Kinder zwischen "Stubenhocken" und Straßenspiel: Wann spielen Kinder draußen?


Dossier / Travail, 2004

18 Pages, Note: erfreuliche Leistung


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Das außerhäusliche Territorium
2.1 Welche Räume umfasst das außerhäusliche Territorium?
2.2 Wann wird die Wohnumgebung genutzt bzw. nicht genutzt?

3. Stubenhocker und Fernsehgucker?

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die ökologische Psychologie setzt sich mit den Mensch-Umwelt-Beziehungen auseinander. Sie wirft sowohl die Frage auf, inwiefern der Mensch seine Umwelt beeinflusst, als auch, welchen Einfluss die Umwelt auf den Menschen ausübt. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den Bereich der Kindheit und erörtert durch den Vergleich empirischer Untersuchungen die Frage, inwieweit die Wohnumgebung Einfluss darauf hat, ob ein Kind außerhäusliche Plätze aufsucht oder sich eher im Hause aufhält und inwiefern das Aufsuchen des einen Ortes den anderen Ort ausschließt, das heißt, ob die Anzahl der innerhäuslichen Tätigkeiten wie das Fernsehgucken mit der Häufigkeit außerhäuslichen Spielens negativ korreliert.

Zwar ist das Gedeihen und Heranwachsen von Kindern nicht ausschließlich von der Wohnumgebung abhängig, sondern zusätzlich von Faktoren wie Erziehung, sozialer Status, geschlechtsspezifische Unterschiede usw., doch prägt der Lebensraum der Kinder nicht unerheblich ihre Entwicklung. So sieht Nissen die Umgebung der Kinder nicht als reinen Aufenthalts- und Spielort, sondern als einen Ort, an dem sich Kinder „Gesellschaft aneignen, sich mit Gesellschaft auseinandersetzen“ (1997, S. 174). Die Umwelt hat gleichzeitig eine räumliche und eine soziale Funktion (Nissen 1997, S. 176). Insofern wirkt ein Spielraum nicht nur für den Augenblick, sondern er begleitet und formt das Kind.

Zu Beginn wird aufgezeigt, was der außerhäusliche Spielraum von Kindern, der „home range“ (Flade 1993), darstellt und welche Räume er umfasst. Unter welchen Bedingungen wird er aufgesucht bzw. nicht aufgesucht und inwiefern ist er für die kindliche Entwicklung wichtig?

Der innerhäusliche Tätigkeitsbereich des Kindes umfasst unter anderem das Fernsehen. Im zweiten Teil der Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, von welchen Faktoren die Häufigkeit und die Ausdauer des Fernsehguckens abhängen, und wozu erhöhter Fernsehkonsum führt. Macht er aus Kindern „Stubenhocker“?

2. Der außerhäusliche Territorium

Bevor ich auf die konkreten außerhäuslichen Spielräume eingehen und mögliche Gründe für ein Aufsuchen bzw. Nicht-Aufsuchen aufzeigen werde, soll dargelegt werden, wozu der Spielraum dient, welche Funktionen er hat.

Der Spielraum bzw. das Territorium des Kindes erstreckt sich von der Wohnung, der näheren Wohnumgebung bis hin - mit zunehmendem Alter - zu öffentlichen Plätzen. Im Unterschied zum personal space besteht eine kontinuierliche Verbindung zwischen dem Kind und dem Raum, auch außerhalb der Zeiten, in denen das Kind den Raum aufsucht. Diese Verbindung führt zu einer Ortsidentität. Das heißt, das Kind oder die Person identifiziert sich mit dem Gebiet, dem Spielraum, den es aufsucht, wobei die Ortsidentität der Aufrechterhaltung der eigenen Identität dient (Miller, 1990, S. 334-335).

Weiterhin führt die Raumaneignung zur Umweltkontrolle. Wer über ein Territorium verfügt, hat eine Kontrolle über den Zugang zu seinem Raum. Das heißt, er kann bestimmen, mit wem und wann er interpersonale Kontakte haben möchte (Silbereisen & Noack, 1990, S. 380). Es kommt zu einer engen „Verknüpfung des mit Privatheit bezeichneten Zustands der Umweltkontrolle mit einer positiven Selbstbewertung“ (Silbereisen & Noack, 1990, S. 380).

Umweltaneignung steht in Zusammenhang mit Kontrolle, mit Identität und Selbstbewertung. Diese Prozesse setzen ein Lernen voraus. Was Kinder in ihrer Wohnumgebung lernen, steht in Abhängigkeit zu den Angeboten dieser Umgebung (Dippelhofer-Stiem, 1995, S. 145). Kindgerechte Erlebniswelten können ein breiteres Spektrum an kindlichen Erfahrungsräumen bieten, jedoch sind Kinder auch in der Lage, Räume für sich umzustrukturieren. So schreibt Dippelhofer-Stiem weiter, dass Kinder es schaffen, „selbst monotone Wohnblocksiedlungen am Stadtrand ‚umzuleben‘“ (1995, S. 145). Allerdings ist meines Erachtens zu bezweifeln, dass sich ein nicht-kindgerechter Spielraum auf Dauer positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken wird. Dies belegen auch die unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse zum Thema Langeweile auf der Straße. Rauschenbach und Wehland fanden heraus, dass Langeweile mit den gegebenen Spielmöglichkeiten korreliert, und dass bei Großstadtkindern die Langeweile auf der Straße größer ist als bei Dorfkindern (1989, S. 123, S. 129- 130). Doch auch Dippelhofer-Stiem räumt ein, dass in monotonen Wohnblocksiedlungen „nicht jene Bandbreite von Erfahrungen“ (1995, S. 145) gemacht werden kann.

Rauschenbach und Wehland schreiben positiven Erfahrungsräumen eine Förderung der Autonomie zu, während negative Erfahrungsräume die eigene Ohnmacht mitteilen und implantieren. (1989, S. 28). Gerade deshalb kommt den Erlebensräumen außerhalb des Hauses ein hoher Stellenwert zu, der Einfluss auf die Einstellungen und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung auch im späteren Erwachsenen-Dasein hat. Die Räume der Kindheit wirken nicht nur zeitlich punktuell und begrenzt, sondern weitreichend, lebenslang.

Die Wohnumgebung ist also keineswegs lediglich ein objektiv materieller Raum, sondern er „ist subjektiv wahrgenommener und angeeigneter Erfahrungsraum“ (Nissen, 1998, S. 175) Raumaneignung schließt „die Verarbeitung der in ihnen enthaltenen Interessenkonflikte“ (Nissen, 1998, S. 175) mit ein.

2.1 Welche Räume umfasst das außerhäusliche Territorium?

Der Streif- und Spielraum von Kindern umfasst die nähere und weitere Umgebung des Kindes, in dem es sich aufhält. Hierbei bezeichnet der Spielraum das Territorium, das von dem Kind genauestens gekannt wird, wo es sich auskennt. Der Streifraum ist das Gebiet, durch das es streift, um neue Erfahrungen zu sammeln, das ihm jedoch nicht so vertraut ist wie der Spielraum (Flade, 1990, S. 359).

Wenn Kinder eines bestimmten Viertels ihren Streif- und Spielraum erweitern, so kann das mit nicht hinreichend gegebenen Möglichkeiten zum Spielen und Entdecken in der eigenen Wohnumgebung zusammenhängen (Flade, 1990, S. 360-361).

Flade bezeichnet unter Rückgriff auf van Vliet (1983) und Anderson und Tindall (1972) den Streif- und Spielraum als „home-range“, wobei die Betonung der Definition auf „Selbständigkeit“ und „Eigeninitiative“ liegt, das heißt, der home range umfasst den Wohnumgebungsbereich, der von den Kindern selbständig aufgesucht wird, ohne dass vorher ein Erwachsener um Erlaubnis gefragt werden muss. Ein wichtiges Merkmal des home ranges ist, dass er sich mit zunehmendem Alter des Kindes ausdehnt (Flade, 1993, S. 185-186).

Konkrete Aufenthaltsorte des Kindes sind die Straße und der Spielplatz. Die Straße übernimmt hierbei auch heute noch, trotz oftmals enger Bebauung und hohem Verkehrsaufkommens, eine wichtige Sozialisationsfunktion ein (Dippelhofer-Stiem, 1995, S. 116-117).

Nissen betont, indem sie eine Studie von Zeiher heranzieht, die Autonomie der Kinder aufgrund von „Verinselungen“. Denn das feste soziale Gefüge, das innerhalb des home ranges besteht, wird durch eine eigene Auswahl, eigene Bestimmungen ersetzt. „Verinselung“ bedeutet, dass der einheitlich wachsende home range durch zum Teil weit auseinander gerissene Spielräume ersetzt wird, so dass kein geschlossenes Gebiet zur Verfügung steht, sondern einzelne „Inseln“. Abgesehen von der Ausbildung einer individuellen Autonomie sind die eher negativen Folgen dieser Lebensweise, dass Zwischenräume nicht mehr erlebt werden und Spontaneität zugunsten von Planung zum Aufsuchen der Inseln zurücktritt (Nissen, 1998, S. 167-168). Außerdem sind diese Inseln oftmals nur unter Zuhilfenahme der Fahrdienste der Eltern aufzusuchen, sodass in diesem Bereich keine Autonomie erwirtschaftet werden kann.

Auch Flade geht mit Bezug auf Zeiher auf die „Verinselung“ ein und konstatiert, dass die selbständige, sukzessive Ausdehnung des home ranges verloren geht, und das Spielen, laut Heckhausen unter anderem durch Ungewissheit ausgezeichnet, findet nicht mehr statt, denn die Einhaltung dieser Inselbesuche setzt Planung und Zielsetzung voraus (Flade, 1993, S. 189-190).

Nissen unterscheidet außerdem zwischen öffentlichen Freiräumen (Grünflächen, Parks, Spielplätze, Straßenraum) und institutionalisiertem öffentlichen Raum (Sportanlagen, Vereine, Schulen, Kirchen...)(1998, S.170). Kennzeichen dieser „institutionalisierten“ Räume „sind feste Termine, ein festgelegter zeitlicher Umfang, eine gewisse Verbindlichkeit (z. B. durch Anmeldung oder Gebühren) sowie die Existenz bestimmter gesellschaftlicher bzw. von den anbietenden Institutionen gesetzter Normen“ (1998, S. 168). Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verhäuslichung“ der Kindheit (Nissen, 1998, S. 168). Außerdem ist zu bemerken, dass die Kinder in den Vereinen weiterhin unter Aufsicht Erwachsener stehen. Die Möglichkeit, eigene kindliche Erfahrungen außerhalb der Kontrolle der Erwachsenenwelt zu sammeln, ist somit nicht gegeben.

So schreiben Rauschenbach und Wehland, dass die Funktionsräume den Kindern die Möglichkeit der eigenen Erfahrungssuche abnehmen. Es geht hierbei um eine „Zerstückelung und Entsinnlichung der Raumerfahrung“ (1989, S. 18). Allerdings betonen auch sie, dass Kinder durch Institutionalisierungen an neuen „Verfügungsmöglichkeiten und Potentialen für Selbsttätigkeiten“ (1989, S. 18) teilhaben.

Und auch Nissen hält fest, dass sich Kinder durch die „Inseln“ auf die Handlungsund Denkstrukturen vorbereiten, mit denen sie im Erwachsenenalter zu agieren haben werden (1998, S. 168). Insofern stellt der Besuch institutionalisierter öffentlicher Räume oft die Weichen für die Richtung der Zukunft, der späteren beruflichen Aussicht (Nissen, 1998, S. 185), das heißt, dass der Einfluss des Freizeitbereiches mit seiner „sinn- und statusverleihenden Bedeutung“ (Nissen, 1998, S. 185) auf die kindliche Entwicklung immer größer wird.

Allerdings betont Nissen, dass Kindheit auch heute nicht ausschließlich „verinselt“ und „verhäuslicht“ ist, dass „Straße“ weiterhin eine wichtige Rolle spielt.

Rauschenbach und Wehler fanden heraus, dass es im Kiez und auf dem Dorf im Vergleich zu anderen Stadtgebieten einen hohen Anteil Kinder gibt, die an keinen Nachmittagsveranstaltungen teilnehmen (1989, S. 128). Ob diese Kinder sich später durch berufliche Qualifikationen unterscheiden, wäre ein interessanter Untersuchungsansatz.

[...]

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Kinder zwischen "Stubenhocken" und Straßenspiel: Wann spielen Kinder draußen?
Université
University of Hagen
Cours
Räumliches Verhalten
Note
erfreuliche Leistung
Auteur
Année
2004
Pages
18
N° de catalogue
V141710
ISBN (ebook)
9783640506538
ISBN (Livre)
9783640506361
Taille d'un fichier
425 KB
Langue
allemand
Mots clés
Mensch-Umwelt-Beziehungen, Einfluss der Wohnumgebung, außerhäuslicher Spielraum, kindliche Entwicklung
Citation du texte
Petra Brüning (Auteur), 2004, Kinder zwischen "Stubenhocken" und Straßenspiel: Wann spielen Kinder draußen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141710

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