Ethnologie im Dienste der nationalen Sicherheit


Dossier / Travail, 2009

14 Pages, Note: 2,3


Extrait


Die Gefahr terroristischer Anschläge und bewaffneter Aufstände, ausgeübt von extremistischen Gruppierungen ist nicht neu, allerdings offenbaren die verheerenden Anschläge von New York oder London und der erbitterte Widerstand gegen westliche Truppen in Irak und Afghanistan eine noch nie dagewesene Dimension. Religiös oder politisch motivierte Gewaltbewegungen haben sich heute oftmals von national physischen Bedrohungen zu transnational ideologischen Gefahren ausgeweitet (Wenger, Zimmermann 2007, S. 1). Angesichts dieser veränderten Gefahrenlage kommt nationalen Nachrichtendiensten und Sicherheitsapparaten eine Schlüsselrolle zu, auch wenn diese sich oftmals mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dieser neuen Rolle nicht gerecht zu werden. Mehr als ein Jahr nach den Anschlägen von New York stellt ein Report des US Council of Foreign Relations den Sicherheitsbehörden ein erschreckend negatives Zeugnis bezüglich der Reaktionsfähigkeit auf großangelegte Terroranschläge auf amerikanischem Boden aus (Council on Foreign Relations. 2002, S. 1).

Angesichts dieser Ausgangslage scheint es kaum verwunderlich dass der Kampf gegen Terrorismus in vielen Sicherheitsagenda eine absolute Priorität einnimmt (Herrmann 2003, S. 41). Die zentrale Rolle die den Nachrichtendiensten innerhalb dieser Agenda zukommt ist die Bereitstellung von Wissen und Bedrohungsanalysen für politische Entscheidungsträger (Bruneau 2008, S. 454), allerdings scheint diese Aufgabe hinsichtlich der Vielzahl unterschiedlicher Adressaten, jeder von ihnen mit eigenen Anforderungen und Begrenzungen (Berkowitz 2002, S. 293), nahezu unlösbar. Dennoch wird von ihnen erwartet jeden ihrer ,Kunden’ mit den notwendigen Informationen zu versorgen und die Entscheidungsfähigkeiten politischer Autoritäten im Lichte der neuen oder veränderten Bedrohungslage zu können und damit deren taktische Effekte und strategische Bedeutung zu minimieren (Karmon 2002, S. 119). Daher ist es nicht verwunderlich dass viele Strategen dem Leitsatz folgen

„(G)ood intelligence ist he best weapon against international terrorism“

(Report of the National Commission on Terrorism 2000)

Besonders in den Vereinigten Staaten (USA) wird die veränderte Bedeutung die den Nachrichtendiensten im Kampf gegen die neuen Gefahren eingeräumt wird deutlich. Während die Anforderungen der Intelligence- und Securitycommunity während der Wahlkampagne 2000 kaum eine Rolle spielten (Hansen 2004, S. 675) wurden in der Folge von 9/11 eine Vielzahl von stufenweisen Verschärfungen der Rechtslage durch den amerikanischen Kongress erlassen um die Effektivität, Qualität und Integration von Intelligence Produkten in den politischen Entscheidungsprozess zu verbessern und damit einen Beitrag zu erhöhten Sicherheit sowohl im Inland als auch zum Schutz von amerikanischen Truppen und Zivilisten im Ausland zu gewährleisten (Miko, Froehlich 2004, S. 9).

Trotz dieser Initiativen wird die Effektivität von Nachrichtendiensten und Sicherheitsapparaten immer wieder in Frage gestellt da auch nach den Fehlern vor 9/11 immer noch mangel- und fehlerhafte Analysen zu schweren politischen und militärstrategischen Entscheidungen führte und damit der Verdacht entsteht dass Intelligence agencies weder in der Lage sind die richtigen Informationen zu gewinnen, zu evaluieren oder an die richtigen Adressaten weiterzuleiten (Steinberg et al. 2003, S. 2). Begründet wird dieser Verdacht mit dem Beharren auf traditionellen Techniken und Methoden der Nachrichtengewinnung, die zwar während des Kalten Krieges angesichts bekannter Gegner und strategischen Handlungen durchaus erfolgreich waren (Berkowitz 2002, S. 299), sich aber im Kampf gegen die neuen Gefahren als zu starr und unwirksam erwiesen (Hansen 2004, S. 673).

Die verheerenden Terroranschläge von New York, London und Madrid führten zu einer veränderten Reaktion westlicher Staaten, die ein militärisches Eingreifen in den vermuteten Ursprungsregionen des neuen Terrorismus als adäquates Instrument der Bekämpfung dieser neuen Gefahren etablierten. Der Einsatz im Irak ist das offensichtlichste Beispiel dieser Strategie, allerdings agieren westliche Truppen auch in Afghanistan, den Kosovo, Bosnien, Haiti, dem Horn von Afrika und weiteren fremden Nationalterritorien. Anders als in vergangenen Einsätzen beschränkt sich dieses Engagement nicht nur auf militärische Aufgaben, vielmehr sind die Soldaten, Polizisten und zivile Mitarbeiter verstärkt in die Interaktion mit lokalen Bevölkerungen eingebunden da ihre Tätigkeit sich von einfachen Sicherheitsaufgaben über intra- und supraregionale Konfliktvermittlung bis hin zur Architektur neuer staatlicher Strukturen erstreckt. Angesichts dieser unterschiedlichen Auftragslage ist es kaum verwunderlich dass sich westliche Sicherheitsapparate verstärkt den Methoden und Fähigkeiten von Ethnologen, Medizinern, Rechtswissenschaftlern u.a. bedienen. Trotz der zahlreichen Appelle an die Wissenschaftler sich im Namen der Sicherheit und aus patriotischen Gründen in den Sicherheitsapparaten zu engagieren führte dieser Wandel zu schweren Debatten innerhalb der Disziplinen. Besonders die Diskussion innerhalb der Ethnologie wird erbittert geführt, da eine Verbindung von Ethnologie und Militär bzw. Sicherheitsorganen potentiell tief greifende Auswirkungen auf die Disziplin als Ganzes haben kann (Ferguson 2008, S. 1). Die unterschiedlichen Verstrickungen und Arten möglicher Interaktionen sind so vielfältig, dass es schwierig ist allgemeingültige Aussagen über mögliche Auswirkungen treffen zu können, allerdings wird befürchtet dass das Engagement mit militärischen Institutionen Ethnologie in ihren Grundfesten verändern kann (Ferguson 2008, S. 1).

Unabhängig von der disziplininternen Diskussion wird der Ruf seitens der Militärs und Sicherheitsbehörden nach „Cultural Intelligence“ immer lauter (Coles 2006, S. 7):

„Knowledge of the cultural terrain can be as imporant as, and sometimes even more important than, the knowledge of the geographical terrain. This observation acknowledges that people are, in many respects, the decisive terrain, and that we must study that terrain in de same way that we have always studied the geographical terrain” (Petraeus 2006, S. 51).

In diesem Zusammenhang wird Cultural Intelligence definiert als:

„analyzed social, political, economic and other demographic information that provides understanding of a people or nation’s history, institutions, psychology, beliefs (such as religion) and behaviours” (Coles 2006, S. 7).

Durch diese Analyse wird es ermöglicht, neue Strategien zu entwickeln um in fremden ,Kulturen’ zu interagieren, egal ob mit Verbündeten, mit Menschen in besetzten Gebieten oder mit militärischen Gegnern. Darüber hinaus ermöglichen sie ein Verständnis für die Motivationen unterschiedlicher Handlungen, ob und wie Personen oder Gruppen miteinander kommunizieren und oftmals auch warum.

Trotz dieser von Petraeus offensichtlich gemachten Vorteile von Cultural Intelligence ist wie bereits angedeutet das militärische oder sicherheitspolitische Engagement von Ethnologen innerhalb der Disziplin höchst umstritten. Doch weder die Kritik noch der Einsatz ethnologischer Methoden und Fähigkeiten für nationale Sicherheitsapparate sind Erscheinungen der Konflikte in der jüngsten Vergangenheit. Bereits 1919 kritisiert Franz Boas in einem Brie in The Nation Ethnologen die sich während des 1. Weltkrieges in den Dienst der Streitkräfte der USA stellten und als Spione unter falschem Vorwand strategisch relevante Informationen generierten:

„A person, however, who uses science as a cover for political spying, who demeans himself do pose before a foreign government as an investigator and asks for assistance in his alleged researches in order to carry on, under this cloak, his political machinations, prostitutes science in an unpardonable way and forfeits the right to be classed as a science.

By accident, incontrovertible proof has come to my hands that at least four man who carry on anthropological work, while employed as government agents, introduced themselves to foreign governments as representatives of scientific institutions in the United States, and as sent out for the purpose of carrying on scientific research” (Boas 2005, S. 27).

Die vehemente Kritik von Boas konnte in den folgenden Jahrzehnten und Konflikten ein weiteres Engagement von Ethnologen für das Militär und andere Sicherheitsdienste, besonders in den USA nicht verhindern. Ganz im Gegenteil, die American Anthropological Association widersprach Boas aufs Heftigste und ging sogar soweit ihn zu zensieren (Price 2002, S. 14). Darüber hinaus galt das Militär besonders während des zweiten Weltkrieges als attraktiver Arbeitgeber dem auch ehemalige Schüler Boas’ wie etwa Magaret Mead, Ruth Benedict oder Alfred Kroeber dienten (Wax 2003, S. 23). 1943 berichtet das National Research Council Commitee on War Services of Anthropologists:

“Government agencies and the armed forces are currently employing a large and growing number of American anthropologists. Over half of the professional anthropologists in the country are devoting their fulltime and energy to the war effort and another 25% or more doing part time war work” (cited in (Moos n.d.).

Auch wenn nicht alle diese Ethnologen Spione im Sinne Boas waren, stellten sie dennoch ihre ethnologischen Methoden und Fähigkeiten dem „national cause“ zur Verfügung (Wax 2003, S. 23).

Auch nach dem 2. Weltkrieg gewannen ethnologische Blickweisen innerhalb militärstrategischer Überlegungen immer stärker an Bedeutung und obwohl dieses Engagement durchaus kritisch betrachtet wurde, bot der Verlauf des Kalten Krieges viele weitere Möglichkeiten der Kooperation. Angesichts gravierender politischer Fehlentscheidungen und des Mangels an analytischer Expertise sowie die wachsende Zahl von counter-insurgeny Programmen stellten sich Militärstrategen erstmals die Frage nach kulturellen und sozialen Motivationen für Aufstände (McFate 2005a, S. 43). Zusätzlich sah sich das Militär mit dem Vietnamkrieg und dem russischem Afghanistanfeldzug einer neuen Art von Konflikt gegenübergestellt, die dem klassischen Kriegsbegriff in keiner Weise ähnelte. Robert McNamara, früherer US Verteidigungsminister, bestätigte dass er zu damaliger Zeit keinerlei Kenntnisse über die Sprache, Kultur oder die Werte des vietnamesischen Gegners gehabt zu haben, geschweige denn dass er sich überhaupt mit Indochina beschäftigt hätte. Angesichts des Fehlens von cultural intelligence waren laut McNamara Entscheidungen zu Vietnam Entscheidungen in einer „terra incognita“ (McFate 2005a, S. 42).

Die Erkenntnis sowie die Unfähigkeit des amerikanischen Verteidigungsministeriums interdisziplinäre Programme zu schaffen um den Mangel an Expertise über die internen kulturellen, ökonomischen und politischen Bedingungen, die zum Ausbruch von asymmetrischen Konflikten führen, zu verringern führte 1956 zur Installation des Special Operations Research Office (SORO). Obgleich SORO vordergründig als unabhängiges Forschungsinstitut agiert, waren die Verbindungen mit dem US-Militär offensichtlich da durch das angegliederte Counter Insurgency Information Analysis Centre eine Reihe von Sozialwissenschaftlern und vor allem Anthropologen geheime Forschungen zu counter­insurgency Programmen durchführten (Solovey 2001, S. 180-181). Eines der ambitioniertesten und gleichzeitig umstrittensten Programme von SORO wurde 1964 mit dem Project Camelot ins Leben gerufen, dass sich aus Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen zusammensetzte und auf 4 Jahre angesetzt wurde, letztendlich aber nur sieben Monate Bestand hatte.

Ziel des Projektes war es, verlässliche Szenarien bezüglich revolutionärer Bewegungen und Aufstände in Entwicklungsregionen Latein Amerikas, Afrikas oder Asiens zu erstellen und damit gezielte Präventionsmaßnahmen vor dem Hintergrund einer befürchteten Ausdehnung der russischen Einflusssphäre einleiten zu können. Trotz des bereits erwähnten interdisziplinären Charakters des Programms betrachteten die Anthropologen ihren Anteil als fundamentalen Bestandteil zum erfolgreichen Gelingen des gesamten Vorhabens (Wax 2003, S. 24), waren doch die klassischen Methoden der Streitkräfte nicht geeignet um die benötigten Informationen zu beschaffen und den drohenden Gefahren effektiv entgegentreten zu können.

Die Finanzierung durch das amerikanische Militär, sowie die Verwendung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse die ohne das Wissen der untersuchten Gruppen gewonnen werden sollten brachte den beteiligten Wissenschaftlern bald den Vorwurf ein, Spione im Dienst des Militärs zu sein und ihre Aktivitäten unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit zu betreiben (Horowitz 1967, S. 279).

[...]

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Ethnologie im Dienste der nationalen Sicherheit
Université
LMU Munich
Note
2,3
Auteur
Année
2009
Pages
14
N° de catalogue
V163712
ISBN (ebook)
9783640782741
ISBN (Livre)
9783640782789
Taille d'un fichier
387 KB
Langue
allemand
Mots clés
Ethnologie, Dienste, Sicherheit
Citation du texte
MSc. M.A. Robert Fiedler (Auteur), 2009, Ethnologie im Dienste der nationalen Sicherheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163712

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