Staatliche und private Ansätze zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise


Thesis (M.A.), 2009

50 Pages, Grade: 13 Punkte


Excerpt


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Finanz- und Wirtschaftskrise
2.1 Ursachen
2.2 Verlauf
2.3 Auswirkungen

3. Staatliche Ansätze zur Krisenbewältigung
3.1 Nachsorge: Staatliche Konjunkturpakete und Fiskalpolitik
3.2 Fürsorge: Staatliche Bankenrettungspakete und Geldpolitik
3.3 Vorsorge: Inter-, supra- und nationale Reformpolitik

4. Private Ansätze zur Krisenbewältigung
4.1 Selbstregulierung: Hilfe zur Selbsthilfe im Bankensektor
4.2 Privatisierung: Haftung und Risiko

5. Fazit und Ausblick
5.1 Fazit
5.2 Ausblick

6. Abkürzungsverzeichnis

7. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise hat eine kleine wirtschaftswissenschaftliche Revolution ausgelöst. Nur eine kleine Schar von Ökonomen jenseits des zunehmend formalisierten Wissenschaftsbetriebes hat das Unheil vorausgeahnt, das sich nach der Immobilien- und Kreditmarktkrise 2007 in den Vereinigten Staaten anbahnte.[1] Die dramatische, weltweite Entwicklung hat hernach zu einer Art neuer Bescheidenheit in einem Fach beigetragen, das sich als neue Königsdisziplin unter den Gesellschaftswissenschaften zu etablieren suchte. Damit ist der vielfach kritisierte wissenschaftliche „Imperialismus“ der Ökonomen vorerst an seine Grenzen gestoßen. Die geringe Prognosekraft der modernen Wirtschaftswissenschaften hat manchen Beobachter erstaunt, zumal sich ganze Forschungsinstitute mithilfe ausgefeilter Prognose- oder Projektionsverfahren (bei langfristigen Prognosen) auf vorausblickende Konjunkturanalysen spezialisiert haben. Hinzu kommt, dass Krisen zu den bevorzugten Untersuchungsgegenständen der Ökonomik zählen. Sie haben – um ein passendes fachsprachliches Bild aufzugreifen – fast immer Konjunktur.[2]

Krisen stellten plötzliche, kaum vorhersagbare Störungen bzw. Einbrüche des Wirtschaftslebens dar und sind von „normalen“ Konjunkturschwankungen zu unterscheiden. Die ökonomischen Aktivitäten einer Volkswirtschaft oszillieren gewissermaßen natürlich im Rahmen des sogenannten Konjunkturzyklus, der aus einer Aufschwung- (Expansion) und Abschwungphase (Rezession) besteht und deren Wendepunkte jeweils die Hochkonjunktur (Boom) oder die Depression markieren. In der Konjunkturtheorie wird die Krise deshalb immer wieder mit der Phase des konjunkturellen Abschwungs gleichgesetzt.

Vor allem die marxistische Krisentheorie behauptet, „dass die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus notwendigerweise durch immer heftigere Konjunkturkrisen und Disproportionen gekennzeichnet sei“.[3] So führe das ungebremste Streben nach Maximalprofit regelmäßig zu Überproduktions- und Absatzkrisen, bei denen die Güter- und Faktormärkte (Arbeits- und Kapitalmarkt) gewaltsam von einem Überangebot bereinigt würden. Was Karl Marx freilich noch nicht ahnen konnte, waren die Globalisierungstendenzen der Weltwirtschaft, die auch auf den Finanzmärkten zu wechselseitigen Abhängigkeiten und schier undurchschaubaren Verflechtungen geführt haben. Lokomotiv- und Multiplikatoreneffekte transportieren die Krisenerscheinungen bei Wirtschaftskrisen nicht nur räumlich weiter, sondern bewirken auch eine Überlagerung bzw. Verstärkung derselben.

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist mit ihren noch darzustellenden Eigenheiten wohl eine Krise sui generis, aber sie hat historische Vorläufer. Vor allen Dingen die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre weist erstaunliche Parallelen auf: Wie die aktuelle Krise wurde sie durch das Platzen einer Spekulationsblase ausgelöst. Der New Yorker Börsencrash im Oktober 1929 wiederholte sich im Januar 2008, als panikartige Verkäufe die Aktienkurse auf der gesamten Welt in die Knie zwangen. Abermals ging die Krise von den Vereinigten Staaten aus, wo zahlreiche Investmentfonds und -Banken nach unsoliden Wertpapiergeschäften mit Hypothekenkrediten in Zahlungsschwierigkeiten geraten waren.[4]

Die Volkswirtschaftslehre des 20.Jahrhunderts hat versucht, auf die Fragen, warum strukturelle Krisen in scheinbar regelmäßigen Zeitintervallen vorkommen, zu antworten. Der russische Ökonom Nikolai Kondratjew entwickelte eine Theorie langer Zyklen, wonach die kurzfristigen „normalen“ Konjunkturbewegungen von langfristigen Wellen überlagert werden. Diese treten auf, wenn neue Produkte oder Technologien erfunden werden, die „eine ganze Gesellschaft für einen Zeitraum verändern, bis sich ihr Innovationspotential erschöpft hat“.[5] Es war kein Zufall, dass der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter den empirischen Befund Kondratjews aufgriff und den Begriff der Kondratjew-Zyklen prägte. Seiner Ansicht nach müssen Krisen als „Wendepunkte der wirtschaftlichen Entwicklung“[6] verstanden werden. Neue Unternehmen verdrängen mit neuartigen Organisationsstrukturen oder Produkt- und Verfahrensinnovationen etablierte Unternehmen vom Markt. Der Konkurrenzmechanismus hält somit einen fortlaufenden „Prozess der schöpferischen Zerstörung“[7] im Gange, der nach Schumpeter das wichtigste Merkmal kapitalistischer Wirtschaftsweise ist.

Entgegen dieser Schumpeterschen Auffassung wird die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise wird von einigen Autoren neuerlich als Krankheitssymptom des Kapitalismus interpretiert. Folgt man ihnen, so waren die Kreditverbriefungen, Derivate, Swap-Geschäfte, Hedgefonds und andere Finanzierungsinstrumente keine Basisinnovationen, sondern Ausfluss einer „entfesselten Marktwirtschaft“, die als „Kasino-Kapitalismus“ gegeißelt wird.[8] Es ist jedoch fraglich, ob tatsächlich ein systemisches Versagen der Marktwirtschaft oder der staatlichen Regulierungsbehörden konstatiert werden kann. Vieles deutet darauf hin, dass falsche privatwirtschaftliche und staatliche Anreizstrukturen gesetzt worden sind, die allzumenschlicher Profitgier Vorschub leisteten. Die vorliegende Arbeit möchte hierauf eine befriedigende Antwort geben.

Methodisch folgt die Untersuchung einem klassischen Dreischritt: Zunächst werden Ursachen, Verlauf und Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 nachgezeichnet. Ein weiterer deskriptiver Abschnitt stellt die breit gefächerten Gegenmaßnahmen dar und systematisiert sie nach Möglichkeit. Dabei soll der Fokus bewusst nicht nur auf Deutschland beschränkt bleiben. Die Konjunkturprogramme sowie die sonstigen gesetzgeberischen und privatwirtschaftlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise variieren von Land zu Land ziemlich stark. Ein dritter und letzter Abschnitt resümiert die Untersuchungsergebnisse und wagt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Darf man den Konjunkturbarometern der führenden Wirtschaftsinstitute Glauben schenken, bleibt die wirtschaftliche Situation der Industrieländer auch zwei Jahre nach dem Ausbruch der Krise in den Vereinigten Staaten äußerst prekär. Es ist von einem „konjunkturellen Gleichlauf im Abschwung“[9] die Rede.

Quellengrundlage für diese Arbeit bildet die wirtschaftswissenschaftliche Literatur zum Thema Finanz- und Wirtschaftskrise, die seit dem Jahr 2007 verfasst wurde. Ähnlich rasch wie die Krise haben auch die Aufsätze und Diskussionsforen in den Fachzeitschriften expandiert. Mittlerweile sind zahlreiche Monografien mehr oder weniger prominenter Ökonomen in englischer und deutscher Sprache erschienen.[10] An verschiedenen betriebswirtschaftlichen Lehrstühlen wurden Diskussionspapiere erarbeitet, die Ursachenanalyse betreiben.[11] Ganze Heerscharen von Wirtschaftsjournalisten, Politikern und Börsengurus haben das Thema für sich entdeckt und den Büchermarkt regelrecht überflutet.[12] Darüber hinaus haben die Forschungseinrichtungen der Wirtschaft und Banken, die politischen Stiftungen sowie die internationalen Organisationen zeitnah im Internet Analysen publiziert. Als besonders hilfreich erwiesen sich die Veröffentlichungen folgender Institute und Institutionen:

- Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),
- Bundesverband Deutscher Banken,
- Deutsche Bank Research,
- Deutsche Bundesbank,
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin,
- Friedrich-Ebert-Stiftung,
- Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv,
- Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in München,
- Internationaler Währungsfonds (IWF),
- Internationales Institut für Finanzen (IIF),
- Konrad-Adenauer-Stiftung,
- Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.

Schon aus Gründen der Aktualität sind daneben Zeitungsbeiträge und regierungsamtlichen Informationen aus dem Bundeswirtschafts- (BMWi) und dem Bundesfinanzministerium (BMF) in die vorliegende Arbeit eingeflossen. Internetquellen sind dabei stets in Klammern entweder mit dem Zeitpunkt der In-Netz-Stellung oder der Einsichtnahme zitiert.

2. Die Finanz- und Wirtschaftskrise

2.1 Ursachen

Die meisten Analytiker neigen dazu, die Ursachenkette der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise in eine längere Periode von geldpolitischen und anreizökonomischen Fehlentwicklungen einzugliedern. Der durchaus umstrittene US-amerikanische Investmentbanker Georg Soros verortet die Krise gar als „culmination of a superboom that has lastet for more than twenty-five years“.[13] Wieder andere haben noch längere Zeitabläufe in den Blick genommen, die mit der wohlfahrtsstaatlichen Überexpansion in Europa und der Umsetzung marktliberaler Gegenkonzepte in Großbritannien und den Vereinigten Staaten Ende der 1970er Jahre beginnen.[14]

In den Veröffentlichungen über die Finanz- und Wirtschaftskrise dominieren polykausale Erklärungsmodelle, die mit einem ganzen Ursachenbündel aufwarten und auf die Komplexität internationaler Finanzbeziehungen abstellen. Ein eindeutiges Markt- oder Staatsversagen ist nicht zu diagnostizieren. Während aus dem ökonomischen Blickwinkel vor allem falsche Anreizstrukturen für den Kollaps im Finanzsektor verantwortlich sind, fehlen aus juristischer Sicht internationale Regulierungsvorschriften bzw. Regulierungsbehören zur Durchsetzung solcher. Als mögliche Hauptursachen gelten:

1. Fehlanreize in der Geldpolitik maßgeblicher Notenbanken: Insbesondere die Niedrig-Zins-Politik der US-Notenbank, die 1913 als ein teils privatwirtschaftliches, teils staatliches Federal Reserve System (FED) gegründet wurde, ist in die Kritik geraten. Anders als die Europäische Zentralbank ist die amerikanische FED stärker mit der US-Regierung verflochten und mehr dem Wachstumsziel als der Preisstabilität verpflichtet. Unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Alan Greenspan (1987 bis 2006) hat sie eine „Politik des leichten Geldes“ verfolgt, um der US-Wirtschaft nach der New-Economy-Krise zur Jahrtausendwende neue Wachstumsimpulse zu geben. Die Expansion der Geldmenge erleichterte die Kreditvergabe und führte zur Absenkung der Vergabestandards. Höhere Liquidität stärkte das Konsumverhalten der Amerikaner und nährte den Wunsch nach Immobilienbesitz. Die steigende Nachfrage führte automatisch zu steigenden Immobilienpreisen. Sie waren der Ausgangspunkt für gefährliche Immobilienspekulationen.[15]
2. Intransparenz moderner Kapitalmärkte: Diese Intransparenz basiert auf Informationsasymmetrien zwischen Banken und Kunden, aber auch im Interbankengeschäft. Sie schürt die Vertrauensverluste, die maßgeblich zur vielfach diagnostizierten „Kreditklemme“ beigetragen haben. Die Intransparenz geht auf Unzulänglichkeit und die Umgehung bestehender Rechnungslegungsvorschriften zurück, deren Einhaltung nationalstaatlich kaum noch zu überwachen ist.[16] Folgen sind überkomplexe Finanzmarktprodukte, undurchsichtige Verflechtungen und unkalkulierbare Risikoszenarien.
3. Fehler in der Bankenaufsicht: Ein Konglomerat von Regulierungs- und Überwachungsfehlern in der staatlichen Bankaufsicht wird von einigen Experten als eine der Hauptursachen der Finanzkrise angesehen. Als besonders schwerwiegende Fehler wurden die „1. Ermöglichung von Regulierungsarbitrage, 2. die Nichtberücksichtigung systemischer Risiken, 3. die Delegierung der Risikoabschätzung hybrider Finanzinstrumente an Rating-Agenturen […], 4. fehlende Regelungen für Bankenrettungen“[17] identifiziert. Die Marktakteure haben dabei ausgenutzt, dass unterschiedliche Finanzinstitute unterschiedlichen Regulierungsformen unterliegen und es vorteilhaft sein kann, den strengen Eigenkapitalvorschriften für Geschäftsbanken durch Ausgründungen (z.B. Fonds) auszuweichen. Dieses Ausweichverhalten wurde von der US-amerikanischen und der europäischen Bankenaufsicht unterschätzt – auch im Hinblick auf die damit verbundenen moralischen und systemischen Risiken.[18]
4. Die Rolle der privaten Rating-Agenturen wurde vor allem in den Medien stark diskutiert. Ihre Aufgabe ist es eigentlich, objektive Informationen über die Kreditwürdigkeit (Bonität) von Unternehmen, Staaten usw. zu liefern. Die Bewertung erfolgt nach einem speziellen Ratingcode, sie ist eine Zugangsvoraussetzung für den US-amerikanischen Kapitalmarkt und wurde 1975 von der US-Börsenaufsicht den drei großen Rating-Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch Ratings übertragen. Die Kritik entzündete sich an den Interessenkonflikten, die aus der Teilidentität von Auftraggeber der Rating-Unternehmen und bewertetem Kreditnehmer erwachsen. Zudem traf sie der Vorwurf der Intransparenz, weil sie ihre Bewertungsmethoden in der Vergangenheit nicht offen legten.[19]
5. Ob die globalen Zahlungsbilanzungleichgewichte zur internationalen Finanzkrise beitrugen, ist umstritten. Durch ihre Leistungsbilanzüberschüsse bildeten die asiatischen Länder inklusive China und die osteuropäischen Länder wie die baltischen Republiken große Währungsreserven in ihren jeweiligen Leitwährungen Dollar bzw. Euro. Bei Abwertungen der Leitwährungen – so die Skeptiker – könne es daher zu Währungs- und Finanzkrisen in den aufstrebenden Volkswirtschaften kommen. Diese würden sich von der Peripherie ins Zentrum, also in die Vereinigten Staaten bzw. in den europäischen Währungsraum verlagern. In der Asienkrise der 1990er Jahre haben manche „Tigerstaaten“ bereits erlebt, welch eine verheerende Wirkung die Umkehr der Kapitalströme haben kann. Dennoch ist nicht das Szenario einer Währungskrise eingetreten, sondern das einer „klassischen Liquiditätskrise“.[20]
6. Unumstritten ist dagegen, dass der psychologische Impetus der Krise in einem allgemeinen Vertrauensschwund begründet liegt: Als die Hypothekendarlehen massenweise ausfielen, verloren die Banken nicht nur das Vertrauen in die Kreditnehmer, sondern auch das Vertrauen untereinander, weil unklar war, wie viele „faule“ Kredite mit hoher Ausfallwahrscheinlichkeit der andere im Tresor hat. Die Vertrauenskrise dehnte sich über den Interbankenmarkt auf den gesamten Kapitalmarkt aus, bis sie die Realwirtschaft erreichte. Da alle Tauschgeschäfte nur auf der Grundlage von Vertrauen in die Erbringung einer Gegenleistung funktionieren, hemmt der Vertrauensverlust in mehrfacher Hinsicht: Makroökonomisch gesprochen schwindet das Systemvertrauen und – in Deutschland aus historischen Gründen ein Problem – das Vertrauen in die Geldwertstabilität. Mikroökonomisch gesehen führt das Misstrauen der Banken gegenüber den einzelnen Kreditnehmern zu einer „Kreditklemme“, die Investitionen auf der Unternehmerseite und Konsum auf der Verbraucherseite verhindert.[21]

Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, der Vertrauensverlust Auswirkungen auf die Finanzmärkte und die reale Wirtschaft hat, die der Rückkopplung einer Lautsprecheranlage gleichen: Bei Übersteuerung kommt es zu Überlagerungs- und Verstärkungseffekten, die möglicherweise in eine Systemkrise münden.[22]

Abb. 1: Rückkopplungseffekte durch Vertrauensverlust

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Krugman 2009, S. 110.

2.2 Verlauf

Die internationale Finanzkrise war zu Beginn eine national begrenzte Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten. Nachdem die Spekulationsblase um die überbewerteten IT-Unternehmen der New Economy 2000 geplatzt war und viele viel Geld an Börse verloren hatten, wechselten die Kapitalanleger zu scheinbar sicheren Immobilien. Bau und Verkauf realisierten die Investoren über verbriefte Hypothekenkredite. FED und US-Regierung unterstützten den amerikanischen Traum vom eigenen Haus nach Kräften, indem sie die Zinsen niedrig hielten und die staatlich festgelegten Obergrenzen bei Hypothekenkrediten abschafften.

Das maßgebliche Finanzierungsinstrument dieses Immobilienbooms nach der Jahrtausendwende waren die verbrieften Hypothekenkredite, im Englischen: Mortgage Backed Securities (MBS). Dabei kauften Investmentbanken den regionalen Banken und Hypothekenbanken Immobilienkredite ab und fassten sie zu neuen Anlageinstrumenten zusammen. Die MBS wandelte man anschließend in so genannte Collateralised Mortgage Obligations (CMO) um, die wiederum an Kunden verkauft wurden. Dadurch entstand ein Kaskadensystem von Risikoabwälzungen, dessen Restrisiken letztlich der Käufer dieser Finanzprodukte trug. Käufer der auf diese Weise zu Wertpapieren transformierten Hypothekenkredite waren in der Regel Investment-, Hedge- und Pensionsfonds sowie Versicherungen.[23] Die Bonitätsprüfung der Wertpapiere übernahmen die Rating-Agenturen, wobei es zu eklatanten Fehlbewertungen kam. Aufgrund der Überbewertungen wurde die Kreditvergabe auch auf Darlehensnehmer ausgeweitet, die über keine ausreichende Bonität, ein für den Schuldendienst zu geringes Einkommen oder Eigenkapital verfügten und deshalb mit der Note „Subprime“ bewertet wurden. Rund die Hälfte aller Anleihen zur Finanzierung von Hypotheken – rd.2.400 Mrd.US-Dollar – gaben die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac aus. Fannie Mae entstand 1938 im Rahmen des New Deal der US-Administration unter Franklin D. Roosevelt als staatseigene Bank, Freddie Mac wurde 1970 als Konkurrenzunternehmen gegründet, nachdem man Fannie Mae 1968 privatisiert hatte. Beide Unternehmen wurden staatlich subventioniert, erhielten deshalb hervorragende Bonitätsbewertungen und konnten sich zu günstigen Konditionen auf dem Kreditmarkt refinanzieren. Auf dem Höhepunkt der Krise in Amerika im September 2008 wiesen sie einen Jahresverlust von 14 Mrd. US-Dollar aus und wurden von der Regierung verstaatlicht.[24]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Kurssturz der US-Hypothekenbanken 2007 bis 2008

Quelle: http://www.faz.net (September 2009).

Als Auslöser der Subprime-Krise gilt der schnelle Anstieg kurzfristiger Zinsen. In der Folge konnten Hausbesitzer im Subprime-Markt ihre Kredite nicht mehr bedienen. Es häuften sich Kreditausfälle, Pfändungen und Zwangsversteigerungen. Immobilienpreise sanken in den Keller. Die Blase am Immobilienmarkt platzte und zog die Investoren mit in den Strudel des Untergangs.[25]

Von 2007 zu 2008 wandelte sich die US-amerikanische Immobilienkrise zu einer weltweiten Bankenkrise. Die außerbilanziellen Zweckgesellschaften, die das Subprimegeschäft abgewickelt hatten, realisierten hohe Verluste. Bereits im Frühjahr 2007 geriet der führende Spezialist für Subprime-Kredite, New Century Financial, in finanzielle Schwierigkeiten. Wenige Monate später wurden hohe Verluste von Hedge-Fonds der schweizerischen Großbank UBS und der amerikanischen Investmentbank Bears Sterns bekannt. Nach dem Rekordhoch des Deutschen Aktionsindex im Juli 2007 erreichte die Subprime-Krise schließlich auch Deutschland. Es stellte sich heraus, dass insbesondere die deutschen Landesbanken, deren eigentliche Aufgabe die Mittelstandsförderung ist, am Subprime-Geschäft beteiligt waren.[26]

Das große Bankensterben setzte 2008 ein, als 83 Banken in Konkurs gingen, übernommen oder verstaatlicht worden sind. Die Insolvenz von Lehman Brothers – eine der größten Investmentbanken der Welt – im September 2008 löste ein wahres Erdbeben in der Bankenlandschaft aus. Das Bilanzvolumen der Bank bezifferte sich noch im Jahre 2006 auf 504 Mrd. US-Dollar bei einer Eigenkapitalrendite von 33 Prozent. Alle Beobachter waren davon ausgegangen, dass sie systemrelevant sei – „too big to fail“ wie die englische Rechtfertigungsformel für den Markteingriff des Staates lautet – und deshalb vom Staat gerettet werden müsse. Ihre Pleite erschütterte die Tektonik der Kapitalmärkte deshalb so stark, dass der Interbankenhandel praktisch zum Erliegen kam. Die Zentralbanken übernahmen in dieser kritischen Situation die Abwicklung des Kreditverkehrs. Da sich die Banken untereinander misstrauten, horten und liehen sie ihr Geld zu niedrigen Zinsen bei der Zentralbank, wo sich die Geldbestände aufstauten. Auf die Pleitewelle im Finanzsektor, die im Falle Islands ganze Staaten mit sich riss, reagierte die Staatenwelt von den USA über Großbritannien bis Deutschland mit Teilverstaatlichungen und Vollverstaatlichungen von Bankhäusern.[27]

Abb. 3: Entstehung der Finanzkrise von der Hypothek zum Wertpapier Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://www.bundesfinanzministerium.de (September 2009).

2.3 Auswirkungen

Die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Weltwirtschaft sind kaum zu überschätzen. Der Internationale Währungsfonds musste die weltweiten Vermögensverluste infolge der Krise immer weiter nach oben korrigieren: Von Januar bis April 2009 erhöhte der IWF seine Schätzung der weltweiten Kreditabschreibungen allein gegen US-amerikanische Gläubiger von 2,2 auf 2,7 Billionen US-Dollar. Bis 2011 könnte die Finanzkrise weltweit ca. 4 Billionen US-Dollar vernichtet haben, wobei zwei Drittel der Vermögensverluste von Bankhäusern geschultert werden müssen.[28]

Diese gigantische Kapitalvernichtung hat die Weltwirtschaft in die tiefste Rezession seit 80 Jahren geführt. Auch wenn sich die Prognosen im Verlaufe des Jahres 2009 leicht verbessert haben, rechnete der IWF im Sommer immer noch mit einer schrumpfenden Weltwirtschaft: Von 2007 bis 2008 hat sich das globale Wirtschaftswachstum von 5,1 auf 3,1 Prozent verringert, um 2009 voraussichtlich mit -1,4 Prozent einen Negativwert zu erreichen. Bislang galt dem IWF eine Wachstumsrate unter drei Prozent als Rezession. Das Welthandelsvolumen (Güter und Dienstleistungen) wird nach der Vorhersage des IWF in diesem Jahr um 12,2 Prozent zurückgehen. Besonders betroffen sind die exportstarken reifen Volkswirtschaften in Nordamerika, Europa und Asien.[29]

Die USA haben als Ursprungsland der Finanzkrise die wirtschaftlichen Auswirkungen am deutlichsten zu spüren bekommen. Hatten die geringe Sparquote und die hohe Konsumneigung der US-Amerikaner das gefährliche Kreditgeschäft im Vorfeld begünstigt, so verschärfen die kaum vorhandenen Rücklagen die Konsumverweigerung nach der Krise erheblich. Die schwache Binnennachfrage bremst so stark, dass das Bruttosozialprodukt im 4.Quartal 2008 um 6,2 Prozent zurückging und die Arbeitslosigkeit auf 7,6 Prozent anstieg. Milliardenschwere Konjunkturprogramme werden die Staatsverschuldung gemessen am BSP 2009 und 2010 auf Werte treiben, die nur den Kriegsjahren nach 1941 überschritten wurden.[30]

[...]


[1] In den USA ist vielleicht der Investment-Banker George Soros zu nennen, der auch als wissenschaftlich ambitioniert gilt; in Deutschland der Fachhochschulprofessor Max Otte. Siehe Soros 2008; Otte 2009.

[2] Vgl. Storbeck, O.: Volkswirtschaftslehre: Das systemische Versagen der Ökonomen, unter: http://www.handelsblatt.com (6.10.2009).

[3] Stichwort „Krisentheorie“, unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de (7.9.2009).

[4] Vgl. Braunberger/Fehr 2008, S. 143.

[5] Leo A. Nefiodow zit. n. http://www.wirtschaftslexikon24.net (8.9.2009).

[6] Schumpeter 1997, S. 332.

[7] Schumpeter 1950, S. 138.

[8] So die reißerischen Buchtitel von Schäfer 2009; Sinn 2009a.

[9] Kuzin/Hillebrand 2009, S. 622ff.

[10] Vgl. Bloss 2009; Krugman 2009; Sinn 2009a; Welfens 2009.

[11] Vgl. Gärtner 2009; Paul 2008b; Rudolph 2009.

[12] Siehe z.B. die populärwissenschaftlichen Darstellungen von Beise 2009; Hank 2009; Schäfer 2009; Wörl 2009.

[13] Soros 2008, S. VII.

[14] Vgl. Schäfer 2009, S. 39ff.

[15] Vgl. Kösters/Schmidt 2008, S. 20ff.

[16] Vgl. Gassen 2009, S. 83ff.

[17] Kirchner 2009, S. 459.

[18] Vgl. Kaserer 2008, S. 4.

[19] Vgl. Kazim, H.: Rating-Agenturen. Die böse Macht der Krisen-Katalysatoren, unter: http://www.spiegel.de (13.8.2007).

[20] Winkler 2008, S. 729.

[21] Vgl. Sell/Wiens 2009, S. 526ff.

[22] Vgl. Krugman 2009, S. 110f.

[23] Vgl. Bloss 2009, S. 17.

[24] Vgl. Nienhaus, L.: Die Geschichte von Fannie und Freddie. Zwei alte Giganten, unter: http://www.faz.net (7.9.2008); vgl. auch Tigges, C. (2008): Amerika verstaatlicht Freddie und Fannie, unter: http://www.faz.net (8.9.2008).

[25] Vgl. Neubäumer 2008, S. 736.

[26] Vgl. Braunberger/Fehr 2008, S. 135ff.

[27] Vgl. Sinn 2009a, S. 70ff.

[28] Vgl. IMF 2009a, S. XV.

[29] Vgl. IMF 2009b.

[30] Vgl. Wagner 2009, S. 7.

Excerpt out of 50 pages

Details

Title
Staatliche und private Ansätze zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise
College
German University of Administrative Sciences Speyer  (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, nationale und internationale Wirtschaftspolitik)
Grade
13 Punkte
Author
Year
2009
Pages
50
Catalog Number
V141601
ISBN (eBook)
9783640559305
ISBN (Book)
9783640559046
File size
1568 KB
Language
German
Notes
benotet nach dem juristischen Bewertungssystem (13 Pkte = gut)
Keywords
Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Krisenbewältigung, Krisenüberwindung, Thema Finanzkrise
Quote paper
Dr. Christian Schwießelmann (Author), 2009, Staatliche und private Ansätze zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141601

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