Coaching in der Jugendarbeit?

Kritische Auseinandersetzung mit dem Coachingprozess aus sozialpädagogischer Sicht am Beispiel des Projekts „Jobcoaching“


Mémoire (de fin d'études), 2009

162 Pages, Note: 2


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Sozialpädagogischer Zugang
1.1 Lebensweltorientierter Ansatz nach Thiersch
1.2 Handeln und Kompetenzen in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit

2 Coaching in der Sozialen Arbeit

3 Der Weg vom Jugendalter ins Erwachsenenalter

4 Der Eintritt in die Arbeitswelt
4.1 Darstellung der heutigen Arbeitswelt
4.2 Berufswahl
4.3 Anforderungen an Jugendliche in der heutigen Arbeitswelt
4.4 Möglichkeiten der Berufsorientierung
4.5 Zusammenfassung

5 Empirische Konzeption
5.1 Zielsetzung und Fragestellung der Untersuchung
5.2 Das Experteninterview
5.2.1 Interviewleitfaden
5.2.2 Beschreibung der Experten
5.2.3 Interviewdurchführung
5.3 Auswertung

6 Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
6.1 Bisherige Arbeitsweise im Jobcoaching
6.1.1 Kontaktaufnahme
6.1.2 Erstgespräch
6.1.3 Umgang mit Klienten
6.1.4 Relevanz der bisherigen Erfahrungen von Jugendlichen
6.1.5 Kontakt zu den Eltern
6.1.6 Methoden
6.1.7 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen
6.1.8 Arbeitsleitsätze
6.1.9 Erfolgreiches Coaching
6.1.10 Möglichkeiten zur Reflexion
6.1.11 Zusammenfassung
6.2 Sozialpädagogische Coachingmerkmale
6.2.1 Ganzheitliche Arbeitsweise
6.2.2 Förderung der selbstständigen Entwicklung von Lösungswegen
6.2.3 Selbstbestimmtheit des Klienten
6.2.4 Vertrauen, gegenseitige Akzeptanz
6.2.5 Hilfe zur Selbsthilfe
6.2.6 Transparentes Konzept
6.2.7 Zeitliche Begrenzung
6.2.8 Ziel: Unabhängigkeit des Klienten
6.2.9 Personenzentrierte Beratung
6.2.10 Dialogischer Kommunikationsstil
6.2.11 Respekt und Zurückhaltung
6.2.12 Zusammenfassung

7 Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

Verwendete Literatur

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Durch ein Praktikum im JugendService des Landes Oberösterreich (OÖ), das ich im Juli 2006 absolviert habe, erhielt ich Einblicke in das damals neu konzipierte Projekt „Jobcoaching“. Dieses richtet sich an junge Menschen, die an der Schnittstelle von ihrer Pflichtschulausbildung zum Beruf stehen.

Aufgefallen ist mir dabei, dass es aufgrund individueller Bedürfnisse von Jugendlichen kein Patentrezept für die Unterstützung beim Berufsfindungsprozess gibt. Meinen gesammelten Erfahrungen nach lässt das Projekt „Jobcoaching“ sehr viel Raum, um auf die persönliche Situation von Jugendlichen einzugehen.

Während meiner Tätigkeit ist mein Interesse allgemein am Coachingprozess soweit ge- wachsen, dass ich mich zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dieser Thema- tik entschied. Dabei tauchte die Frage auf, inwieweit das praktische Konzept an die Theo- rie anschließt. Auf der Basis meines Studienschwerpunkts Sozialpädagogik und der Ein- blicke in die Jugendarbeit, welche ich während des Praktikums erhielt, entschloss ich mich zur Bearbeitung dieses Themas im Rahmen meiner Diplomarbeit. Zusätzlich moti- vierte mich, dass die im Zuge dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse in der praktischen Arbeit Anwendung finden, indem ich diese Diplomarbeit dem JugendService zur Verfü- gung stellen werde.

Ich bin nach wie vor am JugendService des Landes OÖ beschäftigt. Während den ge- samten, mit dieser Diplomarbeit verbundenen Recherchen und Tätigkeiten habe ich mich um größtmögliche Distanz zum Projekt „Jobcoaching“ bemüht, um meine Kritikfähigkeit so wenig wie möglich zu kompromittieren. Der mit meiner Anstellung einhergehenden Ge- fahr, Sachverhalte einseitig zu betrachten mögliche Unzulänglichkeiten zu übertünchen, war mit bewusst. Inwiefern mir dies gelungen ist, bleibt dem kritischen Leser zu beurtei- len.

Einleitung

Die oberösterreichische Landesregierung startete im Jahr 2006 ein Maßnahmenpaket namens „Hauptsache Arbeit - Jugend hat Vorrang“1. Im Zuge dieser Initiative sollte einerseits ein zusätzliches Unterstützungsangebot für lehrstellensuchende Jugendliche geschaffen und andererseits den von der Wirtschaftskammer OÖ vorhergesagten Fachkräftemangel entgegen gewirkt werden2.

In Folge dieser Initiative wurde unter anderem das Projekt „Jobcoaching“ implementiert, wobei die Konzipierung und Durchführung des Projekts dem JugendService des Landes OÖ3übertragen wurde. Das „Jobcoaching“ stellt eine Vertiefung der bisherigen Tätigkeit des JugendServices im Bereich Bildungs- und Berufsberatung dar.

Das Projekt beruht auf freiwilliger Basis und ist speziell für Pflichtschulabgänger konzipiert worden, die sich auf der Suche nach einer passenden Lehrstelle befinden. Der „Jobcoaching“-Verlauf wird nach der jeweiligen Bedürfnislage des Jugendlichen gestaltet, wobei die Berufsorientierung auf eine mit dem Jugendlichen durchgeführte Potenzialanalyse4aufbaut. Des Weiteren stehen eine Steigerung des Selbstvertrauens sowie die Erarbeitung von Zielen und Perspektiven im Vordergrund.

Das zuvor beschriebene „Jobcoaching“-Projekt stellt den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit dar. Durch die Untersuchung soll in Erfahrung gebracht werden,

- wie und auf welche Weise Mitarbeiter des Projekts „Jobcoaching“ bisher gearbeitet haben und
- ob und inwiefern das „Jobcoaching“ sozialpädagogische Coachingmerkmale beinhal- tet.

Die angegebenen forschungsleitenden Fragen beschäftigen sich mit den Inhalten und dem Ablauf des „Jobcoaching“-Prozesses. Daraus lässt sich die zentrale Fragestellung dieser Diplomarbeit ableiten, inwiefern „Jobcoaching“ angesichts des heutigen gesellschaftlichen Wandels eine mögliche Form der sozialpädagogischen Unterstützung für die Berufswahl von Jugendlichen darstellt.

Die vorliegende empirische Untersuchung ist qualitativ ausgerichtet und ihre Ergebnisse sollen Grundlagen dafür liefern, die forschungleitenden Fragen zu beantworten. Des Wei- teren soll sowohl die Transparenz des Projekts für die Mitarbeiter im JugendService er- höht, als auch ein Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs geliefert werden, der sich mit der Frage nach der Anwendbarkeit von Coaching im sozialen Feld auseinandersetzt.

Eine Ausweitung der Fragestellung hinsichtlich der Zufriedenheit der Jugendlichen mit diesem Projekt oder in Bezug auf dessen konkreten Erfolg, ist in dieser Arbeit nicht vorgesehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich die Untersuchung vor allem mit den Inhalten und der inneren Struktur des „Jobcoaching“-Projekts befasst.

Die Klärung der Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Titel und den Fragestellungen dieser Arbeiten stehen, bedarf einer eingehenden Auseinandersetzung und stellt daher im theoretischen Teil der Arbeit einen Schwerpunkt dar.

Das erste Kapitel der Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem sozialpädagogischen Zugang zur Beratungsform Coaching. Nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick auf die Ur- sprünge der Sozialpädagogik bzw. Sozialarbeit werden die beiden Begriffe geklärt und anhand von Theoremen zueinander in Beziehung gesetzt. Daraus ergibt sich ein Begriffs- verständnis der Sozialen Arbeit in Hinblick auf ihre Position, ihren Funktionen und Ziel- gruppen in der heutigen Gesellschaft, das für die Hinführung zum Thema Coaching von Bedeutung ist. Das daraus in den 90er Jahren entwickelte Konzept der „Lebensweltorien- tierten Soziale Arbeit“ von Hans Thiersch wird im Anschluss daran vorgestellt. Im Mittel- punkt stehen dabei einerseits die veränderten und ausgeweiteten Aufgabenbereiche an- dererseits das sozialpädagogische Handeln einer „Lebensweltorientierten Sozialen Ar-beit“. In der Auseinandersetzung mit diesem Ansatz wurden sozialpädagogische Merkma-le abgeleitet, die als sozialpädagogische Momente im Coachingprozess sichtbar werden.

Im zweiten Kapitel wird Coaching in der Sozialen Arbeit detailliert erläutert. Zuerst erfolgt eine kurze Rekonstruktion der begriffsgeschichtlichen Entwicklung des Coachings, wodurch die Schnittstelle zwischen Coaching und dem Sozialen Feld erstmals ersichtlich wird. Danach erfolgt eine Abgrenzung von Coaching zur traditionellen Beratungstätigkeit. Im Anschluss daran wird die Coachingdefinition von Christopher Rauen vorgestellt. Daraus werden sozialpädagogische Coachingmerkmale abgeleitet. Abschließend werden die Fähigkeiten eines im Sozialbereich tätigen Coachs herausgearbeitet.

Im dritten Kapitel wird der Weg vom Jugendalter ins Erwachsenenalter beschrieben. Zu- erst wird die geschichtliche Entwicklung des Jugendbegriffs dargestellt und davon das gegenwärtige Begriffsverständnis abgeleitet. Im Anschluss daran werden die Aufgaben, die auf den Weg in das Erwachsenenalter bewältigt werden müssen, aufgezählt und er- läutert.

Das vierte Kapitel setzt sich mit dem Eintritt in die Arbeitswelt auseinander. Dabei wird auf die Aufgabe des Jugendalters, die Übernahme einer beruflichen Rolle, näher eingegan- gen. Dafür erfolgt zuerst eine begriffliche Klärung von Arbeit und Erwerbsarbeit. Des Wei- teren wird die Bedeutung der Berufswahl erläutert. Diese steht im Zusammenhang mit dem Wandel der heutigen Arbeitswelt der im darauffolgenden Abschnitt erörtert wird. Im Anschluss daran erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Berufswahl, die durch diesen Wandel beeinflusst wird. Anschließend werden Anforderungen aufgezeigt, welche Ju- gendliche erfüllen sollten um in der Arbeitswelt Fuß fassen zu können. Dazu erfolgt zuerst eine begriffliche Auseinandersetzung mit den Termini Qualifikation, Schlüsselqualifikation und Kompetenz. Am Ende des Kapitels werden bereits bestehende und wünschenswerte Unterstützungsangebote für die Berufsorientierung von Jugendlichen dargestellt.

Das fünfte und sechste Kapitel beinhalten den empirischen Teil dieser Arbeit. Im Ersten werden die Zielsetzungen und Methodik der Untersuchung beschrieben. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt bzw. interpretiert, wobei die im Theorieteil freigelegten Bezüge zwischen Sozialpädagogik und Coaching zur Auswertung herangezogen werden.

Den Abschluss der Diplomarbeit stellt das Kapitel Resümee und Ausblick dar. Dazu wird auf die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen um die zentrale Frage beantworten zu können, inwiefern „Jobcoaching“ angesichts des heutigen gesellschaftli-chen Wandels eine mögliche Form der sozialpädagogischen Unterstützung für die Be- rufswahl von Jugendlichen darstellt. Die aus der Thematik gezogenen Schlussfolgerungen stehen im Mittelpunkt der darauffolgenden Diskussion. Abschließend werden offene Fra- gen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten hinsichtlich des „Jobcoaching“-Projekts aufge- zeigt.

Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird bei personenbezogenen Bezeichnungen die männliche Form benutzt, wobei sich diese auf beide Geschlechter gleichermaßen bezieht. Die jeweilige geschlechtsspezifische Form kommt zur Anwendung, wenn von bestimmten Personen die Rede ist. Hervorhebungen werden im Nachfolgenden durch eine kursive Schreibweise gekennzeichnet.

1 Sozialpädagogischer Zugang

Eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Sozialpädagogik ist erforderlich, um das für diese Arbeit untersuchte Jobcoaching-Projekt aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachten zu können. Dieses Kapitel wird allen anderen voran gestellt, da Begriffe und Theorien erläutert werden, die dem Verständnis für die nachfolgende theoretische und empirische Auseinandersetzung dienlich sind.

Einleitend soll mithilfe eines kurzen geschichtlichen Rückblicks und der anschließenden Darstellung verschiedener Theorien die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sozi- alpädagogik, Sozialarbeit und Sozialer Arbeit beantwortet werden. Mit den Fragen, wo sich die Soziale Arbeit im sozialstaatlichen Gefüge am Beispiel Österreichs verorten lässt und welche Funktion sie dabei erfüllt, beschäftigt sich der nachfolgende Abschnitt.

Um die begriffliche Entwicklung und die daraus entstandenen Theorien nachvollziehen zu können, liefert ein Blick in die Vergangenheit, insbesondere auf die Ursprünge von Sozi- alpädagogik und Sozialarbeit einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des aktuellen Diskurses. Scheipl zufolge liegen die Wurzeln der österreichischen Sozialpädagogik be- reits im 18. und 19. Jahrhundert, dennoch stehen dazu in Österreich im Gegensatz zu Deutschland5sehr wenige Forschungsergebnisse zur Verfügung (vgl. Scheipl 2003, S. 12). Die im nachfolgenden skizzierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des 16., 17. und 18. Jahrhundert verdeutlichen die Gründe für die Entstehung der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit in Österreich.

Der Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen ist die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, da zu dieser Zeit erstmals von staatlicher Seite die hohe Zahl der armen Bevölkerung als Problem wahrgenommen wurde (vgl. Bruckmüller 2001, S. 182). Nachdem es in dieser Zeit weder Unfall- oder Krankenversicherung noch Arbeitslosenunterstützung oder Altersversorgung gab, blieb Armen nur das Betteln (vgl. Scheipl 2003, S. 15). Der Staat versuchte mit der Einführung zahlreicher Maßnahmen (Dekrete, Erlässe u. a.) Armut und Elend einzudämmen, ohne jedoch den gewünschten Erfolg zu erzielen.

Mit der Einführung des ersten Wiener „Zucht- und Arbeitshauses“ im Jahre 1671 (vgl. Bruckmüller 2001, S. 184) schaffte der Staat eine Möglichkeit, direkt auf die Armen Ein- fluss zu nehmen (vgl. Scheipl 2003, S. 15). So wurden alle, die nicht am Arbeitsleben teil- nahmen oder teilnehmen konnten, unter Zwang in Anstalten gesperrt. In diesen sollten sie „zur Arbeitssamkeit erzogen werden“ (Bruckmüller 2001, S. 184), um selbst für ihren Un- terhalt aufzukommen ohne Betteln zu müssen. Vorerst war diese Erziehungsmaßnahme vorwiegend für Erwachsene und Jugendliche, welche nach Einschätzung des Staates nicht arbeiten wollten (vgl. Bruckmüller 2001, S. 182). Während der Regentschaft Maria Theresias wurde jedoch darauf Wert gelegt, auch Kinder nach diesem Prinzip zu erzie- hen6(vgl. Bruckmüller 2001, S. 180). Laut Bruckmüller wurde keine Rücksicht darauf ge- nommen, wer in diese Anstalten geschickt wurde. Es handelte sich dabei sowohl um Ob- dachlose, Kriminelle und geistig beeinträchtigte Menschen als auch um verwaiste Kinder (vgl. Bruckmüller 2001, S. 184). Nach und nach kam es dennoch zu einer Trennung die- ser Betroffenen durch Unterbringung in separate Einrichtungen7(vgl. Scheipl 2003, S. 15). Der Grundstein für die späteren Erziehungsheime wurde 1885 mit dem Erlass des Zwangsarbeitergesetzes und der damit verbundenen Einführung „‚besonderer Besse- rungsanstalten für jugendliche Korrigenden‘“ (Scheipl 2003, S. 15f) gelegt. In diesen An- stalten wurden speziell gefährdete und auffällige Jugendliche unter 18 Jahren versorgt (vgl. Scheipl 203, S. 16).

Scheipl (2003, S. 15f) sieht somit die Anfänge der Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Österreich mit Beginn der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert. Aus den oben beschriebenen Maßnahmen bildeten sich erstmals spezifische Berufsfelder der Sozialpä- dagogen und Sozialarbeiter. „Während sich die SozialpädagogInnen in der inneren Aus- gestaltung des Heim- und Anstaltslebens etablierten, konnten die SozialarbeiterInnen (FürsorgerInnen) in beiden Bereichen, sowohl in den Anstalten als auch in der öffentlichen Sozialfürsorge, Fuß fassen“ (Scheipl 2003, S. 16). Demzufolge haben sich Sozialpädago- gik und Sozialarbeit getrennt nebeneinander entwickelt, obwohl sie in einem ähnlichen gesellschaftlichen Rahmen entstanden sind, da sie in etwa zur gleichen Zeit initiiert wur- den (vgl. Mühlum 2001, S. 231).

Aus dieser historischen Entwicklung heraus wird das Divergenztheorem, bei welchem Sozialarbeit und Sozialpädagogik eindeutig getrennt sind, bestimmt (vgl. Mühlum 2001, S. 13). Jeder Bereich stellt in dieser Theorie für sich eine andere Art der Hilfeleistung dar(vgl. Mühlum 2001, S. 231).

In beiden Ansätzen lassen sich in der beruflichen Realität jedoch Gemeinsamkeiten aufgrund ähnlicher Schwerpunkte in der Ausbildung, entsprechender Arbeitsaufträge und der Zuhilfenahme ähnlicher Methoden für die Praxis wie zum Beispiel „Konzepte des lebenslangen Lernens“, des „tertiären Erziehens“, die „Befähigungs- oder Bewältigungshilfe“ und die „Strategien der Beseitigung von Soziallagendefiziten“ (Mühlum 2001, S. 231) finden. Diese Tendenz der Annäherung beider Bereiche wird als Konvergenztheorem bezeichnet. Dieses „besagt, daß die Teilbereiche Sozialpädagogik und Sozialarbeit zu einem Gesamten zusammenwachsen (konvergieren)“ (Schilling 1997, S. 176).

Da einige Tätigkeitsfelder von Sozialpädagogik und Sozialarbeit kaum auseinander zu halten sind, ist es nahe liegend, durch einen gemeinsamen Überbegriff Sozialpädagogik und Sozialarbeit zusammenzufassen. Mühlum (2001, S. 224) sieht dafür das Subsumti- onstheorem geeignet, welches die „weitgehende Übereinstimmung im Grundsätzlichen (Wertorientierung, Wissensbasis, Interventionsrepertoire) und weiterbestehende ausbil- dungs- und arbeitsfeldspezifische Unterschiede (Schwerpunktbildung, Affinitäten, Berufs- identität)“, in welcher „die eingeführten Bezeichnungen beibehalten und unter den über- greifenden Begriff Soziale Arbeit (…) [subsumiert, C. G.]“ werden. Demzufolge bleiben bei der Zusammenführung beider Bereiche unter dem Begriff Soziale Arbeit die jeweiligen Schwerpunktsetzungen gewahrt.

Von einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den vorgestellten Theorien wird abge- sehen, weil sie nur einen Ausschnitt des gesamten Forschungsfelds8darstellen. Exempla- risch wurden diese drei Theorien gewählt, um die Begriffsentwicklung zu veranschauli- chen und das gegenwärtige Begriffsverständnis zu klären. Es soll verdeutlichen, warum manche Autoren Sozialpädagogik und Sozialarbeit strikt trennen, andere wiederum beide Begriffe mit dem Überbegriff Soziale Arbeit zusammenfassen oder Sozialpädagogik und Sozialarbeit mit einem Schrägstrich trennen. Begründet wird letzteres damit, dass der Zusammenhang und gleichzeitig die Autonomie beider Bereiche hervorgehoben werden sollen.

Bei Sichtung der aktuellen Literatur wurde deutlich, dass sich der Begriff „Soziale Arbeit“ als Überbegriff von Sozialpädagogik und Sozialarbeit vor allem in Deutschland durchgesetzt hat. Laut Popp (2004, S. 191) vollzog sich „in Österreich (…) diese integrative Disziplin- und Begriffsentwicklung mit erheblicher Zeitverzögerung und ist bis heute noch nicht abgeschlossen“. Das bedeutet auch in Österreich wird dieser Begriff bereits verwendet, jedoch ist eine gewisse Zurückhaltung bemerkbar.

Aufgrund dessen wird in der vorliegenden Arbeit der Überbegriff Soziale Arbeit favorisiert. Dabei werden stets die Termini Sozialpädagogik/Sozialarbeit ergänzend angeführt.

Im folgenden Abschnitt wird erörtert, welche Stellung und Funktion die Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) im heutigen österreichischen Sozialstaat einnimmt. Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen wer die Zielgruppe der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) darstellt.

Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) ist Popp (2004, S. 174) zufolge „immer ein auf die Entlastung und Ergänzung der großen politisch-administrativen und soziokulturellen Interventionssysteme bezogenes ‚Nischen-Produkt‘“. Diese Verortung und Funktion der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) speziell in Hinblick auf Österreich veranschaulicht folgende Abbildung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Subsystem Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) in Bezug auf die Systeme des Sozialstaates in Anlehnung an Popp (2004, S. 174).

Die Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) steht in Bezug zu den vier großen Sys-temen des Sozialstaats, dem materiellen Sicherungssystem (Sozialhilfe, Arbeitsmarktser- vices (AMS) u. a.), dem Gesundheitssystem (Kliniken, ärztliche Praxen, Psychotherapie,u. a.), dem Sanktionssystem (Polizeisystem, Gericht, u. a.) und dem Erziehungssystem (Familie, Schule, Kindergarten, u. a.). Ihre Aufgabe besteht darin, diese Systeme zu ent- lasten, zu ergänzen oder gegebenenfalls zu ersetzen, um die gesellschaftliche (Wieder-) Eingliederung von Menschen zu sichern. Dabei werden von den Sozialpädagogen und Sozialarbeitern je nach Arbeitsbereich und Klientel unterschiedliche Maßnahmen gesetzt.

Die spezifischen Aufgaben der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) müssen in Absprache mit den jeweiligen Systemen und deren Institutionen erfolgen (vgl. Thiersch 2002, S. 104). Die Kooperation zwischen der Sozialen Arbeit (Sozialpädago- gik/Sozialarbeit) und den gesellschaftlichen Systemen ist daher unbedingt erforderlich.

Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) stellt laut Popp (2004, S. 175) ein „kleines aber durchaus wichtiges Subsystem des Sozialstaates“ dar. Diese Feststellung von Popp entlastet die Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit), indem sie nicht nach einem immer breiteren Funktionsbereich strebt, sondern mehr auf die Qualität ihrer bisherigen Tätigkeitsfelder Wert legt. Somit erhält die Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) einen klarer abgrenzbaren und vor allem von anderen anerkannten Zuständigkeitsbereich (vgl. Popp 2004, S. 175).

Eine ähnliche Auffassung vertritt Thiersch, indem er erklärt, dass die „Soziale Arbeit (…) in den Mittelpunkt der Gesellschaft [rückt C.G.]“ (Thiersch 2002, S. 102). Diese Aussage begründet er damit, dass sich gesellschaftliche Bedingungen seit der Einführung der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit verändert haben:

„Im Zuge der zunehmenden Vergesellschaftung der Lebensverhältnisse und der intensivierten Trends zur Individualisierung der Lebensführung und Pluralisierung der Lebenslagen (z.B. auch einer mulitkulturellen Gesellschaft) ergeben sich in der Normalität des modernen Lebens zwar neue Chancen und Optionen, aber auch neue Belastungen, so dass Aufgaben der Lebensbewältigung sich zunehmend als anspruchsvoll erweisen“ (Thiersch 2002, S. 102).

Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) kann sich nicht mehr nur auf klassische Problemfelder, die aufgrund von „Armut, Verelendung und Ausgrenzung“ (Thiersch 2002,S. 102) entstehen, beschränken, sondern muss aufgrund der gesellschaftlichen Entwick- lungen ihre Aufgabenbereiche ausweiten. In der heutigen Gesellschaft geht es vor allem um eine gelingende Lebensbewältigung (vgl. Thiersch 2002, S. 102), die aufgrund neuer Belastungen durch „Trends zur Individualisierung der Lebensführung und Pluralisierung der Lebenslagen“ (Thiersch 2002, S. 102) zunehmend schwieriger wird.

Das ist der Anknüpfungspunkt einer neuen Form von Sozialer Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit), welche dem Leitsatz „‚Hilfe zur Selbsthilfe‘“ (Thiersch 2002, S. 102) folgt. Darauf basiert der Ansatz der „Lebensweltorientierten Soziale Arbeit“, der im darauffolgenden Kapitel detailliert vorgestellt wird.

Obwohl aufgrund dieser Auffassung jeder Mensch, der Probleme mit seiner Lebensbewäl- tigung hat, Zielgruppe der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) werden kann, betont Thiersch (2002, S. 104, 107), dass der traditionelle Aufgabenschwerpunkt, welcher auf die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen gerichtet ist, beibehalten wird. Auch Böhnisch vertritt diese Auffassung, indem er erklärt, dass sich die wesentliche und traditi- onelle Aufgabe der Sozialpädagogik „auf personale Probleme und Konflikte [bezieht C.G.], die beim Hineinwachsen von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft entste- hen (…)“ (Böhnisch 2001, S. 18). Die Sozialpädagogik „vermittelt - in ihrem erzieheri- schen Anspruch - Fähigkeiten, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen und eine biogra- phische Entwicklungsperspektive aus der Bewältigung dieser Schwierigkeiten heraus auf- zubauen. Als allgemeiner außerschulischer Erziehungsbereich versucht sie, kulturelle, soziale und politische Fähigkeiten zu vermitteln, sie organisiert - wie wir heute modern sagen würden - soziales, kulturelles und politisches Lernen“ (Böhnisch 2001, S. 18f).

Nachdem Sozialpädagogik und Sozialarbeit, wie bereits dargestellt wurde, immer mehr zusammenwachsen, erweitert sich der jeweilige Zuständigkeitsbereich. Die Zielgruppe der Jugendlichen, die traditionell eine der Sozialpädagogik war, wird zur Zielgruppe der Sozia- len Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit). Das führt dazu, dass „Jugendarbeit“ als speziel- le Form der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) angesehen wird. „Jugendar- beit“ wird laut Giesecke (1980, S. 14) folgendermaßen definiert: „Jugendarbeit bezeichnet diejenigen von der Gesellschaft Jugendlichen und Heranwachsenden angebotenen (…) Lern- und Sozialisationshilfen, die außerhalb von Schule und Beruf erfolgen, die Jugendli- chen unmittelbar, also nicht auf dem Umweg über die Eltern, ansprechen und von ihnen freiwillig wahrgenommen werden“.

Zusammenfassend betrachtet, bietet die Soziale Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit), welche sich inmitten der großen Systeme des Sozialstaates befindet, ihre Unterstützung an, wenn diese ihre Aufgaben nicht oder nur unzureichend erfüllen können. Ziel der So- zialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) und auch der anderen gesellschaftlichen Sys-teme ist eine gelungene Lebensbewältigung des einzelnen Menschen. Jugendliche, die eine traditionelle Zielgruppe der Sozialpädagogik darstellen, erhalten auch in der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) besondere Aufmerksamkeit. Die beschriebene, gesellschaftlich bedingte Ausweitung und Neustrukturierung der Aufgabenbereiche der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) zog wissenschaftstheoretische Überlegungen nach sich. Thiersch entwickelte im Zuge dessen das Konzept der „Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit“. Was er darunter versteht und inwieweit dieses Konzept den veränderten Bedingungen entspricht, ist Thema des folgenden Kapitels.

1.1 Lebensweltorientierter Ansatz nach Thiersch

Das von Thiersch entwickelte Konzept der „alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit“ ist ein relativ neuer Ansatz, welcher die sozialpädagogische Diskussion9in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts prägte (vgl. Galuske 2007, S. 143). Dieser Ansatz setzt sich nicht mehr mit der Frage auseinander, was die Sozialpädagogik ausmacht und warum sie begründet wurde. Vielmehr geht es darum, mit welchen Aufgaben sich Sozial- pädagogik beschäftigt.

Thiersch geht davon aus, dass Sozialpädagogik aufgrund vorangegangener Forschungen eine Daseinsberechtigung hat und daher eine legitime Funktion in der Gesellschaft ein- nimmt. Der Schwerpunkt seines Ansatzes liegt in der Klärung der Frage, womit sich Sozi- alpädagogik inhaltlich beschäftigt (vgl. Schilling 1997, S. 221f). Sein Konzept versucht „die Aufgaben der Sozialen Arbeit im Horizont heutiger lebensweltlicher Verhältnisse, ihre spezifischen Strukturen, Ressourcen und Probleme zu bestimmen“ (Thiersch 2002, S. 155).

Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt, erweitern sich die Aufgaben der So- zialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit). Sie ist nicht mehr nur ausgleichende Hilfe für in Not geratene Menschen, sondern steht Menschen ebenso bei Schwierigkeiten bei der alltäglichen Lebensbewältigung zur Seite (vgl. Thiersch 2002, S. 134f). Tradierte Formen der Lebensführung verlieren aufgrund der breiten Palette an Möglichkeiten der Lebens- gestaltung in der heutigen Zeit an Bedeutung. Obwohl diese Vielfalt an Optionen oft posi- tiv dargestellt wird, trägt sie mitunter zu Verunsicherung, Überforderung und Orientie- rungslosigkeit bei10(vgl. Thiersch 2002, S. 207f). Angesichts dieser Tatsachen „rückt le- bensweltorientierte Soziale Arbeit in die Mitte der Gesellschaft, sie wird zum integralen Moment in der Daseinsfürsorge, zum integralen Moment heutiger unterstützender sozialer Infrastrukturen“11(Thiersch 2002, S. 135).

Laut Thiersch ist „Lebensweltorientierung“ kein neues Prinzip in der Sozialen Arbeit. Zum Ausdruck kommt dies durch leitende Motive der Sozialen Arbeit (Sozialpädago- gik/Sozialarbeit), wie „‚Anfangen, wo der Klient steht‘“, „‚Unterstützung in den gegebenen Verhältnissen‘“ und „‚Hilfe zur Selbsthilfe‘“ (Thiersch 2000, S. 12; Thiersch 2002, S. 205). Dazu wird von Thiersch (2002, S. 40) betont, dass „Lebensbewältigung als Selbsthilfe (…) auf Selbsttätigkeit, auf Empowerment“ abzielt. Durch den Grundsatz der Hilfe zur Selbst- hilfe wird deutlich, dass sich „sozialpädagogisches Handeln (…) als Handeln versteht, das sich selbst überflüssig machen will“ (Thiersch 2002, S. 107). Der Klient soll demnach be- fähigt werden sich selbst zu helfen.

Für die Herausbildung der Fähigkeit zur Selbsttätigkeit ist das Eingehen auf die Lebens- welt des Klienten erforderlich. Im Vordergrund einer Lebensweltorientierten Sozialen Ar- beit stehen die „Deutungs- und Handlungsmuster der Adressat/innen“ (Thiersch 2002, S. 135). Zur Anwendung kommen in der Praxis „indirekte Formen der Unterstützung in Lern- prozessen, also in Formen der Begleitung, der Anregung, der stellvertretenden Deutung, des Arrangements von Situationen und Milieus, in denen sich eigene Handlungsmuster herausbilden können“ (Thiersch 2002, S. 135). Das bedeutet, dass dieses Konzept auf die individuellen Lebensumstände eingeht und dort Ressourcen ausfindig macht, welche die Person befähigen können aus einer prekären Situation herauszukommen (vgl. Thiersch 2002, S. 135f). Weitere zentrale Merkmale dieses Ansatzes sind das gemeinsame Aus- handeln von Lösungen und der respektvolle, akzeptierende Umgang miteinander (vgl. Thiersch 2002, S. 136). Dieses Vorgehen hat einen hohen Gegenwartsbezug, da es an der momentanen Situation des Klienten ansetzt (vgl. Thiersch 2002, S. 135). Demzufolge stützt sich die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit auf Ressourcen, Kompetenzen und Möglichkeiten ihrer Klienten und nicht auf ihre Schwächen und Defizite (vgl. Thiersch 2002, S. 135).

Beim lebensweltorientierten Ansatz bleibt „das Grundmuster [für Soziale Arbeit, C. G.], nämlich Ganzheitlichkeit, Offenheit und Allzuständigkeit“ (Thiersch 2002, S. 203), beste- hen12. Dieser Anspruch kann jedoch laut Thiersch zu Missverständnissen oder Fehlinter- pretationen führen (vgl. Thiersch 2002, S. 107); beispielsweise kann der Anspruch der Allzuständigkeit von Sozialpädagogen/Sozialarbeitern zu hoch angesetzt werden und zu einem Burn-out Syndrom führen. Thiersch (2002, S. 207ff) versucht daher den Rahmen abzustecken und den Handlungsspielraum seines Ansatzes zu begrenzen, indem er dazu drei zentrale Punkte anspricht:

a) Ein besonderes Augenmerk bei der Unterstützung des Klienten wird auf die ganzheit-liche Arbeitsweise gelegt. Das bedeutet, die Einmischung der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in andere Zuständigkeitsbereiche, wie zum Beispiel den familiären- bzw. schulischen Bereich oder den Arbeitsbereich, ist ein grundlegender Aspekt. Da- bei ist es wichtig, dass bei den erforderlichen Überschreitungen von Grenzen der Be- zug zum Kernbereich, sprich den Kernkompetenzen, im Auge behalten wird (vgl. Thiersch 2002, S. 207f).
b) Die Soziale Arbeit ist beauftragt, den Menschen zu helfen sich adäquat in die Gesell-schaft zu integrieren. Das bedeutet, sie ist gefordert diejenigen Menschen dabei zu unterstützen die Schwierigkeiten dabei haben, den jeweiligen Anforderungen der Ge- sellschaft (Teilnahme am „Markt und Konsum“, die „Steigerung der Arbeitsfähigkeit“ und „Normalität“; Thiersch 2002, S. 208) gerecht zu werden. Demnach ist die Klientel begrenzt auf Personen, die am Rande der Gesellschaft stehen, jedoch auch hilfsbe- dürftige Familien oder Pflegebedürftige bzw. pflegende Angehörige. Die sozialpäda- gogischen Bemühungen gestalten sich jedoch schwierig, weil diese Zielgruppen so- wohl gesellschaftspolitisch gesehen einen geringen Stellenwert haben als auch die Ressourcen der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) begrenzt sind. Dar- über hinaus besteht ein Spannungsfeld zwischen den zuvor angeführten gesellschaft- lichen Interessen und der grundlegenden Absicht der Sozialen Arbeit (Sozialpädago- gik/Sozialarbeit), „nämlich, die Eigensinnigkeit von Lebenswelt zu respektieren, zu stabilisieren und herzustellen“ (Thiersch 2002, S. 208). Die Durchsetzungskraft der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) gegenüber den Interessen der Gesell- schaft ist somit gering. Dennoch sollte sie sich, um das Grundmuster des lebenswelt- orientierten Ansatzes zu begrenzen, bei Verhandlungen mit der Politik über den „Ges- taltungsraum“ und der zur Verfügung gestellten Mittel immer auf ihr ursprüngliches Aufgabenfeld beziehen und sich nicht weitere Zuständigkeitsbereiche aufoktroyieren lassen. (vgl. Thiersch 2002, S. 208).
c) Die Aufgabe der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) besteht im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe darin ihre Klienten anzuregen, zu provozieren und zu begleiten.Die Umsetzung und Verwirklichung der Anregungen liegt jedoch beim Klienten selbst und entzieht sich somit dem Verantwortungsbereich der Sozialpädagogen/Sozialarbeiter (vgl. Thiersch 2002, S. 208f).

Die Einhaltung dieser Grenzen ist notwendig, um die „Sicherheit und Entlastung im Ar- beitskonzept und Selbstverständnis der Sozialen Arbeit“ (Thiersch 2002, S. 209) zu ge- währleisten. Bei zu hohen Ansprüchen der Sozialpädagogen/Sozialarbeiter an sich selbst und zu hoch gesteckten Zielen im Arbeitsprozess besteht ansonsten die Gefahr der Über- forderung (z. B. Burn-Out) und Enttäuschung (z. B. Verringerung des Selbstwertgefühls, Gefühl der Unzulänglichkeit).

Im Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit geht es speziell um ihre Aufgaben. Der Einbezug der Lebenswelt des Klienten, die ressourcenorientierte Ausrichtung und die Anerkennung der individuellen Problemsicht sind dabei zentrale Merkmale. Aufgrund dessen scheint der Ansatz der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit den veränderten Bedingungen der heutigen Zeit zu entsprechen.

Die Frage, wie konkret gehandelt werden sollte um den bereits thematisierten allgemeinen Bedingungen einer Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit gerecht zu werden und welche Fähigkeiten und Kompetenzen ein Sozialpädagoge dafür benötigt, soll im nächsten Abschnitt beantwortet werden.

1.2 Handeln und Kompetenzen in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit

In den unterschiedlichsten Aufgaben der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) „gibt es ein Grundmuster lebensweltbestimmten sozialpädagogischen Handelns und ein spezifisches Kompetenzprofil“ (Thiersch 2002, S. 215). Nach welchen Kriterien sozialpä- dagogisches Handeln im Sinne der Lebensweltorientierung erfolgen sollte, wird im Fol- genden aufgezeigt.

Nach Thiersch

„verlangt ein Handeln, (…) im erziehenden Umgang, in der Beratung, in der Begleitung und in der Kooperation (…) [eine Orientierung, C.G.] an der Eigensinnigkeit der Problemsicht der Adressat/innen im Lebensfeld, am ganzheitlichen Zusammenhang von Problemverständnis und Lösungsressourcen, an den in der Lebenswelt verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen“ (Thiersch 2002, S. 215).

Das bedeutet, sozialpädagogisches Handeln orientiert sich x am Respekt vor der eigenen „Problemsicht“ der Klienten,

- an einem „ganzheitlichen Zusammenhang von Problemverständnis und Lösungsres- sourcen“,
- an den vorhandenen Stärken und Fähigkeiten der Klienten.

Nachdem nicht mehr auf traditionelle, überlieferte Lebensentwürfe zurückgegriffen werden kann, ist ein aufgeschlossenes und auf die Situation angepasstes Handeln wichtig. Ge- meinsam mit dem Klienten werden mögliche Handlungsstrategien vereinbart, die zur per- sönlichen Problemlösung beitragen (vgl. Thiersch 2002, S. 215). Die Basis für dieses so- zialpädagogische Handeln ist „die Fähigkeit, zu prüfen, was jeweils der Fall ist“ (Thiersch 2002, S. 215).

Laut Thiersch sollen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit folgenden Kompetenzen ausgestattet sein:

- „die Fähigkeit zur Präsenz, die Fähigkeit, sich den Verhältnissen auszusetzen, x die Fähigkeit, gegebene Verhältnisse zu verstehen,
- die Fähigkeit, Vertrauen zu stiften und aufrechtzuerhalten,
- die Fähigkeit, in Konflikten und Schwierigkeiten zu vermitteln,
- die Fähigkeit zur Phantasie, in gegebenen Schwierigkeiten Alternativen und freie Op- tionen zu entwickeln,
- die Fähigkeit, Verhältnisse zu strukturieren und auch längerfristige Arbeitskonzepte durchzuhalten,
- die Fähigkeit zu planen, zu organisieren und zu ‚managen‘“ (Thiersch 2002, S. 215f).

Thiersch ist sich den hohen Anforderungen, die er an die Sozialarbeiter/Sozialpädagogen stellt, bewusst. Die Hilfeleistenden müssen sich intensiv auf die individuelle Lage des Klienten einlassen, was einer „gesunden“ Abgrenzung entgegenwirken oder auch Ängste auslösen kann. Zum Beispiel ist es möglich, dass durch zu starke Identifikation bis hin zur Übernahme der Rolle des Klienten der Sozialpädagoge/Sozialarbeiter seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein, dass sich der Hilfeleistende, aufgrund der Angst sich auf die Lebenswelt des Klienten einzulassen, sich von ihm distanziert (vgl. Thiersch 2002, S. 216).

Auf Seiten der Klienten kann die Nähe der Sozialpädagoge/Sozialarbeiter an sich und deren Hilfestellung als unangemessenes Eindringen in das eigene Leben empfunden werden (vgl. Thiersch 2002, S. 216). Aus diesem Grund wird zu den oben beschriebenen Kompetenzen noch eine weitere Fähigkeit hinzugefügt: Thiersch bezeichnet diese als „Takt“13und meint damit „die Fähigkeit, sich in den eigenen Möglichkeiten zurückzuhalten, andere Möglichkeiten zu sehen und in ihrem Eigensinn zu respektieren“ (Thiersch 2002,S. 217). Das bedeutet, dass der Klient nicht mit den Angeboten „überfahren“ werden soll. Der Sozialarbeiter/Sozialpädagoge soll Raum schaffen, damit der Klient die Möglichkeit hat seine Erfahrungen zu erzählen und in diesen ernst genommen werden. Um diese Fä- higkeit zu gewährleisten, werden fundierte, klare und nachvollziehbare Arbeitsweisen be- nötigt (vlg. Thiersch 2002, S. 217). Hierfür sind drei institutionelle Rahmenbedingungen von Nöten:

a) „Methodische Strukturierung,
b) Klärung des Arbeitsverhältnisses durch vertragsförmige Absprachen und
c) Institutionalisierung von Reflexion/Selbstreflexion der Arbeit“ (Thiersch 2002, S. 217)

ad a) Unter „Methodische Strukturierung“ versteht Thiersch „das Wissen um Phasen des Arbeits-, Verständigungs-, Unterstützungsprozesses (um Gliederungen und Prioritäten- setzung) in den Aufgaben, um Möglichkeiten der Rückkoppelung von Ziel, Einlösung und Prüfung im Prozess“ (Thiersch 2002, S. 217). Das heißt, Ordnung und Transparenz von Arbeitsabläufen ist für die methodische Strukturierung von Bedeutung.

Dies kann als eine Art Arbeitsleitfaden verstanden werden, an welchen sich das sozialpä- dagogische Handeln ausrichtet. Dabei ist es wichtig, den Leitfaden als Grundgerüst für die Arbeit zu sehen. Je nach Situation können einzelne Arbeitsschritte mehr betont oder prä- zisiert werden, um die von der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit geforderte, an die Gegebenheiten angepasste Aufgeschlossenheit nicht zu gefährden (vgl. Thiersch 2002,S. 217).

ad b) Thiersch versteht unter Klärung des Arbeitsverhältnisses durch vertragsförmige Ab- sprachen14das Ansprechen, Abwiegen und Verhandeln von gegenseitigen Erwartungs- haltungen. Durch diesen Prozess werden die beidseitigen Erwartungen herausgearbeitet und festgestellt, inwieweit und mit welchen Mitteln sie erfüllt werden können. Damit wer- den Enttäuschungen auf beiden Seiten vorgebeugt. Dieser Klärungsprozess nimmt viel Zeit in Anspruch und zählt bereits zur tatsächlichen Bewältigungsarbeit (vgl. Thiersch 2002, S. 218).

ad c) Der dritte und letzte Punkt, ist die „Institutionalisierung von Reflexion/Selbstreflexion der Arbeit“. Thiersch gibt verschiedene Möglichkeiten für die Realisierung dieses An- spruchs an, wie etwa „den teambezogenen, gemeinsamen Formen von Praxisberatung, Praxisbesprechungen und Supervision, aber auch die Form der Selbstevaluation“ (Thiersch 2002, S. 218). Dabei legt er Wert darauf, dass die gewählte Art der Reflexion in jeden Fall auf ein Ziel ausgerichtet und vertraglich geregelt wird (vgl. Thiersch 2002, S. 218). Thiersch betont, dass die „Reflexion der Arbeit (…) - im Zeichen einer lebenswelt- orientierten, ganzheitlichen Arbeit - eingebunden sein [muss, C.G.] in das jeweils gelten- de Arbeitskonzept“ (Thiersch 2002, S. 219). Das bedeutet, es wird wieder von der Le- benswelt des Klienten ausgegangen, nicht von anderen oder eigenen Werten und Ord- nungen, denn das würde am Problem an sich vorbeigehen (vgl. Thiersch 2002, S. 219). Die Selbstreflexion ist eine Möglichkeit direkt die Auswirkungen des Handelns im Verlauf der Betreuung zu kontrollieren. Somit können Fortschritte sichtbar und bei Bedarf in die Verläufe berichtigend eingegriffen werden (vgl. Thiersch 2002, S. 219).

Das sozialpädagogische Handeln im Sinne einer lebensweltorientierten Arbeit verlangt,eine ganzheitliche und ressourcenorientierte Unterstützung des Klienten, welche auf seine Lebenswelt ausgerichtet ist. Um diesen Anspruch zu erfüllen, müssen Sozialpädagogen/Sozialarbeiter viele Fähigkeiten mitbringen, wobei Takt, die Fähigkeit sich selbst zurückzuhalten und die individuelle Problemsicht des Klienten zuzulassen und zu respektieren von großer Bedeutung sind. Darüber hinaus sind institutionellen Rahmenbedingungen notwendig, wie die methodische Strukturierung, die Klärung der Arbeitsverhältnisse und die Institutionalisierung von Reflexion/Selbstreflexion der Arbeit.

Birgmeier sieht im Konzept der Lebensweltorientierung auch den theoretischen Rahmen für ein Coaching im sozialpädagogischen Sinn und äußert sich hierzu folgendermaßen: „Schließlich besonders vorzuheben als theoretischer Hintergrund auch für ein Coaching ist das Konzept der Alltags- und Lebensweltorientierung nach Thiersch, das in Berufs- wie auch Privatwelten gleichermaßen eine zentrale Rolle spielt“ (Birgmeier 2005, S. 190).

Ob und inwieweit das untersuchte Jobcoaching-Projekt sozialpädagogische Coaching- merkmale beinhaltet, ist eine der Fragen, auf welche am Ende dieser Arbeit eine Antwort gefunden werden soll. Um dies klären zu können, erfolgt im nächsten Kapitel vorerst eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff Coaching. Des Weiteren wird unter- sucht, welche verbindenden Elemente zwischen Coaching und Sozialer Arbeit existieren, da diese sozialpädagogischen Coachingmerkmale die Grundlage der späteren empiri- schen Untersuchung bilden. Im Anschluss daran wird thematisiert, inwieweit sich Coa- ching von der traditionellen Beratung abgrenzt. Daraufhin werden mögliche Zielgruppen des Coachings vorgestellt. Anschließend werden Kompetenzen und Fähigkeiten be- schrieben, die ein „guter“ Coach mitbringen sollte. Am Ende des Kaptitels wird ermittelt, ob Coaching in der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) angewendet werden kann.

2 Coaching in der Sozialen Arbeit

Der Begriff Coaching ist „rechtlich noch nicht geschützt“ (Birgmeier 2005, S. 32) und kann daher auch missbräuchlich verwendet werden. Zum Ausdruck bringt dies Birgmeier mit folgender Aussage: „Jeder, der in irgendeiner Weise also seine Dienste als Berater, Mentor, Begleiter oder sonst wie beratend anbietet, dürfte sich demnach ‚Coach‘ nennen“ (Birgmeier 2005, S. 32). Erschwerend kommt hinzu, dass dem Coaching noch festgelegte Qualitätskriterien fehlen, welche sich aber bereits in der Entwicklung befinden (vgl. Böning 2000, S. 29f). Die oft nicht klar definierte und missbräuchliche Verwendung des Begriffs Coaching macht eine Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung des Begriffs und eine genaue Definition von Coaching erforderlich.

Der Begriff Coaching im Sinne von „‚Hilfe zur Selbsthilfe‘“ ist laut Birgmeier (2005, S. 29) noch nicht lange in Verwendung. Ursprünglich wurde Coaching „im Englischen bereits im 15. Jahrhundert“ (Birgmeier 2005, S. 29) verwendet. Laut Levold (2003, S. 65) stammt der Begriff aus dem Ungarischen „und bezeichnet dort als ‚kocsi (szekér)‘ ein ‚(Gefährt) aus Kocs‘, dem Ort, an dem die erste Kutsche gebaut wurde“. Schreyögg (2003, S. 11) bringt das Wort Kutsche gedanklich auch mit einen „‚kuscheligen‘ Ort, an dem ein Mensch alle seine Gefühle, Fragen oder Sorgen ausbreiten kann“, in Verbindung. Umgangssprachlich wurde der Begriff 1830 von Studenten der Universität Oxford „für einen Tutor oder Repeti- tor, der Studenten durch das Examen brachte“ (Levold 2003, S. 65), gebraucht. Allgemei- ne Bekanntheit erlangte der Terminus im Sport, in welchen er seit 1861 in Verwendung ist (vgl. Levold 2003, S. 65). Dabei ging es beim Coaching nicht ausschließlich um das kör- perliche Training, sondern um die Stärkung der mentalen Fähigkeiten für den Wettkampf (vgl. Birgmeier 2005, S. 30). Eingang in den Managementbereich fand das Coaching in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Coaching war dabei auf Führungskräfte und deren leitende Aufgaben ausgerichtet (vgl. Birgmeier 2005, S. 30). Hauptsächlich wurden dabei Schwierigkeiten im Berufsleben aufgearbeitet. Privates wurde weitgehend ausgeschlossen und eher als Störfaktor gesehen (vgl. Levold 2003, S. 66). In der Mitte der 80er Jahre hielt das Coaching Einzug in den deutschsprachigen Raum, wobei die Einzelbetreuung von Top-Managern durch externe Berater im Vordergrund stand15(vgl. Böning 2000, S. 25ff). Dabei wurden im Coaching inhaltlich Schwierigkeiten des Berufs und auch private Problembereiche thematisiert (vgl. Böning 2000, S. 27). Die Hauptauf- gabe des Coachings lag darin, dem Betroffenen seine „Wahrnehmungs-, Verhaltens- und Kommunikationsmuster bewusst [zu, C. G.] machen“ (Böning 2000, S. 27). Trotz anfängli-cher methodischen Uneinigkeiten16etablierte sich Coaching und wurde zu einem festen Bestandteil in der systematischen Führungskräfte- und Personalentwicklung.

Im Coaching wird nun nicht mehr nur der berufliche, sondern auch der private Lebensbe- reich thematisiert (vgl. Birgmeier 2005, S. 13). Es geht nunmehr ebenso um „die Entwick- lung der Persönlichkeit als Ganzes“ (Birgmeier 2005, S. 13). Dies stellt eine Schnittstelle zur Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) dar, die „sich seit jeher auf den ganzen Menschen als Ausgangspunkt ihres Denkens, Wissens und Handeln bezieht […]“ (Birg- meier 2005, S. 13).

Müller-Commichau stellt Unterschiede des Coachings zur herkömmlichen Beratungstätigkeit fest. Inwieweit sich Coaching von der traditionellen Beratung17 abgrenzt18und wo Gemeinsamkeiten bestehen, wird im Folgenden thematisiert.

Coaching kann als eine Form der Beratung betrachtet werden, welche auf bewährte und gängige Techniken zurückgreift (vgl. Müller-Commichau 2002, S. 31). Auch Rauen (2003a, S. 10) ordnet Coaching der Beratung zu. Er weist in diesem Zusammenhang so- wohl auf Unterscheidungsmerkmale als auch Gemeinsamkeiten hin:

- Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal gibt Rauen an, dass es sich beim Coa- ching in erster Linie um „eine Prozessberatung und keine Fachberatung“ (Rauen 2003a, S. 10) handelt. Der Coach verfügt zwar über ein gewisses Fachwissen, wobei Rauen darauf verweist, dass es notwendig ist um vom Klienten akzeptiert zu werden, aber das Prozesswissen steht im Vordergrund. Der Berater hingegen besitzt viel Fachwissen und gilt dementsprechend als Fachexperte (vgl. Rauen 2003a, S. 11).
- Der Prozessberater ist für den Klienten Zuhörer und Gesprächspartner, wohingegen der Fachberater zuhört um Ratschläge erteilen zu können (vgl. Rauen 2003a, S. 10).
- Rauen erwähnt als weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal den Umstand „dass ein Fachberater das Problem seines Klienten löst - oder dies zumindest annimmt. Ein Coach erarbeitet hingegen zusammen mit dem Gecoachten eine Lösung“ (Rauen 2003a, S. 12).
- Sowohl bei Beratung als auch beim Coaching ist das Ziel die „Verbesserung der Leis- tungsfähigkeit des Klienten“ (Rauen 2003a, S. 11), wobei für die Zielerreichung unter- schiedliche Wege gegangen werden.

Mit einem Beispiel19aus der Praxis sollen die Unterschiede zwischen Prozessberatung und Fachberatung veranschaulicht werden:

Ein Jugendlicher kann sich mit Hilfe von entsprechender Literatur (wie etwa Ratgeber für Bewerbungsgespräche) darüber informieren, was er bei einem Vorstellungsgespräch be- achten soll. Die entsprechende Literatur lässt sich eigentlich ohne viel Aufwand finden und dürfte deshalb für den Jugendlichen kein Problem darstellen. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Die Vorstellungsgespräche verlaufen teilweise zu ungunsten des Jugendli- chen; im Grunde geht es nicht um das „Was“, vielmehr ist das „Wie“ interessant. „Was“ bei einem Vorstellungsgespräch zu beachten ist, fällt unter Beratung bzw. Fachberatung. Wenn der Jugendliche beispielsweise den Verlauf eines Vorstellungsgespräch durch ein Rollenspiel übt, daraufhin ein Feedback erhält wie er sich erfolgreich gegenüber dem zu- künftigen Arbeitgeber präsentieren kann, dann fällt dies unter Coaching bzw. Prozessbe- ratung. Mithilfe der Übung und dem Feedback fällt es dem gecoachten Jugendlichen leichter das „Wie“ zu verstehen. Mit Fachberatung alleine wäre die Zielerreichung mit viel mehr Aufwand verbunden gewesen.

Um zwischen dem Coaching und der Sozialen Arbeit (Sozialpädagogik/Sozialarbeit) einen Bezug herzustellen, wird aufgrund der Ausführlichkeit, Praxisnähe und der sozialpädagogischen Aspekte nachfolgende Definition von Christopher Rauen herangezogen. Anzumerken ist, dass für den Begriff Coaching eine Vielzahl von Definitionen existiert und Coaching nicht für jeden dasselbe bedeutet20(vgl. Birgmeier 2005, S. 35):

„Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Begleitungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann. Im Vordergrund steht die berufliche Rolle bzw. damit zusammenhängende aktuelle Anliegen des Klienten.

Coaching ist individuelle Beratung auf der Prozessebene, d.h. der Coach liefert keine direkten Lösungsvorschläge, sondern begleitet den Klienten und regt dabei an, wie eigene Lösungen entwickelt werden können.

Coaching findet auf der Basis einer tragfähigen und durch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen gekennzeichneten, freiwillig gewünschten Beratungsbeziehung statt, d.h. der Klient geht das Coaching freiwillig ein und der Coach sichert ihm Diskretion zu.

Coaching zielt immer auf eine (auch präventive) Förderung von Selbstreflexion und - wahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortung, um so Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

Coaching arbeitet mit transparenten Interventionen und erlaubt keine manipulativen Techniken, da ein derartiges Vorgehen der Förderung von Bewusstsein prinzipiell entgegenstehen würde.

Coaching setzt ein ausgearbeitetes Coaching-Konzept voraus, welches das Vorgehen des Coachs erklärt und den Rahmen dafür festlegt, welche Interventionen und Metho- den der Coach verwendet, wie angestrebte Prozesse ablaufen können und welche Wirkzusammenhänge zu berücksichtigen sind. Zudem sollte das Konzept dem Geco- achten soweit transparent gemacht werden, dass Manipulationen ausgeschlossen wer- den können.

Coaching findet in mehreren Sitzungen statt und ist zeitlich begrenzt.

Coaching richtet sich an eine bestimmte Person [Gruppen-Coaching: für eine genau definierte Gruppe von Personen] mit Führungsverantwortung und/oder Management- aufgaben.

Coaching wird praktiziert durch Beraterinnen und Berater mit psychologischen und be- triebswirtschaftlichen Kenntnissen sowie praktischer Erfahrung bezüglich der Anliegen des oder der Gecoachten (um die Situation fundiert einschätzen und qualifiziert bera- ten zu können).

Ziel ist immer die Verbesserung der Selbstmanagementfähigkeiten des Gecoachten, d.h. der Coach soll sein Gegenüber derart beraten bzw. fördern, dass der Coach letztendlich nicht mehr benötigt wird.

Der Coach arbeitet im Rahmen zuvor vereinbarter ‚Spielregeln‘, die der Gecoachte - wie das gesamte Coaching - freiwillig akzeptiert. Grundlage der Beratung ist die auf Vertrauen basierende, persönliche Beziehung zu dem oder den Gecoachten.

Coaching ist kein einseitiger, nur vom Coach ausgehender Prozess, sondern hat einen interaktiven Verlauf. Der Coach greift nicht aktiv in das Geschehen ein, in dem er dem Gecoachten eine Aufgabe abnimmt; sondern er berät ihn, wie er diese selber effek- tiv(er) lösen kann. Dabei drängt der Coach dem Gecoachten nicht seine eigenen Ideen und Meinungen auf, sondern sollte stets eine unabhängige Position einnehmen.“ (Rau- en 2003b)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Merkmale von Coaching in Anlehnung an die Definition von Rauen (2003b).

Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Coaching und Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten21

[...]


1Ausführlich dazu in der Information zur Pressekonferenz vom 23.06.2006 (Rumetshofer 2006, S. 1-9).

2In den Jahren 1991 bis 1994 wurde ein erheblicher Geburtenanstieg registriert, welcher sich im Jahr 2006 durch den Anstieg der Zahl an Pflichtschulabgängern erneut bemerkbar machte. Somit standen im Jahr 2006 geschätzte 1000 Jugendliche mehr als im Jahr 2005 vor der Entscheidung entweder eine Lehrausbildung zu beginnen oder eine weiterführende Schule zu besuchen. Diese Zahl ist weiter angestiegen und erreichte Im Jahr 2008 ihren Höhepunkt mit rund 1400 betroffenen Jugendlichen mehr als im Jahr 2005. Ab dem Jahr 2010 wird sich dieser Trend umkehren, da die Geburtenzahl im Jahr 1995 und den folgenden Jahren rapide zurückgegangen ist (vgl. Rumetshofer 2006, S. 4).

3Das JugendService des Landes OÖ ist eine Anlauf- und Beratungsstelle für Jugendliche zwischen 12 bis 26 Jahren aus Oberösterreich. 1985 wurde die erste Stelle in Linz eröffnet und bis 2001 für alle politischen Bezir- ke Oberösterreichs insgesamt 14 Regionalstellen eingerichtet, um besser für Jugendliche erreichbar zu wer- den. Das JugendService bietet kostenlos, anonym und vertraulich Information und Beratung zu jugendrele- vanten Themen. Auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene arbeitet das JugendService mit sozialen und jugendrelevanten Einrichtungen zusammen. Als Mitglied von ERYICA, der europäischen Agentur für Jugendinformation und Jugendberatung, hält es die Prinzipien der Charta für Jugendinformation ein (vgl. Leitbild des JugendService).

4Informationen dazu siehe Anhang: Folder der Potenzialanalyse der Wirtschaftskammer OÖ.

5Deutsche Wissenschafter beschäftigen sich schon seit den letzten Jahrzehnten sehr intensiv mit den Termini Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Soziale Arbeit als Überbegriff (vgl. Scheipl 2003, S. 12).

6Bruckmüller zufolge wurden aus diesem Grund manche Waisenhäuser in die Nähe von Manufakturen und Fabriken gebaut (vgl. Bruckmüller 2001, S. 180).

7Zu einer expliziten Trennung der Unterbringung von Erwachsenen und Kindern kam es erst unter dem Nachfolger von Maria Theresia, Josef II (vgl. Scheipl 2003, S. 21). Er gründete 1784 das erste Gebär- und Findelhaus in Wien (vgl. Pawlowsky 2001, S. 26).

8Ausführliche Zusammenfassungen verschiedenen Theorien geben u.a. Schilling (1997) in „Soziale Arbeit. Entwicklungslinien der Sozialpädagogik/Sozialarbeit“ und Mühlum (2001) in „Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Ein Vergleich“. Auch Engelke (1993, S. 114f) beschäftigt sich mit der Verwendung der Begrifflichkeiten Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Soziale Arbeit in „Soziale Arbeit als Wissenschaft. Eine Orientierung“ und gibt darin eine kurze, jedoch sehr anschauliche Zusammenfassung.

9Abgesehen vom Alltags- und lebensweltorientierten Ansatz waren in dieser Zeit drei weitere Entwicklungen relevant: 1) „das Professionsmodell der ‚stellvertretenden Deutung‘“, 2) „sozialökologische und systemische Ansätze in der Sozialen Arbeit und“ 3) „die wachsende Relevanz von planungsbezogenen und betriebswirt- schaftlichen Fragestellungen“ (Galuske 2007, S. 143). Zusammenfassende Erläuterungen dieser drei Punkte sind bei Galuske (2007, S. 143-154) in Kapitel II.10. der „Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung“ nachzulesen.

10Deutlich zum Vorschein kommt das zum Beispiel bei Jugendlichen, die am Ende ihrer Pflichtschulausbil-dung stehen und bei welchen die anstehende Entscheidung, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollen zu einem fast unüberwindbaren Problem wird.

11Siehe dazu auch Abbildung 1.

12Jedoch weist Thiersch darauf hin, dass dieses „nicht im Widerspruch zu Struktur, Differenzierung, Methode und definiertem Arbeitsverständnis“ (Thiersch 2002, S. 204) steht.

13Dieser Begriff lässt sich auf den Begriff „pädagogischen Takt“ zurückführen, der erstmals von Johann Friedrich Herbart in seiner Göttinger Antrittsvorlesung 1802 verwendet wurde (vgl. Böhm 2000, S. 526; Benner 1997, S. 43-46). Herbart versteht unter den Begriff Takt „ein Mittelglied“ „zwischen Theorie und Praxis“ über das ein Erzieher verfügen sollte um schnell beurteilen und entscheiden zu können (vgl. Benner 1997, S. 44). „In einem allgemeineren Sinne gehört p. T. [pädagogischer Takt, C.G.] qua Sensibilität und Feingefühl für den anderen und als achtend-distanzierte Zurückhaltung vor der Selbstständigkeit des educantus zur Grundbedingung jedes authentischen päd. [pädagogischen, C.G.] Bezugs“ (Böhm 2000, S.526).

14Sehr ausführlich beschäftigt sich Müller (1991) dazu in „Die Last der großen Hoffnungen. Methodisches Handeln und Selbstkontrolle in sozialen Berufen“ auf den Thiersch (2002, S. 218) in diesem Kontext auch verweist.

15Aus diesem Grund stieg der Bekanntheitsgrad des Coachings stark an (vgl. Böning 2000, S. 27).

16Die unterschiedlichen Herangehensweisen von externen und internen Coaches führten zu Differenzen, wobei diese jedoch beseitigt werden konnten. Im Laufe der Zeit wurde geklärt, welches Coaching zur jeweiligen Situation passt und daher kann es nun gezielt eingesetzt werden (vgl. Böning 2000, S. 27f).

17Abgesehen vom Jobcoaching zählen die Jugendinformation und -beratung zu den Aufgabenbereichen des JugendService. Somit ist es wichtig, hier eine Unterscheidung zwischen der „herkömmlichen“ Beratung und dem Jobcoaching zu treffen.

18Die Abgrenzungen des Coachings zu anderen Methoden der Sozialen Arbeit (Psychotherapie, Supervision, Mentoring, Beratung und Training) werden im Zuge dieser Arbeit nicht behandelt. Ausführlich dargestellt werden sie bei Rauen (2003a, Kap. 1.3).

19Dieses Beispiel orientiert sich an einem Beispiel von Rauen (2003a, S. 12) und wurde für diese Arbeit entsprechend adaptiert.

20Einen guten Überblick über bisherige Definitionsansätze findet sich bei Birgmeier (2005, S. 37-46).

21„Unter personenzentrierte Beratung (…) versteht man die Anwendung des von Carl Rogers begründeten klientenzentrierten Konzepts auf das Anwendungsgebiet ‚Beratung‘“ (Sander 2004, S. 331). Laut Sander (2004, S. 332) setzt die personenzentrierte Beratung an der Person selbst an und „den damit verbundenen letztlich humanen Fähigkeiten, Einschränkungen und Entwicklungsmöglichkeiten“. „Da Konflikte, persönliche Probleme und psychische Leidenszustände ihren Ursprung in sozialen Bezügen haben, liegt die wichtigste Aufgabe des Beraters darin, sich im Verlassen auf die eigene Menschlichkeit auf die Zentrierung der Hilfe suchenden Person mit ihren Zielen, Wünschen und Wertvorstellungen einzustellen“ (Sander 2004, S. 332).

Fin de l'extrait de 162 pages

Résumé des informations

Titre
Coaching in der Jugendarbeit?
Sous-titre
Kritische Auseinandersetzung mit dem Coachingprozess aus sozialpädagogischer Sicht am Beispiel des Projekts „Jobcoaching“
Université
University of Vienna  (Institut für Bildungswissenschaft)
Note
2
Auteur
Année
2009
Pages
162
N° de catalogue
V142887
ISBN (ebook)
9783640508747
ISBN (Livre)
9783640509010
Taille d'un fichier
2101 KB
Langue
allemand
Mots clés
Coaching, Jugendarbeit, Kritische, Auseinandersetzung, Coachingprozess, Sicht, Beispiel, Projekts
Citation du texte
Christa Grammer (Auteur), 2009, Coaching in der Jugendarbeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142887

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