Die steuerlichen Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters am Beispiel der Umsatzsteuer


Tesis (Bachelor), 2010

93 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

A Einleitung
I Problemstellung
II Aufbau und Vorgehensweise
III Vorstellung eines illustrativen Fallbeispiels
IV Ableitung der zentralen Fragestellung

B Grundlagen
I Bedeutung des Insolvenzrechts
II Entwicklung und Grundzüge der Insolvenzordnung
a Historische Entwicklung der Insolvenzordnung
b Grundzüge und Ziele der Insolvenzordnung
III Verhältnis von Insolvenz- und Steuerrecht

C Steuerliche Stellung des Insolvenzschuldners
I Grundbegriffe
II Umsatzsteuerliche Stellung und Pf lichten außerhalb der Insolvenz
III Umsatzsteuerliche Stellung während der Insolvenz
a Stellung im vorläufigen Insolvenzverfahren
b Stellung im eröffneten Insolvenzverfahren

D Allgemeine Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters
I Theorienstreit zur Rechtsstellung des Insolvenzverwalters
a Einleitung
III
b Organtheorie
c Vertretertheorie
d Amtstheorie
e Zutreffende Einordnung und Bedeutung für das Insolvenzsteuerrecht
II Rechte und Pflichten im vorläufigen Verfahren
a Einleitung
b Vorläufig „starker“ Verwalter
c Vorläufig „schwacher“ Verwalter
III Rechte und Pflichten im eröffneten Verfahren
a Einleitung
b „Endgültiger“ Insolvenzverwalter
c Sachwalter bei Eigenverwaltung

E Steuerliche Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters
I Einleitung
a Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit?
b Überblick über das Besteuerungsverfahren in der Insolvenz
II Grundlagen der steuerlichen Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters
a Allgemeines
b Die Rechnungslegungspflicht aus § 155 InsO
c Pflichten als Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigter aus §§ 34 ff. AO
d Auskunftspflicht und Vorlagepflicht nach §§ 93 und 97 AO
e Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach §§ 140, 141 AO
f Erklärungspflichten nach § 149 AO
g Berichtigungspflicht nach § 153 AO
III Die Ordnungspflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters
a Rechnungslegungspflicht aus § 155 InsO
b Abgabenrechtliche Pflichten: Umfang und Begrenzung
IV Die Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren
a Rechnungslegungspflicht aus § 155 InsO
IV
b Abgabenrechtliche Pflichten: Grundsätze
c Sonderfall 1: Steuererklärungspflichten mit vorinsolvenzlicher Entstehung
d Sonderfall 2: Abgabenrechtliche Verwalterpflichten bei Freigabe
e Sonderfall 3: Abgabenrechtliche Verwalterpflichten in massearmen Verfahren
f Implikationen für die Umsatzsteuer

F Zusammenfassung und kritische Würdigung
I Zusammenfassung
II Kritische Würdigung

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Gesetze, Erlasse, Schreiben und Verfügungen LVI

Rechtsprechungsverzeichnis

Internet-Quellen

Anlagenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 01 Insolvenzstatistik Deutschland

Abb. 02 Forderungen in der Insolvenz

Abb. 03 Zuordnung der Umsatzsteuernummern

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A Einleitung

I Problemstellung

Die steuerrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters und dessen steuerliche Pflichten, die er für den Schuldner zu erfüllen hat, wurden bereits mehrfach problematisiert. Diskutiert werden beispielsweise die ertrag- und umsatzsteuerlichen Folgen der Freiga- be1, die Rechnungslegungspflichten insbesondere bei Massearmut,2 aber auch die Steuererklärungspflichten3 und die Einordnung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters als Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO4. Insbesondere die letzten beiden Fragen stehen dabei in engem Zusammenhang. Erstaunlich ist, dass unter bloßem Verweis auf die Regelung des § 34 Abs. 3 AO, umfassende Steuererklärungspf lichten des Insolvenzverwalters - auch über den eigentlichen Insolvenzzeitraum hinaus - angenommen werden.5 Dies wirft nicht nur in der insolvenzrechtlichen Praxis Pro- bleme auf, sondern ist zudem vor dem Hintergrund der Zielrichtung des Insolvenzver- fahrens sowie dem Aufgabenkatalog des Insolvenzverwalters erörterungswürdig. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, diese Problemstellung am Beispiel der umsatz- steuerlichen Erklärungspflichten nach § 149 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 UStG zu untersuchen. Dabei wird ebenfalls auf die Pflichten zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung nach § 155 Abs. 1 InsO einzugehen sein. Es soll sodann die Frage beantwortet werden, für welche Umsätze des Schuldnerunterneh- mens der Insolvenzverwalter überhaupt erklärungspflichtig sein kann und wo mögli- cherweise die Grenze dieser Verpflichtung gezogen werden muss.

II Aufbau und Vorgehensweise

Nach der Vorstellung eines Fallbeispiels werden einleitend Bedeutung und historische Entwicklung des deutschen Insolvenzrechts, sowie dessen Verhältnis zum Steuerrecht skizziert. Im Anschluss werden die Position des Schuldners im Insolvenzverfahren und die allgemeinen Rechte und Pflichten sowie die rechtliche Stellung des Insolvenzver- walters erläutert. Auf dieser Basis werden die steuerrechtlichen Ordnungspflichten analysiert, wobei zwischen vorläufig „starker“ und „schwacher“, sowie „endgültiger“ Insolvenzverwaltung unterschieden wird. Nach der Bearbeitung ausgewählter Sonder- fälle werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst und kritisch gewürdigt.

III Vorstellung eines illustrativen Fallbeispiels

Am 31.07.2009 beantragt der Geschäftsführer gem. §§ 13 Abs. 1, 17 InsO die Eröff- nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der X-GmbH. Vom Insolvenzgericht wird A gem. § 22 Abs. 2 S. 1 InsO als vorläufig „schwacher“ Insolvenzverwalter bestellt. Das Unternehmen wird zunächst bis zum 30.09.2009 fortgeführt. Mit Eröff- nung des Insolvenzverfahrens geht am 01.10.2009 gem. § 80 Abs. 1 InsO die Verwal- tungs- und Verfügungsbefugnis auf A als Insolvenzverwalter über. Dieser stellt sodann aufgrund mangelnder Geschäftschancen den Betrieb der X-GmbH ein, verwertet das Schuldnervermögen und liquidiert die X-GmbH. Noch im Oktober 2009 führt die Finanzbehörde eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der X-GmbH durch und stellte fest, dass A bisher keine Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 18 Abs. 1 S. 1 UStG i. V. m. § 34 Abs. 3, Abs. 1, § 149 Abs. 1 S. 1 AO für die X-GmbH bezogen auf die vergangenen drei Monate abgegeben hat. Da diese nach § 18 Abs. 2 S. 2 UStG bis zum 10. des jeweiligen Folgemonats zu übermitteln waren, setzte die Behörde einen Verspä- tungszuschlag fest, § 152 Abs. 1 S. 1 AO, und forderte A auf, die ausstehenden Voran- meldungen abzugeben. Weiterhin rügte sie, dass A bisher keine Umsatzsteuerkorrek- turen nach § 17 Abs. 1 S. 1 UStG vornahm. Die Argumentation des A, er konnte sich in der kurzen Zeit nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften Buchführung des Schuld- ners keinen umfassenden Überblick über die zahlreichen Geschäftsvorfälle verschaffen und damit keine korrekte Voranmeldung der Umsätze abgeben, ließ die Behörde nicht gelten und leitete ein Steuerstrafverfahren gegen den Verwalter ein.1

IV Ableitung der zentralen Fragestellung

Das Fallbeispiel beschreibt eine zentrale Problemstellung bei der Insolvenzverwaltung. Denn spätestens mit Verfahrenseröffnung wird dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entzogen und der Verwalter tritt gem. §§ 34 - 36 AO, § 155 Abs.

1 InsO in zahlreiche handels- und steuerrechtliche Pflichten ein. Fraglich ist dabei, inwieweit er diese überhaupt erfüllen kann. Hier stehen die Vielfalt der in kurzer Zeit zu bewältigenden Aufgaben sowie Kostenaspekte im Mittelpunkt. Darüber hinaus werden bestimmte Pflichten auf den vorinsolvenzlichen Zeitraum ausgedehnt.2 Es ist daher zu klären, ob der Insolvenzverwalter tatsächlich verpflichtet werden kann, die Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung abzugeben. Zusätzlich zu beachten ist dabei der Umstand, dass eine Vielzahl von Geschäftsvorfäl- len und eine unvollständige Buchführung die Aufarbeitung der nötigen Unterlagen erschweren können. Daneben ist anzusprechen, ob die zur Ausführung der steuerlichen Tätigkeiten ggf. zu begründenden Massekosten, z. B. für die Beschäftigung eines Steuerberaters, überhaupt dem Normzweck der Insolvenzordnung entsprechen.3

B Grundlagen

I Bedeutung des Insolvenzrechts

Im Jahr 2009 entstanden der Deutschen Volkswirtschaft durch Insolvenzen Rekord- schäden. So bezifferten die Gerichte die erwarteten Gläubigerforderungen auf insge- samt ca. 85 Milliarden Euro. Noch im Vorjahr waren es mit 33,5 Milliarden 51,5 Milliarden Euro weniger. Die Zahl der von Unternehmensinsolvenzen betroffenen Arbeitnehmer/-innen lag 2009 zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags bei 250˙813.1 Auch die gem. § 39 Abs. 1 EGGVG vom Statistischen Bundesamt geführte Insolvenz- statistik weist seit 1999, trotz leichter Erholung in den Jahren 2005 bis 2007, spätes- tens seit dem Krisenjahr 2008 wieder eine Zunahme der Insolvenzen aus.2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 01 - Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Ergebnisse 52411-0001 und 52411-0002 Online abrufbar unter https://www-genesis.destatis.de

Die Tatsache, dass mit Arcandor/Quelle, Schiesser, Märklin und Rosenthal - um nur einige namhafte Unternehmen zu nennen - auch Groß- und Traditionsunternehmen nicht vor der teils medienwirksamen Insolvenz bewahrt blieben, zeigt ergänzend zu den abstrakten Zahlen der Statistik, dass dem Insolvenzrecht eine zunehmende Bedeu- tung und öffentliche Wahrnehmung zukommt. Dies bestätigt auch die derzeitige Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wenn Sie in Ihrer Rede anlässlich des siebten Deutschen Insolvenzrechtstags am 17. März 2010 in Berlin, „[...] die Reform des Insolvenzrechts [als] das wichtigste Vorhaben [der Bundesregie- rung] im Wirtschaftsrecht [...]“3 bezeichnet.

II Entwicklung und Grundzüge der Insolvenzordnung

a Historische Entwicklung der Insolvenzordnung

Die bis zum 31.12.1998 geltende und mehrfach angepasste Konkursordnung, trat bereits am 1. Oktober 1879 in Kraft und gilt bis heute als die „Perle der Reichsjustiz- gesetze“.1 Dennoch war das Regelwerk immer wieder starker Kritik ausgesetzt und offenbarte nicht zuletzt während der Rezession in den 1970er Jahren ihre Mängel. So wurden beispielsweise etwa 75% aller Konkursanträge mangels Masse abgewiesen.2 Spätestens unter dem Stichwort „Konkurs des Konkurses“3 setzte in der Folge eine Reformbewegung ein, die zu einem Regierungsentwurf im November 1991 führte und damit den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens zur heutigen Insolvenzordnung markierte.4 Nachdem der Bundesrat zunächst den Vermittlungsausschuss anrief, stimmte die Länderkammer am 18. Juli 1994 unter der Bedingung dem Gesetzesent- wurf zu, dass die neue Insolvenzordnung erst am 01. Januar 1999, also zwei Jahre später als zunächst geplant, in Kraft tritt.5 Am 18. Oktober 1994 wurde die Insolvenz- ordnung schließlich im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.6 Seither unterlag das Regel- werk einigen Modifikationen. Beispielhaft seien das Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge7 und das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens8 aus dem Jahr 2007, sowie das Finanzmarktstabilisierungsgesetz9 und das Gesetz zur Moderni- sierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)10 aus 2008 genannt.

Auch in Zukunft wird das deutsche Insolvenzrecht alles andere als statisch sein. Nicht zuletzt die Finanzkrise hat die Möglichkeit der Insolvenz von Kreditinstituten oder Konzernen in das Blickfeld von Öffentlichkeit und Politik gerückt.11 Aber auch abseits dieser öffentlichkeitswirksamen Themen stehen u. a. die Auswahl des Insolvenzverwalters, die Schaffung einer Sanierungsordnung12, aber auch die Problematik des Störerpotenzials im Rahmen des Minderheitenschutzes gem. § 251 InsO bei Insolvenzplanverfahren im Fokus der insolvenzrechtlichen Diskussion.13

b Grundz ü ge und Ziele der Insolvenzordnung

Die Insolvenzordnung besteht in ihrer heutigen Fassung1 aus zwölf Teilen. Sie orien- tiert sich in ihrer Struktur am prinzipiellen Ablauf eines Insolvenzverfahrens2, welches zunächst durch allgemeine Grundsätze geprägt ist. So gelten die Dispositionsmaxime im Rahmen der Verfahrenseinleitung, die Offizialmaxime nach der das Gericht im Amtsbetrieb wesentliche Verfahrensmaßnahmen bestimmt, sowie die Inquisitionsma- xime.3 Darüber hinaus existieren insolvenzspezifische Grundsätze, die von den allge- meinen abzugrenzen sind.4 So wurde in § 1 S. 1 InsO, in Abkehr von der früheren Aufspaltung in Konkurs- und Vergleichsverfahren, ein einheitliches Verfahren nor- miert, welches die Liquidation und die Alternative der Sanierung des Schuldnerunter- nehmens als gleichwertige Verfahrensziele vorsieht.5 Weiterhin gelten die Grundsätze der Gläubigergleichbehandlung - par condicio creditorum - und der Gläubigerautono- mie. Danach werden nicht nur sämtliche Gläubiger des Insolvenzschuldners als eine Risikogemeinschaft gemeinsam und gleichmäßig aus der erlösbaren Haftungsmasse befriedigt, sondern bestimmen zudem entscheidend die Verfahrensabwicklung.6 Besonders deutlich kommt die Stärke der Gläubigerautonomie in § 157 InsO zum Aus- druck, wonach die Entscheidung über Stilllegung oder vorläufige Fortführung des Schuldnerunternehmens dem Beschluss der Gläubigerversammlung obliegt. Auf diese Weise werden die Gläubiger in die Lage versetzt selbst zu bestimmen, wie das Ziel der Haftungsverwirklichung im konkreten Insolvenzfall erreicht werden soll.

Um der Problematik der Massearmut, die zu Zeiten der Konkursordnung noch zahl- reiche Verfahren im Keim erstickte7, entgegen zu wirken, sieht die InsO neben der frühen Antragsmöglichkeit nach § 18 und der Einbeziehung des Neuerwerbs, auch ein durchsetzungsstarkes Anfechtungsrecht vor, §§ 129 ff. InsO.8 Insbesondere diese Regelungen unterstützen das zentrale Ziel, die Insolvenzgläubiger möglichst umfas- send zu befriedigen. Daneben trägt das Restschuldbefreiungsverfahren gem. §§ 286 ff. InsO dem von § 1 S. 1 InsO geforderten Schutz des redlichen Schuldners als weiteres Verfahrensziel Rechnung. Flankierend regelt das Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO eine vereinfachte Verfahrensabwicklung für natürliche Personen und dient, einem zusätzlichen sozialen Anliegen der InsO folgend, im Grunde der Vorbe- reitung des Restschuldbefreiungsverfahrens masseloser Verbraucherinsolvenzen.9

III Verhältnis von Insolvenz- und Steuerrecht

Die Regelungsbereiche von Insolvenz- und Steuerrecht sind unterschiedlich und ihr Verhältnis ist nicht abschließend positiv-rechtlich definiert.1 Die Steuergesetze erwäh- nen das Insolvenzverfahren nur in wenigen Vorschriften, wobei § 251 Abs. 2, 3 AO besonders zentral erscheint.2 Nach dieser Norm bleiben die Vorschriften der Insolvenz- ordnung bei der Vollstreckung finanzbehördlicher Verwaltungsakte unberührt, § 251 Abs. 2 S. 1 AO. Aus diesem Grundsatz ist jedoch keine tatsächliche, generelle Rangfol- ge von Insolvenz- und Steuerrecht abzuleiten.3 Auch die Insolvenzordnung gibt in § 155 Abs. 1 einen Hinweis auf das Steuerrecht, da danach die Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten des Schuldners sowohl nach Handels- als auch nach Steuerrecht durch das Insolvenzverfahren unberührt fortbestehen. Doch auch dies erlaubt keinen Rückschluss auf ein bestimmtes Verhältnis der steuerlichen und insol- venzrechtlichen Normen. Es lassen sich aus § 155 Abs. 1 InsO ebenso wenig konkrete Verantwortlichkeiten für die Erfüllung der steuerlichen Pf lichten entnehmen.4

Nach einer Entscheidung des RFH5 aus dem Jahr 1926 wurde zunächst der Grundsatz „Konkursrecht geht vor Steuerrecht“ aufgestellt.6 Auch der BFH hat in der Folge, u. a. mit Urteil vom 18.12.2002, einen Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Abgabenrecht festgestellt.7 Diese Ansicht konnte sich jedoch nicht in der Form durchsetzen, dass ein generell-abstrakter Vorrang vor dem Steuerrecht insgesamt angenommen wurde. Teilweise wurde der Grundsatz sogar ins Gegenteil verkehrt.8 Zutreffend sollte dem- nach keine abstrakte Abgrenzung von Insolvenz- und Steuerrecht vorgenommen, sondern vielmehr nach dem jeweiligen Regelungsbereich unterschieden werden.9 Insoweit ist nach dem Steuerrecht zu beurteilen, aus welchem Grund und in welcher Höhe ein Steueranspruch besteht und nach dem Insolvenzrecht richtet sich das Verfah- ren, wie dieser Anspruch durchgesetzt werden kann.10 So bleibt das Steuerrecht, mit Ausnahme der Frage der Geltendmachung der Steuerforderung, auch im Insolvenzver- fahren im Grundsatz eigenständig. Darüber hinaus ist jedoch im Einzelfall zu ent- scheiden, ob die konkreten steuerrechtlichen Folgen dem Sinn und Zweck des Insol venzrechts zu wider laufen.1 Denn nicht zuletzt mit der Abschaffung der fiskalischen Sonderrechte des § 61 Abs. 1 Nr. 2 der früheren Konkursordnung hat der Gesetzgeber dokumentiert, dass die Teilnahme der Steuerforderungen des Fiskus am Insolvenzver- fahren keiner eigenständigen, der in § 1 InsO definierten Zielrichtung des Insolvenz- verfahrens widerstreitenden Befriedigung zugänglich sein soll. Es gibt also unter Geltung der Insolvenzordnung de lege lata kein Fiskusprivileg. Gleichwohl ist der Gesetzgeber vor allem aus fiskalischen Gründen immer wieder bestrebt, ein solches - offen oder verdeckt - wieder einzuführen. Dies ist an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen. Es sei jedoch beispielhaft auf die lebhafte Diskussion zum Haushaltsbegleit- gesetz 2011 verwiesen.2

Ein weiteres Argument für die Gleichbehandlung öffentlich-rechtlicher und privater Forderungen im Rahmen der Insolvenz enthält § 38 InsO, da dieser gerade keine Abgrenzung der Insolvenzgläubiger nach dem Rechtsgrund ihrer Forderung vorsieht.3 Daher sind Steuerforderungen, die Insolvenzforderungen sind, gem. § 175 Abs. 1 S. 1 InsO vom Steuergläubiger beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden.4

Festzuhalten bleibt, dass das Insolvenzrecht somit nicht das materielle Steuerrecht ersetzt, aber ungeachtet der öffentlich-rechtlichen Natur des Steueranspruchs insoweit darauf einwirkt, wie es zur Erreichung des Insolvenzzweckes geboten ist.5

[...]


1 Vgl. zur Umsatzsteuer BFH XI R 2/08, DStRE 15, 2010, S. 938-940; zur Umsatz- und Einkommensteuer FG Nürnberg, 4 K 1394/2007, besprochen von Arens in: DStR 2010, 446-450.

2 Vgl. BFH VII R 143/92, BStBl. 1995 II, S. 194; BGH IX ZB 161/03, NZI 2004, S. 577; AG Duisburg, 62 IN 241/02, NZI 2003, S. 384; Maus, Die Rechnungslegung des Insolvenzverwalters nach Handels- und Steuerrecht, § 155 InsO, Berlin 2010, S. 46-47.

3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 38-42; Waza/Uhländer/Schmittmann(- Uhländer), Insolvenzen und Steuern, 8. Auflage, Herne 2010, S. 126 (I B 3 c Rn. 495-520).

4 Vgl. BFH VII B 156/08, ZIP 2009, S. 2255; FG Münster, 3 K 3206/06 L, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/muenster/j2010/3_K_3206_06_Lurteil20100701.html.

5 Vgl. BFH IV 144/51 U, BStBl. 1951 III, S. 212; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 40; Buth/Hermanns(-König), Restrukturierung Sanierung Insolvenz, 3. Auflage, München 2009, S. 732 (§ 33, Rn. 28).

1 In Anlehnung an das Insolvenzverfahren der Hydroteufel GmbH, Mannheim 2007. Quelle: Telefongespräch mit dem Insolvenzverwalter am 17. August 2010.

2 Vgl. BFH IV 144/51 U, BStBl. 1951 III, S. 212.

3 So BFH VII R 143/92, ZIP 1994, S. 1969-1972.

1 Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Pressemitteilung Nr. 085 vom 09.03.2010, http://www.destatis.de.

2 Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Ergebnis - 52411-0001, https://www-genesis.destatis.de.

3 Leutheusser-Schnarrenberger, 17. März 2010, Berlin, http://www. bmj.bund.de.

1 Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Uhlenbruck), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 28 (Kapitel 7, Rn. 11).

2 Vgl. Buth/Hermanns(-Seagon), Restrukturierung Sanierung Insolvenz, 3. Auflage, München 2009, S. 575 (§ 27, Rn. 6).

3 Kilger, KTS 1975, 142, 166.

4 Vgl. Braun(-Kießner), InsO Kommentar, 4. Auflage, München 2010, Einf. Rn. 11-12.

5 Vgl. Braun(-Kießner), InsO, Einf. Rn. 12. Einige Vorschriften traten bereits früher in Kraft: §§ 2 Abs. 2, 7 Abs. 3, 21 Abs. 2 Nr. 1, 65, 73 Abs. 2, 274 Abs. 1, 293 Abs. 2, 305 Abs. 1 Nr. 1 und 313 gem. Art. 110 Abs. 2 EGInsO, am 19.11.1994; §§ 113, 120, 121, 122, 125, 126, 127, 128 gem. Art. 6 Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz (BGBl. 1996 I, S. 1476), am 01.10.1996.

6 BGBl. 1994 I, S. 2866 (InsO) und BGBl. 1994 I, S. 2911 (EGInsO).

7 BGBl. 2007 I, S. 368.

8 BGBl. 2007 I, S. 509.

9 BGBl. 2008 I, S. 1982.

10 BGBl. 2008 I, 2026.

11 Vgl. RegE Restrukturierungsgesetz, 25.08.2010, http://www.bundesfinanzministerium.de.

12 Vgl. Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage, Köln 2010, Vorwort, S. VI.

13 Vgl. ZIP 2010 Beil. 1, 28, S. 2; Braun(-Kießner), InsO, Einf. Rn. 72.

1 BGBl. 1994 I, S. 2866, zuletzt geändert durch BGBl. 2009 I, S. 2355.

2 Vgl. Braun(-Kießner), InsO, Übersicht, Rn. 1.

3 Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Pape), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 109 f. (Kapitel 12, Rn. 5-7).

4 Kirchhof/Lwowski/Stürner(-Stürner), Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage, München 2008, Band 1, Einleitung, Rn. 62 ff.

5 Vgl. Graf-Schlicker(-Kexel), InsO, § 1, Rn. 3.

6 Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Pape), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 111-114 (Kapitel 12, Rn. 10-13).

7 Vgl. S. 10 (B II a).

8 Vgl. Braun(-Kießner), InsO, Einf, Rn. 18-22.

9 Vgl. Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 3. Auflage, Münster 2009, § 1, Rn. 3.

1 Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Voigt-Salus), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 657 (Kapitel 44, Rn. 1); Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 17; Waza/Uhländer/Schmittmann(-Uhländer), Insolvenzen und Steuern, 8. Auflage, Herne 2010, S. 125 (I B 1 Rn. 462).

2 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 17.

3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 17.

4 Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann(-Uhländer), Insolvenzen und Steuern, 8. Auflage, Herne 2010, S. 126 (I B 1 Rn. 462).

5 RFH GrS 1/26 S, RStBl. 1926, S. 337.

6 So auch Bühler/Strickrodt, Steuerrecht Grundriss in zwei Bänden, Band 1, Allgemeines Steuerrecht, 3. Auflage, Wiesbaden 1960, S. 586 (§ 48 I).

7 Vgl. BFH I R 33/01, DStR 2003, S. 829.

8 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 18.

9 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 18.

10 Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann(-Uhländer), Insolvenzen und Steuern, 8. Auflage, Herne 2010, S. 126 (I B 1 Rn. 466); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Voigt-Salus), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 657 (Kapitel 44, Rn. 1).

1 Vgl. Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus(-Voigt-Salus), Insolvenzrecht, 2. Auflage, München 2010, S. 657 (Kapitel 44, Rn. 1).

2 Vgl. Pressemitteilung VID/Beck, 02.10.2010, Bundesregierung plant Fiskusprivileg durch die Hintertür, ZIP Online Aktuell, http://zip-online.de/7a1e01c1f482effc90f8e7d0e2581affaktuell; Pressemitteilung VID/Beck, 28.10.2010, Insolvenzver- walter atmen gleich 2-fach auf, http://www.vid.de/vid/inhalt/dokumente/pressemeldungen/P040.php; Stellungnahme BStBK, DStR-KR 2010, S. 42.

3 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 18.

4 Vgl. Klein/Orlopp(-Brockmeyer), Abgabenordnung, 9. Auflage, München 2006, § 251, Rn. 26.

5 Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2010, S. 20.

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Detalles

Título
Die steuerlichen Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters am Beispiel der Umsatzsteuer
Universidad
University of Applied Sciences Hof
Autor
Año
2010
Páginas
93
No. de catálogo
V169965
ISBN (Ebook)
9783640885749
ISBN (Libro)
9783640885657
Tamaño de fichero
3202 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Steuererklärung, Insolvenzverwalter, Vermögensverwalter, § 34 AO, Steuererklärungspflicht, Insolvenzrecht, Steuerrecht, Insolvenzsteuerrecht
Citar trabajo
Lars Heyne (Autor), 2010, Die steuerlichen Ordnungspflichten des Insolvenzverwalters am Beispiel der Umsatzsteuer, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169965

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