„Wenn man Deutschlehrerinnen und –lehrer nach ihren Erfahrungen mit Texten von Holocaustopfern befragt, hört man häufiger, die größte Schwierigkeit sei, dass bei Schülerinnen und Schülern selten mehr bliebe als ein-fache Betroffenheit und Hilflosigkeit – und das auch nur im besten Falle. Schweigen sei doch oft die einzige Reaktion auf solche Texte.“
Mit diesen Worten beschreibt Sascha Feuchert den Phänotyp einer Gemen-gelage, die Jens Birkmeyer als „doppelte Krisensymptomatik“ diagnostiziert, bestehend aus einer Krise der Erinnerungskultur und des Literaturunterrichts. Diese bewirke bei den heutigen Schülerinnen und Schülern der dritten oder bereits schon vierten Generation starke Abwehrmechanismen gegen die Thematik des Holocausts und eine generelle Ablehnung von Erin-nerung. Grundlage dieser Verhaltensmuster sei u.a. die permanente moralische Überforderung der SuS in Schule und Gesellschaft sowie eine schlechte Didaktisierung. Astrid Messerschmidt zufolge sei Letztere der maßgebliche Grund für die Selbstverweigerung der SuS in Hinblick auf die Holocaust-Thematik, da sie in Form der Abwehrmechanismen zwar die an-gemessene Reaktion evoziere, jedoch nicht selbst die Konsequenzen zu tragen habe, weil die SuS ihre Ablehnung in Ermangelung einer Kommunizierung didaktischer Ziele und Methoden auf den Stoff projizieren würden. Ferner werde den SuS nach Feuchert der besondere Nutzen von Literatur als ästhetischer Darstellungsmodus nicht kommuniziert und veranschaulicht, weshalb die Chancen des Deutschunterrichts (insbesondere in Abgrenzung zum Geschichtsunterricht) nicht wahrgenommen würden und die Entwicklung eines „medienkritische(n) Gedächtnis(ses)“ unterbliebe.
Letztlich stellt sich die Frage, wie man diesem Negativtrend und der Ablehnung sowie dem Überforderungsgefühl der SuS an der richtigen Stelle, nämlich der Didaktisierung, entgegenwirken kann, um das vorhandene Interesse an der Thematik von den Überlagerungen zu befreien und dem Wunsch der SuS nach Sinndeutung zu entsprechen.
Im Folgenden werde ich daher am Beispiel von Ruth Klügers Autobio-graphie Weiter leben. Eine Jugend methodische und didaktische Vorüberlegungen zu einer Lektüre von Holocaust-Literatur in der Schule erörtern sowie das Buch in Hinblick auf seine Eignung als Schullektüre untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Vorüberlegungen zu einer Lektüre von Holocaustliteratur
- 2.1 Allgemeine Rahmenbedingungen
- 2.1.1 Alter der SuS
- 2.1.2 Symbiose von Geschichts- und Deutschunterricht
- 2.2 Vorbereitung auf die Lektüre
- 2.2.1 Thematisierung der potentiellen Abwehrmechanismen
- 2.2.2 Gattungstheoretische Klassifizierung
- 2.3 Aufbau der Lektüre
- 2.4 Begleitung der Lektüre
- 2.1 Allgemeine Rahmenbedingungen
- 3 Weiter leben - eine geeignete Schullektüre?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Eignung von Ruth Klügers Autobiografie „Weiter leben. Eine Jugend“ als Schullektüre. Sie befasst sich mit den didaktischen Herausforderungen, die sich aus der Beschäftigung mit Holocaustliteratur im Unterricht ergeben, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Abwehrmechanismen von Schülerinnen und Schülern. Die Arbeit analysiert die generellen Rahmenbedingungen einer solchen Lektüre, insbesondere hinsichtlich des Alters der SuS und der Notwendigkeit einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit von Geschichts- und Deutschunterricht. Die Arbeit zielt darauf ab, methodische und didaktische Vorüberlegungen zu einer Lektüre von Holocaustliteratur in der Schule zu entwickeln und die Eignung des Buches für den Schulunterricht zu beurteilen.
- Didaktische Herausforderungen bei der Beschäftigung mit Holocaustliteratur
- Abwehrmechanismen von Schülerinnen und Schülern gegenüber der Thematik des Holocausts
- Methodische und didaktische Vorüberlegungen zur Lektüre von Holocaustliteratur
- Eignung von „Weiter leben. Eine Jugend“ als Schullektüre
- Rolle der Literatur im Geschichts- und Deutschunterricht
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung Die Einleitung beleuchtet die Problematik der Beschäftigung mit Holocaustliteratur im Deutschunterricht, insbesondere die Schwierigkeit, bei Schülerinnen und Schülern mehr als einmalige Betroffenheit und Hilflosigkeit hervorzurufen. Sie stellt den Zusammenhang mit der „doppelten Krisensymptomatik“ von Erinnerungskultur und Literaturunterricht heraus, die bei der heutigen Generation starke Abwehrmechanismen gegen die Thematik des Holocausts und eine generelle Ablehnung von Erinnerung hervorruft. Der Beitrag beleuchtet die Ursachen dieser Verhaltensmuster, die in der permanenten moralischen Überforderung der SuS in Schule und Gesellschaft sowie in einer schlechten Didaktisierung liegen.
- Kapitel 2: Vorüberlegungen zu einer Lektüre von Holocaustliteratur Dieses Kapitel analysiert die allgemeinen Rahmenbedingungen einer Lektüre von Holocaustliteratur im Unterricht. Es befasst sich mit dem passenden Alter der SuS für die Beschäftigung mit dieser Thematik und betont die Relevanz des lebensweltlichen Bezugs für die Schüler. Das Kapitel behandelt zudem die Bedeutung der Symbiose von Geschichts- und Deutschunterricht für das Verständnis des Holocausts und die Vermittlung von Geschichte durch Literatur.
Schlüsselwörter
Holocaustliteratur, Didaktik, Deutschunterricht, Erinnerungskultur, Abwehrmechanismen, Schülerinnen und Schüler, Ruth Klüger, Weiter leben. Eine Jugend, lebensweltlicher Bezug, fächerübergreifende Aktivitäten, intermediale Lernarrangements, Identitätsarbeit, Vergangenheitsbewältigung, narrative Komplexität, Gewaltdarstellung, moralische Überforderung, Sinndeutung.
- Citar trabajo
- Jennifer Ellermann (Autor), 2010, "Weiter leben. Eine Jugend" von Ruth Klüger als Schullektüre, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151089