Steigerung des Kohärenzgefühls durch motorische Aktivitäten


Masterarbeit, 2010

84 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Einleitung

1 Körperlich-sportliche Aktivität
1.1 Körperlich-sportliche Aktivität und Gesundheit
1.2 Traditionelle Sportarten
1.3 Alternativer Sport bzw. Introspektive-Aktivitäten
1.4 Physiotherapie

2 Gesundheit und Gesundheitsmodelle
2.1 Pathogenetische Modelle
2.2 Salutogene Gesundheitsmodelle
2.2.1 HEDE Kontinuum (health-disease continuum)
2.2.2 Kohärenzgefühl
2.2.3 Stressoren und Widerstandsressourcen
2.2.4 Kohärenzgefühl und Gesundheit
2.2.5 Entwicklung des Kohärenzgefühls
2.2.6 Kritik am Konstrukt Kohärenzgefühl
2.3. Programmierte Steigerung des SOC
2.3.1 SOC-Steigerung durch kognitive Maßnahmen
2.3.2 SOC-Steigerung durch physische Maßnahmen

3 Fragestellung/Hypothesen
3.1 Methode/Forschungsdesign
3.1.1 Ethische und datenrechtliche Aspekte
3.1.2 Stichprobe
3.2 Variablen/Erhebungsinstrumente
3.3 Gütekriterien

4 Ergebnisse
4.1 Allgemeine Beschreibung der Stichprobe
4.2 Erfassung des Kohärenzgefühls zu t1 & t2
4.3 Erfassung Aktivitätsniveau
4.4 Korrelation SOC und Aktivitätsniveau
4.4.1 Gruppenvergleich - Mittelwerte SOC
4.4.2 Aktivitätsart
4.5 Lebenszufriedenheit

5 Diskussion
5.1 Mögliche Messfehler, Fehlerquellen und statistische Verzerrungen
5.2 Zukünftige Forschungsbemühungen

6 Schlussfolgerung
6.1 Salutogenese in der Physiotherapie

Literaturverzeichnis
Anhang I (MET Werte)
Anhang IIa (Fragebogen zu t1)
Anhang IIb (Fragebogen zu t2)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Dosis-Wirkungs-Beziehung

Abbildung 3: Altersverteilung

Abbildung 4: SOC und Aktivitätsniveau Gesamtgruppe

Abbildung 5: SOC und Aktivitätsniveau - Gruppe 1

Abbildung 6: SOC und Aktivitätsniveau - Gruppe 2

Abbildung 7: SOC und Aktivitätsniveau - Gruppe 4

Abbildung 8: Korrelationen SOC und Lebenszufriedenheit-Skalen mit Aktivität

Abbildung 9: Einfluss traditioneller Aktivitäten

Abbildung 10: Negativspirale Schmerz - Emotion - Verhalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Stichprobe Gruppenzuordnung (LQ= Lebensqualität, MET= metabolisches Äquivalent)

Tabelle 2: SOC zu t1 und t2

Tabelle 3: t-Test SOC t1 + t2

Tabelle 4: Aktivitätsniveau - Gruppe 1

Tabelle 5: Aktivitätsniveau - Gruppe 2

Tabelle 6: Korrelation - Gruppe 1

Tabelle 7: SOC Entwicklung unteres SOC-Terzil

Tabelle 8: SOC Entwicklung oberes SOC-Terzil

Tabelle 9: Pathogene und salutogene Kommunikation

Zusammenfassung

Zielsetzung

Diese Arbeit untersucht die Möglichkeit der Steigerung des Kohärenzgefühls durch motorische Aktivitäten. Dabei werden traditionelle Sportarten und introspektive Aktivitäten, also leistungsfreie, auf Körperwahrnehmung und Achtsamkeit ausgerichtete Aktivitäten, wie z.B. Yoga und Feldenkrais, getrennt voneinander untersucht.

Theoretischer Ansatz

Zu Beginn werden die verschiedenen Aktivitätsformen und ihren Besonderheiten vorgestellt sowie das pathogenetische Gesundheitsmodell und das salutogenetische Gesundheitsmodell, mit der Darstellung des Kohärenzgefühls und seiner Entwicklungsmöglichkeiten.

Methodik

Prospektiv beobachtend wurde eine fragebogengestützte Prä-post-Messung der Aktivitätsniveaus von 45 Teilnehmern mit deren Kohärenzgefühl in einem Zeitraum von 6-8 Wochen verglichen.

Ergebnisse

Es konnte eine signifikante Korrelation des Kohärenzgefühls mit den Aktivitäten in traditionellen Sportarten festgestellt werden. Weiterhin förderten diese sportlichen Aktivitäten die Lebenszufriedenheit und die subjektive Belastbarkeit der Befragten.

Schlüsselwörter: Motorische Aktivitäten – introspektive Aktivitäten – Kohärenzgefühl – Belastbarkeitseinschätzung – Physiotherapie

Abstract

Objective

The study analysed the improvement of the Sense of Coherence through physical activities. Therefore traditional sports activities have been compared with introspective activities, such as Yoga and Feldenkrais.

Theoretical Approach

The description of the peculiarities of the different activities is followed by a comparison of the pathogenetic and the salutogenetic model of health, with the main focus of the explanation of the sense of coherence.

Method

The study design is a pre/post observation of the SOC as well as the activity level of 45 participants during a period of 6-8 weeks.

Results

The results show a significant correlation between traditional sports activities and the sense of coherence. Sport activities are furthermore able to increase life satisfaction and the subjective resilience of the analysed participants.

Key-Words: Physical Activities – Introspective Activities – Sense of Coherence – Rating of Resilience – Physiotherapy

Einleitung

Der Ruf nach evidenzbasierter Medizin (EbM) hallt unvermindert in den Forderungen der politisch und gesundheitswissenschaftlich tätigen Akteure. Auch die Physiotherapie muss sich – besser gesagt ihre Methoden – an wissenschaftlichen Kriterien messen lassen. Ihr primäres Tätigkeitsfeld ist der kurativen Medizin angesiedelt, ihre Grundlagen bezieht sie aus der Medizin und der Sportwissenschaft – genauer der Trainingswissenschaft – ihre Therapiemethoden entstanden traditionell aus Erfahrungswerten. Seit jüngster Vergangenheit, gehören auch beratende und präventive Maßnahmen in das Aufgabengebiet der Physiotherapie.

Im Zuge der allgemeinen Forderungen nach EbM und speziell den eigenen Bestrebungen nach einer Akademisierung des Berufsbildes, sind nun alle Physiotherapeuten aufgerufen an diesem Prozess mitzuwirken. In erster Linie wird diese Forderung natürlich an die sich momentan in einem Physiotherapie-Studiengang befindlichen Kollegen gerichtet (Höppner, 2007). Die bereits entstandenen und z.T. veröffentlichten Abschlussarbeiten decken ein weites Gebiet an therapeutischen, methodischen, ethischen, politischen, betriebswirtschaftlichen, pädagogischen u.ä. Fragestellungen ab[1].

Dieser Beitrag stellt neue Erkenntnisse und Möglichkeiten für die physiotherapeutische Forschung und Praxis in Aussicht und möchte sie verstärkt an der Entwicklung des salutogenetischen Gesundheitsmodells beteiligen. Denn die Suche nach geeigneten Möglichkeiten zur erfolgreichen Behandlung – vor allem – chronischer Erkrankungen des Bewegungsapparates ist eine dringende Aufgabe, um zukünftig erhebliche sozioökonomische Kosten zu vermeiden. Physiotherapeutische Interventionen spielen bei der Linderung dieser Beschwerden jetzt schon eine führende Rolle. Die nur auf biomedizinische Vorgehensweisen basierenden physiotherapeutischen Methoden, scheinen jedoch nicht das adäquate Werkzeug zur Beseitigung chronischer Erkrankungen zu sein (Dölken, 2005, S.12ff. & S.47; Disse, 2007, S.101; Göbel, 2001). Die einen größeren Erfolg versprechenden biopsychosozialen Behandlungsansätze stellen wiederum nicht das Kernarbeitsgebiet der Physiotherapie dar (Hengeveld, 2004, S.66f.; Hüter-Becker & Dölken, 2005), vor allem, da die Möglichkeit auf das soziale Umfeld einzuwirken für Physiotherapeuten äußerst begrenzt – wenn überhaupt vorhanden – ist. Im primären Focus physiotherapeutischer Handlungen steht neben der Schmerzreduktion, die Wiedererlangung, bzw. Verbesserung von physiologischem Bewegungsverhalten (ebd; WCPT, 1999). Dies wird durch passive und aktive Maßnahmen zu erreichen versucht. Die passiven Maßnahmen spielen in dieser Untersuchung keine Rolle (die Erklärung dafür folgt im nächsten Kapitel), für die aktiven Maßnahmen müssen im nächsten Schritt noch verschiedene Faktoren näher betrachtet werden.

1 Körperlich-sportliche Aktivität

Körperliche Aktivität ist nicht immer mit sportlicher Aktivität gleichzusetzen, bzw. ist nicht jede sportliche Aktivität mit einer außerordentlichen körperlichen Aktivität verbunden. Unter sportlicher Aktivität versteht man meist Betätigungen zur körperlichen Ertüchtigung, die vorwiegend in der Freizeit betrieben werden. Eine Definition für Sport zu finden ist nicht leicht. Im Brockhaus steht „Sammelbezeichnung für die an spielerischer Selbstentfaltung sowie am Leistungsstreben ausgerichteten vielgestaltigen Formen körperlicher Betätigung, die sowohl der geistigen und körperlichen Beweglichkeit als auch dem allgemeinen Wohlbefinden dienen soll.“ (Brockhaus, 2000). Nur fehlt z.B. dem Boxen sicherlich das spielerische und dem Schach die körperliche Beweglichkeit (wobei unzweifelhaft Turnierschach auf Großmeisterniveau eine überdurchschnittliche Physis erfordert (Pfleger, 1981; Rost, 1994; Mutschler, 2000)). Einfach zu behaupten, Sport ist Wettkampf mit Regeln, schließt den Hobbywaldläufer aus. Auch für eine Tänzerin die hauptsächlich einen künstlerischen Ausdruck zu vermitteln versucht, sind körperliches Training, Aufwärmen, Dehnen und Verletzungen, keine Fremdwörter. Aber im allgemeinen Sprachgebrauch ist sie dennoch keine Sportlerin. Das Wort „Sport“ kommt aus dem altlateinischen disportare, was übersetzt `ablenken – zerstreuen´ meint, und damit eher einen geistigen als körperlichen Aspekt anspricht. Das letzte Wort in diesen Definitionsversuchen überlasse ich Pierre de Coubertin, dem `Wiederbeleber´ der olympischen Spiele (1894), der darin „... eine Ehe zwischen Muskeln und Geist“ sah.

Unter dem Überbegriff körperliche Aktivität versteht Rost (1997, S.23-24) z.B. „die Summe aller Prozesse, bei denen durch aktive Muskelkontraktionen Bewegungen des menschlichen Körpers hervorgerufen werden bzw. vermehrt Energie umgesetzt wird.“ Dies ist auch in beruflichen Tätigkeiten, wie etwa bei viele Handwerks- und Bau-Berufen der Fall, aber auch bei der Gartenarbeit in der Freizeit oder der intensiven Pflege von Angehörigen. Körperlich-sportliche Aktivitäten lassen sich somit in berufsbezogene -, haushahltsbezogene - und freizeitbezogene körperliche Aktivitäten, sowie in Trainings - und Sporttherapie unterteilen. Zusammenfassend lassen sich alle gesundheitsförderlichen körperlichen Aktivitäten (healt-enhancing physical activitys - HEPA), z.B. die Nutzung von Treppen statt des Fahrstuhls oder andere bewusste Einbindungen von mehr Bewegung in den Alltag, als Lebensstilaktivitäten beschreiben (Rütten & Omar, 2003). Rost (1997) unterteilt körperlich-sportliche Aktivitäten weiterhin in unstrukturierte und strukturierte körperliche Aktivitäten und sagt den strukturierten ‘sportlichen´ Aktivitäten eine i.d.R. höhere Intensität mit biologischen Anpassungserscheinungen nach. Diese häufig gesundheitsförderlichen Anpassungserscheinungen werden im Folgenden, wie auch in Kapitel 2.3.2 näher erwähnt.

Für diese Masterarbeit ist jedoch noch eine weitere Unterteilung der körperlichen Aktivitäten in traditionellen und alternativen Sport notwendig. Die Erläuterungen dazu folgen in den Kapiteln 1.2 und 1.3. Den Abschluss dieser Einleitung zu körperlich-sportlichen Aktivitäten, wird durch eine kurze Einführung in die Physiotherapie gebildet, um am Schluss die Ergebnisse in eine verstehbare Diskussion überzuleiten.

1.1 Körperlich-sportliche Aktivität und Gesundheit

Körperlichen Aktivitäten werden im Allgemeinen verschiedene positive Effekte zugesprochen. Sport als beliebteste Form körperlicher Aktivität ist nicht nur bei Sportmedizinern und Gesundheitswissenschaftlern sondern auch in der breiten Bevölkerung schon seit langem als gesundheitsförderlich bekannt (Schlicht & Brand, 2007, S.60). Und dennoch gilt Bewegungsmangel und körperliche Inaktivität als das am weitesten verbreitete Gesundheitsrisiko, mit den potenziell höchsten gesundheits-gesellschaftlichen Kosten (Wagner et al., 2006, S.58). Laut einer Untersuchung von Mensing im Jahr 1999, waren zu dem Zeitpunkt in Deutschland 42,8% der männlichen Bevölkerung in ihrer Freizeit sportlich nicht aktiv, bei den Frauen waren es sogar 49,5%. Immerhin betätigten sich durchschnittlich etwa 12% der Bevölkerung 2-4 Stunden pro Woche sportlich. Die relative Bewegungsabstinenz nimmt dabei, laut dieser Untersuchung, im Alter deutlich zu.

Die gesundheitsprotektive Wirkung von körperlicher Aktivität scheint abhängig von Art und Umfang der Aktivität zu sein. Für die quantitative Charakterisierung von körperlich-sportlichen Aktivitäten müssen die Merkmale Dauer, Frequenz und Intensität berücksichtigt werden. Zusammengefasst entspricht dies auch der Dosis, d.h. der Menge an Aktivität gemessen auf einen bestimmten Zeitraum. So fördern Aktivitäten mit hohen Wiederholungszahlen bei niedriger Intensität die Ausdauerleistung, die nachweißlich das Herz-Kreislauf-System positiv beeinflusst (Rankinen & Bouchard, 2001; Knoll et al., 2006, S.87f.). Zum Beispiel fand Löllgen (2003) einen linearen Zusammenhang zwischen Ausdaueraktivitäten und kardiovaskulärer Mortalität im Mittel um 39%.

Gezieltes Krafttraining, d.h. Training mit wenigen Wiederholungen aber hohen bis höchsten Intensitäten, kann die Funktion einzelner Gelenke verbessern (z.B. nach Gelenksoperationen) oder Beschwerden ganzer Gelenksysteme wie der Wirbelsäule bzw. dem Rumpf reduzieren (Schifferdecker-Hoch & Denner, 1999; Seidenspinner, 2005).

Durch Beweglichkeits- und Koordinationstraining, wie sie in der Rehabilitation und Physiotherapie stattfinden, lässt sich das Sturzrisiko erheblich verringern, was vor allem älteren Menschen häufig die Komplikationen durch Knochenbrüche erspart (Latham et al., 2006; Dominok & Engel, 2004).

Weiterhin sind die positiven Auswirkungen von Bewegung auf metabolische und endokrinologische Prozesse im Körper bekannt und weitgehend erforscht (zum Thema Fettstoffwechsel siehe z.B. Halle & Berg, 2002 und zum Bereich Hormone und Sport Strobel, 2002).

Sport hat jedoch nicht nur nachweisliche Vorteile für die physische Gesundheit, es lassen sich auch eindeutige Zusammenhänge zwischen Sport-treiben und spezifischen Parametern psychischer Gesundheit wie Angst, Stimmung, Spannungszustände u.ä. feststellen (Fuchs, 2003, S.87f.; Wagner & Brehm, 2006). Als Erklärungsansätze dafür werden z.Z. drei Modelle diskutiert (ebd.), die alle – mit dem Schwerpunkt auf dem salutogenen Modell – auch als Grundlage für diese Masterarbeit dienen.

Die salutogene Modellvorstellung orientiert sich dabei an der Bewältigung interner und externer Wahrnehmungen die Beschwerden und Missempfindungen verursachen.

Beim Bewältigungs-Ansatz sollen physische Aktivitäten in problembezogene Bewältigungsprozesse (z.B. Angstzustände, Überlastungsempfindungen und Missbefindenszustände) gezielt einbezogen und organisiert werden und emotionale Überreaktionen reduzieren. So soll die Selbstwirksamkeitserfahrung durch Bewegung dazu führen, dass Stress-Ereignisse besser toleriert und verarbeitet werden können.

Im Wohlbefindungs-Ansatz wird das allgemeine Wohlbefinden in die Faktoren psychisches-, physisches- und soziales Wohlbefinden differenziert und auf eine enge Verknüpfung und Beeinflussung untereinander verwiesen. D.h., dass Veränderungen in einem Bereich Auswirkungen auf die anderen Bereiche haben. Letztendlich sind die Trennlinien der drei genannten Erklärungsansätze unscharf und auch von anderen Autoren unter der salutogenen Vorstellung zu verstehen (Faltermeier, 2000, S.192).

Um ein eindrucksvolles Beispiel für die Wechselwirkung von sportlichen Aktivitäten auf die psychische Gesundheit aufzuführen, eignet sich die Untersuchung von Blumenthal et al. (1999). Dort erreichten unter Depression leidende Probanden nach einem 16-wöchigen Aerobic-Programm, die gleichen guten klinischen Ergebnisse wie die pharmakologisch behandelte Vergleichsgruppe.

Darüber hinaus sind für Bös (1992) die sozialen Auswirkungen des Sports für die Gesundheit ebenso wichtig wie die physiologischen Effekte. Das soziale Wohlbefinden – als ein Teil der Gesundheitsdefinition der WHO – wird in diesem Fall eben unabhängig von motorischen Aktivitäten beeinflusst. Hier sind es eher die sozialen Kontakte, das Gruppenerleben, die Vereins- und Duz-Kultur etc., die Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden nehmen. Für diese plausible Behauptung liegen jedoch kaum empirische Belege vor (Fuchs, 2003, S.87).

Dies soll nur ein kleiner Überblick über die unterschiedlichen Auswirkungen von Bewegung für die Gesundheit sein, die ohne weiteres ganze Abschlussarbeiten füllen könnten.

Die allgemeinen physiologisch positiven Aspekte von körperlichen Aktivitäten hängen weniger von der Art der Aktivität ab, als vom Energieverbrauch (Schlicht & Brand, 2007, S.15ff.). Für die gesundheitsförderliche Mindestdosis an körperlicher Aktivität existieren in der Fachwelt unterschiedliche Kennwerte. Als Maßeinheit wird die Kilokalorie (kcal) geläufig genutzt und in zusätzlichem Verbrauch zum Grundumsatz in einer Woche angegeben. Die Empfehlungen zum zusätzlich zum Grundumsatz liegenden Energieverbrauch, reichen von 1.000kcal (Ezzati et al., 2002) bis zu 2.800kcal (Pate et al., 1995) (was in etwa täglich 45 Minuten flotten Joggen entspricht!). Große Organisationen des Gesundheitswesens (Robert Koch Institut, Center of Disease Control and Prevention, American College of Sports Medicine, U.S. Surgeon General u.a.) unterstützen die sogenannte HEPA-Empfehlung (healt-enhancing physical activitys), die von einem praktikablen zusätzlichen Mehrverbrauch von 1.200kcal/Woche ausgeht. Dies entspricht in etwa drei 5km Läufen oder 2,5 Stunden sonstige moderate aber kontinuierliche Aktivitäten pro Woche.

Der täglich durchschnittliche Ruheenergieverbrauch liegt nach Müller MJ et al. (2005) bei deutschen Männern aktuell bei 1636kcal und bei Frauen bei 1410kcal. Dementsprechend würden sich die Werte auf täglich ~1800kcal bei Männern und ~1580kcal bei Frauen erhöhen. Die tatsächliche durchschnittliche Kalorienaufnahme lag 1995 jedoch etwa bei 2.000kcal, der Verbrauch deutlich darunter (Seemüller, 2000; Mensing, 1999). Dieses Ungleichgewicht zu Ungunsten der Gesundheit ist beachtlich.

Für die Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Aktivität und Gesundheit liegen für verschiedene Erkrankungen, verschiedene nachgewiesene Modelle vor (Abb. 1). Bei einer kurvenlinearen Beziehung (gestrichelte Linie) sinkt das Erkrankungsrisiko bis zu einem gewissen Aktivitätsniveau und steigt dann wieder an. Dies scheint für Schlaganfälle, und bei vielen Autoren für die Gesamtmortalität zu gelten. Eine lineare Beziehung (gerade Linie) bedeutet, dass sich das Risiko der Morbidität und Mortalität verringert je mehr Aktivität stattfindet. Dies scheint bei koronaren Erkrankungen gesichert zu sein. Eine ebenfalls positive, wenn auch etwas geringere Evidenz liegt bei Untersuchungen zu Dickdarm- und Brustkrebs vor (Schlicht & Brand, 2007, S.62f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Dosis-Wirkungs-Beziehung

Um den individuellen Energieverbrauch verschiedener Aktivitäten beschreiben zu können, muss der individuelle Energieumsatz beachtet werden, der u.a. vom Ruheumsatz im Verhältnis zum Körpergewicht abhängt. Die Klassifizierung relativer Intensitäten von körperlichen Aktivitäten, wird in metabolischen Äquivalenten (MET) angegeben. 1 MET entspricht dabei dem Kalorienverbrauch von 1kcal je Kilogramm Körpergewicht pro Stunde bzw. dem Umsatz von 3,5ml Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht pro Minute bei Männern, und 3,15ml/kg/min bei Frauen (Ainsworth et al., 2000; Löllgen, 2000). Da der Energieumsatz individuell unterschiedlich ist, eignet sich der Vergleich von Aktivitäten mittels MET nur für den relativen Vergleich des Energieverbrauches einer Person.

Für eine Einteilung in drei Aktivitätskategorien gilt:

- Leichte körperlich-sportliche Aktivitäten – sind Aktivitäten mit einer Intensität weniger als 3 MET (z.B. Gehen langsamer als 4km/h, Yoga).
- Moderate körperlich-sportliche Aktivitäten – erfordern 3-6 MET (z.B Gehen oder Walking bei 4-7km/h, Tanzen, Gymnastik, Tai-Chi und Tennis).
- Schwere körperlich-sportliche Aktivitäten – erfassen Aktivitäten, die aus energetischer Sicht mehr als 6 MET verbrauchen (z.B Joggen, Ballsportarten, Kampfsportarten und Squash).

(Center of Disease Control and Prevention (CDC), 1996).

Die Kalorienberechnung erfolgt nach der Formel: MET x kg x Stunden = kcal.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass jede Zunahme von Lebensstilaktivität gesundheitsförderlich ist. Egal ob es täglich 30 Minuten sind, jeden zweiten Tag 10 Minuten oder nur am Wochenende eine Stunde (Brand & Schlicht, 2007, S.65).

1.2 Traditionelle Sportarten

Strukturierte körperliche Aktivitäten können modellhaft als Sport im engeren Sinne und Sport im weiteren Sinne aufgeteilt werden (Güldenpfennig, 2000). Das erste beschreibt dabei solche Sportarten die auch als traditioneller Sport bezeichnet werden können. Unter diesen Begriff fallen sämtliche auf Wettkampf und zur Unterhaltung von Zuschauern ausgerichtete Sportarten und Disziplinen. Es wird eine messbare Leistung erbracht (wenn z.T. auch nur subjektiv, z.B. durch Punktrichter), die sich von der Leistung (immer) vorhandener Konkurrenten hervorheben soll. Dafür bedarf es Regeln und Organisationsformen. Diese Formen des Sports finden sich in sämtlichen Kulturkreisen in allen Epochen. Für die westlichen Gesellschaften sind die antiken griechischen „Spiele“ der Ursprung für das Verständnis traditioneller Sportarten. Heutzutage wird dafür i.d.R. der Begriff Leistungssport gebraucht, egal ob im Breiten-, Amateur- oder professionellen Spitzensport.

Als Sport im weiteren Sinne, werden u.a. die Aktivitäten verstanden, die ohne Regelwerk, Organisationsabläufe, Wettkampf und Konfliktaustragungsformen auskommen. Güldenpfennig (2000, S.191) bezeichnet diese „[…] Derivate des Leistungssports als eliptischen [oder] Freizeitsport[2] “. Diese Sportarten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehr oder weniger den „Vorbildern“ des Leistungssports entspringen, sie aber alleine, also ohne fremde Beteiligung/Hilfe durchgeführt werden können (z.B. Skifahren, Tauchen, Joggen und Schwimmen).

Bewegungstätigkeiten mit unscharfen Grenzen zu (nichtsportlichen) Alltagsbewegungen, wie z.B. Wandern, Baden, Radeln, gelegentliches Federball-spiel etc. werden als alltagskultureller Sport zusammen gefasst.

Die Unterscheidungsmerkmale einer weiteren Unterkategorie, nämlich des instrumentellen Sports, beziehen sich weniger auf die Art der körperlichen Aktivität, sondern auf den Sinn. Instrumenteller Sport findet in außersportlich-gesellschaftlichen Institutionen wie der Schule, Gesundheitseinrichtungen, der Polizei und dem Militär statt.

Diese bisher genannten im engeren und im weiteren Sinn körperlich-sportlichen Aktivitäten, werden in dieser Untersuchung als eine Gruppe zusammengefasst. Ihre Auswirkung auf die physische und psychische Gesundheit wurde im vorigen Kapitel näher dargestellt. Ihnen (und auch den haushaltsbezogenen Aktivitäten) gemein ist ihre kognitive Fokussierung auf extra-physische Prozesse (Moegling, 1988). Die Leistungserbringung ist Zielgerichtet (Ball ins Tor treffen, weiter Springen, länger laufen, dies oder jenes schneller vollbringen etc.) und erfordert – unterschiedlich gewichtet – gewisse konditionelle Fähigkeiten (Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit, Koordination, psychische Voraussetzungen) (Weineck, 1996).

1.3 Alternativer Sport bzw. Introspektive-Aktivitäten

Den traditionellen Sportarten gegenüber stehen alternative Sportarten, die entweder keine Regeln oder kein Leistungsdenken besitzen. Dazu werden die asiatisch inspirierten Konzentrations- und Bewegungsformen wie Yoga, Tai-Chi, Qigong ebenso dazu gezählt, wie auch das Jonglieren, Skateboard fahren, Parcours-Klettern u.ä. Wobei die Bezeichnung der asiatisch inspirierten Bewegungsformen als Sport von vielen Autoren in Frage gestellt wird, sie aber keine Alternativen anbieten (Moegling, 1988; Güldenpfennig, 2000). Eine exakte Einordnung der Aktivitäten Yoga, Pilates, Feldenkrais, Qigong und Tai-Chi ist mir nicht bekannt, selbst im Sport-Brockhaus (2007) wird Yoga unter Fitness und Wellness klassifiziert. Für diese Untersuchung ist jedoch ihre gemeinsame internale Fokussierung von Bedeutung, die sich auf kognitive Aspekte des Einzelnen bezieht, leistungsfrei und mit einer besonderen Bewusstheit und inneren Haltung verbunden ist. Im weiteren Text werden diese Aktivitäten als Introspektive-Aktivitäten bezeichnet. Sicher existieren auch bei dieser Aufteilung Überschneidungen. So ist vielen Joggern der meditative Charakter beim Laufen bekannt und jemand der Pilates betreibt hat evtl. eine Körperstraffung zum Ziel. Ebenso konzentriert sich ein Bodybuilder stark auf seine Körperfunktion, jedoch mit dem Ziel, eine von extern gestellte Aufgabe (Gewicht/Last) zu bewältigen. Dieser Unschärfe-Umstand kann nicht gänzlich vermieden werden, er wird aber auf den noch kommenden Seiten berücksichtigt.

Für die Fragestellung dieser Abschlussarbeit werden diese Aktivitäten dahingehend interessant, da sie zunehmend Einzug in den physiotherapeutischen Alltag finden.

Yoga

Das aus Indien stammende Yoga, beinhaltet verschiedene geistige und körperliche Übungen, die insgesamt den Übenden zu einem höheren Bewusstseinszustand bzw. zur Erleuchtung führen sollen. Van Lysebeth (1982) spricht in seinem Buch Yoga von einer psychosomatischen Disziplin. Neben den vor allem in der westlichen Zivilisation bekannten Asanas, den Körperhaltungen, umfassen die unterschiedlichen philosophischen und praktischen Yoga- Strömungen noch weitere Disziplinen/Glieder (Ashtangas), wie die Atmung (Pranayama), die Konzentration (Dharana), die Meditation (Dhyana) und diverse Bewusstseinszustände (Pratyahara, Samadhi). Einige Yoga-Formen legen ihren Schwerpunkt auf die geistige Konzentration, einige mehr auf körperliche Übungen und andere wiederum auf die Stimulierung der Lebensenergie (Kundalini) in den Chakren (Energiezentren). Bei allen Yoga-Richtungen spielt die Internalisierung des Bewusstseins eine tragende Rolle, welches durch intensives Üben, das reflektierende Denken zeitweise ausschalten und so eine Ganzheitserfahrung ermöglichen soll (Polet-Kittler, 1985). Das auch in Deutschland sehr verbreitete Hata-Yoga, hebt die physischen Aspekte von Körperhaltungen, Bewegungsabläufen, inneren Konzentrationspunkten und Atemführung stärker hervor, weshalb es zunehmend Einfluss in den physiotherapeutischen Alltag findet (Prakash, 2004; Spamer, 2006).

Pilates

Dass von Joseph Hubert Pilates (1880–1967) entwickelte und nach ihm benannte ganzheitliche Körpertraining, entsprang seinen Studien zum Yoga, der Zen-Meditation und dem Tanz. Es basiert aber auch auf trainingswissenschaftlichen Grundlagen. Die meisten Übungen können ohne weitere Hilfsmittel oder Übungspartner durchgeführt werden. Obwohl es zunehmend als therapeutische Methode bei der Rehabilitation oder zur Leistungssteigerung angewandt wird, also leistungsorientiert und zielgerichtet ist, zähle ich es wegen der elementaren Pilates-Prinzipien eher zu den introspektiven Aktivitäten.

Zu den Pilates-Prinzipien, gehört die:

- Absolut kontrollierte Ausführung aller Bewegungen.
- Vollständige Konzentration. Die Aufmerksamkeit soll ganz auf den Körper gerichtet sein.
- Bewusste Atmung, die auch die Kontrolle über den Körper erhöhen soll.
- Zentrierung der Körpermitte.
- Bewusste Entspannung, die Verspannungen auflösen soll.
- Fließende Bewegung.

(Ungaro, 2004)

Feldenkrais

Die Feldenkrais-Methode, benannt nach ihrem Begründer Moshé Feldenkrais (1904–1984), ist eine körperorientierte Lernmethode, die den Ausübenden mehr über den eigenen Körper, seine Bewegungsmuster und der damit zusammenhängenden inneren und äußeren Haltung (Bewusstheit) aufzeigen soll. Sie wird nicht als therapeutische Anwendung oder Heilbehandlung verstanden (Triebel-Thome, 1989). Ihr Ziel ist es, durch Bewegung die Elemente Sinnesempfindung, Gefühl und Denken zu verändern und zu entwickeln. Dies erfolgt individuell und absolut norm- und leistungsfrei.

Die Feldenkrais-Arbeit unterteilt sich in zwei Unterrichtsarten; den Gruppenunterricht (Bewusstheit durch Bewegung®) und die Einzelarbeit (Funktionale Integration®). Im Gruppenunterricht werden die Teilnehmer verbal angeleitet aktiv eine Folge von einzelnen oft kleinen, einfachen Bewegungen, die von Wahrnehmungshinweisen auf einzelne Details der Bewegung begleitet werden, durchzuführen. Häufig fügen sich die einzelnen Details zum Ende einer Lektion zu einer größeren Bewegung zusammen, die üblicherweise dadurch mit weniger Anstrengung (effizienter) ausgeführt werden kann.

In der Einzelarbeit ist der ‘Schüler´ passiv und wird durch den Feldenkrais-Lehrer durch leichte, präzise Berührung – als Mittel der unmittelbaren körperlichen Kommunikation anstelle der Sprache – geführt. Dies ermöglicht das Erspüren von Bewegungszusammenhängen und das effizientere Zusammenspiel der an einer Bewegung beteiligten Einzelkomponenten (Feldenkrais, 1995).

Für die vorliegende Untersuchung wurden nur die Personen berücksichtigt, die am Gruppenunterricht teilnahmen, damit die Vergleichbarkeit mit den anderen traditionellen und introspektiven (allesamt aktiven) Aktivitäten gewährleistet bleibt.

Qigong

Qigong ist Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und wird als aktive Selbstheilungsmethode verstanden (Engelhardt, 2007). Qigong kann mit „Fähigkeit, mit dem Qi umzugehen“ oder auch mit „Arbeit mit der Lebensenergie“ übersetzt werden (ebd.). In allen Qigong-Übungen spielen Ruhe, Bewegung, Körperhaltung, Atmung und geistige Vorstellungskraft eine wichtige Rolle und sollen die universelle Lebensenergie Qi regulieren.

Da nur eine Untersuchungsteilnehmerin Qigong betrieb, fällt ihre Einzelrelevanz für diese Studie leider aus.

Tai-Chi

Tai-Chi, oder auch T'ai-Chi-Ch'uan (Taijiquan) genannt, ist eine in China entstandene Bewegungslehre, die aus der Tradition der Kampfkünste entsprang und fließende Übergänge zum Qigong aufweist. Sie wird für den Körper als Gymnastik und für den Geist als innere Kampfkunst betrachtet, die die Gesundheit fördern, die Persönlichkeit entwickeln und der Meditation dienen soll (Jarosch, 1991).

Eine tiefere Erläuterung des Tai-Chi unterlasse ich jedoch, da es in dieser Untersuchung leider keine Teilnehmer gab, die diese Bewegungsform über den gesamten Untersuchungszeitraum ausgeübt haben.

1.4 Physiotherapie

Physiotherapeutische Maßnahmen lassen sich ganz direkt in aktive und passive Maßnahmen unterscheiden. Die passiven Methoden haben eher schmerzlindernde, therapievorbereitende und z.T. mobilisierende Wirkungen, die aktiven (wenn auch nur assistiven) adaptierende und (Wahrnehmungs-)fördernde Effekte. Die in der Physiotherapie vorkommenden therapeutischen Aktivitäten reichen hier von minimalem und auf nur sehr wenige Muskeln begrenztem Training, z.B. bei bestimmten Stabilisationsübungen oder nach neurologischen Ausfällen, bis zur maximalen Ganzkörperbelastung wie etwa in der Endphase bei der Rehabilitation von Leistungssportlern. Die medizinische Wirkweise physiotherapeutischer Maßnahmen ist sicherlich eng mit ihrer Spezifität verbunden, wo entweder gezielt einzelne Gelenke und Muskelgruppen angesprochen, bzw. angepasste Belastungen für den gesamten Körper gewählt werden. Die Maßnahmen orientieren sich i.d.R. an den Beschwerden und Funktions- bzw. Aktivitätseinschränkungen des Patienten. Für die Art, wie dies geschieht, existieren verschiedenste (z.T. konkurrierende) Konzepte, denen teilweise die wissenschaftliche Fundierung fehlt. In ihrer Intensität richten sie sich jedoch – im besten Fall – nach dem Schmerzempfinden, medizinischen Vorgaben und/oder dem Leistungsvermögen des Patienten aus.

Die Physiotherapie entsprang dem Wissen um die gesundheitsfördernde Wirkung der Leibesübungen, die bereits im 2. Jahrhundert vom griechischen Arzt Clarissimus Galenus (Galen) beschrieben wurde. Über die folgenden Jahrhunderte formten sich aus den Begriffen und Disziplinen der Leibesübungen, Turnkunst, militärische-, diätetische-, und athletische Gymnastik schließlich die Krankengymnastik/Physiotherapie (Grosch, 1996). Ihre wissenschaftlichen Grundlagen entstammten zu Beginn aus der Medizin und spezialisierten und differenzierten sich später weiter aus der Orthopädie, Sportwissenschaft/Trainingslehre, Sportmedizin, Physiologie/Neurophysiologie, Pädiatrie und seit den 1990er Jahren ganz zaghaft auch aus der Präventionsforschung (ebd.; Bollert et al., 2009a, 2009b). Ungefähr seit dieser Zeit nehmen auch Strömungen nicht-klassisch-schulmedizinischer Erkenntnisse Einfluss auf die Physiotherapie. Dies sind die zuvor beschriebenen introspektiven Bewegungsformen, die keinen sportlichen oder direkt leistungssteigernden Charakter besitzen und den ostasiatischen Kulturen entstammen, wie z.B. Yoga, Tai-Chi und Qigong. In diesem Zusammenhang ist auch die in Europa entwickelte und bei vielen Physiotherapeuten beliebte Feldenkrais-Methode zu nennen. Oft sind es nur Teilaspekte dieser Bewegungsformen, die zum Zwecke der Entspannung, Körperwahrnehmung, Körpersteuerung, Kräftigung o.ä. in der Physiotherapie verwendet werden. Bisher wurden diese Bewegungsformen hauptsächlich in den angrenzenden Disziplinen der Ergotherapie, Pädagogik und der Psychologie unter dem Begriff Psychomotorik, therapeutisch angewandt und wissenschaftlich untersucht (Disse, 2007). Die Psychomotorik erfasst das Zusammenspiel des psychischen Erlebens des Menschen bzw. seiner psychisch-seelisch-emotionalen Entwicklung und der Entwicklung seiner Motorik und Wahrnehmung (Fischer, 2001). Da von der Physiotherapie, als bisher körperbetonte Disziplin, richtigerweise gefordert wird, sich ganzheitlichen Konzepten zu öffnen (Bollert, 2009b), sind Wirkungsweise und Anwendbarkeit dieser neuen Therapiemöglichkeiten genauer zu erforschen. Denn die Wirksamkeit der (medizinisch-wissenschaftlich-sportlichen) Physiotherapie, wie auch die der introspektiven-Aktivitäten in Bezug auf die Gesundheit sind noch nicht ausreichend belegt (siehe dazu u.a. Lundblad et al., 1999; Stöhr, 2001; Lansinger et al., 2007; Wiedemann, 2009; Frost et al., 2005).

2 Gesundheit und Gesundheitsmodelle

Um die Positionierung des salutogenetischen Gesundheitsmodells zu verdeutlichen, werden im Folgenden die Kernpunkte pathogenetischer Gesundheitsmodelle denen des salutogenetischen Modells gegenübergestellt.

Doch möchte ich zu Beginn die von der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) 1946 aufgestellte und bis heute gültige Definition von Gesundheit vorstellen: "Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen." Vom medizinischen Laien/bzw. in der Durchschnittsbevölkerung wird Krankheit oft jedoch als ein von der Norm abweichender Zustand empfunden (s. z.B. Brockhaus, 2000). In der Alameda County Study von Berkman et al. (1983) zeigte sich jedoch folgendes Bild: Von den etwa 7000 Befragten wiesen 29% keine Beschwerden, 28% ein Symptom und 43% mindestens eine chronische Erkrankung oder Behinderung auf. Zu jedem Zeitpunkt befand sich also etwa ein Drittel bis die Hälfte der Befragten im Zustand einer Krankheit. Dies bedeutet, trotz des hohen Lebensstandards und entwickelter Medizintechnologie gelten große Teile der Bevölkerung als krank. Nicht Krankheit, sondern Gesundheit stellt sich demnach als Abweichung von der Norm dar.

Der Idealzustand von Gesundheit, so wie ihn die WHO definiert, ist praktisch nicht zu erreichen. So mag jemand wegen seiner brüchigen Fingernägel einen Hautarzt aufsuchen, ein Anderer, der an Morbus Alzheimer erkrankt ist, sich seiner Vergesslichkeit – und damit seiner Krankheit – grundsätzlich aber nicht bewusst sein. Ebenso wenig verursacht ein malignes Melanom (schwarzer Hautkrebs) im Anfangsstadium irgendwelche Symptome und umgekehrt kann ein Sieger bei den Paralympischen Spielen sein soziales Wohlbefinden vollkommener finden als vor seiner Behinderung. Gesundheit ist somit ein rein subjektiver dynamischer Zustand. Dieser Erkenntnis gingen in der westlichen Welt über viele Jahrhunderte jedoch objektive Gesundheitseinschätzungen voraus, die auf Expertenkonsense und epidemiologischen Studien beruhten (Schröder, 2008). In der anschließenden Darstellung der pathogenetischen Modelle, finden sich diese Versuche zur Messung von Gesundheit wieder.

2.1 Pathogenetische Modelle

Pathogenetische Modelle sehen den Menschen in einem homöostatischen Zustand, der durch Risikofaktoren negativ beeinflusst werden kann. D.h., jeder Krankheit wird mindestens eine greifbare Ursache – ausgelöst durch einen Risikofaktor – zugesprochen und medizinische Handlungsnotwendigkeiten werden erst beim Auftreten von Symptomen erforderlich, bzw. besitzt die Vermeidung von (angeblichen) Risikofaktoren präventiven Charakter (Mathe, 2005).

Das biomedizinische Gesundheitsmodell ist dabei primär auf die körperlichen Auswirkungen von umweltbedingten Risikofaktoren ausgerichtet. Diese können physikalischer, chemischer und biologischer Herkunft sein (Hafen, 2007, S.81f.; Antonovsky, 1987). Erst wenn Krankheitssymptome objektivierbar gemacht werden können, werden i.d.R., zunächst die Risikofaktoren beseitigt und dann versucht, die Homöostase mittels physikalischer, chemischer und/oder biologischer medizinischer Interventionen wieder herzustellen. Das alleinige Auffinden und Entfernen von anatomischen und/oder physiologischen Defekten misslingt jedoch häufig (Seeger, 2001; Hayden et al., 2005, Keel et al. 2007), da u.a. physiologische Alterungsprozesse nicht als Risikofaktoren bezeichnet und beseitigt werden können. Dieser Umstand entspricht einer Beobachtung von Schmid et al. (2006): „Degenerative Veränderungen (Gelenksarthrosen, Abnutzungen der Wirbelkörper oder der Bandscheibe) sind eine natürliche Folge des Alterungsprozesses und sind so normal wie graue Haare. Sie haben keine Schmerz verursachende Bedeutung.“ Weiterhin werden Schmerz wahrnehmende psychophysiologische und Schmerz verstärkende psychologische Prozesse nicht mit einbezogen (Egger, 2005).

Das biopsychosoziale Modell bezieht diese psychosozialen Faktoren mit ein (ebd.; Engel, 1976, 1977). „Unwohlsein“ findet demnach nicht biologisch und/oder psychisch und/oder soziologisch statt, sondern in diesen Ebenen parallel (ebd.). Das Gesundheits- bzw. Krankheitserleben wird ebenso von der psychischen Stabilität und der sozialen Einbettung einer Person mitbestimmt. Ein Querschnittgelähmter z.B. empfindet seine Lage sicherlich anders, wenn er die `beste´ medizinische Versorgung erhält, von seiner Familie liebevoll unterstützt wird, selbstbestimmt einer beruflichen Tätigkeit nachgehen kann und über eine optimistische psychische Grundeinstellung verfügt, als jemand, dem diese medizinischen und psychosozialen Bedingungen fehlen.

Schlitenwolf et al. (2003) befragten Teilnehmer mit akuten Rückenschmerzen nach soziodemografischen, somatischen, psychischen und verhaltensbezogenen Faktoren in einem insgesamt 181 Items umfassenden Anamnesefragebogen. Nach sechs Monaten wurden die Patienten wieder nach ihrem Befinden und ihren Rückenschmerzen befragt. Laut Forschungsergebnis ist es mithilfe des daraus entwickelten Fragebogens HKF-R 10 mit 78% Wahrscheinlichkeit möglich, das Chronifizierungsrisiko von akuten Rückenschmerzen vorherzusagen.

[...]


[1] Eine Übersicht der Bachelor-Abschlussarbeiten der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen in Physiotherapie von 2009, finden sich unter http://www.hawk-hhg.de/sozialearbeitundgesundheit/119309.php?jahrsort=2009 [02.10.2009]

[2] Wobei er darauf hinweist, dass der Begriff „Freizeitsport“ umstritten ist.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Steigerung des Kohärenzgefühls durch motorische Aktivitäten
Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
84
Katalognummer
V163910
ISBN (eBook)
9783640787760
ISBN (Buch)
9783640788040
Dateigröße
1185 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Bei der Arbeit handelt es sich um eine empirische Arbeit zur Untersuchung des Zusammenhanges von motorischen Aktivitäten und Ausprägung des Kohärenzgefühls. Der Absolvent war in der Lage, eine eigene Forschungsarbeit anzulegen und sachgerecht auf einem guten methodischen Niveau durchzuführen. Die Ergebnisse der Arbeit ermöglichen es, praxisrelevante Aussagen zur Durchführung einer solchen Studie zu erhalten. Die Arbeit erfüllt insgesamt in einem hohem Maße die Anforderungen an eine Masterarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin."
Schlagworte
Motorische Aktivitäten, introspektive Aktivitäten, Kohärenzgefühl, Belastbarkeitseinschätzung, Physiotherapie, Lebensqualität
Arbeit zitieren
M.Sc. MQG Josef Galert (Autor:in), 2010, Steigerung des Kohärenzgefühls durch motorische Aktivitäten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163910

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