Dimensionen des Tausches am Beispiel chinesischer Guanxi-Beziehungen


Dossier / Travail de Séminaire, 2007

21 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Guanxi- Beziehungen als modernes Konzept
2.1 Konzeptualisierung des Guanxi
2.2 Ursprünge der Guanxi- Beziehungen
2.3 Ebenen der Guanxi- Beziehungen
2.4 Einbettung der Guanxi- Beziehungen
2.4.1 Der Gesichtsverlust
2.4.2 Der zwischenmenschliche Austausch

3. Guanxi- Beziehungen im Vergleich mit westlichen Konzepten
3.1 Sozialer Sinn der Guanxi- Beziehungen
3.2 Guanxi- Systeme und westliche Netzwerke
3.3 Moralökonomie und die acht Prinzipien des moralischen Benehmens
3.4 Kategorisierungen der Tauschobjekte

4. Schluss

5. Bibliographie

1. Einleitung

In der folgenden Ausarbeitung möchte ich mich mit den ethnologischen Kategorien des Tausches und des Handels befassen.

Durch zahlreiche wirtschaftsanthropologische Seminare in der Ethnologie und durch die intensive Vorbereitung auf meine Feldforschung in der chinesischen Provinz Sichuan, fiel mir auf, dass bei der Verwendung von Begriffen die wir zur Analyse und Veranschaulichung solcher Prozesse - wie Tausch und Handel - verwenden, oft starke Trennlinien gezogen werden. Das heißt, wenn wir beispielsweise die Trennung von symbolischem- und ökonomischem Tausch vornehmen, dann wird der symbolische Tausch nur allzu oft mit archaischen Gesellschaften des segmentären Typs in Verbindung gebracht. Ob wir nun von den Feuerlandindianern oder den Trobriandern sprechen, so stellen sie die klassischen Paradigmen des symbolischen Tausches – innerhalb der ethnologischen Disziplin – dar, denen allen das Attribut primitiv anlastet. Freilich dient dies zur Veranschaulichung und kenntlich Machung dieser Form der sozialen Interaktion, dennoch stiftet es meiner Ansicht nach auch einige Verwirrung, da man die Form des symbolischen Tausches ausschließlich in solchen Gesellschaften vermutet.

Betrachten wir nun allerdings die Tauschformen des Zentral- und Ostasiatischen Raumes, dann wird schnell klar, dass viele Formen des Austausches von Gütern symbolische und ökonomische Elemente beinhalten. Jeder der sich eine Weile in China aufgehalten hat, wird bemerkt haben, dass bei dem Austausch von Gütern bei steten Handelsbeziehungen starke symbolische Elemente vorhanden sind. Diese werden in den seltensten Fällen vertraglich festgehalten. Es sind feststehende kulturelle Normen, die sich im Laufe der Jahrhunderte sicherlich verändert haben, die aber nach wie vor von großer Bedeutung sind, und die in der Zeit eines sich öffnenden Chinas eine Renaissance erleben.

Diese Handelsbeziehungen sind Teil eines komplexen Netzwerkes, was man in China seit etwa zwei Jahrhunderten Guanxi- Beziehungen nennt. Sie prägen den Alltag eines jeden Chinesen und sind notwendig für den steten Fluss von Gütern. So wie sie den landesinternen Handel prägen, so waren und sind sie elementar für jeden, der mit Chinesen Handel betrieben hat oder ihn betreibt. Der Grund weshalb die Guanxi- Beziehungen wesentlicher Bestandteil dieser Ausarbeitung sind, ist, weil sie – meiner Ansicht nach - den Handel im ost- und zentralasiatischen Raum stark mitgeprägt haben. Ferner stellen sie eine Form des Tausches dar, die immer symbolische und ökonomische Elemente enthält, und die keineswegs als archaisch zu bewerten sind. Ferner stellen sie eine Form dar, die mit westlichen Erklärungsmodellen schwer zu fassen sind.

Aufgrund dessen möchte ich im weiteren Verlauf der Ausarbeitung einige Vergleiche mit westlichen Formen der Gründung von Netzwerken, zum Zwecke von Handelsbeziehungen, anstellen. Dies insbesondere im Bezug auf Ethik und Moral innerhalb des Güteraustausches. Das bringt uns zum Begriff der Reziprozität. Hierbei gilt es die Frage zu klären, welche Mechanismen angewendet werden, um einen „fairen“ Tausch abzuwickeln, bzw. in welchem Rahmen es gestattet ist, „unmoralisch“ zu handeln. Hierbei möchte ich Elemente der Guanxi- Beziehungen unter anderem mit dem Begriff der Moralökonomie von Georg Elwert vergleichen.

Des weiteren möchte ich – unter zur Hilfenahme von Marshall D. Sahlins On the sociology of primitive exchange - klären, inwieweit der geographische Raum bei der Reziprozität eine Rolle spielt, da durch die Form der Guanxi- Beziehungen auch entfernte und grenzübergreifende Beziehungen geschlossen werden. Da diese in erster Linie auf der Basis von sozialer Nähe und Status gründen, können enge Handelsbeziehungen über große räumliche Entfernungen entstehen, die über eine lange Zeit stabil bleiben können. Die daraus entstehenden Bindungen, divergieren in vielerlei Hinsicht zu dem Bild, welches wir von Handelsbeziehungen haben. Daher möchte ich ferner die grundlegenden Unterschiede beider Systeme herausstellen.

2. Guanxi- Beziehungen als modernes Konzept

Mauss unterscheidet drei Formen von Verpflichtungen: Wer sich einen <Namen> machen oder ihn erhalten und damit sein Ansehen und seine Position wahren oder stärken will, ist zu Gaben verpflichtet. Gegebene Gaben anzunehmen ist wiederum die Pflicht des Empfängers- bei Strafe des Gesichtsverlusts ((Mauss 1989, Bd. 2,78)). Die dritte Pflicht, die Mauss am meisten fasziniert, ist der Zwang, Gaben zu erwidern. Erst diese dritte Pflicht, und darauf kommt es an, macht aus der unilinearen Richtung der Gabe ein System der endlosen Zirkulation. Mauss’ Grundfrage ist: Woher kommt die Obligation der Gegengabe? Was ist die performative Kraft in den Gesten der Gabe, sodass sie erwidert werden müssen? …

Dieser vertikale Kreislauf wird von Mauss als symbolischer, mythischer und imaginärer Ausdruck des horizontalen Kreislaufs der Gaben verstanden. <<In Wirklichkeit bringt dieses Symbol des sozialen Lebens – der permanente Einfluss der ausgetauschten Dinge – nichts anderes zum Ausdruck, als die Art und Weise, wie die Untergruppen segmentärer Gesellschaften archaischen Typs ständig ineinander greifen und fühlen, dass sie einander alles schulden.>> (Mauss 1989, Bd. 2, 59;kursiv,H.B.) Im Geben - und das scheint uns heute ein seltsam riskanter, ja zerstörerischer Akt - <<gibt man sich selbst, indem man gibt, und wenn man sich gibt, dann darum, weil man sich selbst – sich und seine Besitztümer – den anderen <schuldet> >> (ebd., 93). Doch eben dadurch wahrt man sein Gesicht und gewinnt seinen Namen, zwingt die anderen in eine Schuld, die Macht über sie verleiht. (Böhme 2006, 289f.)

Was Hartmut Böhme hier beschreibt – und als symptomatisch für segmentäre Gesellschaften archaischen Typs hält – ist ein integraler Bestandteil der in China tagtäglich praktizierten Guanxi- Beziehungen. Diese finden sowohl bei kleinen Händlern in ruralen Gebieten auf der Himalaya- Hochebene ihre Anwendung, wie auch auf der Ebene der Topmanager in Shanghai oder Hong Kong. Sie sind ein kulturelles Merkmal der chinesischen Gesellschaft und gründen in den konfuzianistischen Überlegungen, die den Menschen als soziales Wesen begreift, jedoch dazu später mehr. Zunächst möchte ich ein kleines Beispiel anführen.

Als ich Ende der Neunziger zum ersten Mal in Peking war, sprach mich ein älterer Herr an, der mir zunächst half ein Hotelzimmer zu finden. Anschließend erzählte er mir sehr viel über die chinesische Kultur und chinesische Traditionen. Eine dieser wichtigen Bräuche sei die Teezeremonie, wie er mir versicherte, die ich unbedingt einmal miterleben müsse. Ohne groß darüber nachzudenken, bin ich in diese „Touristenfalle“ getappt und habe für das probieren einiger Teesorten damals 70 D- Mark bezahlt. Danach wurde es allerdings interessant. Anstatt das er sich direkt aus dem Staub machte, überreichte er mir eine kleine Teekanne und gab unverhohlen zu, dass dies ein teurer Spaß gewesen sei. Allerdings würde er mich zur Wiedergutmachung gerne zum Essen einladen. Am nächsten Tag suchte er mich in meinem Hotelzimmer auf und lud mich zu einem stattlichen Mahl ein. Dies entsprach zwar nicht im Geringsten dem Preis den ich für die Teezeremonie bezahlt habe, es war allerdings – so schien es mir damals – wichtig für ihn, damit ich ihn nicht für einen hinterhältigen Betrüger halten würde. Ihm war die Wahrung des Gesichts mir gegenüber wichtig, obgleich ihm gewiss klar war, dass er mich nie wieder sehen würde.

Dies bedeutet nun nicht, dass es in China keine hinterhältigen Betrüger gäbe, oder dass jeder Dieb den Anstand besäße bei einer Entwendung von Dingen auch immer etwas zurückzugeben. Es zeigt allerdings, dass es diesem Mann äußerst wichtig erschien etwas zu erwidern, um den Anschein des Eigennutzes zu überdecken. Dieser Vorgang von Gabe und Gegengabe ist ein bedeutendes Merkmal der chinesischen Kultur. Beim knüpfen von Kontakten kann es früher oder später zu solchen symbolischen Tauschvorgängen kommen. Ist dies dann geschehen, dann profitiert man von einem kompletten Netzwerk von Menschen, welche über einen großen Raum verteilt leben können:

Guanxi is one the major dynamics in Chinese society. Guanxi has been a pervasive part of the Chinese business world fort the last centuries. It binds literally millions of Chinese firms into a social and business web. It is widely recognized that guanxi is a key determinant of firm performance. It is the lifeblood of both the macro- economy and micro- business conduct (Luo 2000, 1).

2.1 Konzeptualisierung des Guanxi

Obwohl das Wort guanxi noch vor hundert Jahren in keinem Wörterbuch zu finden war, so geht man dennoch davon aus, dass es bereits vorher im Sprachgebrauch war (Luo 2000, 2).

In aktuellen Wörterbüchern übersetzt man es, je nach Kontext, als Beziehung, Verbindung oder auch Abhängigkeit. Bei der Verneinung (mei guanxi) erhält man die Bedeutung, dass etwas ohne Belang ist oder das etwas keine Rolle spielt.

Ein Merkmal dieser Verbindungen ist, dass die Beziehungen sowohl in sozialer Hinsicht, als auch bei Geschäftsbeziehungen auf eine lange Zeit ausgelegt sind. Der soziale Aspekt lässt sich ohnehin schwer von dem ökonomischen trennen. Freilich gibt es Schwerpunkte aber beide spielen immer eine Rolle. Wenn Kinder das Geschäft der Eltern übernehmen, obwohl sie eigentlich völlig andere Interessen haben, so stellen sie ihre eigenen Wünsche zurück, da sie die „Gefallen“, die ihnen die Eltern im Laufe der Jahre erbracht haben, in irgendeiner Art und Weise zurückgeben müssen. Der stete Austausch von „Gefallen“ (renqing) ist ein zentraler Faktor innerhalb dieser Beziehungen. Er ist der Motor, der solchen Verbindungen Kontinuität und Stabilität verleiht.

Weshalb ist dies der Fall?

2.2 Ursprünge der Guanxi- Beziehungen

Die Entstehung dieses sozialen Konzeptes ist auf das konfuzianische Konzept des wu-lun zurückzuführen. Dies beinhaltet fünf traditionelle Beziehungen: Prinz und Volk, Vater und Sohn, älterer Bruder und jüngerer Bruder, Mann und Frau, Freund und Freund (Luo 2000,7).

Bis auf die Verbindung von Freund zu Freund, zeichnen sich alle Anderen durch das Konzept von Oberhaupt zu Untergebenem aus (ebd.). Dies bildet auch die Basis der Guanxi- Beziehungen. Es etabliert eine vertikale Hierarchie, bei dem jeder Interagierende eine gewisse Rolle zu spielen hat:

Wu-lun is a highly formal cultural system, requiring each actor to perform his or her role in such a way that he or she says precisely what he or she is supposed to say, and does not say what he or she is not supposed to say (Yang, 1993). In order to perform one’s role well, the actor usually has to hide his or her independent will (Luo 2000,7;8.) .

[...]

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Dimensionen des Tausches am Beispiel chinesischer Guanxi-Beziehungen
Université
Free University of Berlin  (Institut für Ethnologie)
Cours
Handel und Händler
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
21
N° de catalogue
V140790
ISBN (ebook)
9783640505951
ISBN (Livre)
9783640506132
Taille d'un fichier
448 KB
Langue
allemand
Mots clés
Wirtschaftsethnologie, China, Guanxi, Netzwerke, Identität, Ethnologie, Transformation, Politische Anthropologie
Citation du texte
Mike Bernd (Auteur), 2007, Dimensionen des Tausches am Beispiel chinesischer Guanxi-Beziehungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140790

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