Arzt-Patient-Beziehung in der homöopathischen Praxis

Untersuchung anhand des Theoriegebäudes der klassischen Homöopathie und den damit verbundenen Differenzen zur klassischen Arzt-Patient-Interaktion


Dossier / Travail, 2009

34 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Klassische Homöopathie

3 Arzt-Patient-Beziehung in der schulmedizinischen Praxis
3.1 Asymmetrische Beziehung
3.2 Wandel in der schulmedizinischen Arzt-Patient-Beziehung

4 Die Arzt-Patient-Beziehung in der klassischen Homöopathie
4.1 Die homöopathische Anamnese
4.2 Wirkungen der homöopathischen Arzt-Patient-Beziehung

5 Schluss

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Nach dem jahrzehntelangen peripheren Schattendasein neben der etablierten Schul- medizin, ist die klassische Homöopathie herausgetreten und hat einige Popularität gewonnen. Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist eine verstärkte Nachfrage nach komplementärmedizinischen Verfahren zu beobachten (vgl. Schma- cke 2005: S. 171). Dabei spielt die Homöopathie eine besondere Rolle. Sie gehört zu den am häufigsten verwendeten Heilverfahren neben der Schulmedizin. Rund 75% der niedergelassenen Ärzte in Deutschland verschreiben zumindest gelegentlich homöopathische Mittel (vgl. Langbein et al. 2004: S. 1019). Mit dem gegenüber der Schulmedizin konkurrierenden Popularitätsgewinn als eine der bedeutsamsten kom- plementärmedizinischen Verfahren sind zugleich sowohl einzelne Heilverfahren, als auch die fachliche Kompetenz und Reputation der klassischen Homöopathie mehr oder weniger heftig umstritten worden. Die Gründe für die Ablehnung liegen vor allem in der Anwendung hochverdünnter Mittel, die rein rechnerisch gesehen nur noch aus destilliertem Wasser, Ethylalkohol und, je nach Darreichungsform, noch aus Milchzucker bestehen und sich chemisch gesehen nicht von einem Placebo un- terscheiden1 (vgl. Langbein et al. 2004: S. 1028).

Trotz dieser Tatsache haben bei einer Umfrage von TNS Healthcare GmbH (ehe- mals EMNID) 70% der Befragten (n=1.004) angegeben, eine spürbare Linderung durch homöopathische Mittel bemerkt zu haben, während eines grippalen Infektes (vgl. DZVh Ä 2008: S. 11). Als Gründe für die Wirksamkeit werden aus schulmedizi- nischer Sicht jedoch nicht irgendwelche, bis jetzt noch nicht messbaren, chemischen oder physikalischen Prozesse gesehen, sondern die intensive Arzt-Patient-Beziehung in der klassischen Homöopathie (vgl. Langbein et al. 2004: S. 1028).

Doch statt dass gerade diese, als intensive Arzt-Patient-Beziehung bezeichnete Interaktion zwischen Arzt und Patient in der klassischen Homöopathie, Gegenstand weiterer Untersuchungen ist und Differenzen zu der Schulmedizin analysiert werden, dreht sich die Diskussion im Wesentlichen um die Wirksamkeit der hochverdünnten homöopathischen Mittel.

Große Wellen in dieser Debatte schlug die von Matthias Egger et al. (2005) im Lan- cet publizierte Meta-Analyse, die trotz einiger methodischer und wissenschaftlicher

Mängel mit dem Titel ”Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? “das Ende der Homöopathie einläuten sollte.

Selbst in Diskussionen unter homöopathisch tätigen Ärzten und Heilpraktikern dreht sich das meiste um den Wirkungsnachweis und um Erklärungsmodelle der Wirkung homöopathischer Mittel.

Scheinbar wird in der Diskussion die intensive Arzt-Patient-Beziehung als Vorwurf behandelt und mit dem Begriff des Placeboeffektes gleichgesetzt. ”Und Placebowird immer mit ≪ frommen Betrug ≫ verwechselt, mit der Traubenzuckerpille, die man einem n ö rgelnden Patienten verabreicht, um ihn zu beruhigen. Dabei lebt [auch] die [etablierte] Medizin immer auch von den versteckten therapeutischen Effekten, die der eingesetzten Behandlung selber nicht direkt zuzuschreiben sind, und vor allem von dem Vertrauen des Patienten zum Behandler “ (Schmacke 2005: S. 103).

Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist deshalb der Versuch, die Analyse der Arzt- Patient-Beziehung in der homöopathischen Praxis anhand des Theoriegebäudes der klassischen Homöopathie durchzuführen und die damit verbundenen Differenzen zur Schulmedizinischen auszuarbeiten. Anzumerken ist, dass diese Arbeit ihr Hauptau- genmerk ausschließlich auf die von Hahnemann formulierte klassische Homöopathie richtet. Zwar haben sich mittlerweile unterschiedliche Strömungen in der Homöopa- thie entwickelt, jedoch sind diese in ihrer theoretischen Auslegung so unterschied- lich von der ursprünglichen Methode, sodass die Ausarbeitung jeder dieser einzelnen Strömungen den vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit bei Weitem übertreffen würde. Durch die Setzung dieses Schwerpunktes werden die Fragen der Wirksamkeit von Hochpotenzen und der Miasmenlehre nicht näher erläutert.

2 Klassische Homöopathie

Die Geburtsstunde der Homöopathie fällt mit dem Namen Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755-1843) zusammen, der Ende des 18. Jahrhunderts die klassische Homöopathie entwickelte und sie bis zu seinem Tod im Jahre 1843 ständig weiter entwickelte (vgl. Braun 2002: S. 14-28).

Das wohl wichtigste, von ihm verfasste Werk, ist das Organon der Heilkunst, was erstmals im Jahre 1810 erschienen ist. Die sechste Auflage verfasste Hahnemann zwar im Jahre 1842, jedoch ist diese erst nach seinem Tod im Jahre 1921 von Haehl publiziert worden. In 291 Paragraphen werden in diesem Werk Regeln, Prinzipien und Anwendungshinweise dieses Heilverfahrens beschrieben. Es zählt bis heute zu den wichtigsten Grundlagenwerken der klassischen Homöopathie (vgl. Braun 2002: S. 21-28).

Das wichtigste Grundprinzip dieses Heilverfahrens basiert auf dem Grundsatz

” s imiliasimilibuscurrentur “ (Hahnemann 1999:S.64),wasbedeutet,dassÄhnliches mit Ähnlichem geheilt wird und in anderen Worten:

” E in Mittel,dasbeimgesunden

Menschen bestimmte Zeichen und Symptome hervorruft, heilt genau diese Zeichen und Symptome beim Kranken “ (Vithoulkas 1999: S. 30).

Damit soll der Wirkstoff der giftigen Tollkirsche (Belladonna), der bei unverdünnter Einnahme hohes Fieber, geweitete Pupillen, plötzliche Atemnot usw. auslöst (vgl. Phatak 1999: S. 140 ff.), nach homöopathischer Zubereitung diese Symptome bei einem Kranken heilen. Dieses Prinzip ist für das Heilverfahren so fundamental, dass es sich im Namen der Homöopathie wiederspiegelt, der aus dem Griechischen übersetzt soviel wie dem Leiden ähnlich bedeutet (vgl. Braun 2002: S. 21).

Verwechselt werden darf der Begriff Homöopathie jedoch nicht mit der Aussage, dass Gleiches mit Gleichem geheilt wird. Ernst Habermann (Universität Gießen), Professor für Pharmakologie, nahm jüngst eine Dosis Chinin während einer Vor- lesung, um Hahnemanns Chinarindenversuch2 nachzuahmen. Da sich bei ihm kein Fieber einstellte, machte er die Schlussfolgerung, dass das Grundlagengebäude der Homöopathie auf einem Irrtum beruht (vgl. Langbein et al. 2004: S. 1021 f.).

Chinarinde ist ein altbekanntes Mittel gegen Malaria und zu den Symptomen hiervon zählen unter anderem auch Fieber. Dabei hat dieser Professor nicht beach- tet, dass Hahnemann selbst in dem Bericht über seinen Selbstversuch schreibt, dass

Kapitel 2. Klassische Homöopathie

sich zahlreiche charakteristische Symptome der Malaria eingestellt haben, jedoch ohne Fieber3. Außerdem ist anzumerken, dass Hahnemann über mehrere Tage hin- weg Chinarinde einnahm. Dieser kleine Unterschied zwischen dem Verständnis von Gleiches mit Gleichem und Ähnliches mit Ähnlichem ist aber für die homöopa-

thische Anamnese von großer Bedeutung. Die Aussage

” s imiliasimilibuscurrentur “

(Hahnemann 1999: S. 64) sagt aus, dass keines der schätzungsweise 3.000 verschiede-

nen homöopathischen Mittel die Symptomatik 100%ig deckt (vgl. Hahnemann 1999:

S. 209). Daher wird in einer sehr zeitintensiven Erstanamnese versucht, dasjenige Mittel zu finden, welches die Symptomatik am ehesten deckt. Die verschiedenen verfügbaren homöopathischen Mittel werden nur einzeln verwendet, und erst, wenn sich das Krankheitsbild so verändert hat, dass es nicht mehr zu der Symptomatik des verwendeten Mittels passt, gewechselt (vgl. Vithoulkas 1993: S. 230 f.).

Ein weiteres charakteristisches Merkmal der klassischen Homöopathie ist, dass die verwendeten Mittel meist hochverdünnt sind. Dabei werden sie schrittweise verdünnt und verschüttet. Dieser Vorgang wird als Potenzierung bezeichnet.

Eine Belladonna D3 Potenz4 wird beispielsweise auf folgende Art und Weise her- gestellt5:

1 ml Belladonna-Urtinktur wird mit 9 ml Lösungsmittel6 versetzt und die ent- standene Tinktur mit 100 kräftigen Schüttelschlägen vermischt. Von dieser 10%igen Lösung wird 1 ml entnommen und das wiederum mit 9 ml Ethyl-Alkohollösung versetzt und erneut 100-mal kräftig geschüttelt. Dieser Vorgang wird noch einmal wiederholt. Bei einer C Potenz wird das Ganze mit 99 ml Wasser versetzt. Die Anzahl der Schüttelschläge bleibt unverändert (vgl. Vithoulkas 1993: S. 172 ff.).

Schematisch lassen sich die unterschiedlichen Potenzen folgendermaßen darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ab einer Potenzstufe von C12 (bzw. D23 und Q5) ist die Avogadro’sche Konstante unterschritten und rein rechnerisch dürfte kein Molekül der Ursprungssubstanz vorhanden sein (vgl. Braun 2002: S. 53-38). Aus chemischer bzw. pharmakologischer Sicht dürfte sich ab dieser Potenz kein Unterschied zum Placebo feststellen lassen (vgl. Langbein et al. 2004: S. 1028).

Die homöopathischen Mittel werden in verschiedenen Darreichungsformen ver- wendet. Neben Tabletten, Ampullen und Triturationen (Verreibung), werden vor allem Tropfen und Globuli (Streukügelchen) verwendet (vgl. Braun 2002: S. 60).

Für die Herstellung von homöopathischen Mitteln kommen sowohl tierische Sub- stanzen, wie Lachesis (ein Schlangengift), und pflanzliche, wie Nux vomica (eine Nussart), aber auch rein mineralische Substanzen, wie Eisen, Quecksilber und che- mische Erzeugnisse, wie Causticum ( Ätzkalk), zum Einsatz (vgl. Vithoulkas 1993: S. 165 ff.). Da auch chemische Erzeugnisse als Ursprungssubstanz verwendet werden, lässt sich die klassische Homöopathie nicht unter die Kategorie der naturheilkundli- chen Heilverfahren einordnen.

[...]


1 ”Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die Homöopathie als eine Irrlehre. [...] Nach dieser Logik müssten unsere Medizinstudenten auch in folgenden Gegenständen unterrichtet und geprüft werden: Irisdiagnostik; Reinkarnationstherapie; astro logische Gesundheitsberatung (Bedeutung der Sternzeichen für die Neigung zu bestimmten Krankheiten) “ (Happle 1992).

2 Hahnemanns Selbstversuch mit Chinarinde (1790) wird oft als Geburtsstunde der Homöopathie bezeichnet. Zwar war ihm das Ähnlichkeitsprinzip bereits vorher bekannt, jedoch ist dieses und kein anderes Erlebnis als so prägend zu sehen, dass ihn so entscheidend motiviert hatte, ein eigenständiges Medizinsystem zu entwickeln (vgl. Braun 2002: S. 18).

3 ”Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmal vier Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fingmir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind, eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schaudern), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder, dann Klopfen im Kopfe, Röte der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptome erschienen nacheinander, doch ohne eigentlichen Fieberschauer. Mit kurzem: auch die mir bei Wechselfieber gew ö hnlichen besonders charakteristischen Symptome, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube, widrige Empfindung, welche in dem Periostiumüber allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint - alle erschienen. Dieser Paraxysmus dauerte zwei bis drei Stunden jedesmal und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht “ (Fritsche 1982: S. 52).

4 Hahnemann selbst hat nie D Potenzen verwendet. Sie sind aber für die schematische Darstellung anschaulicher, da mit kleineren Zahlen gearbeitet wird.

5 Die ersten drei Potenzen werden in der klassischen Homöopathie in der Regel durch Verreibung hergestellt (weshalb sie auch manchmal als C3 Homöopathie bezeichnet wird). Diese Ursubstanz wird auf Milchzucker in einem bestimmten Verhältnis aufgetragen und miteinander verrieben, für diese Herstellung bis zur 3. Potenz dauert der Prozess rund drei Stunden (vgl. Hahnemann 1999: S. 282-288 und vgl. Vithoulkas 1993: S. 169). Der Einfachheit halber wird hier hauptsächlich erklärt, wie es bei den höheren Potenzen hergestellt wird.

6 Es handelt sich genauer gesagt um mehrfach destilliertes Wasser, das mit Ethylalkohol versetzt wurde, um die Haltbarkeit des Mittels zu erhöhen (vgl. Vithoulkas 1993: S. 171 f.).

7 Dieses Verdünnungsverhältnis gilt streng genommen nicht für die erste Q Potenz, sondern für die nachfolgenden Potenzstufen. Näheres hierzu im § 270 des Organons der Heilkunst (vgl. Hahnemann 1999: S. 282-288).

Fin de l'extrait de 34 pages

Résumé des informations

Titre
Arzt-Patient-Beziehung in der homöopathischen Praxis
Sous-titre
Untersuchung anhand des Theoriegebäudes der klassischen Homöopathie und den damit verbundenen Differenzen zur klassischen Arzt-Patient-Interaktion
Université
University of Bremen
Cours
Klassiker und aktuelle Perspektiven der Medizin- und Gesundheitssoziologie
Note
1,0
Auteur
Année
2009
Pages
34
N° de catalogue
V141296
ISBN (ebook)
9783640504213
ISBN (Livre)
9783640504299
Taille d'un fichier
516 KB
Langue
allemand
Mots clés
Arzt-Patient-Beziehung;, Homöopathie;, Arzt-Patient-Interaktion;, Anamnese;, Arzt-Patient-Verhältnis
Citation du texte
Arnold Tokalic (Auteur), 2009, Arzt-Patient-Beziehung in der homöopathischen Praxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141296

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