Politische Philosophie hat Bezüge zum Karnevalesken gefunden. Seit geraumer Zeit lässt sich aus einigen Veröffentlichungen die Annahme treffen, Karneval als politisches Phänomen begreifen zu können. Allerdings fehlt bislang eine umfassende Theorie, die karnevaleske Formen in all ihren Facetten zu einem politischen Modell ausarbeitet. Annäherungen dazu liefern Michael Hardt und Antonio Negri, die im Kontext ihrer Bücher Empire und Multitude auf ein politisches Bewusstsein zeigen, das sich den Karneval einverleibt hat. Sie verwenden dafür einige theoretische Grundlagen, die Michail M. Bachtin liefert, der wohl als der bekannteste und mittlerweile einflussreichste Karnevalsforscher anzusehen ist.
Somit wäre die Linie Bachtin-Hardt/Negri gegeben. Unter dieser Perspektive erhalten die Überlegungen Bachtins sowohl eine kultur- und literaturwissenschaftliche als auch eine politische Dimension. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich noch andere Quellen, die diesen Bereich ergänzen und erweitern. Doch sind sie nicht sofort offensichtlich.
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Allerdings wurden mir durch meine Hardt/Negri-Lektüre zusätzliche Querverbindungen klar.
Ich bekam den Eindruck, dass Karneval sich keiner Systematik unterordnen lässt. Durch die Beschäftigung mit dem Post-Operaismus habe ich Paolo Virno herangezogen, der in seiner Auseinandersetzung mit dem Multitude-Konzept Positionen herausarbeitet, die Verknüpfungen zu dem Prinzip des Karnevals bei Hardt und Negri anbieten.
Weitere Aspekte liefert die Historische Psychologie des Karnevals von Florens Christian Rang. Die Texte Rangs finden in der politischen Philosophie eigentlich keine Beachtung. Nur im Zusammenhang der Karnevalsforschung zu Bachtin ist Rang zu verorten. Meist sind seine Gedanken nur eine Randnotiz und erhalten eher Aufmerksamkeit durch die Freundschaft Rangs zu Walter Benjamin. Daraus ergab sich für mich, dem Rangschen Verständnis von Karneval nachzugehen und einen Komplex Rang-(Benjamin)-Bachtin aufzustellen.
Eine gewisse Tradition des Karnevalesken eröffnete sich mir in der Protest- und Widerstandskultur, in Theorien und Praxen des Klassenkampfes und in subversiven Kommunikationsmodellen. Auch die »Situationistische Internationale« und globale Protestbewegungen der Gegenwart habe ich in meine Arbeit aufgenommen. Diese werden durch eng anknüpfende Untersuchungen abgerundet.
Inhaltsverzeichnis
- Verkleidung (Vorwort)
- A - Umherschweifende Menge
- 1. Multitude: Körper und Karneval
- 1.1 Eine ontologische Definition der Multitude
- 1.2 Schauplatz der Metamorphosen
- 1.3 Körperpassagen
- 1.4 Kommunikation, Kooperation, Netzwerk
- 1.5 Das Kommune - zwischen Vielheit und Polyphonie
- 2. Im Geiste des Karnevals
- 2.1 (Post-)Operaismus oder: Verwandlungen und Auftritt neuer Subjekte
- 2.2 Situationistische Revolutionstheorie oder: Dialoge gegen das »Spektakel«
- 3. Exkurs Umberto Eco: Semiologische Guerilla und Karneval
- 4. General Intellect und sein „Ausflug“ in »polyphone Apparate«
- 1. Multitude: Körper und Karneval
- B - Karneval im Dialog
- 5. Michail M. Bachtin
- 5.1 Intertextualität und Produktion
- 5.2 Bachtins Karneval (Rabelais und seine Welt)
- 5.3 Kommunikation und Chronotopos
- 5.4 Vielsprachigkeit, Vermengung und Körperdialog
- 5.5 Karneval: Perspektiven und Potentiale
- 6. Florens Christian Rang (Historische Psychologie des Karnevals)
- 7. Peter Weidkuhn (Fastnacht - Revolte – Revolution)
- 5. Michail M. Bachtin
- C - Karnevaleske Aussichten
- 8. Schlussbemerkungen
- 8.1 Maskierte Politik
- 8.2 Elektronischer Karneval
- 8.3 Über den Aschermittwoch hinaus
- 8. Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Verbindung zwischen Karneval und politischer Philosophie. Sie beleuchtet, wie das Karnevaleske als politisches Phänomen verstanden werden kann und analysiert, wie es sich in verschiedenen Theorien und Bewegungen manifestiert. Die Arbeit konzentriert sich dabei besonders auf das Werk von Michail M. Bachtin und die Konzepte von Hardt und Negri, die in ihren Werken "Empire" und "Multitude" ein politisches Bewusstsein beschreiben, das dem Karneval verbunden ist.
- Die Wiederentdeckung des Karnevalesken in der politischen Philosophie
- Die Verbindung zwischen Karneval und politischen Bewegungen
- Die Rolle des Karnevals als Ausdruck von Widerstand und Rebellion
- Die Bedeutung von Bachtins Werk für das Verständnis von Karneval und Politik
- Die Implikationen des Karnevalesken für aktuelle politische und gesellschaftliche Prozesse
Zusammenfassung der Kapitel
- Verkleidung (Vorwort): Dieses Vorwort stellt die zentrale These der Arbeit dar und erläutert die Motivation, die politische Philosophie des Karnevals zu untersuchen. Die Arbeit knüpft an bestehende Ansätze von Hardt und Negri an, die im Kontext des Empire- und Multitude-Konzepts das Karnevaleske als politisches Phänomen behandeln. Zudem werden weitere wichtige Bezugspunkte für die Untersuchung vorgestellt, insbesondere die Werke von Michail M. Bachtin, Florens Christian Rang und Rüdiger Haude.
- A - Umherschweifende Menge: Dieser Abschnitt fokussiert auf die Multitude und ihre Verbindung zum Karneval. Die Arbeit analysiert die Konzepte von Hardt und Negri und verdeutlicht, wie die Multitude, als eine vielgestaltige und mobile Masse, das Karnevaleske in sich trägt. Dabei wird der Fokus auf die Körperlichkeit der Multitude gelegt, die sich in den Metamorphosen, Körperpassagen und Kommunikationsformen des Karnevals ausdrückt.
- B - Karneval im Dialog: Dieser Abschnitt erörtert die verschiedenen Ansätze und Perspektiven auf den Karneval. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse von Michail M. Bachtins Werk, das als ein zentrales Bezugspunkt für die Arbeit dient. Die Arbeit beleuchtet Bachtins Theorie der Intertextualität, seine Analyse des Rabelaisischen Karnevals und die Rolle der Kommunikation und des Körperdialogs im Karneval. Zusätzlich wird die Arbeit die Sichtweisen von Florens Christian Rang und Peter Weidkuhn auf den Karneval beleuchten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Karneval, politische Philosophie, Multitude, Empire, Michail M. Bachtin, Florens Christian Rang, Rüdiger Haude, (Post-)Operaismus, Situationistische Internationale, Widerstandskultur, subversive Kommunikationsmodelle. Sie analysiert die Verbindung zwischen dem Karnevalesken und politischen Bewegungen, beleuchtet die Rolle des Karnevals als Ausdruck von Rebellion und Revolution und untersucht die Implikationen des Karnevalesken für aktuelle politische und gesellschaftliche Prozesse.
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- Florian Schaumann (Autor), 2008, Die Wiederentdeckung des Karnevalesken in der politischen Philosophie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164130