Der Trainingsraum. Evaluation einer neuen Erziehungsmethode


Mémoire (de fin d'études), 2008

143 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

Abkurzungsverzeichnis

Vorwort

Teil I: Die Theorie
1. Uber Disziplinprobleme und Unterrichtsstorungen
1.1 Ein Definitionsversuch
1.2 Disziplinprobleme - eine Selbstverschuldung des Schulsystems?
1.3 Handlungsmoglichkeiten des Lehrers gegen Storungen
2. Die Trainingsraum-Methode - Einleitung
2.1 Das Gedankengebaude oder „Fords Noema“
2.1.1 Das Grundproblem
2.1.2 Fords Disziplin-Begriff
2.1.3 Fords Regelverstandnis
2.1.4 RegelverstoBe und Konsequenzen
2.1.5 Resumee der Grundgedanken Fords
3. Die Wahrnehmungskontrolltheorie
3.1 Lebende Kontrollsysteme
3.2 Probleme mit der WKT
3.3 Resumee und Erganzungen zur WKT
3.3.1 Fords Konzept des TR und die WKT
3.3.2 Konflikte und Storungen im Rahmen der WKT
4. Der Trainingsraum in der Praxis
4.1 Eine objektiv hermeneutische Analyse des Begriffs „Trainingsraum“
4.2 Die Vorbereitung innerhalb des Kollegiums
4.3 Die Vorbereitung innerhalb der Klasse
4.4 Die Durchfuhrung
4.4.1 Die Fragen
4.4.2 Der Laufzettel
4.4.3 Chronische Storer
5. Die Widerspruche im System
5.1 Uber „quality time“
5.1.1 Der Widerspruch zwischen Quality Time und Trainingsraum
5.2 Anklang einer negativen Padagogik
6. Das TR-Programm in der offentlichen Diskussion
6.1 Internet-Foren-Diskussionen
6.2 Die juristische Lage
6.3 Brocher vs. Brundel/Simon
6.4 Fazit der offentlichen Diskussionen
7. Fazit und Resumee des theoretischen Teils

Teil II: Empirische Untersuchung
8. Der TR in der Praxis an einer Integrierten Gesamtschule (IGS)
9. Das TR-Team uber den Trainingsraum
9.1 Analyse des TR-Instrumentariums
9.1.1 Der Laufzettel
9.1.2 Der Ruckkehrplan
9.1.3 Der neue Ruckkehrplan
9.1.4 Der Ruckkehrzettel
9.2 Resumee zum TR-Instrumentarium
9.3 Fazit zum TR-Instrumentarium
10.Die Lehrerbefragung
11. Fazit der empirischen Erhebung

Teil III: Allgemeines Fazit

Nachwort

Literatur

WWW

Anhang

Abkurzunqsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Der Trainingsraum (TR), in andern Landern auch bekannt als „Respon- cible Thinking Classroom“, ,Arizona Project'1, ,„die Kantine“ oder Ahnli- ches, bezeichnet eine neue Erziehungsmethode, die immer mehr Anhan- ger unter den Schulen auch in Deutschland findet. Postuliert wird die Hilfe zur Selbsthilfe fur den Schuler. Dieser standige Storenfried muss lernen, wie er in sich selbst hineinsehen und erkennen kann, wie und wo er selbst sein mochte, wie er von anderen wahrgenommen werden mochte. Dies und ein festgesetztes Reglement sollen helfen wieder Ruhe in den Klas- senraum zu bringen. Tatsachlich soll mit dieser Methode der Lehrer wie­der 99% seiner Unterrichtszeit unterrichten konnen. Das klingt wie ein wahres Wunder. Ob dies gewahrleistet werden kann und mit welchen pa- dagogischen Auswirkungen gerechnet werden muss oder ob es sich am Ende doch nur um eine neue StrafmaRnahme handelt, soll diese Arbeit klaren.

In Deutschland gibt es kaum kritische Literatur zu diesem Thema. Ledig- lich zwei Diplomarbeiten und ein Essay aus dem Internet sind mir be­kannt, die sich mit dem Thema Trainingsraum kritisch auseinander setzen. Diesen Arbeiten dienten hauptsachlich die deutsche Literatur (Balke 2001/2003 und Brundel/Simon 2003) zur Grundlage. Die vorliegende Ar­beit setzt sich dahingegen in erster Linie mit der amerikanischen Vorlage von Ford auseinander (siehe weiter unten).

Die Arbeit gliedert sich wie folgt. Im ersten Teil wird die Theorie des Trai- ningsraum-Programms dargelegt. Zunachst wird geklart, was Unterrichts- storungen und Disziplinprobleme sind und woraus sie resultieren. Danach soll erlautert werden, mit welchem Grundgedanken Ford, der Erfinder des Programms, an die Sache herangeht. Nach einem Blick auf die Wahr- nehmungskontrolltheorie, die der TR-Methode zu Grunde liegt, wird dann das TR-Konzept und sein Ablauf beschrieben.

Im zweiten Teil werden die Ergebnisse einer von mir erhobenen empiri- schen Untersuchung vorgestellt. An einer Integrierten Gesamtschule, die mit dem TR-Programm arbeitet, wurden TR-Akten und Formblatter[1] analy- siert. Daruber hinaus fand eine Befragung des TR-Teams und des Lehrer- kollegiums statt. Die Ergebnisse der Befragung und der Analyse werden am Ende des zweiten Teils zusammen beleuchtet und in Beziehung zu- einander gesetzt. Der dritte Teil bildet das Fazit der gesamten Untersu- chung.

Die grundlegenden Werke bei der Auseinandersetzung mit dem Thema waren E. E. Ford „Disciplin for Home and School“ (Brandt Publishing, Ari­zona 2003), in dem das amerikanische Pendant ausfuhrlich dargestellt wird. S. Balke „Die Spielregeln im Klassenzimmer: Das Trainingsraum- Programm“ (Karoi Verlag Bornemann, Bielefeld 2001/2003), das die ame­rikanische Vorlage von Ford ins Deutsche ubertragt. Und W. T. Powers „Behavior: The control of perception'1 (Aldine de Gruyter, New York 1987), welches die Wahrnehmungskontrolltheorie erlautert.

Der einfacheren Lesbarkeit wegen wurde i. d. R. nur eine Gender- Bezeichnung gebraucht. So heiRt es z. B. nur „Schuler“, oder „Lehrer“. Selbstverstandlich sind auch die Schulerinnen und Lehrerinnen gemeint.

Teil I: Die Theorie

1. Uber Disziplinprobleme und Unterrichtsstorunqen

1.1 Ein Definitionsversuch

Als erstes soil ein Uberblick gegeben werden, was Disziplinprobleme sind, wie sie definiert werden und ob es einen Unterschied gibt zwischen diesen und Unterrichtsstorungen, da in der Literatur von beiden in getrennter Weise die Rede ist. Die TR-Methode postuliert zwar eine „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu sein, dennoch wird sie angewandt, wenn Disziplinprobleme oder Storungen seitens der Schuler auftreten. Kein Schuler wird in den TR geschickt, wenn er gerade brav seine Schreibubungen macht. Auch ist das Training im TR nicht Teil des Stundenplans.

Was also ist Disziplin und damit zusammenhangend Disziplinprobleme? Zur Definition ziehe ich die Sammlung an Aufsatzen, herausgegeben von Helgard Moll-Strobel (Moll-Strobel 1983) hinzu. AuGerdem von Clemens Hillenbrand „Didaktik bei Unterrichts- und Verhaltensstorungen“ (Hil- lenbrand 1999).

Unter Disziplin sei das Verhalten des Schulers verstanden in Bezug auf die herrschende Ordnung, nicht aber „die bloGe Summe der gegebenen Verordnungen zur Sicherung des Schulbetriebes“ so Pietrowicz (Pietro- wicz 1983, S. 14). Somit konnte man Disziplinprobleme oder - schwierigkeiten definieren als Schwierigkeiten, „die sich im Schulbetrieb, im Unterrichtsverlauf oder im Erziehungsprozess als solche bemerkbar machen und die Vollzuge desselben erschweren bzw. sogar die Errei- chung des Zieles[2] verhindern, indem namlich die Schuler gegen die Be- stimmung und Befehle handeln“ (ebd.), ungeachtet dessen, ob die Schuler das mit Absicht oder unbewusst tun.

Nach R. Winkel liegt eine Unterrichtsstorung dann vor, „wenn der Unter- richt gestort ist“, so banal es klingt, „d.h. wenn das Lehren und Lernen stockt, aufhort, pervertiert, unertraglich oder inhuman wird“ (Winkel 2006, S.29).

Hans Rauschenberger sieht den Begriff Disziplin als nicht angemessen. Es musste eigentlich von einem Interaktions- und Kommunikationsprob- lem die Rede sein und von Verhaltensschwierigkeiten seitens der Schuler. Auf Seiten des Lehrers seien es didaktische, methodische und curriculare Probleme (vgl. Rauschenberger 1983, S. 230). Das Wort Disziplin kommt in einschlagiger Fachliteratur so gut wie uberhaupt nicht mehr vor, so Er­hard Wicke (vgl. Wicke 1983, S. 245). Oder es wird ersetzt durch andere Termini, wie z. B. „abweichendes Verhalten“[3].

Meines Erachtens kann von Disziplin (in der Schule) nur die Rede sein, wenn es sich um Selbstdisziplin handelt. Oder anders ausgedruckt: Disziplin ist nur gleichzusetzen mit Selbstdisziplin, somit synonym zu ver- wenden. Ein Lehrer wird von der Klasse keine Disziplin erwarten konnen, wenn die Schuler sich nicht selbst das Ziel gesetzt haben, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen. Naturlich stellt sich die Frage, ob die Schule nicht die Instanz ist, welche den Schulern Disziplin lehren soll. Doch muss man unterscheiden zwischen Disziplinierung in Form von Konditionierung, sprich sich dem Zwang oder den Erwartungen von Aj- 8en zu unterwerfen und dem Lehren von Disziplin in Form von reflektier- ter, verinnerlichte Selbstdisziplin, quasi das Wissen darum, dass man oh- ne (Selbst-)Disziplin kein (sich selbst) gesetztes Ziel erreichen wird[4].

Insofern mussen die Schuler lernen, sich Ziele zu setzen, die es gilt zu er- reichen. Damit begeben sie sich auf einen fur ]sich verbindlichen Weg. Sollten sie aus welchem Grunde auch immer, den Weg verlassen, dann haben sie nicht die (Selbst-)Disziplin. Ein Beispiel aus meiner Praktikums- zeit soll das verdeutlichen: A. (5 Jahre, Vorschule) stort die anderen Kin­der beim Arbeiten und macht auch sonst nicht das, was man von ihm ver- langt. Er gilt als der Storenfried der Klasse. In solchen Fallen wird er i. d. R. in den Forderraum (nicht zu verwechseln mit dem Trainingsraum) ge- schickt. So auch an diesem Morgen. Auf dem Flur treffe ich ihn und frage, was denn los sei, denn er weint. Er sagt, dass die anderen immer Lugen uber ihn erzahlen und er nicht in den „bloden“ Forderaum mochte, er wolle lieber in der Klasse bleiben und arbeiten. Nachdem er mir versprochen hatte, dass, wenn ich mit der Klassenlehrerin rede, er sich benimmt, durfte er wieder in die Klasse zuruck. Funf Minuten spater hat er sein „Verspre- chen“ gebrochen und war mit andern Dingen beschaftigt als mit seiner Ar­beit. Dies verdeutlicht nur zu gut, dass A. nicht in der Lage war seine Dis- ziplin aufrecht zu erhalten. Es ist noch eine Menge padagogischer Arbeit von Noten, ihm zu zeigen, wie man seine Disziplin aufrecht erhalt oder er­halten kann und zwar aus innerer Motivation heraus. Vielleicht ist A. auch einfach noch zu jung, um sich langerfristige Ziele zu setzen. Cbwohl A. in der Klasse als der Storenfried gilt, haben weit uber die Halfte der Kinder Probleme mit ihrer Disziplin, was die eben genannte Vermutung unter- mauern wurde. Der Erfinder der TR-Methode, Edward Ford, ist da aller- dings anderer Ansicht, denn er erklart seine Methode auch tauglich fur Kindergarten-Kinder. Selbstdisziplin impliziert also auch ein Bild im Kopf des Kindes von sich, wie es sein mochte bzw. wie es sich verhalten moch­te. Die TR-Methode soll genau das bewirken, dem Kind zu helfen, damit es sehen kann, wie es sich verhalten mochte.

Halten wir an dieser Stelle fest, dass Disziplinprobleme an sich noch keine Storung beinhalten, jene aber aus diesen resultieren. Daraus ergibt sich, dass (Selbst-)Disziplinprobleme ein Grund fur Unterrichtsstorungen sein zersplittert und chaotisch, und es fehlt ihm an Konzentration.“ (Fromm 1984, S.120). Eben diese Dis­ziplin muss aus intrinsischen Motiven herruhren und nicht aus dem Zwang von Aufien heraus.

konnen. Naturlich gilt die Einhaltung der Disziplin auch fur Lehrer. Und ge- rade er sollte mit gutem Beispiel voran gehen.

Wenn man sich die Schulgeschichte ansieht (vgl. z. B. die UmreiRung der Schulgeschichte in Keller 2005), konnte man auf den Gedanken kommen, dass Schule und Storungen unmittelbar miteinander verknupft sind, so als wurde quasi eine symbiotische Beziehung zwischen beiden herrschen. Man konnte nun annehmen, dass Kinder an sich undiszipliniert seien und die Schule im Ganzen betrachtet ein Disziplinierungsinstrument sei. Um diese These zu untermauern, ggf. zu verifizieren bedarf es einer „Dialektik der Schule“ (vgl. auch Kapitel 1.2 dieser Arbeit). Vielleicht liegt es am En- de an der Schule und ihrem System der Vermittlung selbst, dass Storun­gen unvermeidbar sind? Dieser Frage wollen wir nun nachgehen.

1.2 Disziplinprobleme - eine Selbstverschuldunq des Schulsys- tems?

Da der TR die Disziplin in der Klasse aufrecht erhalten und/oder wieder herstellen will, ist es nicht ganz unwichtig sich uber die Bedingungen und Ursachen der Disziplinprobleme klar zu werden, da die TR-Methode ja auf die Bekampfung der Ursachen, resp. das zu missbilligende Verhalten des Schulers abzielt. Wurde sich namlich z. B. herausstellen, dass die Ursa- che bei der Lehrkraft liegt oder im Elternhaus oder gar wo anders als beim Schuler selbst, musste der TR seine Wirkung, egal wie gut die Methode angewandt wird, verfehlen, da diese direkt beim Schuler, resp. dessen Verhalten ansetzt.

Pietrowicz sieht die Probleme in den Lehrmethoden, resp. in der Schul- form begrundet - somit nicht im Schuler selbst (vgl. Pietrowicz 1983, S. 17 ff.). Er spricht dabei einen wichtigen Aspekt an, namlich dass auf Grund der herrschenden KlassengroRen (manchmal bis zu 30 Kindern und mehr pro Klasse) der Schuler nicht mehr als Individualperson erkannt wird, als ein Wesen mit individueller Herkunft, Personlichkeit und Bedurfnissen, he- ranwachsend in einer individuellen Umgebung. Wenn der Lehrer also nur als Beamter reagiert und die Klasse als „anonyme Einheit“ anspricht, kann es sein, dass sich Kinder nicht mehr als Subjekt anerkannt sehen, son- dern nur noch als Objekt. Eine mogliche Folge sei der „Frustrations- Aggressions-Zirkel“, d. h. wenn sie sehen, dass andere mehr bevorzugt werden, greifen sie manchmal zu Mitteln, die Schwierigkeiten machen und den Unterricht storen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Folge: Sankti- onen, die aber eine Zuwendung zum Schuler implizieren, die dieser ja ge- rade anstrebt. Pietrowicz sieht eine mogliche Losung fur dieses Problem in kleineren KlassengroBen (max. 8-12 Kinder), die dazu fuhrt, dass Leh­rer die Kinder neben dem Unterrichten auch erziehen konnten. Und erzie- hen kann man in diesem Kontext betrachten als die Hilfe zur Aufrechter- haltung seiner (Selbst-)Disziplin, resp. nicht vom Weg zu seinem selbst gesteckten Ziel abzukommen.

Friedrich Thiemann sieht die Ursache von Storung anders bedingt bzw. definiert er Storungen anders (vgl. Thiemann 1983, S. 109). Es sind weni- ger die einzelnen massiven Konflikte, die den Unterricht behindern, son- dern vielmehr die Summe aller kleinen Storungen, die im Verlauf einer Stunde auftreten. Storungen, die „zu klein sind, als dass sie das hteresse von padagogischer Offentlichkeit erregten, doch - in der Summe - machtig genug werden, um Lehrern ihr tagliches Unterrichten zu vergramen“ (ebd.). Diese Definition wurde das TR-Konzept massiv beeintrachtigen, denn wenn man von einer Vielzahl von Storungen ausgeht, ist es schwer vorstellbar, wie die Lehrkraft fur Ruhe sorgen soll, in dem sie einen oder zwei vermeintliche Delinquenten in den TR schickt. Vergleichbar ware das mit einem Bienenvolk. Eine einzelne Biene macht keinen Larm, ein gan- zes Volk dagegen verursacht ein machtiges Brummen und es hilft nichts vereinzelt Bienen herauszunehmen, das Brummen wird dadurch nicht lei- ser. Wir konnen an dieser Stelle schon mal festhalten, dass das TR- Konzept sich nur auf die vereinzelten massiven Storungen, die aus der Vielzahl an kleinen Storungen deutlich hervorstechen, beziehen kann, denn ansonsten musste der Lehrer am Ende der Stunde wahrscheinlich alleine in der Klasse sitzen. Meines Erachtens wurde es auch zu weit fuh- ren bei diesen „kleinen“ Storungen von Disziplinproblemen zu reden. Man muss sich ja auch immer wieder vor Augen fuhren, dass man es hier mit Kindern zu tun hat, die nun mal einen gewissen Drang zur Kommunikation und Bewegung haben. Diesen komplett aus dem Unterricht verbannen zu wollen, wurde den Erziehungsauftrag (Erziehung zu sozialem Verhalten) negieren und somit die Institution Schule (als Ort der Sozialisation) ad ab- surdum fuhren.

An dieser Stelle muss, um auch im Folgenden nicht aneinander vorbei zu reden, der Begriffs „Sozialisation“ definiert werden. Unter Sozialisation versteht der Autor dieser Arbeit nicht die Eingliederung und Fugig- Machung (Unterwerfung) von Individuen unter das herrschende System[5], sondern vielmehr der moralisch korrekte Umgang mit sich, seinen Mit- menschen und der Umwelt, mithin in Einheit und Harmonie mit denselben zu leben[6]. Was heiRt „moralisch korrekt“? Sein Handeln auf diejenigen Maximen zu grunden, von denen man wollen kann, dass sie zugleich all- gemeines (Natur-)Gesetz werden konnen[7]. Auch wenn diese Definition nicht ganz konform geht mit der Verankerung des Erziehungsauftrages im Schulgesetz (§1, Abs. 2), so kann zumindest ein Erziehungsauftrag nicht geleugnet werden.

Die These ist nun, dass die Kinder Sozialisation u. a. in Interaktion mitein- ander lernen (vgl. Piaget 1954; weiter unten gehe ich noch naher darauf ein) aber gleichzeitig ihnen eine wichtige Plattform, wo sie interagieren konnen, namlich das Klassenzimmer, genommen wird, mit dem parado- xen Hintergrund, die Kinder zu sozialisieren, sprich „gefugig“ zu machen. Formulieren wir diese These bis auf Weiteres als Teil einer noch ausste- henden „Dialektik der Schule“[8].

Eine Vermutung von mir fur eine weitere Ursache von Storungen im Uh- terricht ist die, dass der Unterricht nicht den Erwartungen des Schulers entsprechen. Dass soil heiBen, entweder ist der Stoff nicht interessant ge- nug, resp. es ist fur ihn nicht ersichtlich fur was das, was gelehrt wird, von Nutzen ist oder das didaktische Setting ist schlecht gewahlt. Wenn der Schuler sich langweilt, stort er. Das kann durch Passivitat (tagtraumen) oder durch Aktivitat (reden mit dem Nachbarn) sein. Oder mit den Worten von Schonour/Phelan: durch „Start-Verhalten“ oder durch „Stop-

Verhalten“. Das heiBt, der Schuler tut entweder etwas nicht, was er aber tun soll (z. B. arbeiten) oder er tut etwas, das er aber bleiben lassen soll (z. B. reden). Passivitat stort in erster Linie nicht den Unterricht. Wenn alle Schuler sich passiv (im oben genannten Sinne) verhalten wurden, ware das fur einige Lehrer wohl das Paradies. Doch ware so ebenfalls kein Un­terricht mehr moglich, denn die Vermittlung wurde ins Leere laufen. Frei nach Erich Kastner: „Wenn alles schlaft und einer spricht, dann nennt man dieses Unterricht.“

Ironischerweise lauft, wenn auch eher implizit, die TR-Methode aber ge- nau auf die Herstellung dieser Stuation hinaus. Dem liegt die Vorstellung eines Schulers zugrunde, der den ganzen Tag mit Scheuklappen, Augen an der Tafel, Ohren bei den Worten des Lehrers und Gedanken beim Stoff im Unterricht sitzt. Wo liegt denn jetzt der Vorwurf, konnte man entgegen- halten. Das ware doch wunderbar. Ja, wenn es darum geht, dass der Leh­rer 45 Minuten am Stuck einen Solovortrag halt, dann ist das perfekt. Es drangt sich der Verdacht auf, dass „interaktiver Unterricht“, wie zum Bei- spiel „Gruppenarbeit“ oder „Projektarbeit“ nur dazu dient die Goren ruhig zu stellen und zu beschaftigen. Die Planung und Ausfuhrung solcher Un- terrichtsformen kann man sich als Lehrer naturlich sparen, wenn oben be- schriebene Situation vorherrscht. Soziales Miteinander und alles was dazu gehort, Kommunikation, Streitgesprache und -schlichtung, Interaktion un- tereinander wurde wegfallen und die Schule ihre Aufgabe als Ort der sozi- alen Erziehung negieren.

Man musste also der Frage nachgehen, warum Unterricht nicht alle Schu­ler immer und zu jeder Zeit anspricht. Hinzukommt die Anforderung des Lehrers oder der Schule an den Schuler. Von ihm wird zu jeder Zeit Kon- zentration, Ausdauer und Mitarbeit gefordert und das bis zu 6 Stunden und mehr am Tag. Dass der Schuler nicht die gleiche Konzentration in der sechsten Stunde an den Tag legt, wie zur Ersten, durfte nachvollziehbar sein. Somit ist die Aufmerksamkeitsrate auch geringer, der Hang zur Sto- rung (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) grower. Mogliche Losung: Verkur- zung des Schultages oder Verlangerung, dann aber mit genugend Zeit fur korperlichen und geistigen Ausgleich.

Als problematisch, so Hillenbrand, erweist sich auch die „Attributierung“ bei Problemsituationen. „Die Lehrer suchen die Ursachen fur Problemsitu- ationen hauptsachlich im Schuler, in seiner Personlichkeit und Sozialisati- on. Die eigene Person [die des Lehrers; JB] wird nicht beachtet, sie bleibt ein ,blinder Fleck’. Die Ursachen fur Problemsituationen sehen Lehrer zu 65% im Schuler, zu 13% in der Institution, zu 11% im Milieu und nur zu 3% in der eigenen Person“[9] (Hillenbrand 1999, S.75/76). Zu den letzten 3% wurde man wohl auch den eigenen Unterrichtsstil, der hier nirgends vorkommt, zahlen mussen. Dieses Phanomen des „blinden Flecks“ ist ziemlich haufig im Unterricht zu beobachten, was auch Analysen von pro- tokollierten Stunden immer wieder zeigen [10]. Der Lehrer versucht eine n- szenierung, um die Schuler zu etwas Bestimmten hinzufuhren (einem neuen Thema beispielsweise), etwa in Form eines Theaterstucks. Nicht selten endet diese Inszenierung in einem Ratespiel, bei dem die Schuler allerdings nicht die Antworten geben, die der Lehrer horen mochte. Was der Lehrer horen mochte, wissen die Schuler aber nicht. Sie wissen nicht was das soll, tappen im Dunkeln und beginnen sich zu langweilen, dann den Unterricht zu storen. Und anstatt, dass der Lehrer auf die Antworten eingeht, fangt er an zu resignieren und schiebt letztendlich die Schuld auf die „faulen“ und „frechen“ Schuler. In einem konkreten Beispiel, ist letzte- res genau der Fall gewesen (vgl. Thiemann 1983, S.112/113). „Nach Be- endigung der Unterrichtsstunde [...] berichtet der Lehrer uns, dass die Schuler - wie so oft - den Unterrichtsgang behindert hatten, da sie un- aufmerksam gewesen seien und nur muhsam begriffen hatten, was er - der Lehrer - eigentlich gewollt habe“. Das Problem bestand aber eigent- lich vielmehr darin, dass die Schuler „andere zielorientierte Beitrage“ (ebd.) eingebracht haben und nur die DenkanstoBe des Lehrer ignorier- ten. Dieser wiederum ignorierte die Beitrage, resp. ging nicht auf diese Beitrage ein. Und so verhalt es sich auch in anderen aufgezeichneten Un- terrichtsstunden, in denen die Schuler ein sehr schones kooperatives Ver- halten an den Tag legen, welches der Lehrer aber nicht erkennt. Man kann quasi sagen, Schuler und Lehrer reden aneinander vorbei, dennoch uber den gleichen Gegenstand. Die didaktische Pyramide steht ihnen im Weg (vgl. Gruschka 2002, S. 120 ff.). Der Lehrer zeigt nicht die Fahigkeit, die man von ihm erwarten musste, namlich sich auf die Denkvorgange der Schuler einzulassen. Die Schuler wissen nicht, was der Lehrer will und re- bellieren (wenn vielleicht auch unbewusst). Die Folgen sind Storungen, deren Ursache der Lehrer nicht bei sich sieht.

All diese Beispiele zeigen, dass die Ursache der Storungen nicht aus- schlieBlich bei den Schuler liegen: zu groBe Klassen, langweiliger Unter- richt, zu hohe Anforderungen, negative Anthropologie.

Wir mussen uns an diesem Punkt erst einmal damit abfinden, dass es Storungen gibt und dass die Storer ein vernunftiges Lernen und Lehren manchmal dermaBen erschweren, dass Lehrer nicht selten einen korperli- chen und seelischen Kollaps erleiden.

Bevor wir uns dem Trainingsraumkonzept widmen, soll ein kurzer Uber- blick uber die konventionellen DisziplinarmaBnahmen und deren Wirkung gegeben werden.

1.3 Handlungsmoglichkeiten des Lehrers qeqen Storungen

Lehrer mussen vor allem in ihre Unterrichtsplanung Storungen des Unter- richts mit einbeziehen, meint Hillenbrand. Es ist vollig naiv zu glauben der gewahlte Stoff und/oder die gewahlte Vortragsweise ware so spannend, dass alle Schuler der Klasse 45-90 Min. aktiv und aufmerksam bei der Sache sind. Mit Storungen muss also gerechnet werden. Treten diese dann auf, liegt es am Lehrer diese zu beseitigen, damit der Unterricht wie- der flieBen kann. Der Lehrer hat darauf zu achten adaquat auf Storungen zu reagieren. Doch allzu haufig passiert das Gegenteil, denn Storungen treten unverhofft und akut auf, so dass Lehrer schnell verunsichert wer­den. Eine spontane Handlung lasst oft keine reflektierte GegenmaBnahme zu und so kommt es zu Ubertreibungen, Nervositat, Aggressivitat, Ironie u.a. seitens des Lehrers, so Hillenbrand.

Stefan Balke (vgl. Balke 2001) befragte Lehrerinnen und Lehrer, welche Handlungen sie am geeignetsten betrachten und am haufigsten anwen- den. Es wird die Frage nach den „ublichen Mitteln und ihre Wirksamkeit“ gestellt (vgl. ebd., S. 26). Die konkrete Frage lautete: „,Welche MaBnahme ergreifen Sie gegen Storungen?’ Die Lehrer/innen sollten zur Beantwor- tung der Frage bis zu vier MaBnahmen beschreiben, die sie gewohnlich im Unterricht gegen Storungen einsetzen. Weiterhin sollten sie auch die Reihenfolge der Haufigkeit angeben, mit der sie die MaBnahmen einset- zen“. Die haufigst genannte Antwort war die „Ermahnung“. Einige gaben an, dass sie den Schuler ansehen. Andere typische MaBnahmen wurden dagegen nur recht selten genannt, wie z. B. ignorieren, um Aufmerksam- keit bitten, Minus fur die Arbeit verteilen oder vor die Tur setzen.

AuBerdem wurden die Lehrer gefragt, welches der genannten Mittel am wirksamsten/unwirksamsten ist. Die Antworten fielen wie folgt aus (vgl. ebd., S.27): 1. Einzelgesprach; 2. letztlich ist keine MaBnahme wirksam; 3. abwarten; 4. in einen anderen Raum setzen, nach Hause schicken oder Androhungen aussprechen.

Die Antworten auf die Frage nach den unwirksamsten MaBnahmen sind: 1. Ermahnung; 2. letztlich ist keine MaBnahme wirksam; 3. vor die Tur schicken; 4 Androhung aussprechen.

Nun ist es sehr verwunderlich, dass die vermeintlich wirkungsvollste Ms- thode (Einzelgesprach), in unserem Kontext, substituiert werden soll durch eine Methode, die in beiden Fallen nur im Mittelfeld liegt, namlich „in ande- ren Raum schicken“. Man bewegt sich also bewusst fort von der kommu- nikativen (somit sozialen) Ebene.

Ironischerweise ist die am haufigst angewandte Methode auch die unwirk- samste, die Ermahnung. Die Erklarung dafur sieht Balke darin, dass eine Ermahnung eine sehr direkte, leicht auszufuhrende und unreflektierte Ge- genmaBnahme ist, die keine groBere Planungstatigkeit erfordert. „Das er- klart die Haufigkeit der Anwendung. Die Wirkungslosigkeit der Ermahnung ergibt sich dann, wenn eine Ermahnung haufig ausgesprochen wird und bei den Schuler/innen der Eindruck entsteht, dass sie keine ernsthaften Konsequenzen haben wird“ (ebd., S. 28). In der Tat kann man beobach- ten, wie Lehrer haufig Mahnungen der Art „gleich setz ich dich vor die Tur“ aussprechen, ohne dass eine Handlung folgt, auBer evtl. nachfolgende Mahnungen wie „gleich setze ich dich aber wirklich vor die Tur“, die natur- lich ohne Wirkung in der Luft verpuffen.

Wollen wir die genannten MaBnahmen doch mal auf ihren Gehalt hin ana- lysieren: folgt auf die Ermahnung? 1st die Konsequenz vorprogrammiert oder redet der Lehrer nur? Wenn eine Konsequenz folgt, wie sieht diese dann aus? Wird der Storenfried vor die Tur geschickt oder zum Rektor oder gar in ei­ne andere Klasse? Folgen Strafarbeiten, Nachsitzen oder nur Androhun- gen?

Man kann das Paradoxon sehr gut erkennen, auf der einen Seite ist die Ermahnung die am haufigsten angewandte Methode, da sie am schnells- ten ausgesprochen und zeitunaufwendigsten ist (im Gegensatz z. B. zu einem Einzelgesprach), auf der anderen Seite ist sie die Wirkungsloseste, da eine Ermahnung viel mehr Reflektion benotigt, als vielleicht in Wirklich- keit hineingesteckt wird. Mithin mussen Konsequenzen folgen. Eine mog- liches Mittel zur Auflosung dieses Paradoxons ist die TR-Methode. Nach der ersten Ermahnung wissen Schuler und Lehrer, was folgt, wenn der Schuler nicht einlenkt: Ausweisung aus dem Unterrichtsgeschehen.

2. Den/die Schuler ansehen:

Dies ist eine Methode, die im Grunde viel mehr Wissen vom Schuler vor- aussetzt, als dieser eigentlich wissen kann, denn der Lehrer verlangt von dem Schuler, dass dieser in seinen Kopf, in seine Gedanken blicken kann, sofern kein Konsens daruber herrscht, was es bedeutet, wenn der Lehrer einen „ansieht“. Man kann davon ausgehen, dass mit einem Blick auch ein Schweigen einhergeht, denn sonst ist die Methode dermaBen kodiert, dass man sie nicht entschlusseln kann, da der Lehrer ja standig beim Leh- ren die Schuler anblickt (oder anblicken sollte). Also gibt es neben einem optischen Signal auch ein/kein akustisches. Der Lehrer gibt zu verstehen, zumindest muss man es so interpretieren, dass er gerne weitermachen mochte, sich aber durch etwaige Unterhaltungen gestort fuhlt. Er schaut die Storquelle an und schweigt. Das Schweigen macht wiederum nur Sinn, sofern der Lehrer die ganze Zeit am Reden ist. Eine plotzlich einkeh- rende Ruhe hat zur Folge, dass nur noch die Storenfriede reden. Man kennt ja selbst die Situation, wenn alle Reden, dann plotzlich schweigen und nur man selbst redet weiter. Man fuhlt sich plotzlich beobachtet und in den Mittelpunkt geruckt. Alle horen einem plotzlich zu. Und da man ncht will, dass alle horen, was man seinem Nachbarn (personlich) zu sagen hat, hort man, nach dem man gemerkt hat, dass man der einzige ist, der noch redet, ebenfalls auf. Allerdings fangt man auch zu gerne wieder an weiter zu erzahlen, wenn der Gerauschpegel wieder ansteigt. Das Letzt- genannte und die Sache mit dem „im Mittelpunkt stehen“, stellt die Effekti- vitat dieser Methode in Frage. Die Effektivitat hangt hier auch wiederum von dem Wesen des Schulers ab.

3. Ignorieren:

Eine Antwort, die neben anderen weniger oft genannt wurde ist das Igno­rieren der Storung, der man allerdings, wenn man sich Unter- richtstranskripte ansieht, relativ haufig uber den Weg lauft. Hierbei muss man jedoch sagen, dass beim Lesen von Transkripten, der Grad der Sto- rung nicht sehr gut zur Geltung kommt.

Naturlich kann man eine Storung ignorieren, evtl. mit der Haltung: Wenn die nichts lernen, sind sie selber schuld, die werden es dann bei der Klau- sur schon merken. Das ist eine Einstellung, die der Lehrer haben kann. Ob es wirksam ist oder nicht, sei einmal dahingestellt. Sicher wird er aber die Aufmerksamkeit der Eltern und des Rektors auf sich ziehen, wenn die „Versagerquote“ sehr hoch liegt und er wird sich rechtfertigen mussen, warum er die Klasse nicht in den Griff bekommt. Dies impliziert die Erwar- tung seitens der Eltern, dass die Lehrkraft fahig ist padagogisch zu han- deln. Auch scheint die hier genannte Ignorier-Methode sehr egoistisch zu sein, denn die Moglichkeit besteht, dass andere Schuler sich ebenfalls gestort fuhlen und somit in ihrer Aufmerksamkeit behindert werden. Und sollte der Lehrer nicht das gewahren, eine konzentrationsfordernde Ar- beitsatmosphare, in der jeder, der will, lernen kann? Hier stolen wir auf ein Dilemma. Denn was machen wir mit Schulern, die nichts lernen wol- len, aber auf Grund der Schulpflicht anwesend sein mussen[11] ?

Das fuhrt uns zu einer anderen ziemlich grundlegenden Frage: Gibt es denn uberhaupt Schuler, die nichts lernen wollen? Anders: Gibt es un- wissbegierige Kinder? Gehen wir von der These aus, dass Kinder nichts wissen wollen, wie lieRe sich dann ihre unbandige Neugierde erklaren, die [12] direkt nach der Geburt und den Monaten danach offensichtlich reichlich vorhanden ist, der Drang von Kleinkindern alles wissen und konnen zu wollen, was auch Erwachsene konnen? Angefangen vom Krabbeln, ubers Laufen- und Redenlernen, bis hin zu Fragen nach Dingen, die Kinder nun mal stellen, weil sie wissen wollen, was die Welt ist und wie sie funktio- niert. Und die Eltern tun in der Regel ihr Bestes, um das Wissen ihrer Zog- linge so gut wie es geht zu bereichern. Ich wage zu behaupten, ein Kind, das nicht Laufen lernen will, gibt es nicht (von Krankheit und Behinderung jetzt mal abgesehen). Es liegt in der Entwicklung, und das Wort „Entwick- lung“ impliziert es schon, zu lernen. Die Frage ist nun, warum verlieren viele Kinder/Jugendliche im Laufe der Schulzeit ihr Interesse an der Wis- sensaneignung (Besuche in Hauptschulen zeigen nur zu gut die abweh- rende Haltung der Schuler gegenuber Unterricht und Lehrer)? Man musste dafur auch klaren, ob man diese Frage pauschalisieren kann oder ob sich das Desinteresse nur auf die Inhalte des Schulunterrichts bezieht?

Ein Ignorieren der Storung impliziert demnach die Unterstellung, dass die Kinder in der Klasse sowieso nichts lernen wollen. Daraus ergeben sich wiederum zahlreiche Folgefragen. Insbesondere musste der Lehrer seine Berufung in Frage stellen. Warum werde ich Lehrer, wenn ich weiB, dass die Kinder ja doch nichts lernen wollen? Wo bleibt die Erfullung des pada- gogischen Auftrags, den der Beruf mit sich bringt, wenn ich, als Lehrer, den vermeintlichen Konflikten via Ignoranz aus dem Weg gehe?

4. Um Aufmerksamkeit bitten:

Die wohl hoflichste und respektvollste Art seine Schuler zu behandeln und diese auf ihr storendes Verhalten hnzuweisen. Hier spielt eine wichtige Rolle, was fur ein Ansehen der Lehrer bei den Schulern hat: Respektieren die Schuler ihn, werden sie der Bitte wohl eher nachkommen, als wenn er bei ihnen in Misskredit steht?

5. Minus fur die Arbeit verteilen oder vor die Tur setzen:

Ein Minus fur die Arbeit funktioniert wahrscheinlich nur bei Schulern, die sich uber die Konsequenz von schlechten Zensuren im Klaren sind (schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Sitzenbleiben, etc.) und bei Schulern die keine „ist-mir-doch-egal-Haltung“ an den Tag legen. Aller- dings ist das eine logische Konsequenz: Wer seine Arbeit nicht verrichtet (sei es aktiv oder passiv) bekommt ein Minus dafur. Allerdings kann das kein Garant fur eine ruhigere Atmosphare sein. Eine Einstellung wie z B. die, dass es ja nicht noch schlimmer kommen kann, kann den Schuler da- zu veranlassen weiter zu storen.

Effizienter, in Bezug auf die Sorge fur Ruhe in der Klasse, ist es den Schuler vor die Tur zu setzen. Zum einen hat man die Storung beseitigt, zum anderen tragt der Schuler die Konsequenz, dass er den Stoff, der in der Zeit durchgenommen wird, verpasst. Allerdings wird der Lehrer nie wissen, was der Schuler vor der Ture treibt und wie er sich auf dem Flur verhalt. AuBerdem bringt sich der Lehrer in eine schwierige Lage, da er ja fur die Aufsicht des Schulers verantwortlich ist. Sollte etwas auf dem Flur passieren, kann man ihn zur Rechenschaft ziehen. Man darf auch nicht die erzieherische Aufgabe eines Lehrers vergessen. Das eigentliche Prob­lem wird nicht gelost sondern nur abgeschaltet bzw. ausgeblendet. Richti- ges verhalten in einer Gruppe wird so nicht gelernt. Ist die Schule aber nicht ein Ort, in der man sozial korrektes Verhalten lernt resp. lehren soll­te? Naturlich tut sie das. „Neben der Familie dient vor allem die Schule der Sozialisation des Heranwachsenden“ (Bittlinger et al. 1978, S.13). Im Grunde findet uberall eine Sozialisation statt, wo mehrere Menschen sich zusammenfinden. Die Schule ist ein Ort, wo mehrere Menschen miteinan- der leben, zusammen arbeiten und miteinander interagieren. Kinder ler- nen sich an Regeln zu gewohnen und diese einzuhalten. Zwangslaufig entstehen Probleme, die es gilt zu losen. Sei es auf dem Pausenhof bei irgendwelchen Spielen oder im Klassenraum beim Lernen. Lernen sie nicht sich vernunftig in einer Gruppe zu benehmen und zu verhalten, wer- den sie es spater in anderen Gruppen (im Beruf, Studium, etc.) schwerer haben sich einzugliedern[13]. Das bedeutet, standig den Problemen aus dem Weg zu gehen, sei es durch Ignorieren oder die Verlagerung von Problemen im Klassenraum auf auBerhalb durch den Lehrers (dieser er- fullt ja auch die Funktion eines Vorbildes), tragt nicht sehr gut zur Soziali- sation der Schuler bei. Doch was soll er machen. Die Probleme ausdisku- tieren? Da kame er wahrscheinlich nicht mehr zum Unterrichten vor lauter Diskussionen. AuBerdem muss man die Gewichtung der Auftrage von Schule beachten, die man allerdings erst einmal klaren sollte. Ist sie in erster Linie Bildungsinstanz (Ort der Wissensvermittlung) oder Sozialisati- onsort? Konnte sie beides zugleich sein mit einer Gewichtung von 50:50? Aber das vor die Tur setzen zeigt, dass der Lehrer nicht konform geht mit den Erwartungen der Eltern, die zu Recht dem Lehrer eine erzieherische Funktion zusprechen.

Man sieht, man kann sich den Unterrichtsstorungen nicht entziehen. Es ist eine Sisyphos-Arbeit fur Ruhe zu sorgen. Wenn in der einen Ecke Ruhe eingekehrt ist, fangen zwei Schuler auf der andern Seite an zu schwatzen.

Es ist schwierig eine geeignete Methode zu finden, um Storungen zu be- seitigen. Wie kann man als Lehrer nun seiner padagogischen Aufgabe nachkommen, die Schuler richtiges Sozialverhalten zu lehren und gleich- zeitig fur Ruhe und Ordnung zu sorgen, resp. ein Lernklima zu schaffen, in dem alle lehren und lernen konnen, ohne dass der Unterricht „stockt, auf- hort, pervertiert, unertraglich oder inhuman wird“ (Winkel)? Wie kann man den Schulern helfen ihre Disziplin zu wahren? Wie kann eine solche Hilfe zur Selbsthilfe aussehen? Die Trainingsraum-Methode scheint die Antwor- ten parat zu haben.

2. Die Traininqsraum-Methode - Einleitunq

Seit einigen Jahren ist eine Methode aus den USA herubergeschwappt und hierzulande in Mode gekommen. Einige Schulen wurden auf „das Ari­zona Projekt“ (so benannt nach dem Bundesstaat, in dem der Autor wohnt) von Edward E. Ford aufmerksam und einige deutsche Autoren grif- fen diese Methode auf und ubersetzten die Grundzuge (wohlgemerkt nicht das komplette Werk und auch nicht 1:1) ins Deutsche.

Das Buch Fords liest sich in erster Linie nicht wie eine wissenschaftliche Ausarbeitung, sondern eher wie eines dieser Selbsthilfe-Bucher („10 We- ge zum Gluck“, „Erfolge erleben“, „Einfach besser konzentrieren“, „In e- nem Monat Nichtraucher“ und wie sie alle heiBen mogen). Man bekommt beim Lesen das Gefuhl endlich die Losung all seiner (Erziehungs- )Probleme in den Handen zu halten. Die Methode kommt so uberzeugend daher, dass ein Scheitern von vornherein vollig ausgeschlossen ist. Man bekommt die Motivation endlich wieder selbstbewusst in die Masse zu marschieren und den „Balgern“ zu zeigen wo es lang geht.

Was die Methode verspricht und ob sie halt, was sie verspricht, soll im Folgenden eruiert werden.

2.1 Das Gedankenqebaude oder „Fords Noema“

Von was geht Ford aus? Welches (Schuler-)Verhaltensbild hat ihn zur Entwicklung dieser Methode gebracht? Worin sieht er das Grundproblem von Heranwachsenden, resp. die Ursache von Unterrichtsstorungen lie- gen? Und was versteht er unter Disziplin?

2.1.1 Das Grundproblem

Ford geht pauschal davon aus, dass Kinder ohne die notigen sozialen Fa- higkeiten aufwachsen. Sie wurden Regeln nicht beachten und haben nicht gelernt sich selbst zu disziplinieren. „This means setting their own rules and standards, setting measurable and objective goals, and creating for themselves an orderly way of life so that they can accomplish their own goals in an efficent way”(Ford 2003, S. 1). Sie mussen lernen die festge- setzten Regeln und Standards ihrer Umgebung zu beachten. Ford ver- langt, dass man denen, die es brauchen und wollen (an dieser Stelle diffe- renziert er das Klientel, allerdings noch sehr ungenau) helfen muss hre sozialen Fahigkeiten zu entwickeln und die Rechte anderer zu akzeptieren und mit ihren „Peers“ zurechtzukommen. (vgl. ebd.).

An dieser Stelle sei erwahnt, dass das Verhalten eines Jugendlichen sich stark nach den „Peers“ richtet. Sie akkomodieren ihr Verhalten und Auftre- ten nach den ungeschriebenen Regeln der Gruppe. Innerhalb dieser Gruppen „wird Erwachsenenverhalten eingeubt und vorweggenommen, von der Gruppe aus wird die Gesellschaft exploriert“ (Oswald 2002, S. 400). Und gerade die angesprochenen Regeln werden, und das wohlge- merkt schon im Kindesalter (ca. zwischen 5 und 12 Jahren), in den gleich- altrigen Gruppen ausgehandelt. Piaget verdeutlicht in seinem „Morali- schen Urteil beim Kinde“ (Piaget 1954), dass die Regel nichts anderes ist als die Existenzbedingung der sozialen Gruppe (vgl. Piaget 1954, S. 110) und „dass selbst so lockere Gruppen wie die Gesellschaft der Kinder [...], deren Hauptbetatigung das Spiel ist, ihre Regeln aufstellen und zwar als solche, die dem individuellen Bewusstsein Achtung aufzwingen“ (ebd.). Somit sind die Gleichaltrigen und nicht die Eltern oder Lehrer die Quelle der (autonomen) Moral, so Oswald (vgl. Oswald 2002, S. 401). Die These Fords, dass Kinder Hilfe benotigen, um sich in Peer-Groups zurechtzufin- den (Rechte der andern achten, Ffegeln bewahren etc.) widerspricht der These Piagets, „da3 nur durch die Auseinandersetzung mit unvollkommen sozialisierten Gleichaltrigen notwendige Entwicklungsschritte hin zur auto­nomen Person befordert werden“ (ebd.). Ford ist sich dessen nicht unbe- wusst, denn er sieht das eigentliche Problem darin, dass Kinder heutzuta- ge viel zu viel vor dem Fernseher sitzen und keine Zeit mehr mit Gleichalt­rigen verbringen. Zeit, „in which they most naturally develop, through play activity, the social skills that they need for getting along with others. It is in creative play that they learn how to set limits, negotiate, compromise, and respect each others’ rght [...]. They haven’t spent enough time learning how to get along with others through play on their own. It is rare today to see children organizing themselves in activities in which they develop an ability to get along with others and learn respect for the ritghts of others” (Ford 2003, S. 1 f.). Er sieht die Ursache, wiederum in einem Pauschalur- teil formuliert, im Fernsehen. Das wurde bedeuten, dass man die Kinder mit den sozialen Fahigkeiten ausstatten muss, mit denen sie in ihren Peergroups klar kommen konnen. Anstelle aber, dass man ihnen die Fernsehapparate nimmt und dafur sorgt, dass sie mit Gleichaltrigen zu- sammenkommen, muss jetzt eine Methode erfunden werden, die die Auf- gabe der Peergroup ubernimmt. Es macht sich das Gefuhl breit, dass sich hier jemand seiner sozialen Verantwortung entziehen will. Da hilft es auch nicht, die Schuld auf die verantwortlichen Erzieher zu schieben, die, an statt ihren Kindern „kreatives Denken“ (Ford) zu lehren, sie mit Drogen ab- fullen, manipulieren, bestrafen oder sonst eine Form der Intervention an wenden, welche nicht oder negativ zur Sozialisation beitragen (vgl. Ford 2003, S. 2).

2.1.2 Fords Disziplin-Beariff

Fords Definition von Disziplin ist sehr verquer, was sich vor allem in seiner schwammigen Formulierung ausdruckt. Man begreift zwar intuitiv, was er sagen will, kann sich dessen aber nicht sicher sein. Die Definition kommt in zwei Gewandern daher: „Disciplin is teaching children to respect the rights of others through responsible thinking by learning to obey rules“ (Ford 2003, S. 12) und „in terms of PCT [perceptual control theory; JB], it means teaching children to control their perceptions while trying to reduce [...] disturbing others” (ebd.). Demnach ware Disziplin „das Lehren“ der Achtung der Rechte des anderen. Es soll an dieser Stelle auf diesen Feh- ler hingewiesen werden, da er wahrend der Lekture den Leser (nicht nur an dieser Stelle) ins Stolpern bringt. Die Lesart, dass Disziplin der Tatig- keit des Lehrens entspricht soll verworfen werden, denn es bringt uns an dieser Stelle nicht weiter. Auch wenn er sich spater mit ahnlichem Wort- laut wiederholt, macht es m. E. keinen Sinn mit dieser Lesart zu operieren. Daher interpretieren wir den Text so, dass Disziplin eben bedeutet, die Regeln zu achten und die Rechte anderer zu wahren. Im andern Gewand tritt die Definition mit der Applikation „Perceptual Control Theorie“ auf. Diese wird spater noch in einem gesonderten Kapitel in dieser Arbeit dar- gestellt. In diesem Fall bedeutet Disziplin, die Wahrnehmung zu kontrollie- ren, wahrend man versucht das Storen anderer zu reduzieren.

Auf die Schule ubertragen wurde das bedeuten, wenn Schuler den Lehrer am Lehren und andere Schuler am Lernen hindern (auf das ungestorte Lehren und Lernen haben aber beide ein Recht, so Fords Postulat), dann herrscht ein Disziplinproblem bei dem entsprechenden Schuler vor. Es geht nicht darum, dass ein Schuler mal seine Hausaufgaben oder sein Ar- beitszeug vergisst, etwas fallen lasst, tagtraumt oder der gleichen (vgl. Ford 2003, S. 14/15). Training der sozialen Fahigkeiten ist notig, wenn ein Schuler einen andern argert, wahrend dieser versucht zu lernen, dazwi- schenredet oder Sachen durch die Gegend wirft (vgl. ebd.). Disziplinprob- leme herrschen also, wenn das Lehren/Lernen stockt, aufhort, pervertiert, unertraglich oder inhuman wird, um nochmals die Worte von Winkel zu gebrauchen. „Wherever people live together, all need to respect the rights of others by following established rules and standards'1 (Ford 2003, S. 14). Der Klassenraum entsprache so einem Ort des Zusammenlebens mit „be- stehenden“/“althergebrachten“ Regeln. Die Rechte, die es zu achten gilt, sind das Recht zu Lehren und das Recht zu Lernen.

Schreiben wir es mal ganz aus: Die Kinder haben das Recht zu lernen. Im Schatten der gesetzlichen Schulpflicht kommt dieser Satz sehr sardonisch daher, denn was passiert, wenn das Kind keine Lust hat aufs Lernen, wenn es lieber spielen will? Es wird dazu gezwungen, zumindest zur An- wesenheit in der Institution. Die Folgen, die daraus resultieren, wurden be- reits weiter oben genannt (Langeweile, Storungen usw.). Und genau auf diese Kinder, wenn auch nicht ausschlieRlich, scheint die TR-Methode gemunzt zu sein. Denn alle anderen Kinder haben die Lust am lernen (nicht verloren). Dies sagt Ford nicht explizit, aber steckt es doch in seiner Ausfuhrung. Naturlich sollte man die Rechte der anderen wahren, wo man zusammenlebt. Doch wo geschieht das denn noch Heutzutage? Die Rechte der Menschen werden doch mit den FuBen getreten, auf der gan- zen Welt. Naturlich st es eine gute Idee bei der Erziehung anzufangen, denn die Kinder sind die Erwachsenen von morgen, doch zugleich ist es eine Sisyphos-Arbeit die Kinder zu Moral zu erziehen und soziale Kompe- tenzen zu lehren, wenn die ganze Welt tagtaglich ihnen zeigt, dass es auch anders geht. Dies ist kein Argument gegen Fords Ansicht. Aber wie soll man diesen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis dem Kind er- klaren? Kann der Trainingsraum, der Raum, wo Selbstreflektion geubt werden soll, helfen den Kindern zu zeigen, dass es Sinn macht die Rechte anderer zu wahren? An diesem Punkt der Untersuchung scheint es eher so, dass dieses Postulat nicht eingehalten werden kann.

Um noch ein mal auf das Recht des Lehrers zuruckzukommen. Was ist die Quelle dieses Rechtes, wo hat Ford her, dass Lehrer das Recht haben ungestort zu unterrichten? Genauso konnte man sagen, wenn man spa- zieren geht, an Jugendlichen vorbei kommt, diese beginnen zu grolen (dies nicht unbedingt auf die eigene Person bezogen) und man sich ge- stort fuhlt. Kann man dann von Disziplinproblemen reden? Kann man sa­gen, man hatte das Recht ungestort spazieren zu gehen? Diese Form der Rechtsgrundlage scheint mir sehr willkurlich. Wurde man nun ein Regle- ment in der Schule zusammenstellen, dass von allen akzeptiert wird, n dem eben diese Pramisse festgehalten wird, so kann man von einer Grundlage und nicht mehr von Willkur reden. Und in der Tat legt ein sol- ches Reglement das Fundament der TR-Methode. Doch solange die Kin­der nichts von einem Recht des Lehrers auf ungestorten Unterricht wis- sen, kann man von ihnen nicht Verlangen dieses Recht zu beachten.

Bevor wir uns nun den Regeln zuwenden, denen Ford eine sehr wichtige Bedeutung zumisst, wollen wir schauen, in wie weit Fords Verstandnis von Disziplin mit dem Begriff, den wir im ersten Abschnitt herausgearbeitet haben kohariert.

Zu erst einmal konnen wir feststellen, dass er anscheinend nicht unter- scheidet zwischen Disziplin und Unterrichtsstorungen, wo wir gesagt ha- ben, dass ersteres nur die (oder eine) Ursache von Unterrichtstorungen sind/sein konnen. Er definiert Disziplin als, die Fahigkeit Regeln und Rechte anderer zu beachten. Wir sagten, Disziplin ist die Fahigkeit sein Verhalten soweit zu steuern, um sich selbst gesteckte Ziele zu erreichen. Wir haben Disziplin gleichgesetzt mit Selbstdisziplin, resp. das eine dem anderen als inharent deklariert. Will man als Lehrer eine disziplinierte Klasse, muss eine Kommunikation untereinander uber Ziele herrschen. Lehrer und Schuler mussen sich Ziele setzen. Jedoch darf der Lehrer die Ziele nicht alleine vorgeben, sondern diese mussen gemeinschaftlich er- arbeitet werden (vgl. hierzu auch den Abschnitt „Klare Regeln“ in Nolting 2002, S. 61 ff.). Auf sozialer Ebene kann das z. B. so aussehen, dass Klassenregeln erstellt werden, wie de Schuler miteinander umgehen wol- len/sollen. Regeln, die ein angenehmes Lernklima schaffen, ohne dass einzelne in ihrer Freiheit eingeschrankt werden. Die Schuler mussen den Sinn der Regel erkennen (vgl. ebd., S. 64). „Eine intensivere Mitwirkung [bei den Schulern; JB] ist zu erreichen, indem man die Schuler/innen mit einem Problem konfrontiert fur das man Losungen braucht [...]: - ,Wie konnen wir dafur sorgen, dass alle eine Chance haben, zu Wort zu kom- men?’ - ,Wie erreichen wir, dass niemand verletzt wird?’“ (ebd., S. 65). Folgende Pramissen sind bei Klassenregeln zu beachten: 1. so wenige wie moglich; 2. so einsichtig wie moglich; 3. so positiv wie moglich (vgl. ebd., S. 64). Dazu kommt auch die Disziplin des Lehrers (wie bereits er- wahnt). Wenn er schon die Regeln nicht so ernst nimmt, wie sollen dann die Schuler auf diese reagieren?

Das Ziel ware, ein lernfreundliches Klima zu schaffen. Dieses zu erreichen erfordert Disziplin. Die Disziplin aufrecht zu erhalten erfordert wiederum Konsequenzen bei RegelverstoRen (z. B. einen extra Arbeitsauftrag oder vielleicht reicht auch einfach eine Ruge, je nach dem).

Auf eine Schulklasse bezogen, konnen wir dem Begriff Disziplinprobleme ein neues Gewand geben: Disziplinprobleme sind RegelverstoRe. Soweit geht Ford damit konform. Aber mit dem eminenten Unterschied, dass er offensichtlich voraussetzt, dass die Schuler/Kinder die Regeln kennen. Oder anders ausgedruckt: Die eben genannten Pramissen scheinen nicht gegeben zu sein und das ist m. E. fatal. Ford erlautert die Bedeutung von Regeln in gesonderten Kapiteln, die wir uns jetzt naher anschauen wollen.

2.1.3 Fords Reqelverstandnis

Ford betont die Wichtigkeit von Regeln (vgl. Ford 2003, S 16 ff.). Ohne Regeln, kein Miteinander. Wenn man im StraBenverkehr sich fortbewegt, dann hofft man, dass alle anderen Teilnehmer sich auch an die Regeln halten. Ein FuBballspiel ohne Regeln ware undenkbar. Jeder wurde ma- chen, was er will. In einer Gruppe von Leuten muss man seine Ziele ab- gleichen.

Innerhalb einer Gruppe kommt man sich, nicht zwingend, aber immer mal wieder, in die Quere, wenn verschiedene Leute verschiedene Ziele zu er- reichen versuchen. Konfliktsituationen sind nicht auszuschlieBen, auch nicht mit Regeln. Wenn in einer Wohngemeinschaft zwei Leute zur glei- chen Zeit den Wasserkocher benutzen wollen, helfen keine Regeln, da hilft nur sich zu arrangieren. Das ausgeklugelste Verkehrssystem versagt bei der Rechts-vor-links-Situation. Wenn an einer Kreuzung aus allen Richtungen ein Fahrzeug kommt und gerade aus weiterfahren will. Wer muss wen zu erst vorlassen? Da gibt es keine Regel. Es hilft nur sich mit den andern Verkehrsteilnehmern zu arrangieren. Es entsteht ein Konflikt, der nicht mit Regeln zu losen ist. Derartige Beispiele gibt es in Gesell- schaft zu Hauf.

Das Abgleichen der Ziele allein, bringt die FuBballer auch nicht weiter. Na- turlich ist bei einem Spiel ein ausgeklugeltes Reglement von Noten. Hier damit es SpaB macht, im StraBenverkehr, um Leben zu schutzen.

Man muss unterscheiden zwischen Zielen, die man sch selbst setzt, von denen, die man sich innerhalb einer Gruppe setzt. Fur alle Wege zu den Zielen sind Regeln notwendig. Doch fur meine selbstgesteckten Ziele be- notige nur ich meine Regeln, an die ich mich halten muss, um die (Selbst-) Disziplin zu wahren. Diese Regeln mussen nicht fur andere gelten. Inner- halb der Gruppe, muss sich zwingend jeder daran halten. Wenn nun zwei Menschen aufeinander treffen, mit je unterschiedlichen Zielen und Regeln, kann es zum Konflikt kommen. Wie soll dieser anders gelost werden, als durch Arrangieren (wie immer dies aussehen mag)?

Kinder mussen lernen, so Ford, nach den Regeln der Kultur und der Gs- sellschaft, in der sie leben zu handeln (vgl. Ford 2003, S. 22). Dies impli- ziert m. E., dass sie diese Regeln nicht hinterfragen. Woran dies auszu- machen ist, ist ein Beispiel, dass Ford immer wieder gerne wahlt, dass des StraRenverkehrs. „If I drove 55 miles per hour through a school zone [...] there would certainly be consequenzes for me”(ebd., S. 26). Ja, aber eben nur dann, wenn man sich erwischen lasst. Man kann sich da aber nicht sicher sein, so wie Ford das tut. Daruber hinaus wurden wir ganz bestimmt nicht uber 55 Meilen die Stunde fahren, da wir schon so konditi- oniert sind, dass wir gar vor einer Roten Ampel (um ein anderes Beispiel aus dem StraRenverkehr zu nehmen) stehen bleiben wurden, selbst wenn wir vor dieser mitten in der Wuste mit freiem Blick in alle Richtungen ste- hen wurden, ohne dass andere Verkehrsteilnehmer zu sehen waren.

Naturlich ist ein Leben in Gesellschaft ohne Regeln undenkbar, doch soll- ten wir uber Regeln reflektieren und den Sinn erkennen. Das Problem ist allerdings, dass, selbst wenn wir den Regelsinn nicht erkennen, wir uns daran halten mussen, resp. sollten oder aber mit moglichen Konsequen- zen rechnen/leben mussen. Dass ist aber noch lange kein Grund Kinder so zu erziehen, dass sie blind den Regeln folgen, was allerdings Ford im- plizit postuliert. Was man machen musste, ware eine Erziehung zu mora- lisch korrektem Verhalten bzw. Denken oder um einen anderen Terminus ins Spiel zu bringen, zu Verantwortung.

Sehr schon ist hier die Diskrepanz zu Kants Philosophie (u.a. auch seiner Vorstellung von Erziehung) zu sehen, welche an sich ein schones (Erzie- hungs-)Ideal ist. Da ware erstens das Postulat, so zu handeln, dass es der Maxime entspricht, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde und zweitens sich aus seiner selbstverschuldeten Unmun- digkeit zu befreien (vgl. Kants Idee des „kategorischen Imperativs“ in sei­ner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und sein Definition von „Auf- klarung“ in Kant 1784) - von der Idee der Freiheit, die damit auch zusam- menhangt, mal abgesehen. Die TR-Methode geht aber praktisch, entge- gen ihren Intentionen genau in die entgegengesetzte Richtung. Sich a) in die Unmundigkeit zu begeben und b) nach den Maximen anderer zu han- deln, resp. keine eigenen Maximen zu entwerfen/bilden. Ford geht sogar soweit und sagt, dass die Schule nicht der Ort ist, wo Moral gelehrt wird: „School is not the place, nor could it be, for teaching morality“(Ford 2003, S. 24). Das ist eine starke Aussage. Schule ist ein Ort der Erziehung, und was, auRer moralischem Handeln (und sozialem Umgang miteinander, was m. E. dem ersten inharent ist), soll denn sonst in der Schule gelehrt werden? Auch wenn Ford nie behauptet hat oder gar vor hatte Kant oder irgend einem der alten Padagogen/Philosophen gerecht zu werden, so kann man die alten Padagogiken nicht einfach ignorieren. Die Idee der Er- ziehung/Padagogik hat ihren Ursprung letzten Endes in der Philosophie und somit konnen die fruheren Ideen uber Moral, Vernunft, Freiheit etc. nicht in der heutigen Padagogik ignoriert werden, wie es hier vehement geschieht[14].

2.1.4 RegelverstoBe und Konsequenzen

Fassen wir Fords Postulat noch einmal zusammen: Kinder mussen lernen sich an die Regeln der Gesellschaft zu halten und die Rechte anderer zu wahren.

Wenn Kinder nun nicht einsichtig sind, was die Regeln anlangt, muss man sie vor eine Wahl stellen. Entweder sie benehmen sich oder sie mussen die Gesellschaft (den Raum, die Klasse, den Kreis der Leute) verlassen (vgl. Ford 2003, S. 29 ff.). Dieses Prozedere wird immer dann durchge- fuhrt, wenn Kinder die Regeln brechen. „Whenever children violate the rights of others by refusing to obey the rules and standards of wherever they are, they should be asked if they want to stay and obey the rules [...] or leave where they are, reducing social involvement until they are willing to commit to following the rules [...] and to make a plan to resolve similar problems in the future” (ebd., S. 30). Bestrafung durch Isolation? Es sieht zumindest so aus. Doch Ford distanziert sich von dem Terminus „Bestra- fung“. Bestrafungen sind Reaktionen auf unerwunschtes Verhalten mit dem Ziel das Verhalten des Delinquenten zu andern. „Most school pro- gramms are designed to control the actions of children [...]. Their names are put on the board, they are told to sit in the corner for a specific amount of time, and they are often yelled at or criticized” (ebd., S.12). „Lecturing children, telling them what they should be doing, making judgments about what you think is wrong with them - all these strategies have been tried for years and have never worked” (ebd., S. 55). Er sieht sein Programm als eine Hilfe zur Selbsthilfe. „The best way you can help them deal with their conflicts is by getting them to look within themeselves and decide for themselves how they want things to be“ (ebd.). Ford geht hier noch von einer anderen Sache aus. Er spricht von Konflikten mit denen die Kinder zu kampfen haben. Diese Konflikte entstehen aus der Uneinsichtigkeit von Regeln. Es gilt nun sie anzuleiten sich an die Regeln zu halten und das indem sie gefragt werden, wie sie sein wollen. Nicht aber wird versucht ih- nen die Sinnhaftigkeit der Regeln zu erklaren, wo wir wieder bei der Kon- ditionierung waren, denn wer will schon aus dem Raum verwiesen wer- den, um dann allein wo zu sitzen und daruber nachzudenken, wie man sein will, wahrend die „Party“ in der Klasse abgeht. Aber wie soll das Er- gebnis einer solchen Reflektion aussehen? Ich will immer brav sein, um an den Aktivitaten teilzunehmen. Das ware Anpassung, um anderen zu gefallen. Was geschieht denn, wenn das Ergebnis ware, ich will weiterhin der Storenfried sein? Wenn dem Delinquenten das Storen SpaR macht, weil vielleicht der Unterricht so tot langweilig ist oder er den Lehrer hasst? Wie mit diesen Unseinsichtigen verfahren wird sehen wir spater noch.

Ford meint also, dass den Kindern Fragen gestellt werden sollen, anstelle sie zu maRregeln. Kinder haben ihren eigenen Willen und ihre eigenen Ziele. Sie nehmen die Welt wahr nach ihren eigenen Prioritaten. Dies muss man beachten, wenn man versucht ihnen mit ihren Problemen zu helfen. Die beste Art ihnen zu helfen, in sich selbst hineinzuschauen, ist ihnen Fragen zu stellen (vgl. ebd.). Die spezifische Art der Fragen spielt eine zentrale Rolle im TR-Konzept und wird spater genauer betrachtet. Wenn sich die Kinder aber uneinsichtig zeigen und weiterhin die Regeln brechen, dann benotigen sie einen Ort, in dem sie sein konnen, bis sie gewillt sind, sich wieder an die Regeln zu halten (ebd., S.31). Sie sollen sich beruhigen und daruber nachdenken, wie sie ihr Verhalten in Zikunft andern/bessern und wie sie verantwortlich (im Sinne der Wahrnehmungs- kontrolltheorie) handeln wollen. Die Kinder sollten einen Plan entwerfen, in dem sie diesen schriftlich festhalten. Ford geht davon aus, dass diese Kinder weiter an den gesellschaftlichen Aktivitaten teilhaben wollen und deshalb gewillt sind, solch einen Plan zu entwerfen (vgl.ebd., S. 32). Und der ideale Ort fur dieses Geschehen ist nach Ford ein abgesonderter Klassenraum mit einer qualifizierten padagogischen Fachkraft, die als Be- rater fungiert. Ford nennt diesen Raum den ..Responsible Thinking Class- room“ (dt.: Trainingsraum).

Bis dahin erscheint es wie eine andere Form von „vor die Tur setzen“, nur in ein anderes Gewand gekleidet. In der Welt der Erwachsenen gibt es auch solch einen Raum, genannt „Gefangnis“. Und sie konnen nur wieder heraus. Wenn ihr guter Wille (die gute Fuhrung) von einem Komitee abge- segnet wurde (oder sie eben ihre gesetzte Strafe abgesessen haben). Und, man glaubt es nicht, das Prozedere ist im TR ist genau das Gleiche, wie wir noch sehen werden. Bevor wir uns nun das TR-Konzept genauer unter die Lupe nehmen, sollen die Grundprobleme, die Ford sieht noch- mals zusammengefasst werden. Im Anschluss ist es notig eine Exkursion zur Wahrnehmungskontrolltheorie von W. T. Powers zu unternehmen, welche die theoretische Basis des TR liefert.

2.1.5 Resumee der Grundqedanken Fords

Kinder lernen nicht mehr sich an Regeln der Gesellschaft zu halten und die Rechte anderer zu wahren. Ford sieht die Ursache im hohen Fernseh- konsum. Was daraus folgt ist, dass die Kinder immer weniger Spielen und so keinen Sinn fur Regeln entwickeln konnen.

Ford definiert Disziplin eben als die Fahigkeit Regeln und Rechte zu ach- ten. Den Kindern muss beigebracht werden verantwortlich zu denken. Man darf sie allerdings nicht maRregeln, sondern muss sie als lebende Wesen und Kinder in ihrer Welt akzeptieren und sie in ihren Problemen unterstutzen, in dem man ihnen hilft ihr Verhalten zu reflektieren und e- nen Plan zu entwerfen, wie sie ihr Verhalten andern konnen. Die beste Art dies zu tun ist ihnen Fragen zu stellen und bei Uneinsichtigkeit in einen gesonderten Raum zu schicken, also von den gesellschaftlichen Aktivita- ten auszuschlieRen, damit sie uber ihren Misskredit nachdenken konnen. Um diese Form der Hilfe zur Selbsthilfe in Schulen zu verwirklichen, hat Ford das TR-Konzept entwickelt. Diesem liegt eine Theorie zu Grunde, entwickelt von W. T. Powers. Diese Wahrnehmungskontrolltheorie soll auch verdeutlichen, was „verantwortliches Denken/Handeln“ uberhaupt bedeutet.

3. Die Wahrnehmungskontrolltheorie

3.1 Lebende Kontrollsvsteme

Als erstes soll eine kurze Zusammenfassung der WKT geben werden, bevor naher auf einzelne Aspekte eingegangen wird.

Die WKT geht davon aus, dass Lebewesen das kontrollieren, was sie wahrnehmen und nicht, wie es die „Engeneering Control Theorie“ (ECT) tut, ihre Handlungen. Ein Beispiel: Ich stehe auf Punkt A und mochte den Standpunkt B erreichen. So kontrolliere ich nicht meine Bewegung, um B zu erreichen, wie die ECT das postuliert, sondern nehme wahr, dass ich auf A stehe aber auf B sein will. Letzteres ist nicht gegeben, also veran- lasst mein Nervensystem, dass sich meine Muskeln regen und die Beine in Bewegung setzen, damit mein Korper nach B gelangt. Wahrend dieser Bewegung von A nach B vergleiche ich unaufhaltsam mein Wollen mit dem, was ich wahrnehme, solange zwar, bis ich B erreicht habe. Dann entsprechen Wollen und Wahrnehmung einander, es bedarf keiner weite- ren Handlung. Um so zu handeln bedarf es nach Powers (vgl. Powers 1989, S. 6 ff.) mehrerer „Control“-Systeme in einer hierarchischen Ord- nung, die aber alle ein Zel haben, namlich die Termination von negativen Funktionen. Der Ablauf lasst sich wie folgt schematisieren: Es gibt ein „Referenz-Signal“(RS) und ein „Feedback-Signal“(FS), die von den neura- len Netzen des Lebewesens wahrgenommen werden. Das RS entspricht in etwa den „Wunschen“ und „Vorstellungen“ des Subjekts und das FS den akuten Wahrnehmungen. Nun tritt eine Vergleichsfunktion in Kraft, welche die Differenz zwischen RS und FS misst. 1st die Differenz gleich 0 besteht kein Handlungsbedarf. 1st die Differenz jedoch grower als 0 ent- steht eine „Fehlermeldung“ („Error-Signal“), das Control System versucht die Differenz auszugleichen und RS und FS so nah wie moglich an einan- der zubringen, resp. die Differenz aufzuheben und ein Aquilibrium herzu- stellen. Dies Schema lieRe sich kurz formulieren mit den Begriffen: Input - Process - Outcome. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass der Kor- per/Organismus nicht auf jeden gleichen Stimulant immer gleich reagiert oder, dass gleiche sichtbare Ergebnisse die Ursache gleicher Reaktionen sind. Viele Variablen spielen eine Rolle - im Falle unseres Beispiels oben waren mogliche Variablen: bin ich betrunken, ist die Oberflache auf der ich laufe glatt oder ist es dunkel im Raum, etc. (vgl. Powers 1987, S. 5). Siehe Abbildung 1.

Kontrolle wird demnach so definiert:

“A kontrolliert B, wenn fur jeden storenden Einfluss, der auf B einwirkt, A eine Handlung durchfuhrt, die dem Einfluss dieser Storung auf B direkt entgegenwirkt.“ (Balke 2001, S.33). Damit hangt implizit zusammen: „The immediate physical cause of what an organism does, lies outside that or­ganism” (Powers 1989, S. 1). Eine weitere Pramisse ist, dass das Ner- vensystem wie ein Binarsystem funktioniert, entweder es erzeugt einen Impuls oder eben nicht (vgl. Powers 1987, S. 19).

[...]


[1] Vgl. Anhang I.

[2] Welche Ziele gemeint sind, wird nicht expliziert. Es ware aber interessant zu erfahren, wohin die Erziehung und der Schulunterricht fuhren soil. Wenn daruber Konsens herrschen wurde, waren wir ein ganzes Stuck weiter, auch in Bezug auf die Bewertung des TR-Konzeptes. [FuBnote von JB]

[3] Im Grunde ist der Terminus egal, so lange alle Parteien wissen, was gemeint ist.

[4] Erich Fromm hat in seinem sehr lesenswerten Buch „Die Kunst des Liebens“ uber Disziplin folgen- des gesagt: „Vor allem erfordert die Ausubung einer Kunst Disziplin. Ich werde es nie zu etwas brin- gen, wenn ich nicht diszipliniert vorgehe. [...] man sollte sich in seinem gesamten Leben um Disziplin bemuhen. Man sollte meinen, fur den modernen Menschen sei nichts leichter zu lernen als Disziplin. Verbringt er nicht taglich acht Stunden auf denkbar disziplinierte Weise bei seinem Job, den er nach einer strengen Routine erledigt? Tatsachlich jedoch zeigt der moderne Mensch auBerhalb [...] seiner Berufsarbeit nur auBerst wenig Selbstdisziplin. Wenn er nicht arbeitet, mochte er faulenzen [...]. DaB man faulenzen mochte, ist aber groBenteils nichts anderes als eine Reaktion darauf, dass unser Leben durch und durch zur Routine geworden ist. Eben weil der Mensch sich acht Stunden am Tag gezwun- gen [Hervorhebung JB] sieht, seine Energie auf Zwecke zu verwenden, die nicht seine eigenen sind, bei einer Arbeitsweise, die er sich nicht selbst aussuchen kann [...], begehrt er auf, und sein Aufbegeh- ren nimmt die Form eines kindlichen Sich-gehen-Lassens an. [...] Ohne Disziplin aber wird das Leben zersplittert und chaotisch, und es fehlt ihm an Konzentration.“ (Fromm 1984, S.120). Eben diese Disziplin muss aus intrinsischen Motiven herrühren und nicht aus dem Zwang von Außen heraus.

[5] Hartmut von Hentig, der Begrunder der Laborschule Bielefeld, hat in einem Radioprogramm des SWR2 (24.09.2008) einmal zu Recht gesagt, dass die Kinder auf das Leben abgerichtet, aber nicht vorbereitet werden wurden.

[6] Im Sinne von Marx (vgl. Fromm 1982, S. 16/17).

[7] Es wird sich hier auf Kant’s „Kategorischen Imperativ“ bezogen.

[8] Eine solche Dialektik musste u. a. untersuchen, wer wen und wie innerhalb der Schule sozialisiert. AuBerdem musste sie eine ausfuhrlichere Diskussion uber den Sozialisations-Begriff beinhalten, als es hier moglich ist.

[9] Was mit den restlichen 8% ist, wird verschwiegen.

[10] Im Rahmen der Unterrichtsforschung zur Entwicklung einer „Theorie des Unterrichts“ an der Goe- the-Universitat in Frankfurt a.M. am Fachbereich Padagogik, Institut fur Sekundarstufe unter der Lei- tung von Prof. Dr. A. Gruschka werden Unterrichtsstunden protokolliert, transkribiert und (objektiv) hermeneutisch analysiert.

[11] Schule ist eben mit Zwang verbunden, somit auch die dort vom Schüler erwartete Disziplin, welche sie für das spätere Leben anerzogen bekommen.

[12] Es wäre eine Maßnahme, dieser Frage mit einer empirischen Untersuchung nachzugehen.

[13] Wie bereits erwähnt soll „Eingliederung“ nicht verstanden werden als „Unterwerfung“, sondern als eine Form des Umgangs mit anderen Menschen, die von einer gewissen Höflichkeit und Respekt des anderen gegenüber einhergeht.

[14] Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Ford diese Ideen nicht ignoriert, sondern sie als fehl am Platz (in der Schule) betrachtet, muss man ihm vorhalten, dass er dies nicht expliziert.

Fin de l'extrait de 143 pages

Résumé des informations

Titre
Der Trainingsraum. Evaluation einer neuen Erziehungsmethode
Université
University of Frankfurt (Main)  (Institut der Sekundarstufe)
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
143
N° de catalogue
V148143
ISBN (ebook)
9783640589425
Taille d'un fichier
5842 KB
Langue
allemand
Mots clés
Trainingsraum, Erziehungs, Schule, Disziplin, Disziplinarmaßnahme, Lehrer, Schüler, Unterricht, Unterrichtsstörung, Unterrichtsstörungen, Lehren, Lernen, Recht auf Unterricht, Bestrafen, Bestrafen im Unterricht, Fördern, Fördern im Unterricht, Lehrer-Schüler-Verhältnis, Eltern, Ratgeber Schule, Schule und Erziehung, erziehender Unterricht, Disziplinarmaßnahmen, Disziplin im Unterricht, Disziplinarmaßnahmen im Unterricht, vor die Türsetzen, Wahrnehmungskontrolltheorie, Edward E. Ford, Selbstreflexion im Unterricht, Selbsteinschätzung, Simon und Bründel, Balke, Stefan Balke, Wahrnehmungskontrolle, Kontrolle, Kontrolle im Unterricht, Unterrichtsatmosphäre, Schulklima, Klassenklima, Stimmung, Schülerverhalten, Disziplinierung, Strategien, Strategie, Ratschläge für Unterricht, Störungsprävention, Ermahnung, Frageverhalten, Stillarbeit, Gruppenarbeit, Unterrichtsfluss, Regeln, Regel, Regeln in der Klasse, Regeln in der Schule, Schulregeln, Agression in der Schule, Agression in der Klasse, Schulklasse, Unterrichtsforschung, Schulforschung, Schulpädagogik, Trainingsraum Methode, Trainingsraum Programm
Citation du texte
Jan Belak (Auteur), 2008, Der Trainingsraum. Evaluation einer neuen Erziehungsmethode, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148143

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