Zur Frage des demokratischen Massenbewusstseins der Bevölkerung im postmodernen Russland


Term Paper (Advanced seminar), 2005

36 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Abgrenzung theoretischer Begrifflichkeiten für die Analyse
2.2. Zur sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Lage
2.3. Demokratie und Demokratisierung

3. Schlussbetrachtung

4. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Anderthalb Jahrzehnte nach dem politischen Umbruch in Osteuropa und dem erfolgten EU-Anschluss der ersten Transformationsgesellschaften der postkommunistischen Welt zwingen die unterschiedlichsten Entwicklungswege dieser Länder immer wieder einen indirekten oder direkten Vergleich auf. Insbesondere die neue Stellung kleinerer Transformationsländer in Bündnissystemen, wirtschaftlichen Verflechtungen und Entwicklungen sowie gesellschaftspolitischen Prozessen gegenüber den parallel ablaufenden Entwicklungen beim ehemaligen großen Bruder Russland, geben hierbei Interpretationsversuche auf.

Bei der Betrachtung des ‚russischen Bären’ fällt immer wieder, nicht zuletzt aufgrund der aktuellsten Entwicklungen in Russland selbst als auch derer in den Schwesterstaaten Weißrussland und Ukraine, der Focus auf die Evolution des politischen Systems. Der Grad der Demokratisierung wird hierbei oft vom westlichen Demokratieverständnis aus gemessen und anhand von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturell-politischen Zuständen empirisch überprüfbar gemacht. Der Umstand der über siebzigjährigen kommunistischen Vergangenheit Russlands sowie der wirtschaftlichen und machtpolitischen Besonderheiten des größten Landes der Erde nötigen dem Betrachter dabei auf den ersten Blick die Berücksichtigung eines Sonderfalles im Gefüge der Transformationsstaaten auf.

In der Erforschung des demokratischen Massenbewusstseins in der Bevölkerung Russlands soll diese Arbeit nun versuchen nicht nur die Verankerung demokratischen Grundempfindens im Volk sondern insbesondere auch die Einstellung zu demokratischen Elementen und Formen, welche im Transitionsprozess der letzten Jahre errungen wurden, zu beleuchten um somit eine Betrachtung von tatsächlich empfundenen Demokratisierungsgrad und öffentlich gewünschtem Demokratisierungsgrad zu erstellen. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auch auf der Massenwahrnehmung der politischen Kultur vor dem Hintergrund der marktwirtschaftlichen Entfaltung sowie deren Auswirkungen liegen.

Aufgrund des eng gefassten zeitlichen Betrachtungsrahmens stellt sich der derzeitige Forschungsstand als zur Zeit noch nicht konsolidiert dar. Empirische Daten für Russland zu dieser Thematik weisen einen eklatanten Unterschied zwischen Land- und Stadtbevölkerung aus.

Die Interpretation dieser überprüfbaren Daten durch russische und ausländische Demokratieforscher weist verständlicherweise eine große Spannbreite bei Herangehensweise und Auslegung auf, so dass der Unterschied von russischen Vorstellungen und Anforderungen an eine Demokratie zum westlichen Demokratieverständnis herauszuarbeiten sein wird. Ziel dieser Arbeit bleibt also eine Darstellung des demokratischen Massenbewusstseins der Bevölkerung im postmodernen Russland.

2. Hauptteil

2.1. Abgrenzung theoretischer Begrifflichkeiten für die Analyse

Die grundlegende, allgemeine Definition der Demokratie (von griechisch demos = Volk und kratein = herrschen) von Volksherrschaft, Herrschaft der Mehrheit und der Vielen grenzt sich zu anderen Formen von Herrschaft und Staatsformen wie Monarchie, Aristokratie, autoritäres Regime oder Diktatur ab.[1] Prägend bleibt die Losung ´government of the people, by the people and for the people´, das heißt in der Demokratie geht die Herrschaft aus dem Volk hervor und wird durch das Volk selbst und in seinem Interesse ausgeübt.[2]

Aus der Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts ergeben sich hieraus die folgenden und hinlänglich bekannten Kriterien:

Demokratische Herrschaft gründet sich auf das Prinzip der Volkssouveränität und der politischen Gleichheit aller unabhängig von Geschlecht, Rasse, Konfession usw. . Sie ist gekoppelt an die Geltung bürgerlicher Grundrechte und an den rechtsstaatlichen Schutz des einzelnen vor staatlicher Willkür. Die Partizipationsrechte und –chancen des Bürgers sind fundamental demokratisiert, was folgendes voraussetzt : allgemeines und gleiches Wahlrecht; effektive Partizipation, das heißt die Möglichkeit, die eigenen Präferenzen zu formulieren und in den Entscheidungsprozess einzubringen, Chancengleichheit bei der Interessendurchsetzung; eine aufgeklärte Öffentlichkeit; individuelle wie kollektive Partizipationsmöglichkeiten, konventionelle wie unkonventionelle Partizipationsformen; Entscheidung auf Zeit; unterschiedliche Zustimmungserfordernisse, je nach dem Grad der Reversibilität und/oder der Dauerhaftigkeit von Entscheidungen; freie Entfaltungsmöglichkeiten für die Opposition, verstanden als Minderheitenschutz und als alternative Regierung im Wartestand, inklusive der Möglichkeit der Abwahl der Regierenden durch den Bürger.[3] - Strittig bleiben allerdings Formen und Umfang der Beteiligungsmöglichkeiten. Demokratie im Interesse des Volkes erfordert nicht allein die Responsivität der Regierenden, sondern impliziert auch soziale Teilhabe und ein bestimmtes, als legitim anerkanntes Maß an sozialer Gerechtigkeit, deren Gestaltung und Umfang wiederum strittig bleiben.

Unter Demokratisierung versteht man den Prozess der Bildung oder der Vertiefung einer Demokratie. Historisch wurde dieser Begriff zunächst für den Prozess der Ausbreitung des allgemeinen Wahlrechts verwandt. Indem die liberale Idee des Konstitutionalismus sich mit der demokratischen Idee in der modernen Demokratie versöhnte, wurde unter Demokratisierung der Prozess der Errichtung eines sowohl demokratischen (auf dem allgemeinen Wahlrecht fußenden) als auch liberalen (den Grundsatz der Gewaltenteilung und –beschränkung respektierenden, die Freiheit gewährenden) Staatswesens verstanden.[4]

Die Regimetypen, die Ausgangspunkt dieses Prozesses waren, sind in Zeit und Raum verschieden gewesen. Im Falle der ‚dritten Welle’ der Demokratisierung im letzten Drittel des 20.Jahrhunderts handelte es sich um einen zielgerichteten Prozess, in welchem von totalitären oder autoritären Herrschaftsformen zu demokratischer Legitimierung und Ausübung der Macht übergegangen wurde. Dabei veränderte sich der Strukturtypus des Politischen Systems ( Systemwechsel ).[5]

In diesem Verständnis von Demokratisierung bleibt die Transition auf den politisch-institutionellen Bereich beschränkt. Maßstab für das Gelingen der Demokratisierung sind die Gewährleistung eines offenen politischen Wettbewerbs ( politischer Pluralismus, freie Wahlen ). Demokratische Regierungen streben nach der Verwirklichung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit ( Rechtsstaat ).

Demokratisierung ist somit auch ein offener Prozess der Vertiefung der Demokratie durch Erweiterung der Beteiligungsrechte der Bürger an politischen Entscheidungen auf allen Ebenen des politischen Systems( dessen Strukturtypus sich nicht verändert) und darüber hinaus in allen relevanten gesellschaftlichen Subsystemen.

Der Begriff der postmodernen Gesellschaft stammt ursprünglich aus Literaturwissenschaft und Architektur. Dieser Terminus markiert zum einen die jüngste Epoche gesellschaftlicher Entwicklung und dient zum anderen als Sammelbegriff einer philosophischen Strömung. Als Epochenbegriff findet die Postmoderne ihren Anlass in den ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen bei der Ablösung der klassischen Industriegesellschaft. Gemeinsam mit anderen Versuchen, die sich abzeichnende, neue gesellschaftliche Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen, beobachtet die Postmoderne den Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft, die gestiegene Bedeutung wissenschaftlich technischen Wissens sowie die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen.[6]

Grundlage für die politische Kultur bildet unter anderem maßgeblich auch die öffentliche Meinung. Öffentlich wird eine Angelegenheit nicht nur deshalb genannt, weil sie nicht geheim und allgemein zugänglich ist. Öffentlich ist etwas vor allem dann, wenn es mit der ‚res publica’ zu tun hat, wenn es alle angeht. Von politischer Öffentlichkeit ist zu sprechen, wenn Öffentlichkeit Transparenz herstellt, Diskursivität über Themen, Meinungen und Überzeugungen ermöglicht und Orientierung in der Meinungsvielfalt bietet.[7]

Öffentliche Meinung als politischer Begriff ergibt sich nicht automatisch aus der Addition individueller Meinungen. Sie ist weder ein quasistatistisches Aggregat demoskopisch erhobener Bevölkerungseinstellungen noch ist sie gleichzusetzen mit der veröffentlichten Meinung. Vielmehr muss sie begriffen werden als ein kollektives Produkt von Kommunikationen, das sich zwischen den Sprechern als herrschende Meinung darstellt.[8] Insbesondere für die Bestimmung der Legitimität demokratischer Herrschaft ist öffentliche Meinung eine zentrale Kategorie.

Der Begriff der politischen Kultur gilt in der Regel als eine Bezeichnung für die subjektive Dimension der gesellschaftlichen Grundlagen Politischer Systeme. Politische Kultur bezieht sich hierbei auf unterschiedliche politische Bewusstseinslagen, Mentalitäten und bestimmten Gruppen oder ganzen Gesellschaften zugeschriebene Denk- und Verhaltensweisen und umfasst alle politisch relevanten individuellen Persönlichkeitsmerkmale, latente in Einstellungen und Werten verankerte Prädispositionen zu politischen Handeln, auch in ihren symbolhaften Ausprägungen, und konkretes politisches Verhalten.[9]

Solche Prädispositionen zu politischen Handlungen können als Meinungen, Einstellungen und Werte auf einer zentral-peripheren Achse liegend angesehen werden, wobei Werte die intensivsten und beständigsten und Meinungen die oberflächlichsten Prädispositionen darstellen. Eine weitere analytische Unterscheidung bezieht sich auf unterschiedliche Komponenten einer Einstellung. So lassen sich gefühlsmäßige (affektive), wissensmäßige (kognitive) und wertende (evaluative) Aspekte unterscheiden. Politische Kultur erfasst als wesentliche Bestimmungsfaktoren Aspekte individueller Politischer Sozialisation in Familie, Schule, Gruppen Gleichaltriger, sozialen Vereinigungen, Arbeitsorganisationen u.a.. Zu diesen individuellen Einflüssen kommt die konkrete ökonomische Interessenlage einer Person im arbeitsteiligen Gefüge einer Gesellschaft hinzu. Darüber hinaus wirken auch kollektive Erfahrungen prägend auf die politische Kultur.

Wesentliche Inhalte von politischer Kultur sind Aspekte nationaler und ethnischer Identität, zentrale soziale und politische Werthaltungen und letztlich die Legitimität des politischen Systems selbst.[10] Untersuchungen von politischer Kultur haben in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der empirischen Demokratieforschung bezogen auf die Umbrüche in Osteuropa eine Rolle gespielt.

Unter dem Begriff Systemwechsel / Transformationsprozess wird der Übergang von einem nationalen politischen / ökonomischen System zu einem anderen System verstanden. In diesem neuen Systemtyp werden grundlegend andere Kriterien zur Regelung politischer und ökonomischer Herrschaft institutionalisiert.[11] Davon zu unterscheiden ist der Begriff Systemwandel, mit dem lediglich eine adaptive Anpassung der politischen Strukturen und Verfahren an eine gewandelte Umwelt innerhalb der alten politischen Ordnung bezeichnet wird.[12]

Dieser Transformationsprozess mündet in der weiteren Entwicklung in einen Transitionsprozess dem die unterschiedlichsten Ausgangssituationen zu Grunde liegen können.[13] Kennzeichnend für diesen Transitionsprozess im Bereich Osteuropas und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ist der Zustand der gleichzeitig laufenden politischen und ökonomischen Transformation, welche sich gegenseitig bedingen.[14] Die im Zuge dieser Transition statt findenden Transformationsprozesse in den Bereichen politische Institutionen, Ökonomie und Gesellschaft verlaufen zwar parallel, sind allerdings von unterschiedlicher Dauer. Politische Veränderungen sind eher kurz- bis mittelfristig, ökonomische Veränderungen hingegen eher in einem längeren Zeitrahmen umsetzbar. Gesellschaftliche Veränderungen erfordern wiederum einen noch längeren Zeitraum.

Wenn alle drei Bereiche dieses Prozesses gelingen, können sich diese Transformationen gegenseitig stabilisieren, im Falle des Scheiterns in einem der drei Bereiche muss mittelfristig von einem unvollständigen Systemwechsel ausgegangen werden.[15]

Die Forschung unterscheidet dabei vier Transformationsebenen[16]:

- die institutionelle Transformation

(umfasst die Herausbildung der zentralen staatlichen Institutionen),

- die repräsentative Transformation

(beinhaltet die Repräsentation der Interessen durch Parteien und Verbände),

- die Verhaltenstransformation

(zentrale Akteure versuchen ihre Handlungen und Interessen innerhalb demokratischer Bahnen umzusetzen)

- die Etablierung einer Zivil- oder Bürgergesellschaft

(welche als soziopolitischer Unterbau den Transitionsprozess trägt und komplettiert).

.

[...]


[1] Nohlen, 2001, S.51

[2] Nohlen, 2001, S.51

[3] Nohlen, 2001, S.51 ff.

[4] Nohlen, 2001, S.54

[5] Nohlen, 2001, S.55

[6] Nohlen, 2001, S.406

[7] Nohlen, 2001, S.330

[8] Nohlen, 2001, S.330

[9] Nohlen, 2001, S.389

[10] Nohlen, 2001, S.389

[11] Woyke, 2002, S.397

[12] Woyke, 2002, S.401

[13] Woyke, 2002, S.405

[14] Tschepurenko, 2000, S.11

[15] Woyke, 200, S.405

[16] Woyke, 2002, S.405

Excerpt out of 36 pages

Details

Title
Zur Frage des demokratischen Massenbewusstseins der Bevölkerung im postmodernen Russland
College
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Institut für Politikwissenschaft)
Course
Demokratiekonzepte und Einstellungen zur Demokratie in Ost- und Westeuropa
Grade
2,3
Author
Year
2005
Pages
36
Catalog Number
V141142
ISBN (eBook)
9783640483686
ISBN (Book)
9783640483921
File size
861 KB
Language
German
Keywords
Internationale Politik, Demokratiestudien, Länderanalysen, Russland, Osteuropa, Vergleichende Politikwissenschaft, International Politics
Quote paper
Thomas M. Scholz (Author), 2005, Zur Frage des demokratischen Massenbewusstseins der Bevölkerung im postmodernen Russland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141142

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