Zur Situation des alten Menschen mit akuter Verwirrtheit auf der Intensivstation und die Möglichkeit des Einsatzes der Validation


Forschungsarbeit, 2007

62 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 ZUM PHÄNOMEN DES DELIRS BEI ALTEN MENSCHEN AUF DER INTENSIVSTATION
2.1 Ätiologie, Symptomausprägung und Verlauf des Delirs
2.2 Auftreten von Delirien und ihre sichere Diagnose
2.3 Inzidenz von Delirien bei hospitalisierten Patienten

3 PFLEGERISCHE INTERVENTIONEN BEIM DELIR
3.1 Präventive und korrigierend behandelnde Interventionen
3.2 Effektivität von Pflegeinterventionen

4 KOMMUNIKATIONSGESTALTUNG BEIM DELIR
4.1 Gezielte Kommunikationsmethoden - die Validation
4.1.1 Validation nach Naomi Feil - die einfühlende Kommunikation
4.1.2 Integrative Validation nach Nicole Richard (IVA)
4.2 Effektivität von Validation

5 FORSCHUNGSPROJEKTSKIZZE
5.1 Literaturrecherche Validation auf der Intensivstation
5.2 Korrespondenz mit Delir-Experten
5.3 Experteninterviews zum Einsatz der Validation auf der Intensivstation
5.4 Auswertung der Interviewausschnitte
5.4.1 Möglichkeiten und positive Effekte der Integrativen Validation
5.4.2 Grenzen und Hindernisse
5.4.3 Chancen und Zukunftsperspektive

6 SCHLUSSFOLGERUNGEN

7 LITERATURVERZEICHNIS

8 ANHANG
8.1 Suchstrategien der Literaturrecherche
8.2 Interviewleitfaden Experteninterview
8.3 Postskript Experteninterview
8.4 Thematisch inhaltliche Vorbereitung des Experteninterviews zur Thematik der Integrativen Validation (IVA)
8.5 Thematisch inhaltliche Vorbereitung des Experteninterviews zur Methodik der Integrativen Validation (IVA)

1 Einleitung

Im Forschungspraktikum des Pflegewissenschaftlichen Masterstudien-gangs der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar sollen klinisch-praktische Forschungsfragen entwickelt und projektbezogen und methodisch beantwortet werden.

Fokus des klinischen Forschungsfelds ist der alte Mensch auf der Inten-sivstation und das Phänomen der akuten Verwirrtheit, das im deutsch-sprachigem Raum als Delir[1] und international auch als Delirium bezeich-net wird. In dem klinischen Alttag ist es besser als das „Durchgangssyn-drom" oder „Intensivstations-Syndrom" bekannt. Genauso vielfältig wie die Ursachen für das Delirium bei alten Menschen sind auch die Empfehlun-gen für die medizinischen und pflegerischen Präventionen und korrigie-renden Interventionen. Ein Schwerpunkt dieser Interventionen liegt im Bereich der Kommunikationsgestaltung bei agitierten Patienten und der beruhigenden Anwesenheit durch Pflegekräfte. Zur Kommunikationsges-taltung im Delir wird vereinzelt in der Literatur der Intensivpflege sowie auf Intensivpflegekongressen (Intensivpflegesymposium in Düsseldorf 2006 für Pflegende kritisch Kranker) empfohlen, Kommunikationsmethoden aus dem Bereich der gerontopsychiatrischen Langzeitpflege für die Situation der akuten Verwirrtheit auf der Intensivstation zu übernehmen. Gezielt wird hier der Einsatz der Validation nach Naomi Feil empfohlen, mit dem alte und demente Menschen in ihrer Not, Angst und Agitation erreicht werden können. Eine Modifikation stellt die Methode der Integrativen Vali­dation nach Nicole Richard dar (vgl. Depenbusch 1996, S. 176, S. 180 f. u. Vaculik 2006, S. 2 u. S. 7).

Das Forschungsinteresse in dieser Arbeit liegt in der Möglichkeit des Ein-satzes der Methode der Validation bei akut verwirrten Patienten in der Intensivpflege vor dem Hintergrund, dass diese Methode initial fer eine chronische Form der Verwirrtheit aullerhalb der Intensivstation und des Krankenhauses entwickelt wurde.

Die daraus sich ableitende Forschungsfrage dieser Arbeit lautet:

- Ist die Methode der Validation und Integrativen Validation nach Nicole Richard auf der Intensivstation bei Patienten mit akuter Ver-wirrtheit anwendbar und wirksam? Was sind die Möglichkeiten oder Grenzen der Validation bei Patienten in der Intensivpflege?

Diese Forschungsfragen sollen im Rahmen eines Forschungspraktikums des Pflegewissenschaftlichen Materstudiengangs systematisch recher-chiert und beantwortet werden. Das Forschungspraktikum findet in einem Krankenhaus der Maximalversorgung statt. Auf einer Intensivstation (30 Betten) setzten seit einem Jahr drei Intensivpflegekräfte die Methode der Integrativen Validation von Nicole Richard bei akut verwirrten Patien-ten ein. Ihre Erfahrungen sollen aus dem klinischen Forschungsfeld gene-riert werden und in der Beantwortung der Forschungsfrage integriert werden.

Die Erkenntnisse aus dem Forschungsbericht zu dem Einsatz der Valida­tion in der Begleitung älterer akut verwirrter Menschen können als pflege-wissenschaftlichen Beitrag fer das Handlungsfeld der Intensivpflege betrachtet werden. Ganz besonders in Hinblick auf die oftmals schwieri-gen Situationen der Kommunikation bei Unruhe, Angst und Agitiertheit in der Akutsituation.

In einem ersten Teil des vorliegenden Arbeit wird das Phänomen der akuten Verwirrtheit bei alten Menschen mit der Atiologie, Symptomaus-prägung und ihrem Verlauf beschrieben. Es soll damit verdeutlicht werden, dass das klinische Bild des Delirs gerade bei alten Menschen ein ernst zu nehmendes Problem und ein relevantes Thema der intensivmedizinischen und pflegerischen Betreuung ist und dies auch in der Zukunft sein wird. Es ist anzunehmen, dass mit der Zunahme von betagten und hoch betagten Menschen mit einem Anstieg der Problematik des in Krankenhäusern zu rechnen ist. Die steigende Inzidenz des Deliriums bei hospitalisierten älte-ren Patienten in Deutschland in den letzten Jahren geben erste Hinweise dazu.

In einem zweiten Teil wird die Kommunikationsgestaltung der Validation nach Naomi Feil sowie die der Integrativen Validation nach Nicole Richard (IVA) vorgestellt und ihre besondere Art der Gesprächsführung und Um-gangsweise in psychischen Krisen beschrieben.

Im abschliegenden dritten Teil werden die oben genannten Forschungs-fragen aufgenommen, systematisch und in einer entsprechend methodisch begründeten Forschungsprojektskizze recherchiert. Neben einer Literaturrecherche, werden Experteninterviews mit den Anwendern der Validation auf der Intensivstation durchgeführt, um die Frage der Effektivität der Methode im Setting der Akutmedizin zu beantworten.

Die Ergebnisse werden abschliegend zusammengefasst und zur Diskus-sion gestellt.

Theoretischer Teil

2 Zum Phänomen des Delirs bei alten Menschen auf der Intensivstation

Das Delir oder Delirium[2], auch als „Intensivstations-Syndrom" oder „Durch-gangssyndrom" bezeichnet, ist ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem bei älteren Menschen im Krankenhaus. 25-30% der über 70-Jährigen ent-wickeln im Krankenhaus ein Delirium. Aber auch altersübergreifend sind 50% der Patienten in den Abteilungen der Inneren Medizin, Chirurgie und auf der Intensivstation akut verwirrt (vgl. Kratz 2007, S. 97).

Das Delir kann wie folgt beobachtet und definiert werden: „..(Ein) organi-sches Hirnsyndrom, das durch globale kognitive Beeinträchtigungen mit abruptem Beginn und relativ kurzer Dauer (weniger als einen Monat) sowie durch gleichzeitige Störungen von Vigilanz, Wach-Schlaf-Rhythmus und psychomotorischem Verhalten gekennzeichnet ist.“ (Cady 1994, S. 205) Es kann mannigfaltige Ursachen haben und in seiner Verlaufsform und Prognose unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei alten Menschen kann das Delir mit einer erhöhten Morbidität bzw. Mortalität, einem längeren Krankenhausaufenthalt und einer anschliellenden häufigeren Unterbrin-gung in einem Pflegeheim verbunden sein (vgl. Foreman et al. 2003, S. 116 f.).

2.1 Ätiologie, Symptomausprägung und Verlauf des Delirs

Es ist allgemein bekannt, dass ältere und alte Menschen eher zu akuten Verwirrtheitsstörungen neigen als jiingere. Ein Zusammentreffen von altersbedingten physiologischen Veränderungen, chronischen Krankheiten und sensorischen Beeinträchtigungen mit zusätzlichen Stressfaktoren wie postoperativen Schmerzen, Angst vor dem Sterben oder Angst vor dem Verlust der Selbstständigkeit verstärken die Prädisposition. Die Ursachen einer akuten Verwirrung können multifaktoriell begründet sein (vgl. Cady 1994, S. 205 u. Foreman et al. 1994, S. 124).

Auch Operationen können bei älteren Menschen Auslöser far eine akute Verwirrtheit sein, dem so genannten postoperativen „Durchgangssyn-drom"[3]. Zu Hochrisikopatienten zählen Patienten nach Haft- und Herzope-rationen und Patienten mit Demenz. Hierbei sind alte Menschen beson-ders prädisponiert, da far sie die postoperative Phase mit erheblichen körperlichen, pharmakologischen und umweltbedingten Stressfaktoren verbunden ist und eine umfangreiche Adaption erfordert. Bei 24-80% der älteren Patienten kommt es postoperativ zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen mit dem Auftreten von Verwirrtheit und Angst. Be-einträchtigungen der sensorischen Fähigkeiten wie Altersschwerhörigkeit und ein schlechtes Sehvermögen erschweren zusätzlich die Erfassung und Bewältigung der Situation (vgl. Haseman et al. 2007, S. 5 u. Faut-Callahan et al. 1994, S. 214). Das postoperative „Durchgangssyndrom" kann bei 40% der Fälle bis zu einer Woche anhalten (vgl. Fiisgen 2000, S. 369).

Neben den pathogenetischen Ursachen sind besonders eine Fiille von störenden Umgebungsfaktoren auf Intensivstationen Auslöser des Deliriums. Sie erzeugen zur Gänze eine nicht förderliche Atmosphäre und potenzieren somit den psychischen und emotionalen Stress in der Akut-situation.

Der Verlauf der akuten Verwirrtheit variiert sehr und zeigt Veränderungen im Tagesverlauf. „With hospitalization, the onset of delirium generally occurs shortly after admission, usually between the second and third days. Few cases of delirium develop after sixth day of hospitalization... . The severity of these symptoms varies during the day, typically being worse in the evening or when the patient is fatigued. ...Typically, delirium lasts less than 5 days; cases lasting longer than 7 days are rare.” (Foreman et al. 2003, S. 117)

Verlaufsformen

Auf der Basis des psychomotorischen Verhaltens lassen sich drei Arten von akuter Verwirrtheit unterscheiden:

- die hypokinetischen Verwirrtheitszustände mit reduzierter psycho-motorischer Aktivität, Miidigkeit und Apathie
- die hyperkinetischen Verwirrtheitszustände mit erhöhter Erregbar-keit und psychomotorischer Hyperaktivität, Halluzinationen und Sinnestäuschungen
- die gemischten Verwirrtheitszustände mit einem fluktuierenden Zustand zwischen hypo- und hyperkinetischen Verwirrtheits-zuständen (vgl. Foreman et al. 1994, S. 121).

Die hypokinetischen Verwirrtheitszustände

Da die hypokinetischen Verwirrtheitszustände eher „unauffällig" und nicht „störend" sind, werden sie häufig vom therapeutischem Team der Inten-sivstation nicht erkannt und diagnostiziert oder nicht selten fälschlicher-weise als Depression betrachtet (vgl. Neuhaus et al. 2007, S.18).

Die hyperkinetischen Verwirrtheitszustände

Dagegen ist besonders die hyperkinetische Form der Verwirrtheit als Delirium-Phänomen bekannt: „The neurologie literature generally uses the term "delirium“ to refer almost exclusively to hyperactive patients ...“ (ICU Delirium and Cognitive Impairment Study Group 2007). Bei hyperkineti-schen oder hyperaktiven Verwirrtheitszuständen sind die Patienten nicht in der Lage, Vorgänge aus ihrer Umgebung zu überblicken und sie in einen wirklichen Zusammenhang zu bringen. Gegenstände, Personen und Handlungen werden in den Halluzinationen neu interpretiert, und ganze Horrorszenarien können sich vor den Augen der Erkrankten abspielen. Dazu bezieht der verwirrte Patient alle Ereignisse in extremer und falscher Weise auf sich und fühlt sich verfolgt oder gefangen. Aus einer ständigen emotionalen Uberforderung entwickelt sich im Verlauf starkes Misstrauen, Feindseligkeit, extreme Angst und Verfolgungsangst (vgl. Depenbusch 1996, S. 176 f.).

Die hyperkinetische Form des Delirs sei an dieser Stelle noch einmal besonders erwähnt, da hier häufig ein herausforderndes Verhalten der Patienten beobachtet wird mit der Konsequenz, dass ein ganzes Intensiv-team für Stunden und Tage dem Ausnahmezustand des Patienten mit Geduld, Ruhe und Akzeptanz begegnen darf. Das hyperkinetische Delirium gehört nicht zu der Rubrik „nicht auffällig" und „nicht störend". Auch Angehörige sind davon betroffen und werden in dieser Situation ge-fordert, denn Misstrauen und Feindseligkeit kann auch ihnen vom Erkrank-ten entgegen gebracht werden. In diesem Szenario und Episode des hyperkinetischen Delirs sollen medizinische und pflegerische Interventio-nen gemeinsam eine Stressminderung erzielen und den Patienten in seinem emotionalen Ausnahmezustand erreichen.

Prognose

Die Prognose des Delirs ist im hohen Mahe abhängig vom Lebensalter, der Art und Schwere der Grunderkrankungen und zerebralen oder extra-zerebralen Vorerkrankungen. In vielen Fällen kommt es innerhalb von Tagen und Wochen zur Remission, bei anderen bleiben Funktions- einbullen im Alltag bestehen. Des Weiteren kann das Auftreten von akuter Verwirrtheit beim alten Menschen die Erstmanifestation eines zuvor sub-klinischen Demenzprozesses darstellen (vgl. Hewer 2003, S. A2009).

2.2 Auftreten von Delirien und ihre sichere Diagnose

Das Delirium gehört bei den über 60-jährigen Krankenhauspatienten zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Bei der Aufnahme oder während des Krankenhausaufenthaltes wird bei 35 bis 55% aller Patienten dieser Altersgruppe ein Delir festgestellt (vgl. Maciejewski et al. 2001, S. V/ 4). Nach Rösler werden jedoch bis zu zwei Drittel nicht richtig erkannt. Stattdessen wird beim Auftreten von Verwirrtheitszuständen im Kranken-haus bei über der Hälfte der Patienten von einer beginnenden oder zugrunde liegenden Demenz[4] ausgegangen (vgl. Rösler 2004, S. 129). Pretto bemerkt, dass es Arzten und Pflegenden oftmals an ausreichendem Wissen fehlt, um den mentalen Status alter Menschen einzuschätzen und ein Delirium sicher von anderen kognitiven und psychiatrischen Störungen wie einer Depression zu unterscheiden (vgl. Pretto et al. 2006, S. 11).

Dieses Wissen ist jedoch in einem therapeutischen Team notwendig, da-mit Krankheitsprozesse nicht mit Alterungsprozessen verwechselt werden und eine adäquate Therapie und Betreuung auf der Intensivstation frühzei-tig eingeleitet werden kann. Betrachtet man die Symptomausprägung des hyperaktiven Delirs, den extremen Stress der Patienten, die erheblichen Risiken und Folgekomplikationen oder gar die Gefahr der Mortalität, dann ist eine differenzierte und frühzeitige Diagnose von besonderer und zent-raler Bedeutung.

Diagnoseverfahren in Form von verschiedenen Assessments[5] können in einem präventiven Ansatz erste Vorboten des Delirs rechtzeitig auf-decken, zur systematischen Abgrenzung von einer Demenz oder Depres­sion beitragen und die Einleitung einer umgehenden adäquaten Behand-lung ermöglichen (vgl. Foreman et al. 1994, S. 117 f.). Ohne den Einsatz von systematischen Assessments werden 80% der Delirien übersehen. Hauptprobleme sind das Nichterkennen von hypoaktiven Delirformen, die Verwechslung des Delirs mit ähnlichen Krankheitsbildern wie Demenz oder Depression und das Nichterkennen des Delirs bei vor bestehender Demenz (vgl. Hasemann et al. 2007, S. 4 f.).

Der Einsatz systematischer Assessment-Instrumente ist darüber hinaus auch ein wichtiger Gradient für die statistische Erfassung der Inzidenz des Delirs bei hospitalisierten Patienten. Uber den Grad der Ausprägung des Deliriums bei alten Menschen in ab- oder aufsteigender Form gibt das folgende Kapitel weitere Auskünfte.

2.3 Inzidenz von Delirien bei hospitalisierten Patienten

Die Häufigkeit von Delirien in deutschen Krankenhäusern wird vom Statis-tischen Bundesamt in Wiesbaden auf der Basis des ICD-10-GM Katalog Version 2006 erfasst. Das Delirium im Krankenhaus wird in der Gruppe Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F09) aufgeführt. Im einzeln sind hier zu nennen:

F05 das Delir, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt (subakut/akut)

F05.0 Delir ohne Demenz

F05.1 Delir bei Demenz[6]

F05.8 sonstige Formen des Delirs mit gemischter Atiologie

F05.9 nicht näher bezeichnetes Delir (ICD-10-GM Version 2006)

Hinweis: Die Diagnose des Delirs wird immer klinisch gestellt. Die ICD-10 F05 setzt einen „akuten Beginn" voraus (vgl. Kratz 2007, S. 97 u. 99).

Rate der vollstationären Patienten in Deutschland mit F05 Delir Erste Ubersichtstabellen der Jahre 2000 bis 2005 des statistischen Bundesamtes verdeutlichen, dass das Delirium ein klinisch relevantes Phänomen mit steigender Tendenz ist (vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Rate der vollstationären Patienten mit Delirium in Deutschland ist 2005 mit 26.500 Fällen steigend, auch die Mortalität mit 671 Fällen. Das durchschnittliche Alter der Verstorbenen war im Jahr 2005 bei Frauen 87,8 Jahre und bei Männern 84,6 Jahre. Die durchschnittliche Verweildauer von Patienten mit Delir ist tendenziell seit 2003 gesunken. Die Stunden-fälle sind dennoch doppelt so hoch als im Jahr 2000. Gröllte Population sind die weiblichen Patienten.

Lebensalter der vollstationären Patienten in Deutschland mit F05 Delir Dass die Häufigkeit des Deliriums signifikant mit dem Alter zunimmt, belegt die folgende Tabelle aller F05 Delir-Fälle des Jahres 2005 fer hospitalisierte Patienten (vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Demzufolge liegt die höchste Inzidenz der akuten Verwirrtheit bei alten Menschen zwischen 75 und 85 Jahren. Bis zu dieser Lebensspanne steigt das Auftreten des Delirs. Dieser Trend setzt sich jedoch ab dem 85. Lebensjahr nicht mehr fort. Sei es, dass nicht soviel Hochbetagte leben, sei es, dass sie aullerdem eine zusätzliche Demenzerkrankung haben. Diese Form der F05.1 Diagnose wird jedoch in der Gesundheitsberichter-stattung des Bundes nicht ausgewiesen. Laut Literatur erhöht sich die Inzidenz des Deliriums auf Intensivstationen und wird mit einer Rate von 80% angegeben. Des Weiteren steigt die Häufigkeit des Delirs signifikant mit dem Alter der Patienten (vgl. Neuhaus et al. 2007, S.18 u. Depen-busch 1996, S.177).

3 Pflegerische Interventionen beim Delir

Fusgen beschreibt besonders die hyperaktive Form der akuten Verwirrt-heit als absolute Notfallsituation, in der es intensiver Uberwachung, Beru-higung und Betreuung bedarf (vgl. Fusgen 2000, S. 369 u. s. 373). Die Patienten befinden sich im hyperaktiven Delirium in einer Ausnahmesitua-tion der völligen Agitiertheit mit Weglauftendenzen und daraus resultieren-den Verletzungsgefahren, Halluzinationen, aggressivem Verhalten gegen-fiber der Umgebung, Unfähigkeit zur Kooperation, Therapieverweigerung und der Gefahr der Selbstgefährdung durch die Entfernung von Zugän-gen. Dieser Ausnahmezustand der vegetativen Symptomatik kann sich auch postoperativ und in der Aufwachphase bei langzeitbeatmeten Patien-ten zeigen. Die Betreuung der Patienten im Delirium, beatmet oder nicht, orientiert sich besonders an der Beruhigung und Uberwachung. Die Kommunikation ist anspruchsvoll, schwierig und verlangt viel Geduld. Die Rekonvaleszenz des Deliriums kann Tage oder Wochen dauern.

Milisen gibt den wichtigen Hinweis, dass alte Menschen besonders in Situationen der Instabilität oder Zustandsverschlechterung infolge bedroh-licher Erkrankungen zur Uberwindung und Regeneration mehr Zeit benöti-gen (vgl. Milisen et al. 2004, S. 8).

3.1 Präventive und korrigierend behandelnde Interventionen

Alle pflegerischen Interventionen[7] oder Mal nahmen versuchen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf einer akuten Verwirrtheit zu nehmen. Pflegerische Interventionen werden in der Literatur in präventive und korrigierend behandelnde Mal nahmen eingeteilt. Ihr Ziel ist die Reduktion von Angst und Stress, die Aufrechthaltung der Kommunikation, die Hilfe-stellung zur Orientierung bzw. Reorientierung, die Vermittlung eines Ge-fahls der Vertrautheit und Sicherheit und die Schaffung einer ruhigen Raumatmosphäre. Oftmals werden gleiche pflegerische Interventionen sowohl zur Prävention als auch zur Behandlung des Deliriums eingesetzt. Da eine rein medizinische Therapie das Delirium nicht ausreichend beein-flussen kann, sind pflegerische Interventionen unerlässlich (vgl. Ewers 2002, S. 822 f. u. S. 827).

3.2 Effektivität von Pflegeinterventionen

Die nationalen Empfehlungen zur Betreuung von Patienten im Delirium auf Intensivstationen weisen nicht den Grad der Wirksamkeit von einzelnen Pflegeinterventionen aus. Das Wissen der Autoren basiert oftmals auf Erfahrung. Die hier genannten pflegerischen Interventionen können dem-zufolge als möglicherweise positiv beeinflussend bezeichnet werden. Somit bleibt eine Vielzahl an klinisch-relevanten Forschungsfragen zur Wirksamkeit und Effektivität von Pflegeinterventionen zur Behandlung im Delirium in der Intensivpflege offen und unbeantwortet.

In einem Bericht von Schuurman wird eindeutig darauf hingewiesen, dass auf der Basis der bisherigen Untersuchungen keine evidente Richtlinie ffir die Behandlung des Deliriums aufgestellt werden kann (vgl. Schuurmans et al 2004, S. 147). Auch im Jahr 2007 wird von Hasemann, dem Projekt-leiter des Delirium- Management-Teams des Universitätsspitals Basel, bestätigt, dass eine evidente Datenlage fiber Pflegeinterventionen im Delirium bisher nicht gegeben ist: „Aus den mehr als 88 Interventionsstu-dien geht keine wirksame Einzelmassnahme der Delirprophylaxe und/ oder -behandlung vor.“ (Hasemann et al. 2007, S. 4 f.)

Dies gilt auch den Mallnahmen der Kommunikationsgestaltung beim Delir.

4 Kommunikationsgestaltung beim Delir

Besonders die zwischenmenschlichen Fähigkeiten von Intensivpflege-kräften haben einen grollen Anteil daran, wie Patienten und Angehörige die kritische Akutphase und die Situation der Verwirrung erleben.

[...]


[1] Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Delir, Delirium und akute Ver-wirrtheit synonym gebraucht. Der Begriff Delirium richtet sich in der Arbeit an die interna-tionale Bezeichnung und nicht an ein Delirium tremens, das in Deutschland meist alltags-sprachlich damit verbunden wird.

[2] Das Delirium (gr. „Irrsinn, Unsinn", lat. „Von der Linie abweichen") hat viele Synonyme und ist wenig einheitlich definiert (vgl. Schuurmans et al. 2004, S.131). Bekannt ist es auch als akute Verwirrtheit (acute confusion), akutes Psycho-Organisches Syndrom, hirnorganisches Psychosyndrom, akute Demenz und exogener Reaktionstyp. In Deutsch­land wird der Begriff Delirium in erster Linie mit Entzugssyndromen bei Drogen-, Alkohol-oder Medikamentenabhängigkeit in Verbindung gebracht, wobei diese nur einen kleinen Teil der Delirien auslösen. International wird der Begriff Delirium oder Delir benutzt (vgl. Pretto et al. 2006, S. 9 u. Schuurmans et al. 2004, S.136).

[3] Das Delirium nach Operationen wird als akute postoperative Verwirrtheit, postoperatives Delirium oder „Durchgangssyndrom" bezeichnet, ist reversibel und von relativ kurzer Dauer (weniger als vier Wochen). In der englischen Literatur wird der Begriff „postopera-tiv psychosis" oder „intensive care unit psychosis" verwendet (vgl. Ewers 2002, S. 822). Das postoperative Durchgangssyndrom kann auch bei nicht älteren Patienten auftreten und bis zu einer Woche anhalten (vgl. F•sgen 2000, S. 369).

[4] Bei einer vorliegenden Demenzkrankheit ist das Risiko, einen akuten Verwirrtheits-zustand zu entwickeln um das 2- bis 5fache erhöht (vgl. Rösler 2004, S. 129).

[5] Zur Diagnostik und Routineüberwachung des Delirs stehen verschiedene Assessments zur Verfügung, beispielsweise „Diagnostic Statistical Manual III (DMS-III)„Delirium Detec­tion Score" (DDS), „Delirium Rating Scale (DRS) und „Confusion Assessment Method for the ICU" (CAM-ICU). CAM-ICU gilt als Goldstandard unter den Scoringsystemen für die Diagnose des Delirs bei beatmeten oder nicht beatmeten Patienten (vgl. Schuurmans et al. 2004, S.131, Neuhaus et al. 2007, S. 18 f. u. Pretto et al. 2006, S. 11).

[6] Fur diese Form des Delirs bei Demenz (F05.1) gibt es keine Dateninformationen. Im Jahr 2004 waren vollstationäre Patienten mit Demenzerkrankungen bei Alzheimer-Krankheit (F00) 748 Patienten, mit einer Vaskulären Demenz (F01) 17.232 Patienten, Demenz bei anderorts klassifizierten Krankheiten (F02) 100 Patienten und mit einer nicht näher bezeichneten Demenz (F03) insgesamt 14.426 Patienten (vgl. Gesundheitsbe-richterstattung des Bundes 2007).

[7] „Der Begriff Pflegeintervention ist der wissenschaftliche Terminus für den erfahrungsge-leiteten Begriff der Pflegemaßnahme oder der pflegetherapeutischen Einzelhandlung.“ (Thoke-Colberg et al. 2001, S. 29)

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Zur Situation des alten Menschen mit akuter Verwirrtheit auf der Intensivstation und die Möglichkeit des Einsatzes der Validation
Hochschule
Philosophisch-Theologische Hochschule der Pallottiner Vallendar  (Pflegewissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Praktisches Forschungspraktikum
Note
1.0
Autor
Jahr
2007
Seiten
62
Katalognummer
V143279
ISBN (eBook)
9783640514816
ISBN (Buch)
9783640515295
Dateigröße
789 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Akute Verwirrtheit, Delir, Delirium, Integrative Validation, Herausforderndes Verhalten, Intensivstation, Agitation, Intensivpflege, Verwirrter älterer Patient, Durchgangssyndrom, Desorientierung, validierende Grundhaltung, Validation
Arbeit zitieren
MScN Stefanie Monke (Autor:in), 2007, Zur Situation des alten Menschen mit akuter Verwirrtheit auf der Intensivstation und die Möglichkeit des Einsatzes der Validation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143279

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