Kürzlich wurde in den Vereinigten Staaten die im Oktober des vergangenen Jahres verstorbene Bürgerrechtlerin Rosa Parks mit einem Staatsbegräbnis geehrt. Die farbige Amerikanerin war 1955 in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama verhaftet worden, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen männlichen weißen Fahrgast zu räumen. Rosa Parks’ ziviler Ungehorsam gegen dieses rassistische Rechtsinstitut löste den „Montgomery Bus Boycott“ aus, der neben den Protesten im Fall Emmett Till als Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt.
John Rawls lehrte bis 1991 Philosophie an der Harvard University. In seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ widmet er sich grundsätzlichen Fragen der zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer soziopolitischen Grundordnung. Rawls entwickelt im „bewussten Gegensatz zu der im englischen Sprachraum vorherrschenden normativen Ethik“ eine sachliche Alternative und greift dabei auf die klassische Vertragstheorie von Locke, Rousseau und vor allem Kant zurück. Er bedient sich der Entscheidungs- und Spieltheorie, erarbeitet zwei Grundsätze der Gerechtigkeit und „wendet sie dann auf die Grundinstitutionen moderner Gesellschaften an“. Rawls behandelt unter anderem ein immer wieder aktuelles politisches Problem, nämlich ob und unter welchen Voraussetzungen man auch einer demokratisch legitimierten Regierung Widerstand leisten darf. Eine berechtigte Form des Protests ist seiner Meinung nach die des zivilen Ungehorsams. Um diese These zu untermauern, geht Rawls in mehreren Schritten vor: Zunächst erläutert er einige Prämissen seiner Theorie und geht dann zur Definition des zivilen Ungehorsams über. Anschließend fährt er mit der Rechtfertigung dieser Art der Nonkonformität fort. Schließlich wendet er sich der Rolle des zivilen Ungehorsams im konstitutionellen System und der Angemessenheit dieser Protestart zu. Die vorliegende Arbeit hält sich zunächst an Rawls’ Argumentationsgang und bilanziert anschließend kritische Positionen in der relevanten Sekundärliteratur.
INHALT
I. Einleitung
II. John Rawls über das Recht auf zivilen Ungehorsam
1. Prämissen und Definition der Theorie des zivilen Ungehorsams
2. Die Rechtfertigung des zivilen Ungehorsams
3. Die Rolle des zivilen Ungehorsams
4. Die Theorie des zivilen Ungehorsams in der Kritik
III. Zusammenfassung
IV. Anhang
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Kürzlich wurde in den Vereinigten Staaten die im Oktober des vergangenen Jahres verstorbene Bürgerrechtlerin Rosa Parks mit einem Staatsbegräbnis geehrt. Die farbige Amerikanerin war 1955 in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama verhaftet worden, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen männlichen weißen Fahrgast zu räumen. Rosa Parks’ ziviler Ungehorsam gegen dieses rassistische Rechtsinstitut löste den „Montgomery Bus Boycott“ aus, der neben den Protesten im Fall Emmett Till als Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt.[1]
John Rawls lehrte bis 1991 Philosophie an der Harvard University.[2] In seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ widmet er sich grundsätzlichen Fragen der zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer soziopolitischen Grundordnung. Rawls entwickelt im „bewussten Gegensatz zu der im englischen Sprachraum vorherrschenden normativen Ethik“[3] eine sachliche Alternative und greift dabei auf die klassische Vertragstheorie von Locke, Rousseau und vor allem Kant zurück. Er bedient sich der Entscheidungs- und Spieltheorie, erarbeitet zwei Grundsätze der Gerechtigkeit und „wendet sie dann auf die Grundinstitutionen moderner Gesellschaften an“[4]. Rawls behandelt unter anderem ein immer wieder aktuelles politisches Problem, nämlich ob und unter welchen Voraussetzungen man auch einer demokratisch legitimierten Regierung Widerstand leisten darf. Eine berechtigte Form des Protests ist seiner Meinung nach die des zivilen Ungehorsams. Um diese These zu untermauern, geht Rawls in mehreren Schritten vor: Zunächst erläutert er einige Prämissen seiner Theorie und geht dann zur Definition des zivilen Ungehorsams über. Anschließend fährt er mit der Rechtfertigung dieser Art der Nonkonformität fort. Schließlich wendet er sich der Rolle des zivilen Ungehorsams im konstitutionellen System und der Angemessenheit dieser Protestart zu. Die vorliegende Arbeit hält sich zunächst an Rawls’ Argumentationsgang und bilanziert anschließend kritische Positionen in der relevanten Sekundärliteratur.
II. John Rawls über das Recht auf zivilen Ungehorsam
1. Prämissen und Definition der Theorie des zivilen Ungehorsams
Für Rawls gilt die Theorie des zivilen Ungehorsams für den „Spezialfall einer fast gerechten Gesellschaft“[5], die zum großen Teil wohlgeordnet ist, in der aber einige ernsthafte Gerechtigkeitsverletzungen vorkommen. Sie bezieht sich demnach auf die Rolle und Angemessenheit des zivilen Ungehorsams gegenüber einer rechtmäßigen demokratischen Gewalt, nicht eines ungerechten und korrupten Systems. Das Mittel zu diesem Zweck ist für Rawls der gewaltlose Widerstand. Hier wird allerdings ein Problem für verfassungstreue Bürger einer Demokratie deutlich: sie befinden sich in einem Pflichtenkonflikt zwischen dem Gehorsam gegenüber Legislative und Exekutive und dem Recht zur Verteidigung ihrer Freiheiten sowie der Pflicht zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit. Für Rawls rührt diese Frage „an den Sinn und die Grenzen der Mehrheitsregel“ und stellt einen „Prüfstein für jede Theorie der moralischen Grundlage der Demokratie“[6] dar. Er schränkt dann aber ein, dass seine Theorie nur eine Möglichkeit sei, mit der das Problem des zivilen Ungehorsams angegangen werden könne. Sie mache „wohlüberlegte Urteile systematischer“ und verringere die Meinungsverschiedenheiten der Bürger, „die die ersten Grundsätze einer demokratischen Gesellschaft anerkennen“[7]. Genaue Grundsätze zur Entscheidungsfindung in der Praxis seien nicht das Ergebnis.
Zivilen Ungehorsam definiert Rawls als öffentliche, gewaltlose, gewissensbestimmte, politisch gesetzwidrige Handlung, die zu einer Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik führen soll.[8] Angesprochen wird der Gerechtigkeitssinn der Mehrheit der Gesellschaft, in der nach eigener wohlüberlegter Ansicht sind Grundsätze der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zwischen freien und gleichen Menschen nicht beachtet wurden. Rawls fordert hier jedoch nicht, dass das gleiche Gesetz gebrochen werden muss, gegen das protestiert wird. Man kann beispielsweise „Verkehrsvorschriften übertreten oder andere Übergriffe begehen, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen“[9]. In dieser Form stellt die Handlung einen öffentlichen Appell an die gemeinsame Gerechtigkeitsvorstellung dar und bemängelt, dass eine Minderheit in demokratischen Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt wurde oder bestimmte Ergebnisse dieser Verfahren mit den Grundsätzen der Gesellschaft unvereinbar sind. „Sie ist somit […] eine Handlung, die den Grundsatz der Demokratie nicht in Frage stellt, sondern aus der Sicht von Minderheiten zur Geltung bringt.“[10] Die Gewaltlosigkeit der Handlung begründet Rawls damit, dass die Verletzung von Grundfreiheiten anderer nicht mit dem öffentlichen Gerechtigkeitsappell vereinbar sei, da dies bedeuten würde, dass man diese Appelle für sinnlos hält. Dadurch geht sowohl der symbolische Charakter des Protests, nämlich die Ermahnung zu zivilerem Zusammenleben, als auch die Charakteristik der Gesetzestreue verloren.[11] Mit der Bedingung der Gewissenhaftigkeit fordert Rawls zudem, dass man der aufrichtigen Überzeugung sein müsse, die beanstandeten Gesetze seien nach allgemein anerkannten Maßstäben ungerecht. „Grundsätze der persönlichen Moral“, „religiöse Lehren“ sowie „Gruppen- oder Eigeninteressen“[12] können zur Rechtfertigung des zivilen Ungehorsams nicht herangezogen werden. Dies beinhaltet auch, dass man bereit ist, eventuelle rechtliche Folgen für den begrenzten Gesetzesbruch in Kauf zu nehmen. Wenn die Distanz zum politischen Widerstand und damit zum Rückgriff auf Legitimitätsgründe jenseits der Legalität gewahrt und der Anspruch des Appells an gemeinsame Überzeugungen nicht verraten werden sollen, muss die Regelverletzung innerhalb der Grenzen der demokratischen Verfassung gehalten werden.[13]
[...]
[1] Vgl. Bedau: Civil Disobedience, 51
[2] Pogge: John Rawls, 32
[3] Rawls: Theorie der Gerechtigkeit, 2
[4] Ebd.
[5] Rawls: Theorie der Gerechtigkeit, 399
[6] Ebd., 400
[7] Ebd., 401
[8] Vgl. ebd.
[9] Ebd.
[10] Forst: Pflicht zur Gerechtigkeit, 202
[11] Vgl. ebd.
[12] Rawls: Theorie der Gerechtigkeit, 402
[13] Vgl. Frankenberg: Ziviler Ungehorsam, 269
- Arbeit zitieren
- M.A. Piotr Grochocki (Autor:in), 2006, John Rawls über das Recht auf zivilen Ungehorsam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137463
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