„Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten, die Schweine“

Eine diachrone Analyse der Sprache von Ulrike Meinhof unter dem Aspekt ihrer Radikalisierung


Tesis (Bachelor), 2009

41 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie und Methode
2.1 Quellenlage und Forschungsstand
2.2 Definition von „Radikalisierung“
2.3 Das Problem der Theorie und der Stellenwert der Methode

3. Zeithistorischer Kontext
3.1 Studentenbewegung und Journalismus
3.2 RAF und Terrorismus

4. Analyse der zentralen Texte
4.1 Wasserwerfer – auch gegen Frauen
4.1.1 Zum Text
4.1.2 Semantik
4.1.3 Syntax
4.1.4 Rhetorik und Stil
4.2 Das Konzept Stadtguerilla
4.2.1 Zum Text
4.2.2 Semantik
4.2.3 Syntax
4.2.4 Rhetorik und Stil

5. Auswertung

6. Fazit und Ausblick

7. Literatur

Anhang
A: Indikatortabelle
B: Auswertung der Analyse

1. Einleitung

Wenn Ulrike Marie Meinhof von Bullen und Schweinen sprach, war klar, dass nicht von Tieren die Rede war. Doch wie ist es zu deuten, wenn sie im „Spiegel“ vom 15. Juni 1970 zitiert wird mit: „und wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinander zu setzen. […] Natürlich kann geschossen werden.“[1] Während im „Konzept Stadtguerilla“ vom April 1971 zu lesen ist: „Wäre unsere Praxis so überstürzt wie einige Formulierungen dort [gemeint ist der zuvor zitierte Spiegelausschnitt], hätten sie uns schon.“[2] und „Wir schießen, wenn auf uns geschossen wird. Den Bullen, der uns laufen läßt, lassen wir auch laufen.“[3]

Handelte es sich dabei um eine Entradikalisierung der Sprache, da Meinhof zuvor gemachte Aussagen relativierte?

„Wenn das System tabu ist, ist die Ordnung in Ordnung, weiß der Teufel, wer die Polizei entmenscht hat.“[4], heißt es sarkastisch in „konkret“ Nr.4/1968. Hier bezeichnet sie die bundesdeutsche Ordnungsmacht noch als Polizei, bevor sie diese drei Jahre später selbst entmenschlicht. Handelt es sich dabei um einen Einzelfall oder radikalisierte sich die Sprache von Ulrike Meinhof generell in den Jahren 1968-1971? Handelt es sich doch nicht um eine gemäßigtere Sprache?

Diesen Fragen soll im Folgenden auf den Grund gegangen werden. Als erster Schritt werden dazu der Forschungsstand und die Quellenlage kurz gesichtet, woraufhin der Versuch einer theoretischen Verortung gemacht werden soll. Wenn die Radikalisierung der Sprache untersucht wird, erfordert es einer Beschreibung dessen, was im Rahmen dieser Arbeit unter dem Begriff der Radikalisierung zu verstehen ist. Der letzte Abschnitt des theoretisch-methodischen Teils beschäftigt sich mit den sprachanalytischen Methoden, die im vierten Kapitel ihre Anwendung finden.

Da die zu analysierenden Texte in unterschiedlichen Lebensabschnitten entstanden, ist anschließend ein Blick auf den zeithistorischen Kontext notwendig. Im Fokus steht dabei besonders die Situation während der Entstehung und Veröffentlichung der Texte, da zwischen Kontext und Text ein reziproker Zusammenhang besteht, der nicht unberücksichtigt bleiben sollte.

Der zentrale Teil der Arbeit ist die Textanalyse. Die Auswahl fiel nicht leicht, da Meinhof, aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit und da sie neben Horst Mahler die Haupttheoretikerin der RAF war, sehr viele Texte produzierte. Nicht berücksichtigt werden die Schriften, die sie als Studentin im Zuge der Anti-Atom-Bewegung veröffentlichte. Aus ihrer Zeit bei der linksgerichteten Zeitschrift „konkret“, bei der sie von 1960-1964 Chefredakteurin war und danach weiterhin für die Zeitschrift Kolumnen schrieb, soll ein Text exemplarisch analysiert werden. Hierzu eignet sich meiner Meinung nach besonders gut der Artikel „Wasserwerfer – auch gegen Frauen. Student und Presse Eine Polemik gegen Rudolf Augstein und Konsorten“[5] („Wasserwerfer“), weil er zum einen sehr viele Merkmale beinhaltet, die sich auch in ihren anderen Aufsätzen für „konkret“ zeigen und zum anderen, da er strukturelle und thematische Ähnlichkeiten zu dem Vergleichstext aufweist. Bei diesem handelt es sich um das „Konzept Stadtguerilla“, das als theoretische Grundlage[6] der RAF gelten kann und im April 1971 veröffentlicht wurde.

Zwischen den Texten stehen zentrale Ereignisse, die eine Radikalisierung der Sprache bewirkt haben könnten. „Wasserwerfer“ und das „Konzept Stadtguerilla“ umschließen den Gang in den Untergrund und die Konstituierungsphase der RAF.

Ziel dieser Arbeit ist es primär, zu analysieren, inwiefern sich die Sprache von Ulrike Meinhof im Zeitraum 1968-1971 veränderte. Zwar liest man vielfach, dass sie sich selbst, oder dass sich ihre Sprache radikalisiert habe, so beispielsweise bei Peter Mertz: „Ihre Sprache wird polemischer, radikaler, emotioneller“[7], wissenschaftlich fundiert wird die These aber nirgendwo.

Weiterführende Fragestellungen, die aus den gewonnenen Ergebnissen folgen, sollen im Fazit kurz aufgeworfen und angerissen werden.

2. Theorie und Methode

2.1 Quellenlage und Forschungsstand

Die Quellenlage zu Ulrike Meinhofs Schriften ist außerordentlich gut. Dies liegt zum einen an den

zwei Anthologien mit ihren „konkret“-Texten, die vom Wagenbach-Verlag[8] herausgegeben wurden.[9] Zum anderen wurden die Texte der RAF durch eine ausführliche Sammlung des ID-Verlags leicht zugänglich gemacht.[10] Neben der gedruckten, steht auch eine digitalisierte Ausgabe der Dokumente zur Verfügung.[11]

Die Literatur, in der explizit auf die Texte der RAF oder von Ulrike Meinhof eingegangen wird, ist recht überschaubar. Zunächst sei die vom Bundesministerium des Innern herausgegebene Schriftenreihe „Analysen zum Terrorismus“ und dabei vor allem die Bände „Ideologien und Strategien“[12] und „Lebenslaufanalysen“[13] erwähnt. Der Erstgenannte beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Versuch der RAF, eine eigene Ideologie zu entwickeln. Hierzu werden die Texte der RAF systematisch untersucht, wobei der Schwerpunkt nicht auf der sprachlichen, sondern auf der inhaltlichen Ebene liegt. Der Band „Lebenslaufanalysen“ widmet sich dahingegen auch der sprachlichen Komponente und zeigt die psychologischen Auswirkungen der Sprache und des Denkens auf Rezipienten und die Gruppe selbst. Methodisch konzentriert sich die Analyse neben dem Inhalt und der Argumentation auf eine quantitative Analyse einzelner Wörter.

So setzen sich die beiden Arbeiten zwar mit den Texten und deren Sprache auseinander, jedoch unterscheiden sich die Untersuchungsfelder und teilweise auch die Methoden von denen der vorliegenden Untersuchung.

Berendse[14], Musolff[15] und Hecken[16] legen ebenfalls ihren Fokus auf die Sprache, vor allem auf die sprachlichen Motive der RAF, weshalb sie eher einen literaturwissenschaftlichen als einen linguistischen Ansatz verfolgen.[17]

Dieser Zugriff wird dahingegen von Miller[18] gewählt. Er untersucht die sprachliche Komponente terroristischen Handelns, die für ihn ein politisches Werkzeug der Legitimation darstellt. Ziel seiner lexikalisch-semantischen und syntaktischen Analyse ist es, auf die Persuasivität und die Manipulierbarkeit durch die RAF-Sprache aufmerksam zu machen. Sein zentrales Untersuchungsfeld ist das „naming“, die Benennung. Damit stellt er heraus, inwiefern die RAF-Sprache unterschiedlich auf die Rezipienten wirkte, je nachdem ob die gewählten Begriffe als negativ oder positiv konnotiert aufgefasst wurden. Weil sein Schwerpunkt auf der RAF und nicht auf Ulrike Meinhof liegt, wählt er Texte aus den Jahren 1972 bis 1982.

Schließlich soll noch auf Klaus Hubers unveröffentlichte Magisterarbeit „Rhetorisch-semiotische Analyse der journalistischen Texte (1959-1969) von Ulrike Meinhof“ aus dem Jahr 1995 hingewiesen werden. Leider konnte keine Einsicht in dieses Forschungsprojekt genommen werden. Es ließ sich lediglich ein Hinweis darauf in Jürgen Seiferts Aufsatz „Ulrike Meinhof“[19] finden.

2.2 Definition von „Radikalisierung“

Vom lateinischen „radix“ (Wurzel) stammend, findet das deutsche Fremdwort „radikal“ in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Anwendung. Die Linguisten bezeichnen mit dem Substantiv „Radikal“ Laute, die an der Zungenwurzel artikuliert werden, Sinologen sehen in einem Radikal die Grundkomponente eines chinesischen Schriftzeichens, der Chemiker bezeichnet Atome oder Moleküle, die ein oder mehrere ungepaarte Elektronen haben als Radikale und auch in der Mathematik, Politikwissenschaft, Philosophie und Geschichtswissenschaft gehören „radikal“, „Radikal“, „Radikalität“ oder „Radikalismus“ zu den Fachtermini.

Der politische Begriff des Radikalismus gewinnt im Vormärz besonders an Popularität und ist seitdem stark mit der programmatischen und ideologischen Ausrichtung politischer Parteien verbunden.[20] Die Rolle des Begriffs „Radikalismus“ im Bereich der Ideologie wird im „Historischen Wörterbuch der Philosophie“ näher beleuchtet. Demnach gehöre der Terminus Radikalismus zum politisch-politologischen Wortschatz des Marxismus-Leninismus.[21]

Diese Auswahl an Feldern, in denen das Wortfeld „radikal“ auftritt, hat bereits gezeigt, dass es sich dabei um ein komplexes Konstrukt handelt. So wird auch in den „Geschichtliche[n] Grundbegriffen“ darauf hingewiesen, dass „radikal“ nicht genau definierbar ist und dass die Zuschreibung „radikal“ von der Perspektive des Zuschreibenden ausgeht und somit eine subjektive Interpretation des Zugeschriebenen ist.[22]

Doch wie bringen einen diese einzelnen Aspekte einer Arbeitsdefinition des Begriffs „Radikalisierung“ näher – zumal, da von „Radikalisierung“ bisher noch nicht die Rede war? Um die Bedeutung von „Radikalisierung“ zu verstehen, ist es zunächst hilfreich, sich den Wortbildungsprozess anzuschauen. Das Adjektiv „radikal“ deriviert mit dem Verbalisierungssuffix „-visier“ zum Verb „radikalisieren“, was mit dem Substantivierungssuffix „-jung“ zu „Radikalisierung“ deriviert.[23]

Nach der doppelten Suffigierung ist also ein Nomen entstanden, das den Prozess bezeichnet, der zu dem ursprünglichen Adjektiv hinführt, sprich: Nach der Radikalisierung ist etwas oder jemand radikal. Berücksichtig man nun die Wortherkunft von „radikal“, die von Marx als „ […] die Sache an der Wurzel fassen“[24] gedeutet wurde, hat eine Radikalisierung der Sprache vornehmlich Auswirkungen auf der semantischen Ebene. Hierbei sind jedoch im Zusammenhang mit einer Radikalisierung von Meinhofs Sprache mehrere Möglichkeiten der Deutung gegeben:

1) Eine Radikalisierung läge vor, wenn sie sich auf ihre eigenen sprachlichen Wurzeln bezöge. Dieser Fall wäre gegeben, wenn kein Wandel der Sprache vorhanden wäre. Das kann jedoch ausgeschlossen werden, da aufgrund der These, dass sich ihre Sprache gewandelt hat, diese Prämisse einer contradictio in adjecto gleichkäme.
2) Eine Radikalisierung läge vor, wenn sie sich auf die sprachlichen Wurzeln bezöge, die der Inhalt vorgibt. Dies bedeute, dass sie sich, wenn sie von kommunistischen Themen spricht, der Sprache anderer kommunistischer Theoretiker, wie Marx oder Lenin bediene. Dies soll nicht ausgeschlossen werden, jedoch trifft eine solche Definition von Radikalisierung nicht das, was wir heute unter diesem Begriff verstehen.

Das Wörterbuch der Gegenwartssprache führt unter dem Stichwort „radikal“ vier verschiedene Definitionen an, wovon die dritte („einen politisch-ideologischen Radikalismus vertretend“) und vierte („eine fortschrittliche, revolutionäre politisch-ideologische Denk- und Handlungsweise konsequent vertretend“) einen Querverweis auf „Radikalisierung“ geben.[25] Letztere Deutung des Begriffes scheint mir für den zeithistorischen Kontext der RAF, aber nicht für die vorliegende Problematik zutreffend zu sein.

Da keine allgemeingültige Definition für „Radikalisierung“ vorliegt, die den Bereich der Sprache mitberücksichtigt, muss sie im Rahmen der Methodik selbst erarbeitet werdet. Dazu sollen verschiedene Indikatoren zugrundegelegt werden[26], die eine Radikalisierung der Sprache anzeigen können, was im folgenden Kapitel geschieht.

2.3 Das Problem der Theorie und der Stellenwert der Methode

Grundlegend geht die Arbeit von Waldmanns These aus, dass Terrorismus „primär eine Kommunikationsstrategie“[27] sei. Diese Feststellung scheint in der Wissenschaft als unumstritten zu gelten[28], muss aber für den vorliegenden Sachverhalt ein wenig modifiziert werden. Waldmann sieht das kommunikative Moment überwiegend im terroristischen Akt selbst. Bei den Anschlägen der RAF mag dies auch zutreffen, doch sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Großteil der Aktionen von 1970 bis Ende 1971 hauptsächlich dem Aufbau einer klandestinen Struktur dienten. Stattdessen müssen die unzähligen Erklärungen und Manifeste ebenfalls als Kommunikationsstrategie gesehen werden. Die Modifikation Waldmanns These besteht somit darin, dass nicht nur der terroristische Gewaltakt, sondern auch die klassischen Wege der Kommunikation – das Veröffentlichen einer Botschaft – mit berücksichtigt werden. Dabei verlagert sich der Aspekt der Gewaltanwendung von der Ebene der Aktion auf die der Artikulation.[29]

Bei einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung, die das Motiv der Radikalität näher beleuchten möchte, fällt der Blick zunächst auf die Fülle der literaturwissenschaftlichen Theorien.[30] Doch weder der Dekonstruktivismus noch die Diskursanalyse und selbst die Hermeneutik, die als „Grundlagentheorie der Literaturwissenschaft“[31] gilt, liefern für die Fragestellung brauchbare Ansätze, da im Vordergrund dieser Theorien das Verstehen und Interpretieren liegt.

Auch die geschichtswissenschaftlichen Theorien erweisen sich als unzulänglich. Zunächst scheint ein mikrohistorischer Ansatz gewinnbringend, da es um die Analyse von Texten einer einzelnen Person geht. Bei genauerer Betrachtung muss man jedoch feststellen, dass im Fall des „Konzept Stadtguerilla“ die Texte für die gesamte Gruppe stehen und vor der Veröffentlichung von mehreren Mitgliedern der RAF durchgesehen wurden. Inwiefern Korrekturen vorgenommen wurden, ist nicht rekonstruierbar, jedoch wird davon ausgegangen, dass diese marginal waren, sodass die Hauptautorschaft problemlos Ulrike Meinhof zugeschrieben werden kann. Insgesamt wäre die folgende Analyse eher auf der Meso-Ebene anzusiedeln und entzieht sich dem Zugriff der Mikrohistorie.[32]

Ebenfalls als unbefriedigend erweisen sich ein ideengeschichtlicher oder ein begriffsgeschichtlicher Ansatz, wie Willibald Steinmetz bei seiner Analyse englischer Parlamentsreden bereits anmerkt.[33] Stattdessen schlägt er eine Untersuchung „auf der Ebene elementarer Sätze“[34] vor und bewegt sich damit im Bereich der Linguistik, genauer gesagt in der Politolinguistik.

Dieser Forschungszweig entwickelte sich nach den Zweiten Weltkrieg und untersuchte zunächst schwerpunktmäßig die Sprache des Nationalsozialismus und in vergleichender Perspektive die politische Sprache der beiden Staaten des geteilten Deutschlands. Später, in den 1970er und 1980er Jahren öffnete sich das Forschungsfeld einer allgemeinen linguistischen Untersuchung politischer Sprache. Größtenteils bleiben der vorliegenden Arbeit auch die Zugänge der Politolinguistik verschlossen, da sie sich vornehmlich mit der Sprache über Politik und von Politikern beschäftigt.[35] Lediglich die Termini „Ideologiesprache“ und „Schlagwort“ erweisen sich als hilfreich und bedürfen der näheren Erläuterung: Nach Dieckmann umfasst der Begriff „Ideologiesprache“ die „Bezeichnungen für die politische Doktrin und Miranda“.[36] Vom lateinischen „mirandus“ – wunderbar – stammend, meint „Miranda“ die Sprachelemente, die den Empfänger dazu anregen das Gesprochene oder Geschriebene zu bewundern. Meinhofs „Konzept Stadtguerilla“ lässt sich in den Bereich der Ideologiesprache, genauer gesagt in die Subkategorie des „ideologischen Jargons“ einordnen. Dies wird deutlich, wenn man sich die von Schumann zugrundegelegten Merkmale dieser Unterkategorie genauer anschaut. Sie umfassen „Reden in tautologischen sich selbst bestätigenden Sätzen, Verschwinden des Sinnes aus funktioniblen syntaktischen Einheiten, Verlust gedanklicher Prägnanz, Auszehrung der Wörter bis zum Verbleib bloßer Worthülsen, Verwischen logischer Bezüge und Zerfaserung der Syntax.“[37]. Die spätere Analyse der Texte konzentriert sich zwar nicht primär auf die Einordnung in die Kategorie des „politischen Jargons“, jedoch wird sich zeigen, dass einige Merkmale dieser Gattung auf die Sprache von Ulrike Meinhof zutreffen.

Während der Begriff der „Ideologiesprache“ eine gattungstheoretische Verortung der Texte ermöglicht, dient das „Schlagwort“ zur Konkretisierung der methodischen Begrifflichkeiten. Dabei soll unterschieden werden zwischen Hochwert- und Unterwertwort, Fahnen- und Stigmawort. Die beiden Elemente des ersten Begriffspaares bezeichnen dabei grundsätzliche gesellschaftliche Werte. Während die Signifikate der Hochwertwörter anstrebenswert erscheinen, ist das, was die Unterwertwörter benennen, eher abzulehnen. Nicht zu den grundsätzlichen, sondern zu den ideologischen Schlagwörtern gehören die Fahnen- und Stigmawörter, wobei das eine wiederum positive, das andere hingegen negative Konnotationen besitzt. Das „Fahnenwort“ stellt meistens den programmatischen Standpunkt der eigenen Partei dar, während das „Stigmawort“ dazu dient, die gegnerische Partei, sowie deren Programme und Mitglieder zu diffamieren.[38] Wie bei den meisten politolinguistischen Untersuchungen hat diese Bestimmung der Begrifflichkeiten die Analyse von Politikerreden zum Gegenstand. Deshalb muss die Sichtweise geöffnet werden, indem die Begriffsdefinitionen um die Sprache „außerparlamentarischer politischer Akteure“[39] erweitert werden. Dass diese Einteilung der Schlagwörter nicht unproblematisch ist, wird bereits bei Burkhardt[40] deutlich und hinzu kommt, dass eine Einordnung von Wörtern in stark normative Kategorien, höchst subjektiv geschieht. Trotzdem sollen die vorangegangen Begrifflichkeiten bei der Analyse der Semantik der Freund-Feindbezeichnungen verwendet werden, da dadurch eine Kategorisierung der für die Untersuchung relevanten Nomen ermöglicht wird.

Auch wenn die Theorien und Modelle der Politolinguistik größtenteils nicht greifen[41], da es vornehmlich um die Sprache parlamentarischer Politiker untereinander, mit den Medien, den potentiellen Wählern oder um metapolitische Kommunikation geht, so sind doch die Methoden von Wert für die Untersuchung der ausgewählten Texte. Dies zeigt der praxisorientierte Ansatz von Bachem, der einen Unterrichtsentwurf für den Deutschunterricht der Oberstufe entwirft.[42] Dieser Vorschlag sieht die sprachliche Analyse der RAF-Erklärung vom siebten April 1977 anlässlich der Ermordung Siegfried Bubacks vor. Bachem versucht mittels lexikalisch-semantischer und rhetorischer Methoden, als auch mit der Argumentationsanalyse Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der RAF und der Sympathisanten-Szene aufzuzeigen.

Auch bei dem hier vorliegenden Fall soll ein kleiner Teil des umfangreichen Methodenrepertoires[43] der (polito)linguistischen Forschung seine Anwendung finden. Nach einer kurzen Einführung in den Inhalt der Texte erfolgt deren Analyse. Diese ist in drei Teilbereiche unterteilt: Semantik, Syntax, Rhetorik und Stil. Wobei klar ist, dass die Untersuchung der Teilbereiche nicht allumfassend geschehen kann. Stattdessen sollen nur wenige Aspekte, die sich für einen Vergleich mit dem Fokus auf eine Radikalisierung von Sprache eignen, berücksichtigt werden.

Bei der lexikalisch-semantischen Untersuchung soll eine Radikalisierung in den Feind- und Freund- beziehungsweise Selbstbezeichnungen aufgezeigt werden. Dazu wird auf der Ebene der Nomen das Verfahren der Schlagwortanalyse exemplarisch angewandt. Eine Radikalisierung läge dann vor, wenn die Verwendung von Stigma- und Hochwertwörtern zunimmt.

Im Rahmen der syntaktischen Erschließung der Texte wird einerseits der Satzbau an sich geprüft. Dabei soll eine Hinwendung zu parataktischen Strukturen als Indikator für eine Radikalisierung gelten. Zum anderen liegt der Fokus verstärkt auf den Verben. Hier soll es jedoch nicht, wie zuvor, um die bedeutungstragende Funktion der Wörter, sondern vielmehr um deren Einheitenkategorien[44] gehen. Hierbei könnte der Wechsel des Modus beispielsweise vom Indikativ oder Konjunktiv zum Imperativ als Indikator für eine Radikalisierung gelten. Wie eine Veränderung des Genus Verbi zu deuten wäre, müsste kontextabhängig im Einzelfall entschieden werden, sodass dies nicht Teil der Untersuchung ist. Des Weiteren werden die Interpunktion und der allgemeine Aufbau der beiden Texte miteinander verglichen. Ein Wechsel von einem strukturierten, hin zu einem unstrukturierten Textaufbau zeugt von einer Radikalität in diesem Bereich. Bei der Interpunktion sollen Ausrufungszeichen als radikal gelten.

Die Analyse von Rhetorik und Stil versucht, den verwendeten sprachlichen Mitteln näher zu kommen. Jedes rhetorische Mittel besitzt eine Funktion, ob es die Metapher ist, die versucht dem Empfänger das Bezeichnete durch Bildhaftigkeit näher zu bringen oder die Hyperbel, die durch Übertreibung das Gesagte verstärken möchte. Eine Radikalisierung auf der Ebene der Rhetorik könnte bei einem unangemessenen Einsatz rhetorischer Mittel liegen. Die Angemessenheit gehört zu den Stilprinzipien der Rhetorik und sorgt für die nötige Kongruenz in Texten, wodurch diese „flüssig“ erscheinen. Kongruenzen können auf verschiedenen Ebenen vorliegen: Im Verhältnis von Stil und Autor, von Stil und Empfänger, von Stil und Textsituation und von Stil und Inhalt.[45]

Die letzte Untersuchungskategorie stellt die Argumentationsanalyse dar. Den Gesetzen der Logik folgend besteht die Argumentation aus drei Teilen: Zuerst wird eine These aufgestellt, die dann versucht wird zu belegen. Aus der Beziehung von These und Beleg wird dann der Schluss, die Konklusion gezogen. Dabei kann es sich um induktive Schlüsse, die von mehreren Beobachtungen ausgehen und allgemeingültige Aussage als Konklusion haben oder um deduktive Schlüsse, die eine allgemeingültige Aussage voranstellen und einen Einzelfall prüfen, handeln.[46] Somit wird im Bereich der Argumentationsanalyse herausgearbeitet, wie Ulrike Meinhof in ihren Texten argumentiert und ob sie dies überhaupt tut.

[...]


[1] Der Spiegel [Hg.], „Natürlich kann geschossen werden“. Ulrike Meinhof über die Baader-Aktion, in: Der Spiegel 25 (1970), S. 75.

[2] Rote Armee Fraktion, Das Konzept Stadtguerilla, in: ID-Verlag [Hg.], Rote Armee Fraktion. Texte und Matrialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, S. 27.

[3] Ebd., S. 30.

[4] Meinhof, Ulrike Marie, Wasserwerfer – auch gegen Frauen. Student und Presse. Eine Polemik gegen Rudolf Augstein und Konsorten, in: Dies., Deutschland Deutschland unter anderm. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1995, S. 133.

[5] Ebd., S. 130-137.

[6] Eigentlich handelt es sich um den Versuch eines Theorieentwurfes, da die RAF überwiegend von anderen Theoretikern Gedanken übernahm und probierte diese zu einem Ganzen zusammenzufügen. Fetscher u.a. bezeichnen dies als „selektive[n] Umgang mit politischen Theorien“: Fetscher, Iring, u.a., Ideologien und Strategien (Analysen zum Terrorismus, Bd. 1), Opladen 1981, S. 181.

[7] Mertz, Peter, Weder Gnade noch freies Geleit. Ulrike Meinhof – Der Amoklauf einer enttäuschten Idealistin, in: Lutherische Monatshefte 10 (1994), S. 37. Hierbei sei noch angemerkt, dass der Aufsatz von Mertz generell wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt.

[8] Bei Wagenbach erschien 1971 auch das Skript zu Meinhofs vorerst nicht gesendeten Fernsehbeitrag „Bambule“: Meinhof, Ulrike, Bambule. Fürsorge – Sorge für wen?, Berlin 1971.

[9] Meinhof, Ulrike Marie, Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1981 und Dies., Deutschland Deutschland unter anderm. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1995.

[10] ID-Verlag [Hg.], Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997.

[11] Ebd., http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/raf

texte+materialien.PDF, Letzter Zugriff: 25.03.2009.

[12] Fetscher, Iring, u.a., Ideologien und Strategien (Analysen zum Terrorismus, Bd. 1), Opladen 1981.

[13] Jäger, Herbert, u.a., Lebenslaufanalysen (Analysen zum Terrorismus, Bd. 2), Opladen 1981.

[14] Berendse, Gerrit-Jan, Schreiben im Terrordrom. Gewaltcodierung, kulturelle Erinnerung und das

Bedingungsverhältnis zwischen Literatur und RAF-Terrorismus, München 2005.

[15] Musolff, Andreas, Krieg gegen die Öffentlichkeit. Terrorismus und politischer Sprachgebrauch, Opladen

1996.

[16] Hecken, Thomas, Avantgarde und Terrorismus, Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den

Futuristen bis zur RAF, Bielefeld 2006.

[17] Die Suche nach Motiven und Topoi ist ein Forschungsgebiet der Literaturwissenschaft.

[18] Miller, Bowman Howard, The language component of terrorism strategy. A text-based, linguistic case study of contemporary german terrorism, Washington 1983.

[19] Seifert, Jürgen, Ulrike Meinhof, in: Kraushaar, Wolfgang, Die RAF und der linke Terrorismus. Band 1,

Hamburg 2006, S. 350-371. Der Hinweis auf Huber befindet sich auf Seite 363.

[20] Wende, Peter, s.v. Radikalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe 5 (1984), S. 125 ff.

[21] Goerdt, Wilhelm, s.v. Radikalismus II, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 8 (1992), Sp. 13.

[22] Wende, Radikalismus, S. 113.

[23] Eisenberg, Peter, Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort, Stuttgart 2006, S. 247-301.

[24] Marx, Karl, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx, Karl, Friedrich Engels, Werke (Bd. 1),

Berlin 1970, S. 385.

[25] Klappenbach, Ruth [Hg.], s.v. radikal, in: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache 1974 (Bd. 4), S. 2928.

[26] Vgl. dazu das Indikatorraster bei Steinmetz, Willibald, Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume England 1780-1867, Stuttgart 1993, zugl. Dissertation Bielefeld 1990, S. 34- 40.

[27] Waldmann, Peter, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 12 f.

[28] Vgl. Weinhauer, Klaus, Jörg Requate, Einleitung: Die Herausforderung des „Linksterrorismus“, in: Dies., Heinz-Gerhard Haupt [Hgg.], Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006, S. 9-32.

[29] Zu sprachlicher Gewalt vgl. Krämer, Sybille, Sprache als Gewalt oder: Warum verletzen Worte?, in: Hermann, Steffen, Sybille Krämer, Hannes Kuch, Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Bielefeld 2007, S. 31-48 und Zimmermann, Rüdiger, Gewalt in der Sprache und durch Sprache, in: Diekmannshenke, Hajo, Josef Klein [Hgg.], Wörter in der Politik. Analysen zur Lexemverwendung in der politischen Kommunikation, Opladen 1996, S. 103-121.

[30] Vgl. Fußnote 17.

[31] Jahraus, Oliver, Literaturtheorie. Theoretische und methodische Grundlagen der Literaturwissenschaft, Tübingen 2004, S. 247 f.

[32] Vgl. die Unterteilung im Makro-, Meso- und Mikroebene bei Della Porta, Donatella, Politische Gewalt und Terrorismus: Eine vergleichende und soziologische Perspektive, in: Weinhauer, u.a. [Hgg.], Terrorismus, S. 39-54.

[33] Vgl. Steinmetz, Das Sagbare, S. 30-34.

[34] Vgl. ebd.

[35] Zur genaueren Gliederung des Forschungsfeldes vgl. Burkhardt, Armin, Politolinguistik – Versuch einer Ortsbestimmung, in: Klein, Josef, Hajo Diekmannshenke [Hgg.), Sprachstrategien und Dialogblockaden. Linguistische und politikwissenschaftliche Studien zur politischen Kommunikation (Sprache Politik Öffentlichkeit, Bd. 7), Berlin 1996, S. 81.

[36] Dieckmann, Walther, Sprache in der Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache, Heidelberg 1975, S. 50.

[37] Straßner, Erich, Ideologie – SPRACHE – Politik. Grundfragen ihres Zusammenhangs (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 37), Tübingen 1987, S. 24.

[38] Liphardt, Elizaveta, Aporien der Gerechtigkeit. Politische Rede der extremen Linken in Deutschland und Russland zwischen 1914 und 1919 (Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 261), Tübingen 2005, S. 13-17.

[39] Die Anführungszeichen sollen darauf aufmerksam machen, dass lediglich die Schriften als politische Aktion gedeutet werden sollen. Eine Wertung terroristischer Gewalttaten als politische Handlung ist darin nicht impliziert und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden.

[40] Burckhardt, Politolinguistik, S. 91.

[41] Vgl. beispielsweise das Agitationsmodell von Georg Klaus, das Persuasionsmodell von Josef Kopperschidt, das lexikalisch-argumentative Modell von Horst Grünert oder das Sprachhandlungsmodell von Werner Holly. Einen guten Überblick über die verschiedenen Modelle bietet Girnth, Heiko, Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation (Germanistische Arbeitshefte, Bd. 39), Tübingen 2002, S. 17-28.

[42] Bachem, Rolf, Sprache der Terroristen. Analyse eines offenen Briefes, in: Der Deutschunterricht. Beiträge zu

seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlagen 30/5 (1978), S. 61-79.

[43] Vgl. dazu das spezielle „Semiotikmodell für die Darstellung von Ansätzen zur Analyse politischer Texte“ bei Burkhardt, Arnim, Sprache in der Politik. Linguistische Begriffe und Methoden, in: Englisch Amerikanische Studien. Zeitschrift für Unterricht, Wissenschaft & Politik 10/3,4 (1988), S. 335. Außerdem die Übersichtsdarstellung der Methoden bei Ebd., S. 336 f. und Burkhardt, Politolinguistik, S. 89 ff.

[44] Eisenberg, Peter, Grundriss der deutschen Grammatik Band 2: Der Satz, Stuttgart 2006, S. 100-136.

[45] Plett, Heinrich, Einführung in die rhetorische Textanalyse, Hamburg 2001, S. 28 f.

[46] Bachem, Rolf, Einführung in die Analyse politischer Texte, München 1979, S. 92-107.

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Detalles

Título
„Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten, die Schweine“
Subtítulo
Eine diachrone Analyse der Sprache von Ulrike Meinhof unter dem Aspekt ihrer Radikalisierung
Universidad
Bielefeld University
Calificación
1,7
Autor
Año
2009
Páginas
41
No. de catálogo
V134852
ISBN (Ebook)
9783640420544
ISBN (Libro)
9783640420681
Tamaño de fichero
618 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Ulrike Meinhof, Meinhof, Sprachanalyse, RAF, Rote Armee Fraktion, Terror, Sprache, Terrorismus, Konzept Stadtguerilla, Stadtguerilla, Linguistik, Wasserwerfer, Politolinguistik, Syntax, Semantik, Rhetorik, Stil
Citar trabajo
Daniel Hitzing (Autor), 2009, „Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten, die Schweine“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134852

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