Die Gleichursprünglichkeit von Demokratie und Menschenrechten bei Jürgen Habermas


Dossier / Travail de Séminaire, 2009

21 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung: Moralische und politische Konzeptionen der Menschenrechte

II. Politische Begründung der Menschenrechte und Demokratie
II.II. Exkurs: Das Spannungsverhältnis zwischen Recht und Moral

III. Die Diskurstheorie des Rechts
III.I. Drei normative Modelle der Demokratie
III.II. Das Problem von privater und öffentlicher Autonomie
III.III. Die Krise der staatlichen Souveränität

IV. Weltweite Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie
IV.I. Exkurs: Immanuel Kants Idee der Weltrepublik
IV.II. Habermas über die Zukunft

V. Bibliografie

I. Einleitung: Moralische und politische Konzeptionen der Menschenrechte

Eine Möglichkeit, Menschenrechte zu begründen, stellt die Angabe von moralischen Gründen dar.[1] Man kann dabei von der in einer Gesellschaft bestehenden und geltenden Moral im Sinne der das soziale Leben regulierenden Normen, oder auch von einer gebotenen Moral im Sinne moralischer Forderungen an den Menschen ausgehen. Die erste Vorgehensweise ist problematisch dadurch, dass die Menschenrechte in verschiedenen Kulturen unterschiedlich definiert werden. Die Brisanz dieser Lesart äußert sich in der seit mehreren Jahren anhaltenden Debatte um den so genannten Essentialismus, d.h. um die Frage danach, ob Menschenrechte westlicher Ausprägung mit ihrem universalistischen Charakter in Bezug auf menschliche Bedürfnisse und Fähigkeiten ohne Rücksicht auf bestehende lokale Traditionen übertragen werden dürfen.[2] Auf der anderen Seite lässt sich argumentieren, dass es trotz kultureller Unterschiede eine „objektive“ Moral bzw. einen moralischen Konsens unter den Völkern gibt bzw. geben soll: Es kann sich hierbei um die faktisch gegebene Moral oder um die beispielsweise durch die Weltreligionen mit ihrem universalistischen Wertbegriff postulierte Moral handeln.[3]

Bei der moralischen und politischen Konzeption handelt es sich jeweils um verschiedene Grundbegriffe: Im ersten Fall geht es um gleiche moralische Achtung und im zweiten Fall um freie politische Selbstbestimmung und Herstellung öffentlicher Verhältnisse. Wohlgemerkt bleibt in den beiden Fällen der normative Grundgedanke derselbe, und zwar die gleiche Berücksichtigung eines jeden Menschen. Das Postulat nach der gleichen Behandlung aller Menschen scheint das Kernstück einer jeden Konzeption der Menschenrechte zu sein, egal ob diese moralisch oder politisch etabliert ist; es ist auch die Verletzung des Gleichheitsprinzips, die als gravierendste Verletzung von Menschenrechten überhaupt gilt. Die Gleichberechtigung und Vergleichbarkeit aller Menschen muss allerdings begründet werden. Problematisch wird es bereits, wenn man zum Beispiel darauf hinweist, dass die Gleichheit in manchen Kulturen negativ konnotiert ist.

Da Menschenrechte in der heutigen Debatte vielfach als normative Gründe für positiv-rechtliche Regelungen angegeben werden, kann man sagen, dass moralische Begründungsversuche an Aktualität nicht verloren haben. John Lockes Rede von universaler Moral gleicher Achtung, die naturrechtlich motiviert ist, erscheint keineswegs obsolet. Es ist zweifelsohne die Universalität der Menschenrechte, die leicht zur moralischen Begründung verleitet – eine politische Konzeption bleibt hingegen immer lokal begrenzt. Nimmt man an, dass alle Menschen aus moralischen Gründen gleichermaßen zu achten sind, und dass die Menschenrechte universal gelten, dann handelt es sich dabei um eine vorpolitische Begründung, bei der wohlgemerkt keine Demokratie als Voraussetzung postuliert wird.

Das systematische Problem des moralischen Arguments besteht darin, dass Menschenrechte und moralische Rechte andere Adressaten haben, da sie jeweils mit anderen Verpflichtungen verbunden sind: Menschenrechte beziehen sich auf Staaten, die ihre Durchsetzung gewährleisten sollen, moralische Rechte wiederum beziehen sich auf Individuen und auf deren Verhalten zueinender. Diese Bemerkung legt nahe, dass die Menschenrechte politisch fundiert werden sollten. In einer politischen Konzeption werden die Ansprüche an die Menschenrechte in und durch die Politik selbst erhoben: Die Menschenrechte haben ihren Ort in der Selbstregierung politischer Gemeinwesen. Die Autoren der Menschenrechte sind dabei anders: Zu ihnen verpflichtet sich nicht das einzelne moralische Subjekt, sondern das kollektive politische Subjekt.[4] Es ist allerdings umstritten, inwiefern man in diesem Fall von Menschenrechten, und nicht von Bürgerrechten sprechen soll, es gehört schließlich zu den Merkmalen der Menschenrechte, dass sie als überrechtlich bzw. als dem gesetzten Recht vorausgehend gedacht werden.[5] Bei Habermas, wie es sich zeigen wird, sind die Grundrechte als positives Recht nicht als bloße Abbildungen moralischer Rechte verstehen: Die Normativität des Politischen wird nicht aus der Moral abgeleitet, weil es in Moral und Politik um unterschiedliche Akteure geht.

Die wichtigste Grundlage für eine jede Debatte um das Thema Menschenrechte bleibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948. In diesem folgenreichen Dokument – das wohlgemerkt nicht als völkerrechtlicher Vertrag verfasst wurde, sondern nur deklaratorisch gedacht war – werden mehrere Merkmale, Bedürfnisse und Ansprüche des Menschen zum Ausdruck gebracht, die teilweise auf sehr starken Annahmen fußen; sie werden nicht näher begründet, sondern als faktisch dargelegt.[6] Eine ganze Reihe von aufgestellten Thesen in Bezug auf die Menschenrechte bedarf indes philosophischer Begründung: Die „angeborene Würde“ des Menschen, die Gleichheit aller Menschen (darunter die Gleichberechtigung von Frau), die Freiheit des Einzelnen, das Verbot der Sklaverei, das ausdrückliche Verbot von Folter, und vor allem das Recht auf demokratische Partizipation an der politischen Willensbildung[7] sind alles andere als selbstverständlich und müssen mit guten Argumenten belegt werden.

In der vorliegenden Arbeit wird der letzte Punkt, das Recht auf demokratische Teilnahme, im Mittelpunkt stehen. Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob und inwiefern die Legitimierung und Durchsetzung der Menschenrechte ohne Demokratie möglich ist. Ist Demokratie Voraussetzung oder Resultat ihrer Beachtung? Kann dem Volk ein Menschenrechtskatalog von einem Souverän bzw. einer supranationalen Instanz auferlegt werden oder muss es vielmehr sich selbst solche Rechte geben? Was wäre dann der Unterschied zwischen Menschen- und Bürgerrechten? Eine auf politisches Verfahren hinauszielende und eng an die Idee der Demokratie geknüpfte Begründung, bei der Menschenrechte nicht primär als moralische, sondern eben als politische Ansprüche verstanden werden, findet sich bei Jürgen Habermas, für den die Menschenrechte und Demokratie als begrifflich miteinander verwoben und gleichursprünglich zu denken sind. Einer kritischen Darstellung des Ansatzes von Habermas muss eine Erläuterung der Diskurstheorie des Rechts vorausgehen. Anschließend wird die Anwendung der Diskurstheorie des Rechts auf das Völkerrecht geprüft die dabei in der Forschung immer häufiger diskutierte Idee einer Weltrepublik als Garant der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte und der Demokratie thematisiert.

II. Politische Begründung der Menschenrechte und Demokratie

Wenn die Menschenrechte ihren Ort in der Selbstregierung politischer Gemeinwesen haben, dann ist deren Erklärung selbst ein Akt demokratischer Praxis. Diese Sichtweise kann zu der Auffassung führen, dass die staatliche Souveränität nur dann völkerrechtlichen Respekt verdient, wenn die staatliche Herrschaft Ausdruck der Selbstregierung einer politischen Gemeinschaft ist. Diese Position wird unter anderem mit dem Argument belegt, dass sich ein freies, d.h. sich selbst regierendes Volk der Menschenrechte nicht alleine berauben wird. An dieser Stelle ist jedoch der Einwand berechtigt, dass sich totalitäre Staaten ebenfalls auf das Prinzip demokratischer Selbstregierung berufen und dabei die Menschenrechte missachtet haben. So können Demokratie und Menschenrechte geradezu entgegengesetzt sein.

Das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie kann auf mehreren Ebenen betrachtet werden. Man kann argumentieren, dass die Menschenrechte vorgängig und „demokratieunabhängig“ sind.[8] Demokratie kann als einer der Inhalte der Menschenrechte (im ideellen Sinne), sowie – wie in der Einleitung angemerkt – als einer der Punkte in einem Menschenrechtskatalog (im rechtlich-kodifizierten Sinne) verstanden werden. Sie kann zudem als ein Instrument der Menschenrechte, das zu ihrer (weltweiten) Durchsetzung verhelfen soll, oder als Grund für dieselben betrachtet werden. Für Habermas wiederum ist die Demokratie eine Art Medium der Menschenrechte: Sie werden durch demokratisches Verfahren erst möglich. Umgekehrt gesehen, erscheinen auf diese Weise die Menschenrechte als in eins Voraussetzung und Ergebnis der Demokratie. Habermas schreibt hierzu: „Menschenrechte mögen moralisch noch so gut begründet werden können; sie dürfen aber einem Souverän nicht gleichsam paternalistisch übergestülpt werden. Die Idee der rechtlichen Autonomie der Bürger verlangt ja, daß sich die Adressaten des Rechts zugleich als dessen Autoren verstehen können. Dieser Idee widerspräche es, wenn der demokratische Verfassungsgesetzgeber die Menschenrechte als so etwas wie moralische Tatsachen schon vorfinden würde, um sie nur noch zu positivieren“.[9]

Die moralische Begründung der Menschenrechte greift Habermas zufolge zu kurz, denn die Meinungs- und Willensbildung ist in der Demokratie nicht nur auf moralische Fragen beschränkt. Vielmehr sind empirische, pragmatische und ethische Aspekte und der faire Ausgleich zwischen kompromissfähigen Interessen ebenfalls von Bedeutung. Ein Konflikt zwischen moralischen Ansprüchen an eine öffentliche Ordnung und der rechtlichen Kodifizierung ist allerdings dadurch noch nicht aufgehoben.

[...]


[1] Bei der Darstellung der verschiedenen Konzeptionen der Menschenrechte beziehe ich mich unter anderem auf: Menke, Christoph u. Arnd Pollmann: Philosophie der Menschenrechte zur Einführung, Hamburg 2007, sowie: Stanford Encyclopedia of Philosophy: Human Rights, URL: http://plato.stanford.edu/entries/rights-human, veröffentl. am 7. Februar 2003.

[2] Siehe hierzu den aufschlussreichen Aufsatz von Martha C. Nussbaum Menschliches Tun und soziale Gerechtigkeit. Zur Verteidigung des aristotelischen Essentialismus, in: Gemeinschaft und Gerechtigkeit, hrsg. v. M. Brumlik u. H. Brunkhorst, Frankfurt am Main 1993, S. 323-358. Vgl. auch: Nussbaum, Martha C.: Gerechtigkeit oder das gute Leben, Frankfurt am Main 1999.

[3] Jürgen Habermas verweist auf dieses Argument mit den Worten: „Die negativen Pflichten einer universalistischen Gerechtigkeitsmoral (...) sind in allen Kulturen verankert und korrespondieren glücklicherweise mit den juristisch präzisierten Maßstäben (...)“, Habermas, Jürgen: Konstitutionalisierung des Völkerrechts und die Legitimationsprobleme einer verfassten Weltgesellschaft, in: Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, hrsg. v. Winfried Brugger [u.a.], Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, 360-379, hier: 375.

[4] So auch bei Habermas: „Die Idee der Selbstgesetzgebung von Bürgern fordert nämlich, daß sich diejenigen, die als Adressaten dem Recht unterworfen sind, zugleich als Autoren des Rechts verstehen können“, in: Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1994, S. 153.

[5] Exemplarisch für die gängige Auffassung von Menschenrechten zählt Josua Cohen deren fünf wichtigste Merkmale auf: universality, non-juridification, urgency, fidelity, open-endedness. In: Cohen, Joshua: Is there a Human Right to Democracy?, URL: http://pgj.stanford.edu/publications/21328, S. 226. Je nachdem, wie umfangreich die Liste von einzelnen Menschenrechten bzw. deren Merkmalen ist, wird es in der Literatur zwischen minimalistischen oder maximalistischen Konzeptionen unterschieden.

[6] Diese Annahmen wirken umso stärker, wenn man sich die Rhetorik der insgesamt dreißig Artikel anschaut: Die hier geäußerten Ideen erscheinen nicht als Empfehlungen oder Aufforderungen, sondern als keinen Protest duldende Tatsachenfeststellungen.

[7] Siehe Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken. (...) Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen“.

[8] So Frank Michelman: „Schon aus begrifflichen Gründen haben die Menschenrechte einen demokratieunabhängigen, abstrakten und allgemeinen Gehalt“, Ders., Brauchen Menschenrechte eine demokratische Legitimation?, in: Recht auf Menschenrechte. Menschenrechte, Demokratie und internationale Politik, hrsg. v. Hauke Brunkhorst [u.a.], Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999, S. 52-65, hier: 54f.

[9] Habermas, Jürgen: Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996, S. 301.

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Die Gleichursprünglichkeit von Demokratie und Menschenrechten bei Jürgen Habermas
Université
University of Frankfurt (Main)  (Institut für Philosophie)
Cours
Menschenrechte – moralisch oder politisch?
Note
1,7
Auteur
Année
2009
Pages
21
N° de catalogue
V142223
ISBN (ebook)
9783640514434
ISBN (Livre)
9783640512577
Taille d'un fichier
475 KB
Langue
allemand
Mots clés
Demokratie, Menschenrechte, Habermas, Deliberative Demokratie, Diskurstheorie, Diskurstheorie des Rechts, Politische Theorie, Demokratietheorie, Jürgen Habermas
Citation du texte
Adam Galamaga (Auteur), 2009, Die Gleichursprünglichkeit von Demokratie und Menschenrechten bei Jürgen Habermas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142223

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