Pädagogik und Evolutionswissenschaften


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 2,0

Björn Günther (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Entwicklung der Theorie der Evolution

2. Entwicklungsgeschichte des Menschen in Hinblick auf pädagogische Kategorien

3. Die evolutionären Mechanismen Variation, Selektion und Stabilisierung im Kontext der Prozesse von Wissensaufnahme und Wissensvermittlung

4. Kennzeichen von Unterricht und Erziehung auf evolutionstheoretischem Hinter- grund – Entwicklung und Ziele / Gemeinsamkeiten und Unterschiede

5. Gegenwärtige Umweltprobleme und Zukunftsperspektiven aus pädagogisch- evolutionstheoretischer Sicht

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis..

Einleitung

Gegenwärtig beeinflussen evolutionäre Ideen immer stärker einzelne Wissenschaften. Werden diese Entwicklungstheorien von den Naturwissenschaften intensiv genutzt, so reagieren geisteswissenschaftliche Fächer, wie beispielsweise die Pädagogik, noch mit Zurückhaltung.

Ist es möglich, Erziehungs- und Lernmechanismen mithilfe evolutionstheoretischer Erkenntnisse neu zu definieren? Diese und andere Fragen stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit.

Zunächst wird ein Überblick darüber gegeben, was man unter „evolutionären Gedan-ken“ überhaupt versteht und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, wobei bereits ein Bezug zum Gegenstandsbereich der Pädagogik hergestellt wird (Kapitel 1). Im zweiten Kapitel wird die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Spezies mit deren Lernfähigkeit in Verbindung gesetzt. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den zentralen evolutionären Mechanismen von „Variation“, „Selektion“ und „Stabili-sierung“. Diese werden erläutert, zum Verständnis der menschlichen Informations-verarbeitung herangezogen und schließlich auf pädagogische Kategorien (u.a. Unter-richt) angewandt. Erziehung und Unterricht sind Grundbegriffe der Pädagogik. Sie sollen im vierten Kapitel in Hinblick auf evolutionstheoretische Ideen beleuchtet werden. Das fünfte Kapitel zeigt auf, mit welchen Umweltproblemen sich der Mensch gegenwärtig, und womöglich in der Zukunft, auseinanderzusetzen hat. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern eine evolutionstheoretische Pädagogik solche Probleme lösen kann. Die Schlussbetrachtung stellt kurz die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse dar.

1. Entwicklung der Theorie der Evolution

Der Begründer der „Biologischen Abstammungslehre“ oder „Evolutionstheorie“ ist der Engländer Charles Darwin (1809-1882). Mit der Veröffentlichung seines einschlägigen Werkes „On the Origin of Species by Means of Natural Selection“ im Jahre 1859 legte er den Grundstein für die fortan erfolgreiche Entwicklung der aus vielen einzelnen Theorien bestehenden Theorie über evolutionäre Mechanismen und die Entstehung von Lebewesen. Einige Kerngedanken Darwins tauchen bereits etliche Jahrhunderte zuvor in der europäischen Ideengeschichte auf. Es war Empedokles, ein etwa 490 v. Chr. auf Sizilien geborener Mann mit vielfältigen Interessen, der schon zu dieser Zeit wichtige Gedanken der modernen Entwicklungslehre aussprach. „Die Entstehung der Lebewesen ist nach Empedokles so vor sich gegangen, daß erst niedere, dann die höheren Organis-men entstanden, erst Pflanzen und Tiere, dann die Menschen“ (STÖRIG 2004, 153).

In der Folgezeit formulierten hauptsächlich griechische Denker, dass der Natur, bei der Frage nach dem Sinn des Lebens, eine entscheidende Rolle zukommt. So schrieb der Stoiker Seneca im ersten Jahrhundert nach Christus: „Die Natur muß man zur Führerin nehmen; der Vernünftige beobachtet und befragt sie. Glückselig leben und naturgemäß leben ist ein und dasselbe“ (OELMÜLLER/DÖLLE-OELMÜLLER 1996, 23). Diese, für uns heutzutage durchaus modern anhauchenden Ideen, verschwanden im Mittelalter im praktischen Leben gänzlich von der Bildfläche, da sie in einigen Punkten der christ-lichen Glaubenslehre zuwider lief. Auch im 17. und 18. Jahrhundert hatten es natur-wissenschaftliche Erkenntnisse sehr schwer, gegen religiöse Dogmen zu bestehen. Die Menschen hielten vielerorts an ihrer christlich geprägten Überzeugung fest und lehnten konträre Überlegungen schlichtweg ab. Erst Mitte des 19. Jh. gelang es dem bereits erwähnten Naturforscher C. Darwin durch ausgeprägte Naturstudien und daraus abgelei-tete Theorien eine fundierte Begründung für die Entstehung und die Entwicklung des Lebens zu finden und damit die ‚alten’ Ideen wieder aufleben zu lassen. Die Evolutions-theorie ist bis heute weiterentwickelt worden und unter den Wissenschaftstheorien unzweifelhaft akzeptiert, was sie nicht zuletzt ihrer klaren Beweisführung zu verdanken hat. Allein dieser Umstand erscheint Grund genug, dass sich auch andere, außerbiologi-sche Wissenschaftsbereiche (z.B. die Pädagogik) mit der Evolutionstheorie befassen, denn Wissenschaft lebt von Interdisziplinarität, also von der Interaktion einzelner Wissenschaften. In Bezug auf die Pädagogik ist anzumerken, dass diese ganz wesentlich evolutionären ‚Überlegungen’ entspricht, d.h. – vorausgesetzt sie ist Produkt der menschlichen Evolution – so kann sie jedoch einen großen Beitrag zur Lösung der allgemeinen evolutionsspezifischen Überlebensproblematik der Lebewesen leisten, da sie sich intensiv mit Kategorien wie Lernen und Erziehung befasst, die ebenso zum Gegenstandsfeld der Evolutionsbiologie zählen.

Als Bindeglied zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen erweist sich die Evolutionstheorie. Solange wir sie als Grundlage aller Wissenschaftsbereiche akzep-tieren, werden sämtliche Untersuchungsgegenstände besser vergleichbar. Dieser weit- reichende Vorteil ist als Chance zu verstehen und als solche weitgehend noch nicht erkannt worden, vor allem in der Pädagogik.

Als Besonderheit der Evolutionstheorie – und als Kennzeichen für eine leistungsfähige Theorie – kombiniert sie auf erstaunliche Weise zwei Merkmale, nämlich die bewusste Erweiterung und Reduzierung der Komplexität eines Wissenschaftsbereiches zugleich. Dies wird einerseits durch eine generelle Offenheit für die Komplexität des empirischen Erfahrungsprozesses, andererseits durch eine eigene einfache Ordnung der Begrifflich-keiten sowie der Gedankenstruktur erreicht (vgl. TREML 2004, 11f). Dadurch kann der Komplexität eines Untersuchungsgegenstandes Rechnung getragen werden, insofern, als dass komplizierte Zusammenhänge zugelassen werden können.

Offenkundig spielen gegenwärtig anthropologische sowie evolutionstheoretische Erkenntnisse in der Pädagogik eine zunehmende Rolle. „Ständig fließen da Grundan-nahmen und Kenntnisse über den Menschen in die wissenschaftliche Reflexion ein“ (MERTENS 1998, 46). Trotz einiger nachvollziehbarer Bedenken seitens einiger Päda-gogen bei der Integration evolutionstheoretischer Gedanken in den Wissenschafts-bereich der Pädagogik, kann man sich jenen als Tatsachen anerkannten Ideen nicht mehr verschließen, zumal die zunehmende Fundierung der Erkenntnisse die Hemm-schwelle sinken lässt. Außerdem bieten Kenntnisse aus der menschlichen Evolutionsge-schichte vielfältige Möglichkeiten Verhaltensweisen, Gedankenstrukturen sowie emo-tionsprägende Faktoren des Menschen besser zu verstehen, was gerade in der Pädagogik von besonderer Wichtigkeit ist. Dabei müssen gelegentlich auch solche ‚Tatsachen’, die sich als (weitgehend) falsch erwiesen haben, aussortiert oder neu überarbeitet werden, wie z.B. die Annahme, der Mensch sei ein reines „Vernunftwesen“ und könne jederzeit rationale Entscheidungen treffen.

Das Zusammenwirken einzelner Forschungszweige führt nach und nach dazu, „daß der Mensch – gegenüber früheren Deutungen etwa als Gottesgeschöpf oder als Vernunft-wesen – jetzt mehr als Bewohner dieses Planeten und als Produkt der Evolution des irdischen Lebens betrachtet wird – wobei ein wichtiger Akzent darin besteht, daß der Mensch in seiner Anfälligkeit, Fragwürdigkeit, Gefährdung gesehen wird“ (STÖRIG 2004, 718).

Alle Wissenschaftsdisziplinen, die für die Pädagogik von besonderer Bedeutung sind (u.a. Verhaltensforschung, Psychologie, Biologie, Soziologie), liefern zusammen als Ergebnis ein Grundmuster der Beschaffenheit des Menschen („Prädispositionen“) und damit eine legitime Grundlage zu dessen existenziellem Verständnis.

Das evolutionäre Prinzip von Variation – Selektion – Stabilisierung kann man heutzu-tage nicht nur auf biologische Entwicklungsprozesse anwenden, sondern auch auf andere Bereiche des modernen Lebens. In Fragen des Erziehungsstils beispielsweise erfolgt eine Auswahl aus den zahlreichen Angeboten (u.a. autoritär, laissez-faire, liberal) und die Hoffnung besteht, dass das Kind dadurch im späteren Leben Vorteile hat. Ein anderes, etwas abstrakteres Beispiel ist in wirtschaftlichen Unternehmungen zu sehen. Dort wird unter einer Vielzahl möglicher Unternehmensphilosophien eine ausgewählt, die, so die Hoffnung der Verantwortlichen, das Handlungsbild aller Mitarbeiter über kurz oder lang prägen soll.

Darwin erfuhr zu seiner Zeit harsche Kritik von der religiös denkenden Bevölkerung. Bei TREML ist zu lesen, weshalb diese Leute mit Ablehnung reagierten: „Darwin stellt den Menschen historisch und systematisch in den Zusammenhang aller Lebewesen und relativiert damit seine herausgehobene Bedeutung“ (TREML 2004, 43).

Die Evolution kennt kein Ziel, sondern ist „eine raffinierte Mischung aus Zufall und Notwendigkeit“ (ebd., 45), was implizit die Schöpfungstheorie außer Kraft setzt.

Auch heute sind Vorbehalte von Pädagogen gegen eine evolutionstheoretisch beein-flusste Erziehungswissenschaft nicht zu übersehen; die Begründungen vielfältig. Sie reichen von einer generellen Ablehnung der Anwendung evolutionärer Ideen auf die Pädagogik aufgrund des Missbruchs der Nationalsozialisten, die Ideen der Evolutions-theorie verzerrten und instrumentalisierten, über die Kritik an der angeblichen Determi-niertheit des Menschen durch evolutionäre Faktoren wie Erbgut und Umwelteinflüsse, bis hin zu dem Vorwurf, die Evolutionstheorie produziere das Bild eines „Einheitsmen-schen“, wobei die Individualität und die Eigenart des Einzelnen untergraben wird.

Die meisten Kritikansätze sind verständlich, viele begründet, jedoch überwiegen Notwendigkeit und die Chance, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die Vorbehalte.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Pädagogik und Evolutionswissenschaften
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Pädagogisches Institut)
Veranstaltung
Mittelseminar: Pädagogische Anthropologie II
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V144850
ISBN (eBook)
9783640538379
ISBN (Buch)
9783640538300
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Evolution, Anthropologie, Erziehung, Unterricht, Variation, Selektion, Stabilisierung, Wissensaufnahme, Wissensvermittlung, Pädagogik, Lernen, Umweltprobleme, Charles Darwin, Genese
Arbeit zitieren
Björn Günther (Autor:in), 2005, Pädagogik und Evolutionswissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144850

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