die Ju­gendlichen werden erpressbar und können leicht bloßgestellt werden (vgl. Plöderl, 2005, S. 23). Zudem erfahren nicht-geoutete Personen nie, was andere Menschen über ihre reale Identität denken (vgl. ebd.). Enge vertraute Personen können das Geheimnis als Vertrauensbruch wahrnehmen (vgl. ebd.). Durch ein nicht vollzogenes Coming-Out kann eine Einteilung der Lebenswelt in öffentliche sowie ge­heime Bereiche erfolgen und mit dem Risiko einhergehen, aufgedeckt zu werden (vgl. ebd.). Es ist nicht verwunderlich, dass eine Leugnung der eigenen Identität, in gewissen Lebensbereichen oder gar voll­ständig, zu inneren Konflikten führen sowie massive gesundheitliche Folgen haben kann (vgl. Baer & Fischer, 2021, S. 74). Dennoch kann das Geheimhalten der eigenen Identität vorerst vor Diskriminie­rungserfahrungen sowie Gewalt schützen (vgl. ebd. S. 73). Zudem lösen trans*idente Menschen in ihrer Umgebung meist große Irritationen aus, da das System der Binarität der Geschlechter in Frage gestellt wird (vgl. Rauchfleisch, 2019, S. 57). Insbesondere nicht-binäre Jugendliche erfahren Unver­ständnis, da sie dem System der Zweigeschlechtlichkeit niemals entsprechen werden (vgl. ebd.).

Chancen umfassen nach Plöderl (vgl. 2005, S. 22), dass das Coming-Out als identitätsstiftender Prozess, welcher mit Selbstakzeptanz, Verbundenheit mit der Community sowie einem selbstbewussten Auf­tritt einhergeht. So berichten befragte Jugendliche in einer Studie von Sauer und Meyer (2020, S. 25) von einer „befreienden Wirkung“ nach dem Coming-Out.

Thomack (2021) stellt in ihrer qualitativen Studie „Bildungsbiografien trans*geschlechtlicher Jugendli­cher“ innere und äußere Herausforderungen sowie unterstützende Faktoren bezogen auf Bildungsbi­ografien mittels Interviews heraus. Dabei gehen die befragten Jugendlichen unter anderem auf ihren Coming-Out Prozess ein. Im Folgenden werden die Faktoren bezüglich des Coming-Outs dargestellt.

Äußere Faktoren umfassen „[.] Rahmenbedingungen, negative Reaktionen des Umfeldes, Diskrimi­nierung und fehlendes Wissen um trans*Geschlechtlichkeit“ (Thomack, 2021, S. 45). So beeinflussen diese, wie das fehlende Wissen sowie die Unsichtbarkeit von trans* Geschlechtlichkeit und damit das Fehlen von Begrifflichkeiten der eigenen Selbstzuschreibung, das innere Coming-Outs negativ (vgl. Thomack, 2021, S. 45). Durch Diskriminierung im Umfeld werden äußere Coming-Outs in weiteren Le­bensbereichen gehindert. Befragte Jugendliche der Studie von Sauer und Meyer (2020, S. 24) berichten von „[.] schmerzlichen Erfahrungen, indem die eigene Identität ignoriert und bagatellisiert wurde.“ Beispielweise werden trans*männliche Personen auch nach dem Coming-Out der Gruppe der Frauen zugeordnet, es werden falsche Pronomen genutzt und sie erfahren offene Ablehnung am Arbeitsplatz sowie im Freundeskreis (vgl. ebd., S. 24f.).

Innere Faktoren des Coming-Outs werden von den Interviewten mit einem Unwohlsein der eigenen Stimme und dem Körper, dem inneren Leidens- und Entscheidungsdruck sowie Konzentrationsschwie­rigkeiten beschrieben (vgl. Thomack, 2021, S. 47). Ein befragter Jugendlicher berichtet beispielsweise, „[.] dass ihn seine körperlichen Veränderungen aufgrund seiner weiblichen Pubertät sehr gestört ha­ben“ (Krell & Oldenmeier, 2017, S. 135). Zudem wird dieser innere Druck von Betroffenen als mitverantwortlich für Erkrankungen, wie beispielsweise Depressionen, erklärt (vgl. Thomack, 2021, S. 47). Als Folge dieser Faktoren wird von einem Abfall schulischer Leistungen berichtet (vgl. ebd.).

Als wichtigsten Unterstützungsfaktor für das äußere Coming-Out benennen die Jugendlichen die posi­tive Reaktion der Mitmenschen (vgl. ebd., S. 48). So wünschen sich befragte trans* Jugendliche „Res­pekt, Akzeptanz und aktive Unterstützung der jungen Trans* durch ihre Eltern bzw. Familien sowie Vertrauen in deren Selbsteinschätzung bezüglich ihres Trans*Seins.“ (Sauer & Meyer, 2021, S. 62). Dies beinhaltet zudem die Offenheit des erweiterten Umfeldes (vgl. Thomack, 2021, S. 49). Um den Prozess des inneren Coming-Outs zu unterstützen, ist das Vorhandensein diverser Lebensweisen im eigenen lebensweltlichen Kontext als positiv für das eigene geschlechtliche Erleben und den Umgang mit an­deren zu bewerten (vgl. ebd., S. 49). Doch auch die Aufklärung und Information der Gesellschaft be­züglich trans*geschlechtlicher Identitäten stellt einen unterstützenden Faktor dar, da Akzeptanz und Verständnis für Außenstehende geschaffen werden (vgl. ebd., S. 49). Neben der Informationsvermitt­lung stellen soziale Medien Sichtbarkeit sowie emotionalen Halt für Betroffene her und können das innere sowie äußere Coming-Out bestärken (vgl. ebd., 49). Doch auch externe Angebote, wie Bera­tungsstellen, Stammtische und Gruppen zum Austausch wurden von den Befragten im Coming-Out­Prozess als hilfreich erlebt (ebd., S. 50).

5.2 Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

Das folgende Kapitel widmet sich den zusätzlichen Herausforderungen trans*identer Jugendlicher, in Abgrenzung zu cisgeschlechtlichen Jugendlichen, bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Die Jugendphase beider geschlechtlichen Identitäten kennzeichnet sich durch alterstypische Herausforde­rungen sowie der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben. Diese stellen für die Trans*jugendlichen, neben der Entwicklung ihrer geschlechtlichen Identität, einen wichtigen Bestandteil ihrer eigenen Le­bensrealität dar und bedürfen daher einem gesonderten Blick. Um diese genauer zu erörtern wird zu­nächst der Begriff der Entwicklungsaufgaben definiert.

Entwicklungsaufgaben sind nach Echenbeck und Knauf (2018, S. 24) „[.] an das Lebensalter gebun­dene Anforderungen, die sich typischerweise jedem Individuum im Laufe seines Lebens stellen.“ Sie ergeben sich einerseits aus den biologischen Veränderungen, Erwartungen und Anforderungen aus dem sozialen Umfeld an das Individuum sowie den eigenen Erwartungen und Wertevorstellungen (vgl. ebd.). Oerter und Dreher (2008, S. 279) verstehen Entwicklungsaufgaben als Lernaufgaben „[.] d.h., Entwicklung wird als Lernprozess aufgefasst, der sich über die gesamte Lebensspanne erstreckt und im Kontext realer Anforderungen zum Erwerb von Fertigkeiten und Kompetenzen führt.“

Oerter und Dreher (2008, vgl. S. 279) greifen die Entwicklungsaufgaben im Jugendalter nach Dreher & Dreher (1996) auf, welche im Folgenden dargelegt und in Zusammenhang mit möglichen Herausforde­rungen für junge Trans* gebracht werden.

In Bezug auf die Peer-Group gilt es, einen Freundeskreis aufzubauen, Altersgenoss*innen beiderlei Ge­schlechts kennenzulernen sowie tiefere Beziehungen herzustellen. Ein Coming-Out der Trans*jugend- lichen kann, durch mangelnde Akzeptanz, zum Ausschluss aus Peer-Groups führen (vgl. Kapitel 5.1 & 5.4.1). Die Auswirkungen von Peer-Groups und die Folgen eines möglichen Ausschlusses werden in Kapitel 5.4.1 näher ausgeführt.

Zudem ist die Akzeptanz der Veränderung des eigenen Körpers und des äußeren Erscheinungsbildes bedeutsam (ebd.). Aus der Definition der Entwicklungsaufgaben von Oerter und Dreher (2008) geht hervor, dass sich diese, aus den mit dem Jugendalter einhergehenden biologischen Veränderungen ergibt. Dies stellt besonders für Trans*jugendliche eine Herausforderung dar, da sich diese nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren und somit eine Akzeptanz der körperlichen Veränderung zur ,Frau‘ oder zum ,Mann‘ nicht gegeben ist. So kann, wie in Kapitel 4.2 beschrieben, ein innerer Lei­densdruck entstehen. Nach einer vollzogenen Transition ist eine Akzeptanz des Körpers und die ein­hergehende Rollenzuschreibung jedoch möglich. Für nicht-binäre oder genderfluide Jugendliche scheint diese Entwicklungsaufgabe allerdings eine besondere Herausforderung, da sie sich keinem der beiden oder wechselnder Geschlechter zuordnen.

Eine weitere Entwicklungsaufgabe ist die Aneignung einer gesellschaftlichen Rolle, z.B. als Mann oder Frau sowie die Übernahme der damit einhergehenden gewünschten Verhaltensweisen (vgl. ebd.). Um dies genauer zu erörtern, wird zunächst der Begriff der Rolle definiert. Die Rolle dient nach Kraimer (vgl. 2011, S. 722) zur Bezeichnung einer Sozialstruktur, welche sich aus den Verhaltensformen im Kon­text mit dem Status ergibt. Dabei gibt der Status den Rang eines Individuums innerhalb eines Gefüges an, während die Rolle die dem Rang zugehörige Art und Weise diesen einzunehmen und handzuhaben angibt (vgl. ebd.). Mit der Einnahme einer Rolle, welche sich je nach Kontext unterscheiden können, gehen gewisse Verhaltens- oder Handlungserwartungen an den*die Rollenträger*in einher (vgl. ebd.). Dabei wird in unserer Gesellschaft das biologische Geschlecht oftmals als Status verstanden, an den geschlechtsadäquate Normen und moralische Verpflichtungen geknüpft sind (vgl. Keller, 2009, S. 98). Da das Individuum keinen Einfluss auf seine geschlechtliche Rolle nehmen kann, wird diese als eine „zugeschriebene“ Rolle verstanden (vgl. Schäfers, 2006, S. 34).

Fühlt sich ein*eine Jugendliche*r nicht dem ihn*ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehö­rig, kann eine Rollenübernahme zunächst nicht erfolgen. Dies kann bei Trans*jugendlichen im Falle eines fehlenden Coming-Outs zu inneren und äußeren Konflikten führen, da sie den geschlechtlichen Normen nicht entsprechen können. So kann beispielsweise die Rollenanforderung an junge Mädchen, ihr Äußeres möglichst „weiblich“ zu präsentieren von einem Trans*jungen nicht erfüllt werden. Den­noch gilt es zu bedenken, dass Anforderungen an (geschlechtliche) Rollen wandelbar sind. Diese An­nahme legitimiert sich besonders mit einem Blick auf die geschichtliche Entwicklung der Rechte und Pflichten von Frauen.

Die zunächst nur angerissenen Konflikte werden näher im Kapitel 5.3 aufgegriffen, da die Übernahme von Rollen in einem engen Zusammenhang mit der Identitätsentwicklung stehen. Besonders nicht­binäre, genderfluide und heteronormativitätskritische Jugendliche unterliegen einem ständigen Kon­fliktpotenzial, da sie den heteronormativen Anforderungen, also der Zuordnung im binären Geschlech- tersystem, nicht gerecht werden können. Mit ihrem Auftreten stellen sie zusätzlich das gängige binäre Geschlechtersystem in Frage. Dabei könnten sich Personen, welche dieses bisher unhinterfragt hinge­nommen haben, angegriffen fühlen.

Das Aufnehmen engerer Beziehungen zu einem*einer Freund*in stellt ebenfalls eine Entwicklungsauf­gabe dar (vgl. Oerter & Dreher, 2008, S. 279). Auch hier können Diskriminierung und mangelndes Wis­sen um Trans*identitäten hinderlich sein. Dennoch zeigt sich, dass enge Freund*innen von den Ju­gendlichen oftmals als Unterstützung wahrgenommen werden (vgl. Kapitel 5.4.2).

Eine weitere Aufgabe ist die Ablösung vom Elternhaus und das Erlangen von Unabhängigkeit (vgl. ebd.). Auch hier werden Trans*jugendliche im Gegensatz zu Cis-Jugendlichen vor eine zusätzliche Herausfor­derung gestellt. Die rechtliche und medizinische Transition erfordert in vielen Fällen die Zustimmung der Eltern bzw. der gesetzlichen Vertreter*innen. Daher unterliegen sie einer ständigen Abhängigkeit bezüglich des Auslebens ihrer geschlechtlichen Identität, welche eine Ablösung von den Eltern mög­licherweise erschwert (vgl. Kapitel 4.).

Des Weiteren rücken Überlegungen zu Beruf und Ausbildung sowie das Erlangen gewisser Vorausset­zungen in dieser Lebensphase in den Fokus (vgl. ebd.). In ihrer Studie legt Thomack (2021) dar, welche Auswirkungen die Trans*identität auf die schulischen Leistungen der Betroffenen nimmt. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass verschiedenste Formen der Diskriminierung durch das Umfeld, innere Konflikte aber auch ein erhöhter Zeitaufwand für Termine bezüglich der Transition, die schulischen Leistungen der Jugendlichen beeinträchtigen (vgl. ebd.). Daher kann davon ausgegangen werden, dass das Erlangen gewisser Voraussetzungen, wie beispielsweise einem Schulabschluss, auf Grund der ge­schlechtlichen Zugehörigkeit erschwert wird.

Jugendliche sollen außerdem Vorstellungen von Familie und Partnerschaft entwickeln (vgl. Oerter und Dreher, 2008, S. 279). Dabei bleibt fraglich, inwiefern trans*idente Jugendliche dazu bereit sein kön­nen, wenn ihre geschlechtliche Identität noch nicht entwickelt wurde. Zudem können negative Erfahrungen in der eigenen Familie, auf Grund der geschlechtlichen Zugehörigkeit (vgl. Kapitel 5.4.1), negative Vorstellungen bestärken. Weiterhin können konservative Familienbilder und Aufgabenvertei­lungen, welche von manchen jugendlichen Trans* nicht erfüllt werden können oder möchten, eine Auseinandersetzung mit der Thematik erschweren.

Des Weiteren sollen Jugendliche Klarheit über sich selbst gewinnen sowie ihre Wirkung auf Außenste­hende reflektieren (ebd.). Auf diese Aufgabe wird näher in 5.3 eingegangen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung einer Weltanschauung mit eigenen Werten und Prin­zipien, an denen sich das Handeln orientiert (vgl. ebd.). Dieser Punkt scheint für trans* Jugendliche von herausragender Bedeutung. Da sie dem System der Zweigeschlechtlichkeit nicht entsprechen, ist die Entwicklung eines eigenen Systems und dazugehörigen Werten jenseits konservativer Anschauungen, bezüglich des Geschlechts, unabdingbar. Dabei ist das Konfliktpotential möglicherweise höher als bei cisgeschlechtlichen Jugendlichen, da sie ein gesamtes System, welches die meisten Menschen bisher unhinterfragt ausgelebt haben, zwangsläufig in Frage stellen.

Zuletzt sollen Zukunftsperspektiven entwickelt, das Leben geplant und Ziele angesteuert werden. Die Zukunft vieler junger Trans* ist allerdings abhängig von dem Umgang der Gesellschaft und den institu­tionellen Bedingungen des Systems ihnen gegenüber. So berichtet ein Jugendlicher von einer Begren­zung auf „liberal-demokratische Staaten“ bezüglich eines Auslandsjahres, da in vielen Ländern eine Trans*identität nicht akzeptiert sei (vgl. Thomack, 2021, S. 52).

Eschenbeck und Knauf (2018, S. 26) ergänzen zusätzlich: „[...] Anforderungen im Zusammenhang mit dem Umgang mit Konsumangeboten, mit Freizeitaktivitäten und der Nutzung von Medien.“ Hier schei­nen verschiedene Social-Media Plattformen und Internet Communitys von großer Bedeutung, da sie den jungen Trans* Informationen vermitteln sowie einen Austausch bieten (vgl. 5.4.4). Bezüglich der Freizeitaktivitäten nimmt das System der Heteronormativität ebenfalls Einfluss auf die jungen Trans*. So berichten diese, dass sie auf Grund ihrer körperlichen Unsicherheit beispielsweise sportliche Akti­vitäten meiden. Geschlechtergetrennte Umkleiden oder Sport mit Binder3 sind für die Trans* Jugend­lichen ein Hemmnis (vgl. Krell & Oldenmeier, 2018, S. 28). Dazu kommen Angst und Unsicherheit in Gruppensituationen bezüglich des eigenen Trans* Seins (vgl. ebd., S. 29). Die möglichen Auswirkungen dieser Isolation werden unter anderem in Kapitel 5.4 aufgegriffen.

[...]


1 Für alle „Nicht-Rhoihessen“: „Das ist doch neumodischer Kram!“.

2 Der ICD dient zur weltweiten Verschlüsselung von Diagnosen (vgl. Bundesministerium für Arzneimittel und Me­dizinprodukte, 2022). Die Abkürzung steht im Englischen für 'international Classification of Diseases' also der internationalen Klassifikation von Krankheiten. Die ICD wird ständig überarbeitet und den aktuellen Gegeben­heiten angepasst.

3 Kleidungsstück, dass vor allem von Trans* Männern genutzt wird, um die Brust abzubinden

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Was läuft queer? Spezifische Probleme trans*identer Jugendlicher im Kontext Sozialer Arbeit
Hochschule
Katholische Fachhochschule Mainz  (Katholische Hochschule Mainz)
Note
1,7
Autor
Jahr
2022
Seiten
87
Katalognummer
V1327780
ISBN (Buch)
9783346814500
Sprache
Deutsch
Schlagworte
spezifische, probleme, jugendlicher, kontext, sozialer, arbeit
Arbeit zitieren
Emma Schäfer (Autor:in), 2022, Was läuft queer? Spezifische Probleme trans*identer Jugendlicher im Kontext Sozialer Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1327780

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