Identität und Burnout in der Postmoderne


Mémoire (de fin d'études), 2010

82 Pages, Note: 1,0

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Themenfindung
1.2 Problembeschreibung
1.3 Fragestellung
1.4 Erkenntnisleitendes Interesse
1.5 Aufbau
1.6 Wissenschaftstheoretisches Vorgehen und Literaturauswahl

2 Burnout
2.1 Begriffsklärung
2.1.2 Definition
2.1.3 Begriffsgeschichte
2.2 Symptomatik und Verlauf
2.2.1 Differentialdiagnostik
2.3 Messung
2.4 Theoretische Ansätze zur Entstehung von Burnout
2.4.1 Die Intrapersonale Ebene
2.4.2 Die Interpersonelle Ebene
2.4.3 Die Person-Institutionen-Ebene
2.4.4 Systemische Ansätze
2.5 Therapie- und Präventionsansätze
2.6 Zusammenfassung

3 Postmoderne Identitätsbildung
3.1 Begriffsdefinition
3.1.1 Identität
3.1.2 Postmoderne
3.2 Traditionelle Identitätstheorien
3.2.1 Identität als Entwicklungsziel: E.H. Erikson
3.2.2 Identität und symbolischer Interaktionismus: G.H. Mead
3.3 Identität in der Postmoderne
3.3.1 Identität in der Krise
3.3.2 Identitätsarbeit und Gesundheitsförderung - Salutogenese
3.4 Erwerbsarbeit und Identität
3.5 Zusammenfassung des postmodernen Identitätsdiskurses

4. Schlussfolgerung
4.1 Beantwortung der Fragestellung
4.2 Kritische Stellungnahme

Literaturverzeichnis

1 Einführung

1.1 Themenfindung

Mein Interesse am Thema Burnout entwickelte sich während eines Praktikums in der Psychiatrie. Der häufige alltagssprachliche Gebrauch der Diagnose Burnout und das gleichzeitige Fehlen einer einheitlichen Definition ließen bei mir Fragen nach der Bedeutung von Klassifikationen und dem Entstehungsprozess von neuen Krankheitsbegriffen vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Bedingungen aufkommen. Interessant am Forschungsthema Burnout erschien mir vor allem die Tatsache, dass hier Verbindungen zwischen Handlungs- und Erlebnisweisen einzelner Personen mit Handlungs- und Ausdrucksnormen von Gruppen und Organisationskulturen herzustellen sind und neben privaten Erfahrungs- und Erlebniswelten auch die veränderte Arbeitswelt zu berücksichtigen ist. Zunächst beschäftigte ich mich mit sozialkonstruktivistischen Theorien im Allgemeinen, bis ich mich dazu entschied, die postmoderne Identitätsbildung mit dem Phänomen Burnout in Zusammenhang zu bringen, um dabei zusätzlich einer gesellschaftstheoretischen Perspektive auf die Entstehung des Konstruktes Burnout Raum zu verleihen.

1.2 Problembeschreibung

Bei dem Begriff Burnout handelt es sich um ein Krankheitskonstrukt, dessen Aufkommen erst einige Jahrzehnte zurückliegt. Trotz des Mangels an einer einheitlichen wissenschaftlichen Definition, kam es gerade in den letzten Jahren zu einem geradezu inflationären Gebrauch des Begriffs. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine Zeitung einen Leitartikel zum Thema verfasst. Kurz gefasst: Burnout ist populär und ein Begriff der Alltagssprache. Gerade diese Diskrepanz zwischen intuitivem Verständnis des Konstruktes und dem Fehlen einer einheitlichen Definition, macht Burnout zu einem Gegenstand, dessen Erforschung aus einer sozialpsychologischen Perspektive als sinnvoll angesehen werden kann. Rösing (2003) bescheinigt dem Thema eine hohe gesellschaftliche Relevanz, da es mit reduzierter Arbeitskraft, gesundheitlichen Problemen und erheblichem subjektivem Leiden einhergeht.

Bei der Sichtung von Literatur zu diesem Thema fielen die Heterogenität der Definitionen und das Fehlen eines einheitlichen Verständnisses besonders auf. Auf der Suche nach Erklärungskonzepten von Burnout wird immer wieder die heutige Arbeitswelt als Auslöser für Krisen diskutiert. Burnout wird darin als „ein beruflicher Verausgabungsprozess“ charakterisiert, „an dessen Ende Erschöpfung, reduzierte Leistungsfähigkeit und zynische Distanzierung von ehemals stark positiv besetzten Zielen stehen (Leppin, 2007, S. 99). Gesteigerter Leistungsdruck, geforderte hohe Flexibilität und Produktivität werden als besonders belastend erwähnt. Burnout wird jedoch nicht nur im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit genannt, sondern auch in anderen Bereichen wie beispielsweise im Zusammenhang mit Beziehungen oder auch der Hausarbeit thematisiert.

In der Therapie sowie für das Verständnis von Symptomatik und Ätiologie werden gesellschaftliche Bedingungen bisher nur marginal berücksichtigt. Therapien oder Präventionsmaßnahmen beschränken sich meist auf individuumzentrierte Selbstmanagement-Ansätze. Die medizinisch dominierenden Fragen nach der Entstehung, dem Verlauf und der Heilung von psychischer Krankheit führen seit jeher zu einer Forschung, die größtenteils auf das Individuum fixiert ist. Sie gehen „von einer naturhaften Universalität ihres Gegenstands“ aus und klammern gesellschaftlich-soziale Veränderungen im Sinne einer historischen Veränderung der psychischen Situation aus (Graumann, 1988b, zitiert nach Jüttemann, 1992, S. 177). Eine kritischanalytisch vorgehende Sozialpsychologie untersucht die Beziehung zwischen den psychischen Funktionen des Menschen und den übergreifenden sozialen Prozessen und Ereignissen, die diese Funktion prägen (Jüttemann, 1992). Psychische Erkrankungen werden dabei vielmehr als existenzielle Lebenskrise oder gesellschaftliche Figuration betrachtet, da eine Grundannahme ist, dass das gesamte Erleben und Verhalten von sozialen Beziehungen beeinflusst wird.

1.3 Fragestellung

Es gibt bisher keine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem aktuellen Identitätsdiskurs in Bezug auf das Burnout-Phänomen beschäftigt. Die Erfahrung einer existenziellen (Lebens-)Krise, die zudem noch chronifizieren kann, hat immer Einfluss auf das Identitätsgefühl der betreffenden Person bzw. des Subjekts. Das Phänomen Burnout soll daher in dieser Diplomarbeit vor dem Hintergrund des aktuellen Identitätsdiskurses analysiert werden. Gegenstand der wissenschaftstheoretischen Perspektive des postmodernen Identitätsdiskurses ist die Frage, wie Individuen in der heutigen Zeit und unter gegebenen soziokulturellen Prozessen ihre Identität ausbilden. Das „arbeitende“ Subjekt soll daher nicht nur als ein berufstätiges verstanden werden, sondern als ein Identitätsarbeit leistendes Subjekt.

Trotz seiner jahrzehntelangen Tradition bescheinigt Kellner (1992) dem Thema der Identitätsbildung eine hohe Aktualität, da seiner Meinung nach Identität überhaupt erst zu einer Aufgabe des Subjekts in der spezifischen historischen Situation der Postmoderne wird. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe der Identitätsbildung liegt nach Keupp et al. (2006) auf der Subjektseite in der Individualisierung als intersubjektivem Selbstanspruch. Strasser (2000) geht sogar soweit zu behaupten, dass „Ausbeutung und Entfremdung zunehmend weniger als fremd gesetzter Zwang einem Menschen begegnet, sondern mehr und mehr zu einer Selbsttechnologie wird, zu einer Selbstdressur, die allerdings in den Ideologien des Neoliberalismus in einem Freiheits- oder Autonomiediskurs daher kommt“ (zitiert nach Keupp, 2010, S.19).

Der Erwerbsarbeit, in dessen Kontext Burnout zumeist genannt wird, kommt „im biographischen Gesamtentwurf“ eine bedeutsame Rolle zu (zitiert nach Krömmelbein, 1996, S. 42). Die unter dem Terminus der Postmoderne zusammengefassten Prozesse gesellschaftlichen Strukturwandels erwähnen im Zusammenhang mit der Arbeitswelt, dass die „Erwerbsarbeit als Basis von Identität“ brüchig wird (Keupp, 2006, S. 46). Gemeint sind hierbei beispielsweise die Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse durch Leiharbeit und befristete Verträge und die Aufhebung der Schranken zwischen Erwerbsarbeits- und Privatsphäre und die damit einhergehende Flexibilisierung (Mayer-Ahuja & Wolf, 2005). Ulrich Beck (1999) spricht von einem „dramatischem Systemwandel der Erwerbsarbeit“, in der sich eine „Grauzone zwischen Arbeit und Nichtarbeit in Form ungesicherter und fragmentierter Beschäftigungsverhältnisse eröffnet“ (S. 94). Auch der Terminus der Entgrenzung (Mayer-Ahuja & Wolf, 2005), der die zunehmende Auflösung von zeitlichen und räumlichen Strukturen betrieblich organisierter Arbeit beschreibt, setzte die Debatte über die wahrgenommenen Veränderungsprozesse in der Arbeitsphäre in Gang, die einer gesellschaftstheoretischen Perspektive auf den Gegenstand der Arbeit wieder mehr Raum verleiht. Empirische Unterstützung dafür, dass der Strukturwandel der Arbeit neuartige Gesundheitsgefährdungen mit sich bringt, liefert beispielsweise der Fehlzeiten-Report 2009 (Badura et al.), herausgegeben vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und der Universität Bielefeld. Hierin wird aufgezeigt, dass psychische Erkrankungen als Ursache von Arbeitsunfähigkeit stetig zugenommen haben und mit langen Fehlzeiten einhergehen. Darüber hinaus werden Studien erwähnt, die Burnout zudem als Risikofaktor für physische Folgeerkrankungen ausmachen.

Die Fragestellung dieser Arbeit lautet, wie sich Burnout innerhalb der postmodernen Identitätsbildung verorten lässt. Liegt den individualisierenden Erklärungs- und Behandlungsansätzen ein postmodernes Identitätsverständnis zugrunde? Die Fragestellung dieser Arbeit ist von Bedeutung, da die mittlerweile unüberschaubare Anzahl von Publikationen zum Thema Burnout die gessellschaftstheoretische Perspektive in der Reflektion auf die Entstehung, die Ursachen und die Therapie von Burnout weitgehend ausklammert (Rösing, 2003).

1.4 Erkenntnisleitendes Interesse

Die Beantwortung der Fragestellung setzt die Annahme voraus, dass ein Phänomen wie Burnout sich nicht unabhängig von gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen entwickelt. Erkenntnisleitendes Interesse gilt dabei der Betrachtung des postmodernen Identitätsdiskurses, der zum analytischen Verständnis von Symptomatik und Ätiologie des Phänomens Burnout beitragen und dieses um die Betrachtung einer gesellschaftlichen und historisch spezifischen Dimension erweitern soll. Von Bedeutung ist dabei auch die Darstellung der mit dem Begriff der Postmoderne assoziierten Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt, deren Einfluss auf die subjektive Identität und die damit verbundenen Risiken der Lebensbewältigung. Speziell sollen hier die neuen Ansprüche der Postmoderne an Identität und Subjektverständnis interessieren und inwieweit diese für die Erklärungs- und Therapieansätze von Burnout bedeutsam sind.

1.5 Aufbau

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert und durch den Ablauf der Argumentation begründet. Der erste Teil umfasst eine Übersicht über die Begriffs- und Theoriebildung zum Thema Burnout. Der zweite Teil enthält eine übersichtliche Beschreibung des postmodernen Identitätsdiskurses. Die eingehende Betrachtung der beiden Themenfelder ermöglicht eine Beurteilung des Sachverhaltes, so dass im dritten Teil der Arbeit die Einbettung des Burnout- Syndroms in den Kontext postmoderner Identitätsbildung erfolgen kann. Beide Themen werden schlussfolgernd miteinander in Verbindung gebracht und die Fragestellung beantwortet. Abschließend erfolgen eine kritische Stellungnahme und ein Ausblick auf weitere mögliche relevante Fragestellungen in Bezug auf die Thematik.

1.6 Wissenschaftstheoretisches Vorgehen und Literaturauswahl

Das wissenschaftstheoretische Vorgehen einer theoretischen Literaturarbeit umfasst die Sichtung, den Vergleich und die Auswertung wissenschaftlicher Literatur. Darauf aufbauend sind empirische Arbeiten möglich. Die hier genannten wissenschaftlichen Arbeiten dienen der Beschreibung des Burnout- Syndroms:

Burisch, M. (2006).: Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung

Hedderich, I. (2009): Burnout. Ursachen, Formen, Auswege

Hillert, A., Marwitz, M. (2006): Die Burnout-Epidemie oder brennt die Leistungsgesellschaft aus?

Maslach, C. & Leiter, M.P. (2001): Die Wahrheit über Burnout. Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können

Rook, M. (1998): Theorie und Empirie in der Burnout-Forschung. Eine wissenschaftstheoretische und inhaltliche Standortbestimmung

Rösing, I. (2003): Ist die Burnout-Forschung ausgebrannt?

Schaufeli, W.B., Maslach, C. & Marek, T. (1993): Professional Burnout: Recent Developments in Theory and Research

Die Darstellung des aktuellen Identitätsdiskurses erfolgt mit den folgenden wissenschaftlichen Arbeiten:

Abels, H. (2006): Identität - Über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und die Tatsache, dass Identität in Zeiten der Individualisierung von der Hand in den Mund lebt

Eickelpasch, R. & Rademacher, C. (2004): Identität

Haußer, Karl (1995): Identitätspsychologie

Keupp, H., Höfer, R. (1997): Identitätsarbeit heute: Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung

Keupp, H. et al. (2006): Identitätskonstruktionen - Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne

Kresic, M. (2006): Sprache, Sprechen und Identität: Studien zur sprachlichmedialen Konstruktion des Selbst

Platta, H. (1998): Identitäts - Ideen: Zur gesellschaftlichen Vernichtung unseres Selbstbewusstseins

Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus

2 Burnout

Zunächst wird die Begriffswelt von Burnout dargestellt. Im Anschluss erfolgt ein Überblick über die historische Entwicklung des Phänomens und dessen Erforschung. Daraufhin werden die Messung von Burnout sowie Erklärungsund Therapieansätze erläutert. Abschließend erfolgt eine zusammenfassende Darstellung von Grundannahmen im Zusammenhang mit Burnout.

2.1 Begriffsklärung

Der Burnout-Begriff wird erst seit den 1970er Jahren als Krankheitsbegriff verwendet. Vorher beschränkte sich seine Bedeutung auf den Bereich der Technik, was an der folgenden lexikalischen Definition aus dem Brockhaus (1999) erkennbar wird:

Burnout [engl. „Ausbrennen“], das, Kerntechnik: das Durchbrennen der Brennstoffumhüllung von Brennelementen eines Reaktors infolge zu geringer Kühlung oder zu hoher Wärmeerzeugung durch den Brennstoff.

Dagegen lautet eine Definition des Burnout-Syndrom [engl.]:

Krankheitsbild, das Personen aufgrund spezifischer Beanspruchungen entwickeln können und das mit dem Gefühl verbunden ist, sich verausgabt zu haben, ausgelaugt und erschöpft zu sein (Sich-ausgebrannt-Fühlen). Es kommt zu einer Minderung des Wohlbefindens, der sozialen Funktionsfähigkeit sowie der Arbeits- und Leistungsfähigkeit“ (Brockhaus, 1999).

Im Folgenden wird aufgrund der einfacheren Schreibweise überwiegend von Burnout die Rede sein und damit der Terminus im Sinne des Krankheitsbildes gemeint sein.

2.1.2 Definition

„Die bestehende Vielfalt an Definitionen und Modellen trägt maßgeblich zur Unschärfe des Burnout-Begriffs bei“ (Stöckli, 1999, zitiert nach Schneglberger, 2010, S. 29).

Bei der Literaturrecherche fällt die Vielfalt an nebeneinanderstehenden und heterogenen Definitionsvorschlägen auf. Trotz unbestrittener Existenz, lässt sich das Burnout-Syndrom nicht exakt definieren. Prävalenzraten schwanken stark, da es keine genauen Cut-Off-Werte für die Diagnose von Burnout gibt.

Für Burisch (2006), ein renommierter deutscher Burnout-Forscher, ist der Burnout-Begriff eine „randunscharfe Menge, die zu definieren der Aufgabe gleichkomme, die Grenzen einer großen Wolke beschreiben zu wollen“ (zitiert nach Hedderich, 2009, S. 12). Im Folgenden werden beispielhaft einige Definitionen wiedergegeben. Die Burnout-Forscherin Christina Maslach (1982) versteht darunter „ein Syndrom emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und persönlicher Leistungseinbußen, das bei Individuen auftreten kann, die in irgendeiner Art mit Menschen arbeiten. Es ist eine Reaktion auf die chronische emotionale Belastung, sich andauernd mit Menschen zu beschäftigen, besonders, wenn diese in Not sind oder Probleme haben“ (zitiert nach Burisch, 2006, S. 17). Während bei dieser Definition helfende Berufe im Vordergrund stehen, konzentrieren sich Edelwich und Brodsky (1980) auf die generellen Arbeitsbedingungen. Burnout sei demnach „ein fortschreitender Abbau von Idealismus, Energie, Zielstrebigkeit und Anteilnahme als Resultat der Arbeitsbedingungen“ (zitiert nach Burisch, 2006, S. 19). Auch für Stock (2010) ist Burnout ein „Zeitphänomen, das durch Veränderungen in der Arbeitswelt, Globalisierung, Auflösung von Familienstrukturen und durch demografische Entwicklungen verstärkt wird“ (S. 7).

Rösing (2003) führt als wissenschaftliche Definition folgende an, die durch ein gängiges Messinstrument (s. Kap. 2.3) von Burnout operationalisiert ist:

Burnout ist ein Zustand emotionaler Erschöpfung am Beruf. Er geht einher mit negativen Einstellungen zum Beruf, zu den Inhalten oder den Mitteln des Berufs (Zynismus) oder zu den Partnern oder Klienten im Beruf (Depersonalisation). Hinzu kommt ein erheblich reduziertes Selbstwertgefühl in Bezug auf die eigene berufliche Leistungsfähigkeit. Burnout ist ein sich langsam entwickelndes Belastungssyndrom, das nicht selten wegen der kreisförmigen, gegenseitigen Verstärkung der einzelnen Komponenten (emotionale Erschöpfung führt zu geringerem Selbstwertgefühl, welches zu mehr emotionaler Erschöpfung führt usw.) zur Chronifizierung neigt. (S. 20)

Eine recht umfassende Definition, die versucht, vorangegangene Definitionen zu integrieren, stammt von Schaufeli und Enzmann (1998):

Burnout ist ein dauerhafter, negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand ,normaler’ Individuen. Er ist in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung (distress), einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann dem betroffenen Menschen aber lange unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Intentionen und Berufsrealität. Burnout erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungsstrategien, die mit dem Syndrom zusammenhängen, oft selbst aufrecht. (S. 36)

Interessant ist die hier anklingende individualisierende Ursachenzuschreibung. Dysfunktionale Einstellungen und ungünstige Bewältigungsstrategien stellen erste Erklärungsversuche dar, die sich jedoch nur auf die Dispositionen des Individuums beschränken.

Eine Definition, die sich vom Bezug auf die Arbeitswelt löst, liefern Maslach und Leiter (1997): „[Burnout] stellt einen Verschleiß von Werten, Würde, Geist und Willen dar - einen Verschleiß der menschlichen Seele. Es ist eine Krankheit, die sich schrittweise und gleichmäßig über einen längeren Zeitraum hin ausbreitet und die Menschen in einen Teufelskreis bringt, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt“ (zitiert nach Rösing, 2003, S. 74).

In einem völlig anderen Kontext beschreibt Pines (1996) in Couple Burnout, wie sich idealistische Vorstellungen von Liebe im Beziehungsalltag auflösen und somit die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität zum Burnout innerhalb der Beziehung führt. Die verwirrende Vielfalt an bestehenden Burnout- Definitionen werten Kleiber und Enzmann (1990) als Indiz für den defizitären Theoriestatus des Burnout-Konzepts. Während die Existenz des Phänomens weitgehend unbestritten ist, stellt „die genaue Definition des Konstruktes Burnout ... ein zentrales Grundproblem“ dar (Körner, S, 2003, S. 17). Auch Rook (1998) stellt fest, dass die „eindeutige Begriffsfestlegung ... für den zentralen Begriff Burnout im Burnoutforschungsfeld nicht gelungen“ ist (S. 99).

Je nach theoretischem Kontext ändert der Begriff seine Bedeutung und darüber hinaus ist eine Ungenauigkeit „hinsichtlich der Bedeutungszuschreibungen innerhalb verschiedener Theoriezusammenhänge zu beklagen“ (a.a.O.).

Was dies konkret für die Abgrenzung zu auftretenden Nachbarkonzepten wie Stress oder Depression bedeutet, wird nach einer ausführlichen Darstellung der Begriffsgeschichte von Burnout und der damit assoziierten Symptomvielfalt erläutert.

2.1.3 Begriffsgeschichte

Die wissenschaftliche Entstehungsgeschichte des Burnout-Begriffs im Sinne eines Krankheitsbildes liegt im Jahre 1974 und geht auf den US-amerikanischen Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger zurück[1]. Dieser arbeitete ehrenamtlich in der alternativen psychiatrischen Gesundheitsversorgung und beschrieb 1974 seine eigenen leidvollen Erfahrungen mit Burnout im Journal of Social Issues in einem Artikel namens Staff Burnout. Dieser Artikel gilt für viele Autoren als Anstoß für die Erforschung des Burnout-Syndroms (Burisch, 2006; Schneglberger, 2010). Freudenberger verstand Burnout damals noch als eine Symptomatik von Menschen in helfenden Berufen, wobei er später genau diese Einschränkung aufhob.

Burisch (2006) bezeichnet den Aufsatz von 1974 ebenfalls als den Auftakt der Burnout-Forschung, wobei er darin aufgrund des eigenbiographischen Charakters des Artikels eher den Anstoß für eine wissenschaftliche Erforschung von Burnout, als den Beginn selbst sieht. Den Beginn der empirischen Phase, in der sich der Schwerpunkt der Erforschung von qualitativen Studien auf quantitative Erhebungsverfahren verlagerte, verbindet Burisch mit den Namen Christina Maslach und Ayala Pines. Maslach entwickelte 1981 mit Susan E. Jackson den ersten Fragebogen zur Messung von Burnout (s. Kap. 2.3), das Maslach Burnout Inventory (MBI), das bis heute das Standardverfahren zur Messung von Burnout darstellt (Burisch, 2006).

Auch Rösing (2003) unterteilt in ihrer umfassenden Analyse der internationalen Burnout-Forschung in zwei Phasen. Die klinische Phase (Mitte der 70er Jahre bis Anfang der 80er Jahre), deren Pionier Freudenberger darstellt, zeichnet sich laut Rösing durch deskriptive Studien und illustrative Fallberichte aus. Die zweite und empirische Phase (ab den 80er Jahren) sieht sie ebenfalls durch das von Maslach und Jackson (1981) entwickelte Messinstrument begründet. (Zu dessen Erläuterung s. Kap. 2.3).

Erst in den 90er Jahren entwickelte sich die Burnout-Forschung über die Grenzen der USA hinaus. Einige der heute führenden Forscher im europäischen Raum, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung und Weiterentwicklung des Burnout-Begriffes beschäftigen, sind Wilmar Schaufeli von der Universität Utrecht und Matthias Burisch von der Universität Hamburg, auf dessen vielbeachtetes Phasenmodell zur Entstehung des Burnout im folgenden Kapitel näher eingegangen wird.

Wenn man die geschichtliche Entwicklung von Burnout betrachtet, so ist es unerlässlich, auch die Veränderung der Definitionen über die Jahre zu beschreiben. Freudenberger, der als erster Burnout als ein in helfenden Berufen auftretendes Erschöpfungsphänomen beschrieb, löst bereits im Jahre 1980 die Beschränkung der Symptomatik auf die Arbeitswelt auf. Er beschreibt zu diesem Zeitpunkt Burnout als ,,ein[en] Zustand der Ermüdung oder Frustration, herbeigeführt durch eine Sache, einen Lebensstil oder eine Beziehung, die nicht die erwartete Belohnung mit sich brachte“ (zitiert nach Burisch, 2006, S. 18). Erstmals erwähnt Freudenberger 1983 den Einfluss eines „Wertesystems der Gesellschaft“ und spricht von einem Klima der Verunsicherung, „in dem sich das Phänomen des Ausbrennens so gut entwickeln kann“ (S. 25). Im Fokus seiner Betrachtung des Burnout stand vor allem die Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Einzelnen und der Realität. Burisch spricht hier von zu realisierenden „Lebensplänen“, die nicht umgesetzt werden können (a.a.O).

Auch bei Christina Maslach, der Pionierin empirischer Burnout-Forschung, lässt sich eine Abkehr vom Fokus auf helfende Berufe feststellen. Dies führte sogar 1996 zu einer zusätzlichen Version des Maslach Burnout Inventory, die berufsneutral gestaltet ist (s. Kap. 2.3). Heute gibt es kaum eine Berufsgruppe, die noch nicht im Zusammenhang mit Burnout untersucht wurde (Rösing, 2003).

2.2 Symptomatik und Verlauf

„Burnout hat eine gewisse Gestalt-Qualität, was Symptommuster, Lebensstile, Denkweisen, Arbeitssituationen usw. einschließt“ (Burisch, 1993, S.77).

Ebenso vielfältig wie die zahlreichen Definitionen von Burnout sind die damit assoziierten Symptome. Burisch (2006) hat aus der gesamten Burnout-Literatur alle erwähnten Symptome in Ober- und Unterkategorien zusammengefasst. Die Abbildung der Zusammenfassung soll das immense Spektrum an Symptomen verdeutlichen und diese in einen phasenhaften Ablauf einordnen.

Die Tabelle ist nach Burisch (2006) so zu verstehen, dass nicht alle Symptome beim Burnout vorhanden sein müssen und dass zwischen den einzelnen Phasen teils temporale, teils kausale Beziehungen bestehen. Zusätzlich ist zu erwähnen, dass die hier exemplarisch dargestellten Phasentheorien nicht empirisch abgesichert sind und die Abgrenzung einzelner Stadien recht willkürlich erfolgt ist.

Ebenso wie Burisch eine phasische Aufteilung der Symptome bevorzugt, schlägt Cherniss (1980) folgende drei Stadien der Symptomgenese vor:

Ein weitaus umfangreicherer, ebenso stadienhafter Verlauf der Symptomatik von Burnout liegt nach Freudenberger und North (1992) vor:

Schaufeli und Enzmann unterscheiden dagegen drei Ebenen, auf denen sich die Symptome manifestieren (1998, S. 12-24):

Symptome auf der individuellen Ebene.

Symptome auf der interpersonellen Ebene.

Symptome auf der institutionellen Ebene.

Darüber hinaus unterscheiden sie fünf Symptombereiche:

Affektive Symptome

Kognitive Symptome

Physische Symptome

Verhaltenssymptome

Motivationssymptome

Die Ansicht dieser Symptomkataloge mit hohem Allgemeinheitsgrad legt die Forderung nach einer präziseren Definition der Burnout-Symptomatik nahe. Auch in der ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen existiert für Burnout keine eigenständige Diagnose. Unter dem im Anhang aufgeführten Diagnoseschlüssel Z73.0 „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung“ wird Burnout als „Zustand der totalen Erschöpfung“ oder „Ausgebranntsein“ geführt. Somit ist Burnout als einer der Faktoren genannt, „die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ (World Health Organization, 2005). Auch im Katalog der deutschen Krankenkassen taucht Burnout noch immer nicht auf.

Ein interessanter Zusammenhang besteht mit der im ICD-10 unter F 48.0 aufgeführten Diagnose der Neurasthenie. Diese neurotische Störung ist gekennzeichnet durch: „1) Ein anhaltendes Erschöpfungsgefühl nach geringer geistiger Anstrengung und 2) Anhaltende und quälende Müdigkeit und Schwäche nach nur geringer körperlicher Anstrengung“ (a.a.O.). Die ICD-10- Definition ist kontextfrei definiert und auf keinen bestimmten Lebensbereich bezogen. Schaufeli und Enzmann (1998) schlagen daher die Kennzeichnung „arbeitsbezogene Neurasthenie“ vor, die den für Burnout definierten Ausgangspunkt der Belastung in der Arbeit und deren Folge im Sinne negativer Einstellungen zur Arbeit mit einbeziehen würde (Rösing, 2003). Rösing sieht hierin die Chance, „das alltagssprachliche und wissenschaftliche Konzept des Burnout in die Nomenklatur psychosozialer und psychiatrischer Verfassungen zu übersetzen“ (S. 90).

Es lässt sich zusammenfassen, dass das enorme Spektrum der beschriebenen Symptome einen sehr uneinheitlichen Eindruck hinterlässt. Unklar bleibt, welche Symptome spezifisch für Burnout sind, da viele beispielsweise auch bei Depression auftreten. Schaufeli und Enzmann (1998) äußern Kritik an dieser Symptomsammlung dahingehend, dass „die Liste ein buntes Durcheinander von Symptomen, möglichen Ursachen und möglichen Folgeerscheinungen darstellt“ (zitiert nach Rösing, 2003, S. 64). Im Mittelpunkt der Symptome stehen wiederholt die innere Erschöpfung, die Desillusionierung, die Negativierung der Arbeitseinstellung und der Verlust an Selbstvertrauen. Eine eindeutige Abgrenzung und zeitliche Einteilung der Stadien und der Symptome ist aber nicht möglich. Relativ einheitlich sind nur der Prozesscharakter, sowie Anfang und Ende des Burnout-Prozesses in den phasenhaften Ansätzen dargestellt. Am Anfang steht großer Enthusiasmus oder zumindest die Bereitschaft zu erhöhtem Einsatz, während im Endstadium Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Apathie dominieren.

[...]


[1]Burisch (2006) vermutet, dass die 1961 erschienene Erzählung von Graham Greene mit dem Titel „A burnt-out case“, in der es um einen erfolgsüberdrüssigen Architekten geht, zur Ausweitung der Begriffsbedeutung beigetragen hat.

Fin de l'extrait de 82 pages

Résumé des informations

Titre
Identität und Burnout in der Postmoderne
Université
University of Bremen
Note
1,0
Année
2010
Pages
82
N° de catalogue
V168662
ISBN (ebook)
9783640862856
ISBN (Livre)
9783640863471
Taille d'un fichier
777 KB
Langue
allemand
Annotations
Mots clés
Burnout, Identität, Postmoderne
Citation du texte
Anonyme, 2010, Identität und Burnout in der Postmoderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168662

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