Der SPIEGEL-Leitartikel „Im Gemüsegarten“ aus dem Jahre 1958, der das Hessebild in Deutschland bis in die 70er Jahre hinein entscheidend mitgeprägt hat, schreibt über Hermann Hesse: „Der Dichter [Hesse] bleibt in seiner Subjektsphäre verfangen. Es will ihm nicht gelingen eine Objektwelt hinzustellen und in ihr Fuß zu fassen. […] In immer erneuten Ansätzen und Abwandlungen macht er den Leser zum Mitwisser einer Entwicklung, die mit dem Versagen von den Aufgaben des Lebens beginnt…“. Hesse, so heißt es weiter, lasse „seine Leser unentwegt gleichsam die Pubertätszeit repetieren, für die der schmerzhaft empfundene Gegensatz von Trieb und reinem Geist charakteristisch ist.“ Ist Hesse ein ewiger Pubertant und weltfremder Eskapist, der lediglich Resonanz bei Jugendlichen findet?
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Tatsächlich ist Selbstfindung, Selbstverwirklichung, kurz, Individuation, ein zentrales Motiv in Hesses umfangreichem epischem Werk, was von Hesses Kritikern offensichtlich als Indiz für die Überbetonung pubertärer Identitätssuche aufgefasst wurde. Auch handeln Hesses vor allem frühere Erzählungen und Romane von der Entwicklung eines jungen Menschen, der durch Konflikte mit seinem Umfeld ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unfreiheit entwickelt, dem der Wunsch nach Selbstbestimmung und Befreiung von gesellschaftlichen und familiären Zwängen gegenübersteht. Thematisiert also Hesse mit dem, was er ‚Menschwerdung‘ und ‚Erwachen‘ nannte, lediglich pubertäre Krisen? Wie verhält es sich mit der Individuationsthematik in Hesses Werk und worauf zielt sie ab?
Individuation als psychologisches Konzept wurde vor allem von C.G. Jung geprägt und meint einen innerseelischen Prozess...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Begriff der Individuation
- C.G. Jungs Begriff der Individuation
- Individuation im Hinduismus: Der Glaube an Atman
- Individuation im Buddhismus: Der Weg zur Erleuchtung
- Individuation im Taoismus: Die Erlangung des Tao
- Versuch einer Synthese
- Die Individuationsthematik im Werk Hermann Hesses
- Demian
- Der Individuationsprozess
- Der Schatten
- Demian: der Archetyp des Selbst
- Die Anima
- Frau Eva: der Archetyp der Grossen Mutter
- Die Wiedergeburt des Selbst
- Siddharta
- Die verstandesmäßige Auseinandersetzung mit der Welt
- Die Auseinandersetzung mit dem Sinnesleben
- Siddharthas Vollendung
- Siddharthas Individuation: Eine Kreisbewegung
- Demian
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem zentralen Motiv der Individuation im Werk von Hermann Hesse und analysiert, wie dieses Motiv in verschiedenen literarischen Werken, insbesondere in "Demian" und "Siddhartha", dargestellt wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Hesses Darstellung der Individuation lediglich auf pubertäre Krisen beschränkt ist oder einen tieferen Sinn verfolgt.
- Individuation im Werk von Hermann Hesse
- Vergleichende Analyse von "Demian" und "Siddhartha"
- Einfluss der Psychoanalyse (C.G. Jung) auf Hesses Werk
- Verbindung von Psychoanalyse und fernöstlichen Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Taoismus)
- Hesses Konzeption der Selbstverwirklichung und der "Gotteserfahrung"
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel bietet eine Einleitung in die Thematik und beleuchtet die Kontroverse um Hesses Werk, die ihn als "ewigen Pubertanten" und "weltfremden Eskapisten" darstellte. Es wird außerdem die Bedeutung des Begriffs "Individuation" im Kontext der Psychoanalyse und der fernöstlichen Religionen erläutert.
Kapitel zwei widmet sich C.G. Jungs Konzept der Individuation und untersucht dessen Relevanz für Hesses literarisches Schaffen.
Kapitel drei analysiert die Thematik der Individuation in den Werken von Hermann Hesse, insbesondere in "Demian" und "Siddhartha". Es werden die zentralen Motive, Figuren und Symbolwelten der beiden Romane im Kontext der Individuationsthematik untersucht.
Das vierte Kapitel fasst die zentralen Erkenntnisse der Arbeit zusammen und beleuchtet die Bedeutung der Individuationsthematik für Hesses Gesamtwerk.
Schlüsselwörter
Individuation, Selbstfindung, Selbstverwirklichung, Psychoanalyse, C.G. Jung, Archetypen, Kollektives Unterbewusstes, Hermann Hesse, Demian, Siddhartha, Hinduismus, Buddhismus, Taoismus, Gotteserfahrung, Synthese, östliche Philosophie, Selbstbestimmung, Identitätssuche.
- Arbeit zitieren
- Ilona Kramer (Autor:in), 2009, Der Weg zum Selbst: psychoanalytische und fernöstliche Elemente in Hermann Hesses Individuationsthematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144152