"Lebende Bilder" in Pasolinis "La Ricotta"


Term Paper, 2009

17 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2 . Lebende Bilder im Film allgemein

3. Lebende Bilder im Film
3.1 Lebende Bilder im Film im Allgemeinen
3.2 Lebende Bilder in La Ricotta
3.1.1 Zum Film
3.2.2 Die farbigen Tableaux vivants
3.2.3 Vorbild Manierismus
3.2.4 Weitere Lebende Bilder
3.2.5 Zeitraffer als Kontrastmittel

4. Der Aspekt des Todes

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es ist schon eine schöne Beschäftigung sein Wochenende in einer Ausstellung alter Meister zu verbringen. Ganz so wie es immer gepredigt wird, wirken Gemälde in Natura tatsächlich ganz anders als ihre Kopien in Büchern. Man erkennt die reale Größe, die realen Farben und mit etwas Glück sogar die Pinselführung des Künstlers. Das ganze Kunstwerk wird viel realer. Es gibt aber noch eine Steigerung des Wirklichkeitscharakters von Bildern in Tableaux vivantsLebenden Bildern. Dabei wird das Bild aus seiner Zweidimensionalität gerissen und schreitet mit Hilfe von lebendigen Personen tatsächlich in die Wirklichkeit. Gemälde werden möglichst detailgetreu und bewegungslos nachgestellt. Besonders in der Goethezeit war dieser Zeitvertreib sehr beliebt. Schönheit und Anmut sollten vermittelt werden[1], und die Grenzen zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt wurden spielerisch verwischt.

Wieso aber greift ein Filmemacher des zwanzigsten Jahrhunderts auf die Darstellung lebender, aber trotzdem statischer, Bilder inmitten eines bewegten Filmes zurück? Eben das tat Pasolini 1963 in seinem dritten Film La Ricotta. Dreimal wird der schwarz-weiße Handlungsverlauf von cholorierten, statischen Bildern, die einen sehr starken Kontrast zum restlichen Film darstellen, unterbrochen. Steht auch hier die Darstellung des Schönen im Vordergrund oder handelt es sich nur um Effekthascherei, um Farbtupfer in farbloser Umgebung?

Diese Hausarbeit stellt sich der Frage nach der Funktion der lebenden Bilder in La Ricotta. Dafür werden zunächst einige allgemeine Anmerkungen zum Thema Tableaux vivants gemacht, bevor nach Blick auf die Vorbilder des Regisseurs Pasolini ein Versuch erfolgt die Stellung und Funktion der lebenden Bilder im vorliegenden Film zu verstehen.

2. Lebende Bilder im Film allgemein

Allgemein gefasst handelt es sich [bei lebenden Bildern] um eine Bilddarstellung, die lebende Personen ausführen: ein dreidimensionales Bild, das von einer Personengruppe für kurze Zeit bewegungs- und wortlos gestellt und von anderen durch Betrachtung rezipiert wird.[2]

Das wurde zunächst in Umzügen der italienischen Festkultur des fünfzehnten Jahrhunderts, die künstlerische Gestaltungsprinzipien aufgriffen, betrieben. Später wurde das Prinzip dann in Form von Attitüden, also Tänzen, bei denen die Tänzerin von einer tradierten Pose in die nächste fiel, weitergeführt und in der Goethezeit endlich in Form von Lebende Bilder wie wir sie uns heute vorstellen. Im neunzehnten Jahrhundert wurden Tableaux vivants bevorzugt im Variété-Wesen als Anlaß, Nackte zu zeigen[3] genutzt. Aber auch zu Festzüge[n], Jubiläums- und Gedenkfeiern“[4] waren sie zu sehen. Man legte Wert auf „akkurate Wiedergabe der Kostüme und Farbe[n].“[5] Zur Steigerung der emotionalen Wirkung bediente man sich auch der Musik.[6] Nach diesen Anfängen um 1850 traten Lebende Bilder eine Zeit lang nur noch als „dubios[e] Grenzerscheinung[en]“[7] auf. So versuchten sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts z.B. Turnervereine an Posen aus der Malerei.[8]

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts „mit dem erneuten Interesse an figürlichen Ausdrucksformen“[9] wurden die lebenden Bilder wiederentdeckt. Merkmale dieser sind nach obiger Definition: 1. Ein Bild wird durch 2. lebendige, dreidimensionale, 3. bewegungslose Personen 4. vor Betrachtern nachgestellt. An allen Entwicklungsstadien bis hin zur Goethezeit kann man diese Merkmale weitestgehend nachvollziehen. Beim Schritt in die Fotografie in den 60`er Jahren des 19. Jahrhunderts wird es mit den Punkten zwei und vier allerdings schwierig, denn Dreidimensionalität und somit Unmittelbarkeit kann eine Fotografie nicht bieten und auch die Betrachter sind im Moment der Aufnahme nicht zugegen. Damit verändert sich das Verhältnis zwischen Betrachtetem und Betrachter grundlegend. Die Fotografen versuchten mit der Orientierung an Vorbildern aus der Malerei das skeptische Publikum zu besänftigen. Teilweise war es schwierig zu entscheiden, ob ein Bild ein lebendes Bild zeigte oder nicht, da auch das Foto einer ausgearbeiteten Pose wie ein lebendes Bild wirken kann, ohne ein Vorbild nachzustellen.[10]

Das wurde beim Schritt in das Medium der bewegten Bilder deutlicher, da Tableaux vivants hier aus dem filmischen Ablauf herausstechen. Sie machten das neue Medium für die Betrachter wohlmöglich leichter verdaulich, durch die Anregung vertrauter Sehgewohnheiten. Dieselben Kriterien die bei einem fotografierten Lebenden Bild kritisch waren, zeigen sich allerdings auch hier, dazu kommt aber noch die Bewegtheit des Filmes an sich, die nun auch Punkt drei fragwürdig macht. Damit ist als einziges Kriterium das Vorbild, das nachgestellt wird, übrig. Kann also im Film überhaupt noch vom lebenden Bild gesprochen werden?

3. Lebende Bilder im Film

Nachdem nun grundlegende Fragen zum Thema lebende Bilder geklärt sind, ist es Zeit sich diesem Phänomen konkret im Film zu widmen. Dazu zunächst allgemeine Bemerkungen zu lebenden Bildern im Film und dann endlich die Besonderheiten von Pasolinis Versionen in La Ricotta.

3.1 Lebende Bilder im Film im Allgemeinen

Im Film fallen zwar, wie bereits erläutert, bestimmte Kriterien eines lebenden Bildes weg, dafür kommen neue Elemente der Bildverlebendigung zum Zug. So steht das Tableaux vivant hier nicht für sich, sondern wird durch die Einbindung in einen Handlungsraum zusätzlich verlebendigt.[11] Das wird sehr deutlich bei theatralen Tableaux vivants, wie Joanna Barck sie nennt, die ohne Markierung in den Handlungsverlauf eingebunden sind, und somit den Punkt des Stillstandes nicht erfüllen. Die Figur streift, ähnlich einer Attitüdentänzerin nur kurz an der Haltung der Figur, die sie darstellt, vorbei, wodurch das, was nachgestellt wird, in Bewegung gerät. Anders ist es beim solitären Tableaux vivant, „das eine eingefrorene Szene nach einem Gemälde verkörpert.“[12] Dabei wird der Handlungsstrang gewöhnlich durchbrochen und bildet eine Art bewegten Rahmen um das unbewegte lebende Bild. So wird das Tableaux vivant natürlich nicht direkt durch Bewegung verlebendigt, aber durch seinen semantischen Bezug zum Handlungsstrang, der ihm ein Vorher und ein Nachher gibt, kommt trotzdem ein Aspekt des Bewegten, Lebendigen hinzu, den ein außerfimlisches Tableaux vivant nicht bieten kann.

In Pasolinis Film handelt es sich um ebensolche vom Rest des Films markant getrennten lebenden Bilder. Wobei diese Abgrenzung nur beim Abspielen der Filmrolle sichtbar wird, da ein Film ja genau genommen nur aus unbewegten Bildern besteht, die mit einer Abspielfrequenz von fünfundzwanzig Bildern pro Sekunde zum Leben erwecken, weil das Auge zu träge ist die Einzelbilder zuzuordnen. Sie werden also durch Abfolge und Bewegung belebt, eben die Eigenschaft, die einem Lebenden Bild aberkannt wird. Es entsteht so eine Dynamik zwischen Bewegung und Bewegungslosigkeit, die die „gespannte Situation des Zuschauers wider[spiegelt], der auf die Auflösung der stillgestellten Szene [oder eben das Anhalten des bewegten Filmes], das heißt auf die Bewegung [oder entsprechend den Stillstand] hin drängt.“[13] Es findet sich also eine ähnlich gesteigerte Anteilnahme und Gegenwärtigkeit zum filmischen Tableuax vivants wie zum ursprünglichen Goehteschen der Wahlverwandschaften, bei dem die Darstellerin des getadelten Mädchens der Väterlichen Ermahnung Gerard Teborchs von einem Zuschauer aufgefordert wird: tournez s’il vous plaît - bitte wenden. Dieser Effekt der Unmittelbarkeit ist ein deutliches Resultat der Verschmelzung von Realitätsebenen, denn „das labile Gleichgewicht der Tableaux vivants [kann] nur in der Vakanz zwischen Nähe und Ferne zum Original gehalten werden“[14]. Würde ein Lebendes Bild genauso unbelebt und ungreifbar wie ein Gemälde wirken, würde es den ihm eigenen Reiz verlieren. In gleicher Weise muss aber deutlich bleiben, dass ein unbelebtes Bild nachgestellt wird, da sich dem Zuschauer sonst nur eine bedeutungsarme Anordnung von Menschen präsentieren würde.

Dieses Gleichgewicht muss natürlich auch im Film gehalten werden. Das Filmbild an sich ist ein Festhalten der Realität und dessen technische Wiederbelebung, während ein Tableaux vivant im Film ein unbelebtes Gemälde in die Realität holt, das dann durch das Festhalten auf einer Filmrolle wieder angehalten wird, um bei der Vorführung technisch wiederbelebt zu werden. Ein filmisches lebendes Bild wird also doppelt verlebendigt. „Damit gerät der Realitätsbezug der Darstellung in eine unauflösliche Paradoxie“[15] viel stärker als bei einem normalen Tableaux vivant.

3.2 Lebende Bilder in La Ricotta

Nach diesen ersten Überlegungen zum Lebenden Bild im Film wendet sich dieser Abschnitt nun konkret den Lebenden Bildern in La Ricotta zu. Um deren Stellung im Handlungsverlauf besser nachvollziehen zu können, folgt zuerst eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse im Film.

3.1.1 Zum Film

La Ricotta wurde 1963 gedreht. Er handelt von dem Dreh eines Christusfilms, bei dem der Darsteller des guten Schächers am Ende vor den Augen der Geldgeber der Produktion am Kreuz stirbt. Er hat seine Nahrungsration seiner Familie gegeben und eine weitere, die er sich in einem Frauenkostüm ergaunert hat, hat ihm der Hund der Mariadarstellerin wegefressen. Diesen Hund verkauft er dann allerdings an einen Journalisten und besorgt sich davon ein großes Stück Ricotta, an dem er sich überfrisst und an der unbequemen Stellung am Kreuz zu Grunde geht. Ausschlaggebend erscheint dabei auch die nochmalige Abnahme des Kreuzes, an dem er schon festgebunden ist, zu sein. Die Mariadarstellerin will nämlich, dass ihre Szene zuerst gefilmt wird, weshalb die Kreuze kurz zur Seite gelegt werden, ohne dass sich jemand darum kümmert, dass die Nabendarsteller schon darangebunden sind.

Neben Stracci wird allerdings auch der innerfilmische Regisseur, der von Orson Welles gespielt wird, zur Hauptperson. Er bestimmt über den Film im Film und stellt am Ende auch Straccis Tod und dessen unwürdige Umstände fest. Nebenbei bemerkt: Von vielen Interpreten wird angenommen, dass Welles die Darstellung Pasolinis seiner selbst verkörpert. Er liest z.B. ein Gedicht Pasolinis vor, das im nächsten Abschnitt noch kurz erwähnt wird.

[...]


[1] JOOS, Birgit: Lebende Bilder. Köperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit, Berlin 1999, S. 264.

[2] Lebende Bilder, S. 19.

[3] Vgl. Lebende Bilder, S. 259-260.

[4] Ebd., S. 262.

[5] BARCK, Joanna: Hin zum Film – Zurück zu den Bildern. Tableaux Vivants: >>Lebende Bilder<< in Filmen von Antamoro, Korda, Visconti und Pasolini, Bielefeld 2008, S. 98.

[6] Vgl. Ebd., S. 198.

[7] Ebd., S. 12.

[8] Vgl. Lebende Bider, S. 263.

[9] Ebd., S. 266.

[10] Vgl. Lebende Bilder, S. 265.

[11] Vgl. Ebd., S. 269.

[12] Hin zum Film, S. 55.

[13] Hin zum Film, S. 47.

[14] Ebd., S. 34.

[15] Lebende Bilder, S. 271.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
"Lebende Bilder" in Pasolinis "La Ricotta"
College
http://www.uni-jena.de/  (Kunsthistorisches Seminar)
Course
Lebende Bilder
Grade
1,0
Author
Year
2009
Pages
17
Catalog Number
V141978
ISBN (eBook)
9783640499595
ISBN (Book)
9783640499441
File size
433 KB
Language
German
Keywords
Lebende Bilder, Tableaux Vivants, Pasolini, La Ricotta
Quote paper
Romy Knobel (Author), 2009, "Lebende Bilder" in Pasolinis "La Ricotta", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141978

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