Vergangenheitsbewältigung als Teildimension des Peace Building in Osttimor


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung (S.3)

2. Peace Building, multidimensionale Friedensoperationen und Demokratieförderung

3. Vergangenheitsbewältigung als Teil von Peace Building-Operationen: Transitional Justice

4. Konflikt und Peace Building in Osttimor
a. Die Kolonialzeit
b. Die indonesische Besatzung Osttimors, 1974-1999
c. Der Weg zur Unabhängigkeit: Osttimor unter UN-Verwaltung

5. Vergangenheitsbewältigung in Osttimor
a. CAVR (Commission for Reception, Truth and Reconciliation), 2001-2005
i. Entstehung, Aufbau und Ziele (S.14) ii. Maßnahmen (S.15)
iii. Bewertung
b. Weitere Formen der Vergangenheitsbewältigung in Osttimor
i. SCU (Serious Crimes Unit)
ii. Wiedereingliederung von Kombattanten in Gesellschaft und Streitkräfte
c. Die Rolle Indonesiens: Der Ad Hoc Human Rights Court in Jakarta

6. Fazit

7. Quellen

1. Einleitung

Am Morgen des 11. Februar 2008 eröffneten Rebellen in der Hauptstadt Dili das Feuer auf den Präsidenten Osttimors, Jose Ramos-Horta. Der Präsident wurde bei dem Attentat schwer verletzt und musste in ein Krankenhaus im australischen Darwin gebracht werden. Kurz dar- auf wurde ein weiteres Attentat auf den Ministerpräsidenten und Helden der Unabhängig- keitsbewegung Osttimors, Xanana Gusmao, verübt. Dieser entkam jedoch unverletzt. Der An- führer der Rebellen, Alfredo Reinado, kam beim Angriff auf Präsident Ramos-Horta ums Le- ben1. Reinado war im Frühjahr 2006 einer der Anführer bei schweren Zusammenstössen zwi- schen Militär und Polizei, nachdem der damalige Ministerpräsident, Mari Alkatiri, fast ein Drittel der Streitkräfte entlassen hatte. Bei den folgenden Ausschreitungen kamen 37 Men- schen ums Leben und mehr als 150.000 Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land.

Nach fast sechs Jahren Unabhängigkeit und Selbstregierung mit Unterstützung der Vereinten Nationen (UN) ist die Sicherheitslage im Land noch immer sehr instabil: Neben dem eben erwähnten Aufstand, wird das Land auch noch von einer hohen Kriminalitätsrate, Jugend- gangs und schleppender wirtschaftlicher Entwicklung geplagt2. Diese Probleme drohen die positive Entwicklung der jungen osttimoresischen Demokratie in den Schatten zu stellen: Bei den Wahlen im Jahr 2007 kam es zu einem (relativ) friedlichen Machtwechsel und zur Ab- wahl der von der Unabhängigkeitsbewegung Fretelin gestellten Regierung in Dili.

Osttimor stand von Oktober 1999 bis zu seiner Unabhängigkeit am 20. Mai 2002 unter UN- Verwaltung und war eines der Peace Building-Vorzeigeprojekte der Internationalen Gemein- schaft. Ziel war der Aufbau eines demokratischen und friedlichen Osttimor. Das Land war nach einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg und indonesischer Besatzung wirtschaftlich am Boden. Die Gesellschaft war fragmentiert, militarisiert und brutalisiert, staatliche Institutionen waren nach dem indonesischen Rückzug praktisch nicht vorhanden. Es gab also viel zu tun, sowohl für die UN, als auch für die zerstrittenen politischen Gruppierungen Osttimors. Neben dem Aufbau demokratischer staatlicher Institutionen, dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und der Organisation der Rückkehr von Flüchtlingen gab es für die Akteure in Osttimor noch eine weitere wichtige Aufgabe - die der Vergangenheitsbewältigung. Wie sollte die „Wahr- heit“ über die Geschehnisse aus den vergangenen Jahrzehnten des Krieges herausgefunden und bewältigt werden? Wie sollten Menschenrechtsverletzungen geahndet werden? Was sollte mit den Tätern geschehen? Wie sollten die Opfer entschädigt werden? Und bestand die Mög- lichkeit die früheren Täter wieder in ihre lokalen Gemeinschaften zu integrieren?

In der Vergangenheitsbewältigung und der Aussöhnung sah man den Schlüssel zur „Heilung der Narben“ einer gespaltenen osttimoresischen Gesellschaft, die in den Jahren der Gewalt und Straflosigkeit entstanden waren. Eine dysfunktionale Gesellschaft, wie man sie in allen Nach-Bürgerkriegsländern antrifft, stellt ein großes Hindernis für die demokratische und öko- nomische Entwicklung eines Landes dar. Vergangenheitsbewältigung ist daher ein wichtiger Bestandteil multidimensionaler Peace Building-Missionen in Nach-Bürgerkriegsländern. Meine Arbeit wird sich mit den Maßnahmen beschäftigen, die in Osttimor zur Vergangen- heitsbewältigung ergriffen wurden. In Osttimor wurden viele Ressourcen in die Aufarbeitung der Vergangenheit gesteckt und es wurden einige beachtliche Erfolge erzielt. Trotzdem gibt es in Osttimor noch immer große soziale Spannungen und die Sicherheitslage ist weiterhin schlecht. Wie ist dies zu erklären?

Beginnen werde ich nun allerdings mit der Definition einiger Begriffe, welche für meine Ar- beit von zentraler Bedeutung sind. Danach werde ich die historische Entwicklung Osttimors in Kürze nachzeichnen, und dann zum Thema der Vergangenheitsbewältigung in Osttimor kommen.

2. Peace Building, multidimensionale Friedensoperationen und Demokratieför- derung

Wenn in einem Land ein Bürgerkrieg nach langen Jahren von Gewalt und Armut zu Ende geht, dann sehen sich die Vereinten Nationen (bzw. die „Internationale Gemeinschaft“) oft in der Pflicht den Frieden in diesen Ländern zu sichern und zu fördern. Dabei stellt sich die Fra- ge, welche Art von Frieden man dabei erreichen möchte: Einen negativen Frieden, welcher durch die „Abwesenheit von aktivem, mit Waffen ausgetragenem Konflikt“ gekennzeichnet ist, oder einen positiven Frieden. Der positive Frieden umfasst zusätzlich zur physischen Si- cherheit auch ökonomische und soziale Aspekte. Durch wirtschaftliche Entwicklung und die politische Einbindung der Bevölkerung sollen die tiefer liegenden strukturellen Gründe der Gewalt beseitigt und ein dauerhafter Frieden ermöglicht werden.3 Während für die Sicherung eines negativen Friedens vielleicht schon der Einsatz einer internationalen Friedenstruppe (Peace Keeping) ausreichen mag, verlangt das Erreichen eines positiven Friedens von der In- ternationalen Gemeinschaft (und der Bevölkerung eines Nach-Bürgerkriegslandes) einen deutlich umfangreicheren Einsatz.

In diesem Fall spricht man von Peace Building-Operationen. Mark J. Mullenbach definiert Peace Building als „...efforts by third-party actors during crisis phases or post-conflict phases of intrastate disputes which are initiated to deal with the underlying problems or basic needs of the parties to the dispute, to foster conditions that enhance the likelihood that the dispute will not escalate or re-escalate to military hostilities, and to enhance the likelihood that the dispute will be peacefully settled by the parties.”4

Peace Building besteht nach Mullenbach aus fünf Dimensionen:

- Zur ökonomischen Dimension gehören der ökonomische Wiederaufbau, die Unter- stützung der langfristigen und nachhaltigen ökonomischen Entwicklung sowie der Wiederaufbau der Infrastruktur des betroffenen Landes.
- Die humanitäre Dimension umfasst humanitäre Nothilfe (z.B. Bereitstellung von Unterkünften, Nahrung und Trinkwasser) und die Repatriierung von Flüchtlingen.
- Die rechtliche Dimension umfasst alle Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaat- lichkeit. Dazu gehören der Aufbau einer zivilen Polizei und die Förderung und Überwachung der Achtung der Menschenrechte. Ebenfalls zur legalen Dimension gehören Fragen der Vergangenheitsbewältigung und des Umgangs mit Menschenrechtsverletzungen. Mit diesem Teilaspekt werde ich mich im nächsten Kapitel noch detaillierter beschäftigen.
- Die militärische Dimension von Peace Building besteht aus dem Aufbau der Streitkräfte des betroffenen Landes und der Beseitigung von Landminen.
- Die fünfte Dimension von Peace Building ist die politische Dimension: Hierbei geht es um den Aufbau demokratischer Institutionen, um die politische Partizipati- on der Einwohner des betroffenen Landes sicher zu stellen Hierzu gehören zum Beispiel die Abhaltung eines Referendums über eine neue Verfassung und die Ab- haltung und Überwachung freier und fairer Wahlen. Mullenbach zählt zu dieser Dimension auch noch die Verwaltung oder Regierung eines Landes durch eine dritte Partei (z.B. durch die UN) bis zur vollständigen Übernahme der demokrati- schen Selbstregierung nach erfolgreich abgehaltenen Wahlen.5 Dies war auch bei unserem Fallbeispiel Osttimor der Fall. Während es sich bei Peace Keeping noch um ein relativ junges Konzept handelt, ist die Fremdverwaltung eines Gebietes oder Landes durch die „Internationale Gemeinschaft“ schon seit längerer Zeit eine völkerrechtlich anerkannte Maßnahme.6

Eine ähnliche Definition der Aufgaben von Peace Building liefert der „Brahimi-Report“ der Vereinten Nationen. Demnach besteht Peace Building unter anderem aus der Reintegration ehemaliger Kämpfer in die zivile Gesellschaft, der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Förderung von Menschenrechten, der Bereitstellung technischer Hilfe für die demokratische Entwicklung (z.B. Hilfe bei der Abhaltung von Wahlen) und Unterstützung bei der Konflikt- lösung und der nationalen Aussöhnung.7 Beide Definitionen betonen die Wichtigkeit des Aufbaus eines demokratischen Regierungssystems. In den fragmentierten Gesellschaften von Nach-Bürgerkriegsländern ist dies oftmals die einzige Möglichkeit, um einen gerechten Aus- gleich zwischen den einzelnen sozialen Gruppierungen herzustellen und eine legitime Regie- rung finden zu können.8 Demokratieförderung bildet somit einen wichtigen Bestandteil des Peace Building-Konzeptes.

Die erste Peace Building-Mission der Vereinten Nationen wurde 1989 in Namibia eingesetzt. Zwischen 1989 und 1999 gab es insgesamt 14 größere Peace Building-Operationen, darunter auch die in Osttimor. Roland Paris beschreibt Peace Building als eine „Wachstumsbranche“ der 1990er. Aber auch im noch jungen 21. Jahrhundert wurden bereits mehrere neue Operationen gestartet, zum Beispiel in Afghanistan und Liberia.9 Neben den Vereinten Nationen betreiben noch weitere Akteure Peace Building: die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Europäische Union, NATO, INGOs und die Weltbank, um nur einige zu nennen. Da es sich bei Peace Building um ein sehr umfangreiches Aufgabenfeld handelt, kooperieren zumeist mehrer Akteure arbeitsteilig in einer Operation. Dabei wird sowohl ziviles, als auch militärisches Personal eingesetzt.10

Der Erfolg von Peace Keeping-Operationen und Demokratieförderung durch die Vereinten Nationen wird unterschiedlich bewertet. Edward Newman bescheinigt den Vereinten Natio- nen einige „bescheidene Erfolge“.11 Antonio Donini weist darauf hin, dass oft ein großer Un- terschied zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und den Plänen der „Internationalen Gemeinschaft“ bestehe, was die Ziele einer Peace Building-Operation angeht. Der Mangel an Verständnis für lokale Traditionen und Konzepte gefährde den Erfolg von Peace Building- Operationen.12 Für die Bevölkerung seien oftmals ökonomische und soziale Fragen bedeut- samer als politische, weshalb diese Aspekte in der Zukunft stärkere Beachtung finden müss- ten.13

3. Vergangenheitsbewältigung als Teil von Peace Building-Operationen: Tran- sitional Justice

Sowohl der „Brahimi-Report“ („Versöhnungstechniken“) als auch Mullenbach erwähnen also in ihren Definitionen von Peace Building die Vergangenheitsbewältigung als einen wichtigen Teil des Konzepts. Damit in einem Nach-Bürgerkriegsland dauerhaft Frieden herrschen kann, muss sich die fragmentierte Gesellschaft mit den Geschehnissen in der Zeit des vergangenen Krieges auseinandersetzen. Die Gesellschaften sind gespalten zwischen Opfern und Tätern, wobei die Opfer oftmals unvorstellbares Leid durchgemacht haben.

Es gibt dann drei Optionen für den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen:

- Strafverfolgung bzw. retributive Gerechtigkeit (retributive justice): Die Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch nationale oder in- ternationale Tribunale.
- Wahrheitskommissionen bzw. heilende Gerechtigkeit (restorative justice): Die Aufarbeitung der Vergangenheit durch spezielle Kommissionen, wobei diese das Recht zur Gewährung einer Amnestie besitzen können.
- Nationales Vergessen: Eine „Blanko-Amnestie“ für alle Täter und der Verzicht auf jegliche Aufarbeitung vergangener Verbrechen.14

Peace Building möchte Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte fördern. Die dritte Option würde diesen Zielen zuwiderlaufen und den Tätern auch nach dem Ende des Konflikts weiterhin Straffreiheit (impunity) gewähren. Um dem Wunsch der Opfer nach Ge- rechtigkeit für das erlittene Leid nachzukommen und um es der Gesellschaft zu ermöglichen den Blick in die Zukunft zu richten, muss sich die Gesellschaft im Rahmen der beiden anderen Optionen mit der Vergangenheit auseinandersetzen. In einer Gesellschaft in der die schweren Verbrechen der Vergangenheit ungesühnt bleiben, kann das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht verwirklicht werden. Ein Kompromiss, bei dem zugunsten „sozialer Stabilität“ auf die Verfolgung vergangener Verbrechen verzichtet wird, muss daher vermieden werden.15 Denn wenn Opfer den notwendigen Versöhnungsprozess mit Begriffen wie erzwungener Vergebung, Straffreiheit und nationaler Amnesie in Verbindung bringen, dann werden sie ihn ablehnen und er wird scheitern.16

[...]


1 BBC World. Curfew after East Timor shooting (11. Februar 2008).

2 BBC World. E Timor 'risks upsurge in unrest' (18. Januar 2008). 3

3 Donini, 2007: S.53 f.

4 Mullenbach, 2006: S.56

5 Mullenbach, 2006: S.57 ff.

6 Eine ausführliche Darstellung der historischen und völkerrechtlichen Entwicklung internationaler Verwaltung bzw. Regierung findet sich bei Kiderlen, 2008. So wurden bereits das Saarland (1920 bis 1935) und Leticia (Kolumbien, 1933-34) durch den Völkerbund verwaltet. Triest und Jerusalem (beide 1947) sowie Libyen (1949-51) waren die ersten Fälle einer internationalen Verwaltung durch die Vereinten Nationen.

7 United Nations, 2000: S.3, Absatz 13

8 Sisk, 2003: S.786

9 Paris, 2004: S.3 ff.

10 ebd.: S.22 ff.

11 Newman, 2004: S.203 ff.

12 Donini, 2007: S.49 f.

13 ebd.: S.61

14 Schenk, 2005: S.2, nach Richard Goldstone und Mullenbach, 2006: S.58 7

15 Donini, 2007: S.68

16 van Zyl, 2005: S.214

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Vergangenheitsbewältigung als Teildimension des Peace Building in Osttimor
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V144244
ISBN (eBook)
9783640547913
ISBN (Buch)
9783640553204
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergangenheitsbewältigung, Peace Building, Peacekeeping, Osttimor, Timor Leste, Vereinte Nationen
Arbeit zitieren
Oliver Bräuner (Autor:in), 2008, Vergangenheitsbewältigung als Teildimension des Peace Building in Osttimor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144244

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