Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Klassische und moderne Bildungstheorien
2.1 Entstehung des Bildungsbegriffs und klassische Theorien
2.2 Moderne Bildungstheorien
2.3 Kritische Auseinandersetzung mit den Bildungstheorien
3 Berufliche Bildung
3.1 Definition, Funktionen und Stellenwert des Berufs
3.2 Paradigmatische Gegensätze der beruflichen Bildung
4 Nachhaltigkeit und ihre Relevanz für die berufliche Bildung
4.1 Grundgedanken der Nachhaltigkeit
4.2 Nachhaltige Bildung
4.3 Grundlagen für eine nachhaltige berufliche Bildung
4.4 Theoretische Probleme bei der Integration der Nachhaltigkeit in die berufliche Bildung
5 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bildungstheorien
Abbildung 2: Tüchtigkeit und Mündigkeit
Abbildung 3: Dimensionen von Nachhaltigkeit
Abbildung 4: Nachhaltige berufliche Bildung
1. Einleitung
Bildung war, ist und wird ein immer heiß diskutiertes Thema in unserer Gesellschaft sein. Wo liegt ihr Ursprung? Was und wen kann man durch Bildung erreichen? Und inwieweit muss sie den ökologischen, politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen angepasst sein?
In dieser Hausarbeit soll anhand der Frage „Welche Relevanz hat die Idee der Nachhaltigkeit für die berufliche Bildung?“ dargelegt werden, wie der Bildungsbegriff entstanden ist und welchem Wandel dieser im Laufe der Zeit ausgesetzt war. Außerdem soll aufgezeigt werden, welchen Stellenwert die berufliche Bildung in unserem Bildungssystem hat. Nachfolgend soll die Idee der Nachhaltigkeit erläutert werden, da diese einen sehr hohen Stellenwert in aktuellen ökologischen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Diskussionen gewonnen hat. Anhand des Beispiels der Nachhaltigkeit soll dargestellt werden, inwieweit sich eine solche Rahmenbedingung in die Bildung implementieren lässt und welche Konsequenzen für den Bildungsbegriff und für das Konzept der beruflichen Bildung daraus entstehen. Abschließend sollen mögliche Probleme einer Integration der Nachhaltigkeit in die berufliche Bildung aufgezeigt und analysiert werden.
2 Klassische und moderne Bildungstheorien
2.1 Entstehung des Bildungsbegriffs und klassische Theorien
Die klassischen Bildungstheorien haben eine Reihe von Grundprinzipien hervorgebracht, die auch heute noch eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzen. Diese sollen anhand einer kleinen historischen Zeitreise der Entstehung der klassischen Bildungstheorien erläutert werden.
Die Anfänge einer pädagogischen Reflexion und eine erste Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff und dessen Zusammenhang einer „allgemeinen“ Bildung sind auf die Zeit der Aufklärung und des Neuhumanismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Selbstständigkeit und Selbstbestimmung werden zu dieser Zeit als eine zentrale Komponente des Bildungsprozesses, und somit auch als eines der ersten Grundprinzipien von Bildung angesehen. Folglich sei Bildung die Befähigung zur vernünftigen Selbstbestimmung, die eine Emanzipation von Fremdbestimmung voraussetzt oder einschließt, mit der Freiheit eigenen Denkens und eigener moralischer Entscheidungen, sowie der Befähigung zur Autonomie. (vgl. Klafki 1996, S.19)
Prägender Akteur zur Zeit der Aufklärung war Immanuel Kant (1724-1804), der das soeben angesprochene Grundprinzip der vernünftigen Selbstbestimmung treffend formuliert: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ 1 (Kant 1968, S. 35) Weiter sagt Kant : „Habe den Mut dich deines Verstandes zu bedienen, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (Kant 1968, S.35)
Auch Wilhelm von Humboldt, der als prägender Akteur des Humanismus gilt (1776-1835) knüpft an diese Theorie an. „Es soll die Bestimmung des Menschen als das letzte Ziel seines Strebens und der höchste Maßstab seiner Beurteilung aufgesucht werden. Nun aber ist die ‚Bestimmung des Menschen’ 2 als eines freien und selbsttätigen Wesens allein in ihm selbst enthalten“ (Humboldt 1956, S. 65)
Doch bringt der humanistische Gedanke auch noch ein weiteres, zweites Grundprinzip der Bildung hervor. Vernünftigkeit, Selbstbestimmungsfähigkeit, sowie Freiheit des Denkens und Handelns können nur in Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozessen mit der historischen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umwelt geschehen. Die aus diesen Prozessen zu gewinnende Bildung darf aber nicht nur einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, Klasse oder geistigen Elite zugeschrieben werden. Sie muss für alle Menschen gültig sein. Insofern lässt sich „allgemeine Bildung“ im klassischen Sinne als eine „Bildung für alle“ bezeichnen. (vgl. Klafki 1996, S.21)
„Was verlangt man von einer Nation, einem Zeitalter, von dem ganzen Menschengeschlecht, wenn man ihm seine Achtung und Bewunderung schenken soll? Man verlangt, daß Bildung, Weisheit und Tugend so mächtig und allgemein verbreitet als möglich unter ihm herrschen, dass es seinen Wert so hoch steigere, dass der Begriff der Menschheit, wenn man ihn von ihm als dem einzigen Beispiel, abziehen müsste, einen großen und würdigen Gehalt gewönne.“ (Humboldt 1956, S.29)3
Dies ist auch im Sinne von Kant, der schon vorher erkannt hatte, dass Erziehung und Bildung einem humanitären Grundprinzip folgen sollte: „Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich besseren Zustand des menschlichen Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit, und deren ganzer Bestimmung angemessen, erzogen werden“ (Kant 1963, S.14)
Ein drittes Grundprinzip der klassischen Bildungstheorien beschreibt die Individualität und die Gemeinschaftlichkeit, was so viel bedeutet, dass der Mensch seine Bildung individuell für sich erwirbt, dieser Bildungsprozess aber innerhalb einer Gemeinschaft erfolgt. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „Individualität“ nicht als selbstbezogene Vereinzelung verstanden werden darf. Vielmehr wird eine „substantielle Individualität“, die durch eine Beziehung des Individuellen zum Allgemeinen charakterisiert ist, beschrieben. So nehmen z.B. Humboldt und Schleiermacher4 die Sprache als Beispiel. Eine Herausbildung einer personalen Einmaligkeit ist bei der Sprache nur durch die Kommunikation mit anderen zu erreichen und eben nicht durch Isolierung. (vgl. Klafki 1996,S. 26)
Außerdem ist noch anzumerken, dass Bildung im klassischen Sinne eine „Entfaltung aller menschlichen Kräfte“ (nach Humboldt), oder eine „umfassende Menschenbildung“ , eine „Bildung von Herz, Kopf und Hand“ (nach Pestalozzi5 ) sei. Dies soll bedeuten, dass verschiedene Fähigkeiten das menschliche Handeln beeinflussen, und nur ein Zusammenwirken dieser Mehrdimensionalität den Bildungsprozess positiv beeinflussen kann. (vgl. Klafki 1996, S. 30)
Die ersten drei Dimensionen ergeben sich aus den bereits genannten drei Grundprinzipien des Bildungsbegriffs. Die moralische, die kognitive und die ästhetische Dimension. Die moralische und die kognitive Dimension des Erkennens und Denkens ergeben sich aus Kants aufklärerischen Grundimpuls. Die ästhetische Dimension bildet sich aus spezifischen Sinn- und Freiheitserfahrungen und Empfindungen. Diese können aller erdenklichen ästhetischen Natur sein. Kunst, Musik, Literatur, Genuss, Geselligkeit bei Sport und Spiel, aber auch Sexualität seien hier als Beispiele genannt. (vgl. Klafki 1996, S. 31ff)
Daraus ergibt sich noch eine bis jetzt nicht erwähnte vierte praktische Dimension. Sie symbolisiert Petalozzis Metapher „Hand“. Entscheidend ist dabei zu beachten, dass es schon zu dieser Zeit die Erkenntnis gab, dass eine praktische Auseinadersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit eine fundamentale Basiskomponente seiner personalen Entwicklung ist. Außerdem kann einer umfassenden, allgemeinen Bildung nur genüge getan werden, wenn schon in frühesten Phasen die Perspektive künftiger beruflicher Tätigkeiten und Bewährungen ersichtlich ist. (vgl. Klafki 1996, S. 35)
Des Weiteren beschreibt Humboldt den Bildungsprozess prinzipiell als unabschließbar. Es ist somit ein Vorgang oder Auftrag, der die gesamte Lebenszeit des Menschen umfasst. (vgl. Klafki 1996, S.23) So kennt man heute noch den Spruch „NON SCOLAE, SED VITAE DISCIMUS“, was bedeutet „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“.
Es ist ersichtlich, dass die die klassischen bildungstheoretischen Ansätze weit über den Rahmen der Schulbildung hinaus reichen. (vgl. Klafki 1996 S. 33)
So wurden schon damals Brücken von der „allgemeinen Bildung“ zur „Berufsbildung“ geschlagen, die in moderneren Bildungstheorien mehr an Bedeutung gewonnen hat, und die im anschließenden Kapitel erläutert werden sollen.
2.2 Moderne Bildungstheorien
So zukunftsorientiert die klassischen Bildungstheorien auch sein mögen, so weisen sie jedoch einige Grenzen auf. Obwohl der humanistische Gedanke sehr prägend für die Theorien des klassischen Bildungsbegriffs war, hat keiner der Theoretiker dieser Epoche den Zusammenhang zwischen Bildung und Gesellschaftsstruktur zur Sprache gebracht. So sind weder gesellschaftliche, ökonomische oder politische Rahmenbedingungen, noch die eindeutige Konzentration auf das männliche Geschlecht, ausreichend reflektiert worden. So verkam das Konzept der allgemeinen Menschenbildung zu einem gesellschaftlichen Privileg. (Vgl. Klafki 2007, S.269f)
Es wird deutlich, dass moderne Bildungstheorien dem Anspruch gerecht werden müssen, dass Bildung nur dann als „allgemeine Bildung für alle“ bezeichnet werden kann, wenn sie jedem Menschen, ohne vorherige qualitative oder quantitative Abstufung gemäß gesellschaftlicher Herkunft oder zukünftiger gesellschaftlicher Stellung zugänglich ist. (vgl. Klafki 1996, S. 38) So beschreibt Schleiermacher die äußeren Verhältnisse, „insofern sie charakterisiert sind als Zeichen der angestammten Ungleichheit, behandelt […] als das, was allmählich verschwinden soll“ (Schleiermacher 1957, S.41)
Auf den Grundprinzipien des klassischen Bildungsbegriffs aufbauend, und die Tatsache berücksichtigend, dass selbst in denkbar optimalen demokratischen Systemen nie eine völlige Gleichheit geschaffen werden könne, sieht Wolfgang Klafki (geb. 1927) als einer der bedeutenden Bildungstheoretiker der Nachkriegszeit, als Folgerungen für unsere Zeit folgende Punkte:
- Allgemeinbildung als Bildung für alle zur Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit
- Kritische Auseinandersetzung mit einem neu zu durchdenkenden Gefüge des Allgemeinen als des uns alle Angehenden
- Bildung aller uns heute erkennbaren humanen Fähigkeitsdimensionen6 des Menschen zu einer „freien Entfaltung der Persönlichkeit“
- Einen Ausbau der Erwachsenenbildung und Weiterbildung durch Verknüpfung beruflich spezieller und allgemeiner Bildungselemente (vgl. Klafki 2007,S. 271f)
Weiter muss Allgemeinbildung auch als politische Bildung zur aktiven Mitgestaltung eines weiter voranzutreibenden Demokratisierungsprozess verstanden werden. (vgl Klafki 1996, S. 40)
Bei der Untersuchung der klassischen Bildungstheorien hat Klafki zwei Grundströme unterschieden, die in Abbildung 17 dargestellt sind.
[...]
1 Dabei ist der Begriff „Aufklärung“ als ein Synonym für Bildung zu sehen.
2 Auch gleichzusetzen mit der Aufgabe seiner Bildung.(vgl. Klafki 1996, S. 20)
3 Als Beispiel wie sich die Verknüpfung von Bildung und Menschlichkeit. So hat das humanistische Gymnasium Johanneum in Lüneburg den Wahlspruch „Doctrinae, Virtuti, Humanitati“, was bedeutet „Lehre, Tugend, Menschlichkeit“
4 Friedrich Schleiermacher (1768-1834)
5 Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827)
6 Damit sind die kognitiven, handwerklichen, zwischenmenschlichen, ästhetischen und ethischen Fähigkeiten gemeint. (vgl. Klafki 2007, S 271)
7 Vgl. Jank/Meyer 1994, S.143