Soziokultureller Wandel in einem siebenbürgischen Dorf am Beispiel von Gârbova (Urwegen)


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

34 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis

A. Der kulturelle Wandel in Rumänien

B. Der soziale und kulturelle Wandel seit 1944 am Beispiel des Dorfes Gârbova
I. Stand der Literatur, Quellenlage und Methoden
II. Einzelaspekte des sozialen und kulturellen Wandels bei den Sachsen und den Rumänen in Gârbova/Urwegen
1. Veränderungen im Alltagsleben
Zum interethnischen Aspekt
Die Nachbarschaften
Die Familie
Die Religionen
Kulturelle Einrichtungen
2. Folklorismus und Folklore

C. Zusammenfassung

Bibliographie

Literatur

Schriftliche Quellen

A. Der kulturelle Wandel in Rumänien

Der kulturelle Wandel ist eine gesellschaftliche Erscheinung, die sich auf verschiedenen Ebenen manifestiert. In diesem Entwicklungsprozess passen sich die sozialen und kulturellen Ausdrucksformen der Völker den Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an. Die durch die Modernisierung bedingten Veränderungen in Südosteuropa haben vor allem im 19. Jahrhundert ihren Ursprung, als sich zunehmend im Rahmen der sozialen Differenzierung eine Dichotomie zwischen Elite und Volk bzw. zwischen Stadt und Land herausbildete (Roth 2000: 148). Diese Unterschiede zu überwinden, war verstärkt im 20. Jahrhundert das Ziel südosteuropäischer Eliten, wobei Westeuropa bzw. Nordamerika eine Vorbildfunktion zugeschrieben werden kann. Da sich die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen in Südosteuropa deutlich von denen in Westeuropa unterscheiden, bildete sich ein eigener Weg der Modernisierung heraus, der bis in die Gegenwart die Vermischung von traditionellen und modernen Elementen erkennen lässt (vgl. Daskalov 1999: 106), wobei die modernen Elemente eher selektiv angenommen werden (Roth 2000: 153).

Der modernisierende Wandel beeinflusst nicht nur das Leben in der Stadt, sondern auch alle Bereiche des dörflichen Millieus (Roth 1997: 64). Dieser Wandel der Alltagskultur bezieht sich sowohl auf die sichtbaren Objektivationen als auch auf die nicht sichtbaren Subjektivationen[1].

Doch hat nicht nur die Modernisierung ihren Einfluss auf das Volksleben, sondern auch der kulturelle Austausch zwischen den verschiedenen zusammen lebenden Völkern Südosteuropas, bei dem Kulturelemente der jeweils anderen Ethnien entweder abgelehnt, oder vollständig übernommen, d. h. in die eigene Struktur aufgenommen werden (Schenk 1995: 261).

Wie alle Staaten Südosteuropas ist auch Rumänien seit dem 19. Jahrhunderten tiefgreifenden strukturellen Veränderungen unterworfen, die oftmals in starkem Gegensatz zu den Bedürfnissen und der Lebensauffassung der Bevölkerung stehen.

Ein besonderes Problem stellt der uneinheitliche Geschichsverlauf des rumänischen Nationalstaates dar, der erst nach 1918 seine heutige territoriale Gestalt annahm. Bis zu diesem Zeitpunkt muss von zwei völlig unterschiedlichen Regionen ausgegangen werden, die sich jeweils unabhängig voneinander entwickelt hatten: auf der einen Seite die rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei im Osten bzw. Südosten des Landes, die unter starkem osmanischen Einfluss standen, auf der anderen Seite die der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie unterstehenden Regionen Banat, Crişana, Siebenbürgen und Maramureş. Erst seit der Vereinigung dieser Gebiete zu einem rumänischen Staat lässt sich eine gemeinsame Weiterentwicklung bzw. Modernisierung feststellen, obwohl die Unterschiede zwischen beiden Landesteilen bis in die Gegenwart weiterbestehen, die auch durch die ethnische Zusammensetzung von Banat und Siebenbürgen bedingt sind.

Drei historische Eckdaten in der Geschichte des jungen rumänischen Staates zogen folglich schwerwiegendste Veränderungen in der Sozialstruktur und der Volkskultur des Landes nach sich: die Schaffung des Nationalstaates nach 1918, der durch den Allianzwechsel bedingte Eintritt in ein sozialistisches Staatswesen ab dem 23. August 1944 und die sogenannte Rumänische Revolution des Jahres 1989, die das Eindringen „westlicher“ Elemente nach Rumänien ermöglichte.

In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit den Auswirkungen des sozialen und kulturellen Wandels auf die ehemals überwiegend sächsische Gemeinde Gârbova (deutsch: Urwegen) im südlichen Teil Siebenbürgens, zwischen Sebeş/Mühlbach und Sibiu/Hermannstadt gelegen, auseinandersetzen. Zur Verdeutlichung oder zum Vergleich einiger Aspekte werde ich auch auf anderen Gemeinden in Siebenbürgen Bezug nehmen.

Die Gemeinde Gârbova besteht heute aus dem Dorf Gârbova selbst, das neben einer Mehrheit von Rumänen und Roma noch eine Minderheit von etwa 30 evangelischen und 20 freikirchlichen Sachsen aufweist, und dem 7 Kilometer südlich gelegenen, ausschließlich von Rumänen besiedelten Dorf Cărpiniş (deutsch: Kappelsbach).

B. Der soziale und kulturelle Wandel seit 1944 am Beispiel des Dorfes Gârbova

I. Stand der Literatur, Quellenlage und Methoden

Trotz einer vielfältigen Anzahl an Publikationen über die Dörfer Siebenbürgens finden sich kaum aktuelle Arbeiten, die sich mit dem soziokulturellen Wandel, vor allem nach 1989, befassen. Ein Großteil der erschienenen Aufsätze beschäftigt sich mit dem früheren Brauchtum bei Rumänen oder Sachsen und behandelt zumeist nur selektierte Teilaspekte. Diejenigen Werke, die auch auf die politischen und sozialen Veränderungen in Rumänien seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingehen, wie etwa die Abhandlungen von Sam Beck: Ethnicity an nationalism in Southeastern Europe und von Katherine Verdery: National ideology under socialism sind wiederum sehr allgemein gehalten und lassen konkrete Beispiele z. B. eines konkreten Ortes vermissen. Sie können daher nur als politisches Basiswissen für diese Arbeit herangezogen werden. Sehr ausführlich dagegen behandelt Katherine Verdery in Transylvanian villagers des unweit von Gârbova gelegenen Dorfes Aurel Vlaicu (deutsch: Binzenz) in den Jahren zwischen 1945 und 1983.

Die sehr anschauliche Arbeit von Annemie Schenk: Familie und Wohnen in Stolzenburg aus dem Jahre 1984 behandelt sehr ausführlich sowohl die Sachsen als auch die Rumänen des Dorfes Slimnic (deutsch: Stolzenburg), ist aber durch die massive Auswanderung der Sachsen in den Jahren nach 1989 und dem damit verbundenen kulturellen und ethnischen Wandel nur noch in Teilbereichen aktuell. Diese Arbeit eignet sich dennoch als Anknüpfungspunkt, auf dessen Basis weitere Forschungen in anderen siebenbürgischen Gemeinden durchgeführt werden können.

Bei der Aufbereitung der Thematik habe ich mich verschiedener volkskundlicher Methoden bedient und mit der Auswertung der vorhandenen Literatur begonnen, auf der mein Fragebogen basiert, den ich bei einem zehntägigen Aufenthalt in Gârbova im April 2001 bei Interviews verwendet habe. Bedingt durch den Zeitmangel einiger Gewährsleute, die oft kurzfristig vereinbarte Termine wieder absagen mussten, reduziert sich der Kreis der Befragten auf drei bis vier Personen, wobei ich darauf achtete, sowohl mit rumänischen als auch mit sächsischen Einwohnern des Dorfes zu sprechen. Gleichzeitig wurden Vertreter dreier verschiedener Generationen berücksichtigt. Aufgrund der geringen Anzahl an Gesprächspartnern können deren Aussagen nicht repräsentativ für das gesamte Dorf herangezogen werden. Sie sind eher nach dem Prinzip der Stichprobe von Nutzen.

Von einer Befragung der ortsansäßigen Roma musste mangels Kontakten abgesehen werden, sie können in dieser Arbeit daher nicht berücksichtigt werden.

Weiter führte ich sowohl teilnehmende als auch nicht teilnehmende Beobachtungen durch, vor allem beim Vergleich des im Jahre 2001 zeitgleich stattfinden Osterfestes sowohl bei den orthodoxen als auch bei den protestantischen Bewohnern Gârbovas.

Als Hilfsmittel für die geführten Interviews dienten sowohl Diktiergerät als auch Videomitschnitt, die Bereiche Architektur, Wohnen und Aufbewahren wurden fotografisch festgehalten.

II. Einzelaspekte des sozialen und kulturellen Wandels bei den Sachsen und den Rumänen in Gârbova/Urwegen

Im Folgenden soll anhand einiger konkreter Beispiele erörtert werden, welchen Veränderungen die Bevölkerung Urwegens in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt war. Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, soll hier nur auf die sozialistische und die postsozialistische Phase Rumäniens nach 1945 eingegangen werden. Eine Trennung von Alltagskultur und Folklorismus/Folklore, die auch die Festtagskultur einschließt, erscheint hier als sinnvoll, da der folkloristische Punkt im Gesamtkontext mit dem Land Rumänien betrachtet werden muss.

1. Veränderungen im Alltagsleben

Der von Rumänien am 23. August 1944 vollzogene Allianzwechsel[2] wirkte sich nicht nur auf den weiteren Kriegsverlauf, sondern auch auf das politische und ökonomische System des Landes aus. Rumänien wurde unter der Leitung der Rumänischen Arbeiterpartei (Partidul Muncitoresc Romîn) sozialistisch umgestaltet. Das Agrarreformgesetz vom 23. März 1945 leitete eine Bodenreform ein, die bis 1949 abgeschlossen war (Schenk 1992: 165). Diese hatte eine völlige Umverteilung des dörflichen Eigentums an Grund und Boden zur Folge, und wirkte sich vor allem auf die ungarische und die deutsche Minderheit im Lande aus, deren Angehörige bis dahin überwiegend Großgrundbesitzer gewesen waren (Kolar 1997: 235). Ein weiteres Ziel der Regierungen unter Petru Groza und später Gheorghe Gheorghiu-Dej war eine schnelle Industrialisierung des bisherigen Agrarstaates Rumänien nach marxistisch-leninistischen Gesichtspunkten[3]. Vor allem auf die Konsolidierung der Schwerindustrie wurde Wert gelegt (Kolar 1997: 238)[4]. Neben der wirtschaftlichen Umgestaltung Rumäniens stand ein weiterer Aspekt im Zentrum des Interesses der Partei: „Sub conducerea Partidului Muncitoresc Romîn, statul democrat-popular este un factor activ […] şi în formarea şi dezvoltarea culturii noi, socialiste.[5] (Ceterchi 1962: 196). Der ab 1965 regierende Staats- und Parteichef Nicolae Ceauşescu setzte diese Politik der Industrialisierung und Schaffung einer neuen Kultur fort, war sich aber der Probleme im Zusammenhang mit den nationalen Traditionen bewusst[6]: Sein ehrgeiziges Programm, die „Systematisierung“ von etwa 8.000 Dörfern[7] in Rumänien, d. h. der Abriss bestehender Siedlungen und die Neuerrichtung „agro-industrieller Komplexe“, war jedoch eindeutig gegen die traditionelle Volkskultur nicht nur der Minderheiten, sondern der gesamten Landbevölkerung[8] im Lande gerichtet[9].

Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit sich die veränderte politische und wirtschaftliche Lage Rumäniens nach 1944 auf die Volkskultur in Siebenbürgen, und speziell in Gârbova, auswirkte. Auch soll auf die Veränderungen nach 1989 eingegangen werden, die einerseits einen weiteren radikalen Wandel nach sich zogen, andererseits aber auch eine Restauration früherer Verhältnisse zur Folge haben.

a) Kollektivierung und Industrialisierung: Auswirkungen auf Gârbova/Urwegen

Nach Ende des Krieges siedelte in Urwegen eine zu diesem Zwecke geschaffene Enteignungskomission rumänische Kolonisten aus den umliegenden der Dörfern Cărpiniş, Doştat, Draşov, Şpring, Cunţa u.a. in den enteigneten sächsischen Höfen an. Die Sachsen blieben entweder als Knechte auf ihrem Hof, oder sie lebten bei den Großeltern, die als einzige nicht einteignet worden waren. Hauptkriterium für die Zuteilung eines Bauernhofes war die Rolle der Familien während des Zweiten Weltkrieges. Die frontişti, d. h. alle, die an der Front gegen Deutschland gekämpft hatten oder einen Angehörigen an der Front verloren hatten, wurden bevorzugt behandelt. Diese Regelung machte erstmals auch Angehörige der Roma zu Grundbesitzern (Mildt 1991: 69).

Im März 1950 wurde in Gârbova die Kollektivwirtschaft Drumul Socialismului (Weg des Sozialismus) gegründet (Mildt 1991: 72). Ab 1956 wurden die Bauernhöfe per Dekret großteils wieder an die ursprünglichen Eigentümer zurückerstattet mit Ausnahme derjenigen Höfe, die im Besitz der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft waren (Verdery 1983: 39). Die Kolonisten zogen in ihre Heimatdörfer zurück oder bauten sich in Gârbova neue Häuser. Gleichzeitig wurde bis 1960 die komplette Kollektivierung der Familien im Dorf abgeschlossen.

Durch die Industrialisierung in den benachbarten Städten veränderte sich auch in Urwegen die berufliche Struktur der Einwohner. Zwar blieb ein Großteil der Bevölkerung auch weiterhin in der Landwirtschaft tätig, es eröffneten sich nun aber auch neue Berufsfelder in Industrie und Handwerk. Viele Sachsen und Rumänen fanden eine Beschäftigung auf den Baustellen und in den Fabriken der nahe gelegenen Städte Sebeş (Mühlbach), Alba Iulia (Karlsburg) und Sibiu (Hermannstadt), die besser bezahlt wurde als die Arbeit in der LPG. Durch den regen Pendelverkehr wurde Gârbova an das Verkehrsnetz angeschlossen und bekam sieben Busverbindungen täglich nach Sebeş.

Im Jahre 1960 wurde eine Fahrschule gegründet, da für den Transport von Baumaterial Fahrer benötigt wurden. Das Kombinat von Sebeş erhielt Lastkraftwagen, während bei der LPG in Gârbova Traktoren die traditionelle Arbeit mit Pferden oder Wasserbüffeln ersetzten[10].

Durch die rege Bautätigkeit in den Städten setzte gleichermaßen eine Landflucht überwiegend junger Leute aus Gârbova ein, da es zu jener Zeit nicht schwer war, Arbeit und Wohnraum in der Stadt zu finden. Durch staatliche Unterstützung war es jungen Familien auch möglich, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen.

Da die Landflucht die Kapazität der Städte zu überfordern begann, entschloss sich die Regierung, den Zuzug in die Städte zu regulieren. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land hinsichtlich des Lebensstandards waren letztlich ausschlaggebend für die geplante „Systematisierung“ der ländlichen Regionen (Schenk 1992: 167).

b) Die dörfliche Lebensordnung

Zum interethnischen Aspekt

Gârbova als ethnisch gemischte Ortschaft bietet hinreichend Raum für interkulturelle Prozesse. Die ethnische Heterogenität des Dorfes war nicht immer konfliktfrei. War früher die sächsische Mehrheitsbevölkerung die „herrschende Klasse“ gegenüber den Rumänen und den Roma, so hat sich dieses Verhältnis nun stark gewandelt. Nach der Kollektivierung bzw. der Enteignung der Sachsen fanden sich diese mit einem Mal in der Position der Knechte wieder, auch wenn diese Phase nur relativ kurze Zeit dauerte und die Höfe schon bald zurückgegeben wurden. Durch die Auswanderung der Sachsen nach 1989 und den dadurch bedingten Zuzug von Rumänen und Roma in das ehemals sächsische Dorfzentrum wurde auch die strikte Trennung zwischen den Ethnien weitgehend aufgehoben. Im Alltagsleben bleibt bei der Bevölkerung dennoch das Bewusstsein der Andersartigkeit bestehen. Die Betonung von Differenz zur anderen ethnischen Gruppe bzw. die Tendenz zur Dissimilation (nach Roth 2000a: 5) ist auch bei den Sachsen in Gârbova zu bemerken. Auch wenn inzwischen ethnisch übergreifende Freundschaften bestehen, wie auch zum Teil Kenntnisse über die Besonderheiten des jeweiligen anderen Volkes vorhanden sind, gilt doch z. B. im Bereich der Religion eine strikte Trennung. So erklärte eine Sächsin, sie hätte Zeit ihres Lebens niemals die rumänische Kirche betreten oder einen religiösen Feiertag mit den rumänischen Nachbarn gefeiert. Auch ist, nach eigenen Beobachtungen, vor allem bei den älteren Sachsen noch immer eine Geringschätzung gegenüber den rumänischen Mitbewohnern festzustellen, während bei vielen Rumänen Gefühle des Neides aufgrund der für die Sachsen bestimmten Hilfsgüter aus dem Ausland dominieren. So ist das Verhältnis der beiden Volksgruppen zueinander bis heute von sozialer Distanz und Selbstabgrenzung (Schenk 1992: 162) gekennzeichnet.

Die Ziele der kommunistischen Machthaber, die Schaffung einer „einheitlichen sozialistischen Lebensweise“ und einer „einheitlichen sozialistischen Persönlichkeit“ (Roth 2000a: 13/14), also die Schaffug eines sozialistischen Einheitsvolkes ohne Ansehen der nationalen Herkunft, konnten sich nicht durchsetzen. Die ethnischen Differenzen blieben bestehen (Beck 1981: 29). Nicolae Ceauşescu, der die Nation als „sozial-historische Kategorie“ nicht ignorieren konnte, war sich dieser Tatsache durchaus bewusst: „Bis zum Verschwinden der Nation wird noch eine lange, sehr lange Zeit vergehen […]“ (Ceauşescu 1973: 58).

Die weitaus größeren interethnischen Probleme bestehen zwischen Rumänen und Sachsen einerseits und den Angehörigen der Roma auf der anderen Seite.

Während in Gârbova die Bevölkerungsmehrheit von den Rumänen gestellt wird, hat sich in vielen siebenbürgischen Gemeinden die ethnische Struktur zu Gunsten der Roma gewandelt. Die starke Abwanderung nicht nur von Sachsen, sondern auch von Rumänen bewirkt eine nicht zu übersehende Ghettoisierung der Roma in ihren Dörfern, in denen sie oftmals völlig auf sich gestellt sind und kaum staatliche Zuwendungen zu erwarten haben.

Ein derartiges Beispiel findet sich im Dorf Roşia (deutsch: Rothberg)[11] unweit von Sibiu. Hier werden die Roma seitdem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, das ihnen vormals zumindest Arbeit und damit einen Platz in der Gesellschaft gegeben hat, aus eben dieser Gesellschaft ausgegrenzt. Diese Desintegration (nach Roth 2000a: 3) drängte die Roma in das soziale und ökonomische Abseits. Nach Aussagen eines Gewährsmannes vor Ort genießen die Roma lediglich staatsbürgerliche Rechte, wie z. B. den Erhalt einer Geburtsurkunde und eines minimalen Kindergeldes. Nur einigen wenigen Roma-Kindern aus dem Dorf gelingt die Aufnahme in das Lyceum in Sibiu.

[...]


[1] siehe hierzu Klaus Roth: Soziokultureller Wandel im südosteuropäischen Dorf nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 71

[2] Wechsel von der Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland auf die Seite der Sowjetunion, siehe hierzu Robert Lee Wolff: The Balkans in our time, 278-292

[3] zur leninistischen Wirtschaftspolitik siehe W. I. Lenin: Marx, Engels, Marxismus, S. 375 ff.

[4] Von dieser radikalen Industrialisierung zeugen bis heute die Industrieanlagen und die komplett veränderte soziale Struktur des einstigen Weinbauerndorfes Copşa Mică (Klein-Kopisch), vgl. die Monographie von Dorin I. Bardac: Copşa Mică, Sibiu 1999

[5] „Unter der Leitung der Rumänischen Arbeiterpartei ist der Staat ein aktiver Faktor sowohl in der Bildung als auch in der Entwicklung neuer, sozialistischer Kulturen.“ (eigene Übersetzung)

[6] vgl. hierzu Nicolae Ceauşescu: Rumänien auf dem Weg des Sozialismus, S. 49

[7] von insgesamt 13.000 dörflichen Siedlungen; Zum Ziel der „Systematisierung“ siehe auch: Nicolae Ceauşescu, o.c., S. 125 – 131

[8] etwa 60 Prozent der Gesamtbevölkerung lebten 1967 auf dem Land, vgl. Nicolae Ceauşescu: o.c., S. 126

[9] Gârbova selbst war von den Systematisierungsplänen nicht betroffen, da sich bis 1990 im Dorf eine Lederfabrik befand und der Ort als „Industriestandort“ galt.

[10] Gegenwärtig ist diese Entwicklung rückläufig: Aus Mangel an finanziellen Mitteln für Ersatzteile und Treibstoff muss wieder auf den Transport mit Pferdewagen zurückgegriffen werden.

[11] Ethnische Zusammensetzung (Stand: April 2001): etwa 1.000 Roma, 100 Rumänen und 5 Sachsen

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Résumé des informations

Titre
Soziokultureller Wandel in einem siebenbürgischen Dorf am Beispiel von Gârbova (Urwegen)
Université
LMU Munich  (Institut für Deutsche und vergleichende Volkskunde/Europäische Ethnologie)
Cours
Südosteuropäische Volkskultur im Wandel
Note
1
Auteur
Année
2001
Pages
34
N° de catalogue
V133530
ISBN (ebook)
9783640402281
ISBN (Livre)
9783640401987
Taille d'un fichier
14209 KB
Langue
allemand
Mots clés
Soziokultureller, Wandel, Dorf, Beispiel, Gârbova
Citation du texte
M.A. Nikolaus Wilhelm-Stempin (Auteur), 2001, Soziokultureller Wandel in einem siebenbürgischen Dorf am Beispiel von Gârbova (Urwegen), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133530

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