Die Systemtherapie


Trabajo, 2003

48 Páginas, Calificación: eins


Extracto


Gliederung

1.) Einleitung

2.) Begriffsklärung

3.) Historischer Hintergrund: Entwicklung und Wandel in der Systemtherapie

4.) Prinzipien und Grundannahmen der systemischen Sichtweise und das daraus für die Therapie folgende Menschenbild

5.) Die klinische Theorie nach Ludewig
5.1.) Einleitung
5.2.) Das Mitgliedskonzept
5.3.) Das Modell der vier Phasen der Kommunikation innerhalb der Therapie
a) Das Problemsystem
b) Das Klinische System
c) Das Hilfesystem
d) Das Therapiesystem

6.) Die Methoden in der systemtherapeutischen Praxis
6.1.) Konstruktives Fragen
6.2.) Refraiming/Umdeuten
6.3.) Rollenspiele
6.4.) Visualisierung von Systemen
6.5.) Externalisierung
6.6.) Reflexion

7.) Fallbeispiel: Anorexia nervosa
7.1.) Beschreibung der vorgefundenen Situation
7.2.) Kriterien der Anorexia nervosa
7.3.) Traditionelle Therapieformen
7.3.1.) Der psychoanalytische Ansatz
7.3.2.) Die Verhaltenstherapie
7.3.3) Die Gestalttherapie
7.4.) Systemische Vorgehensweisen
7.5.) Vergleich der verschiedenen Ansätze
7.5.1.) Abgrenzung vom psychoanalytischen Ansatz
7.5.2.) Abgrenzung von der Verhaltenstherapie
7.5.3.) Abgrenzung von der Gestalttherapie

8.) Anwendungsfelder der systemischen Therapie

9.) Fazit

1.) Einleitung:

Die Idee für diese Hausarbeit kam uns in dem Seminar „Ausgewählte Lern- und Verhaltensstörungen –aus systemischer Sicht“, welches von Herrn Petersen angeboten wurde. Wir waren von der systemischen Sichtweise sehr beeindruckt vor allem davon, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit hat und dass das sogenannte Problemverhalten als besondere Fähigkeit verstanden werden kann.

Nachdem wir die Literatur gesichtet hatten, sind wir immer wieder auf den Namen Ludewig gestoßen und wurden vielfach darauf verwiesen. Und so wurde das Buch „Systemische Therapie“ von Ludewig zum Grundlagenwerk unserer Hausarbeit.

Nach der Literatursichtung entschieden wir uns dafür, unsere Hausarbeit folgendermaßen zu gliedern:

Im zweiten Punkt werden die für die systemische Denk- und Therapieweise wichtigsten Begriffe geklärt. Hierzu gehören die Worte „systemisch“, „Systemtheorie“ und „Therapie“. Der Begriff „System“ in seinem Wandel wird im darauf folgenden Punkt beschrieben, da er sich im historischen Hintergrund mehrfach mit der veränderten Sichtweisen verändert. Der vierte Punkt befasst sich mit den Grundannahmen der systemischen Sichtweise und dem daraus folgenden Menschenbild für die Therapie. Der nächste Punkt hat die klinische Theorie von Ludewig zum Thema und baut sich wie folgt auf: Nach einer kurzen Einleitung wird das Mitgliedskonzept erläutert und dann die vier Phasen der Kommunikation in der Therapie systematisch erfasst.

Im sechsten Punkt werden die Methoden dargestellt, deren sich die systemische Therapie bedient. Hier wird nur eine kleine Auswahl bearbeitet und beschrieben, da das Angebot doch sehr vielfältig ist. Wir haben uns für die sechs, unserer Meinung nach, interessantesten und wichtigsten entschieden. Nach diesem theoretischen Block haben wir versucht durch ein Fallbeispiel der Hausarbeit einen praktischen Fokus zu geben. Wir wollten damit die Theorie in die therapeutische Praxis umsetzen, um sie an dem Beispiel der Anorexia nervosa zu verdeutlichen. Die Vorgehensweise sieht wie folgt aus. Als erstes wird der Fall „Marita“ dargestellt und Hintergrundinformationen werden gegeben. Dann werden die traditionellen Lösungen des Problems vorgestellt, wie zum Beispiel die psychoanalytische Herangehensweise und dann gehen wir die mögliche systemische Vorgehensweise ein. Danach werden diese unterschiedlichen Lösungen in Punkt sieben verglichen und gegeneinander abgewogen. Der achte Punkt gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Bereiche, in denen die systemische Therapie Anwendung findet. Der letzte Punkt stellt die persönliche Stellungnahme und das Resümee dar, in dem wir auftretende Problem in der Bearbeitung und unsere Meinung darstellen werden.

Zu erwähnen sei noch, dass wir konsequent die männliche Form in dieser Hausarbeit verwendet haben, um ein leichteres und überschaubares Lesen zu gewährleisten. Natürlich finden bei unseren Überlegungen beide Geschlechter ihre Berücksichtigung.

2.) Begriffsklärung

Dieser Punkt widmet sich der Begriffsklärung. Um die Systemische Therapie verstehen zu können, müssen die Begriffe „systemisch“, „Systemtheorie“ und „Therapie“ geklärt werden. Da es eine Vielfalt von Systemdefinitionen gibt, die aus verschiedenen Theorien heraus entstanden sind, soll dieser Begriff ausführlich in seinem Wandel in Punkt drei, der sich dem Historischen Hintergrund widmet, dargestellt werden. Dementsprechend baut sich dieser Punkt wie folgt auf:

Als erstes erläutern wir den Begriff „systemisch“, danach wird die „Systemtheorie“ kurz definiert und dann die „Therapie“. Danach können wir uns schon ein genaueres Bild von der Systemischen Therapie machen.

Die erste Definition widmet sich dem Begriff „systemisch“. Sie lautet:

„Unter systemisch wird hier eine allgemeine Sichtweise der Welt verstanden, die Systeme zur Einheit ihres Denkens macht. Diese Sicht impliziert eine Theorie des Seins, des Erkennens und des Werdens, die als Orientierung für die Praxis des Lebens dient.“[1] Dies bedeutet nichts anderes, als dass ein Beobachter sich dem Konstrukt „System“ bedient, um die Welt zu strukturieren und somit begreifbar zu machen.

Der erste Begriff ist geklärt und nun geht es weiter zur „Systemtheorie“, die der systemischen Therapie zugrunde liegt. Die Systemtheorie ist ein grundlegendes Erkenntnismodell und wird zunehmend auf alle Bereiche der Erkenntniswirklichkeit angewandt. Die Systemtheorie beschäftigt sich mit der Erforschung der Elemente eines Systems, wie sie miteinander, mit der Außenwelt und mit gekoppelten Systemen wirken und in Beziehung treten. „Wesentl. Aspekte der allg. S. sind die Klassifikationen von Systemen und die mathemat. Erfassung von Beziehungen und Gesetzen, in enger kybernet. Betrachtung der Einfluß von Systemänderungen auf das Verhältnis von Eingangs- und Ausgangsgrößen. Wesentl. Einfluß auf die S. übte N. Luhmann aus.“[2]

Der Begriff der „Therapie“ wird wie folgt definiert:

„Therapie (grch.), die Lehre von der Behandlung der Krankheiten oder die Behandlung selbst.(...)“[3]

Wir unterstreichen eher die letzte Aussage, da in der systemischen Therapie jedes Verhalten für den Agierenden einen Sinn macht und so nicht als „krank“ bezeichnet werden sollte. Therapie ist hier als Angebot zur Selbsthilfe zu verstehen. Probleme und Symptome werden nicht als Pathologie eines Individuums, sondern als Problem im Kontext des sozialen oder familiären Bezugsystems verstanden. So beschreibt die Systemische Therapie Gesundheit als well-being, wie die Definition der WHO, die Gesundheit nicht nur als Fehlen von Krankheit auffaßt.

Ludewig definiert die systemische Therapie für sich wie folgt:

„Unter <systemischer Therapie> verstehe ich, die Praxis an Systemtheorie und konstruktivistischer Erkenntnistheorie zu orientieren. Wesentlich ist, daß dieser geistige Hintergrund es erlaubt, Therapie als Hilfe für autonome Menschen zu begreifen, um mit minimaler Einmischung optimale Veränderung zu ermöglichen.“[4]

Wichtig ist noch hinzuzufügen, dass die Therapie nach Ludewig durch den Therapeuten definiert wird. Die Kommunikation spielt dabei eine wesentliche Rolle, sie ist aus systemischer Sicht Anlass, Mittel und Ziel der Therapie. Die systemische Therapie sollte sich an drei Postulaten orientieren: Erstens an dem Nutzen als Ziel der Therapie, zweitens an den Respekt als Grundhaltung und drittens an der Schönheit als Gestaltungsprinzip für die angewandten Methoden.

3.) Historischer Hintergrund: Entwicklung und Wandel in der Systemtherapie

Es ist sehr schwer dem Beginn der systemischen Therapie einen genauen Zeitpunkt, sozusagen einen Geburtstag zuzuordnen, denn die Theorie über die Systeme existiert schon lange, wenn auch nicht in verschriftlichter Form. Schon in der griechischen Antike wußten die Menschen um die verschiedenen Möglichkeiten einen Kranken mit sich und seiner Umwelt wieder in Einklang zu bringen. Nämlich durch das Messer, sinnbildlich für die Chirurgie; die Pflanzen als Medikation für den Leidenden und durch das Wort, das die Seele des Menschen heilen sollte. So wurde der Mensch als ganzes System gesehen, welches mit seiner Umwelt in Interaktion steht, aber auch als ein Wesen, das sich wiederum aus den verschiedenen Bereichen wie Körper und Seele zusammensetzt. Diese Anschauung des Menschen zeigt, dass schon früh die Ganzheitlichkeit bei der Behandlung von Menschen berücksichtigt wurde.

Dieser kleine Exkurs soll nur verdeutlichen, das systemisches Denken schon vor langer Zeit einsetzte, wenn auch erst in jüngster Zeit zu einer wissenschaftlichen Theorie heranreifte, die eine Alternative zur klassischen Psychotherapie in der therapeutischen Praxis darstellt.

Bevor wir näher auf den Einzug der systemischen Therapie in die psychologische und therapeutische Praxis eingehen, muss an dieser Stelle das gedankliche Grundgerüst systemischer Sichtweise dargestellt werden. Die geistigen Vordenker Luhmann und Maturana sind keineswegs von ihrer Profession her in der Psychologie anzusiedeln, sie sind vielmehr spezialisiert auf Fragen aus Soziologie und Biologie.

Nach Maturana, der das Konzept der Autopoiese für biologische Systeme entwickelte, haben Systeme einzig den Zweck sich selbst, also ihre eigene Struktur, aufrechtzuerhalten. Daraus folgt, dass es sich nur innerhalb gewisser Grenzen verändern kann. Das System kann zwar von seiner Umwelt Informationen gewinnen, aber nicht direkt beeinflusst werden. Das System kann von Außen jedoch in verschiedener Weise, zum Beispiel durch Verstörung, angeregt werden, sich neu zu organisieren, so dass ein neuer Zustand im System entsteht. Dieses Konzept der Autopoiese betont den autonomen Charakter eines Systems, dass nur in Interaktion mit einem anderen System tritt, um gegenseitige Defizite aufzuheben.

Laut Luhmann, der auch das Prinzip der Autopoiese vertritt, ist die Kommunikation entscheidend für die Beschreibung sozialer Systeme. Sie ist die treibende Kraft innerhalb eines Systems, welche die Struktur und Sinnhaftigkeit des Systems aufrecht erhält und sich ordnungsstiftend auswirkt. Des weiteren entwickelte Luhmann bezüglich dieser Theorie den Begriff der Emergenz. Als Emergenz beschreibt er folgenden Sachverhalt: Normalerweise ist das Ganze nur eine Summe seiner einzelnen Teile. Jedoch gilt dieser Ansatz nach Luhmann für soziale Systeme nicht, da das soziale System eine Eigenschaft besitzt, die über die einzelnen Teile hinausgeht.

Um den historischen Hintergrund der systemischen Therapie zu umreißen, müssen wir desweiteren auf die Entwicklung innerhalb der Familientherapie eingehen, da diese den Grundstein für die systemische Therapie legte.

Die Familientherapie entstand in den 50 er Jahren in den USA und setzte kurze Zeit später auch in Europa ein, wobei sich in Deutschland vor allen Dingen Helmut Stierlin ( Heidelberger Modell) mit der Thematik der Familientherapie auseinandersetzte und in Italien Mara Selvini Palazolli (Mailänder Modell) zu diesem Thema forschte. Anfangs wurde in der Familientherapie hauptsächlich nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip vorgegangen, wobei eine Verschiebung vom „kranken“ Patienten hin zur „krankmachenden“ Familie vorgenommen wurde. Doch da diese klassische Vorgehensweise oft nicht ausreichte, um die differenzierten Verhaltensmuster, die innerhalb von Familien abliefen, zu erfassen, entwickelten sich verschiedene Ansätze für die therapeutische Arbeit mit Familien.

Wir werden nun versuchen die verschiedenen Ansätze in chronologischer Abfolge kurz darzustellen. Der stete Wandel des Systembegriffs und damit auch des Verständnisses des systemischen Ansatzes ist dabei kennzeichnend für die historische Entwicklung der Systemtherapie.

Zu Beginn der 50er Jahre legte man in der Familientherapie den Systembegriff aus der Kybernetik zu Grunde, der besagte, dass es sich hierbei um fest strukturierte und gleichzeitig offene funktionale Netzwerke von Interaktionen handelt.

Weiterentwickelt wurde dieser Begriff durch die Einbeziehung des sozialen Aspekts, der das System um eine selbstregulative Komponente erweitert mit der Zielsetzung ein inneres homöostatisches Gleichgewicht innerhalb dieser Strukturen zu erreichen. Dieses Systemverständnis fand innerhalb der Familientherapie in der sogenannten „Kybernetik erster Ordnung“ seine Verwirklichung. Der Therapeut nahm an, dass in jeder Familie ein Gleichgewicht herrscht, das durch verschiedene interne Faktoren, wie zum Beispiel dem zu starren Festhalten an Regeln oder dem Vermeiden von Konflikten, erschüttert werden kann. Es ist nun an dem Therapeuten, die in der Familie herrschenden Muster und Regeln zu beobachten und gegebenenfalls zu intervenieren, um so die Familie zu veranlassen ein anderes Verhalten zu äußern und sich somit neu zu organisieren.

Später entstand aufgrund dieses Systemverständnisses ein wissenschaftlicher Diskurs, der sich mit der Frage beschäftigte, wie der Therapeut in das Familiengeschehen eingreifen kann, ohne sich selbst als Teil des Systems zu verstehen. Diese Phase der Debatte um die Rolle des Therapeuten wird als „Kybernetik zweiter Ordnung“ verstanden. Diese setzte sich stark mit den Aspekten des sozialen Konstruktivismus auseinander, der davon ausgeht, dass die Realität eine soziale Konstruktion sozialer Akteure ist und somit auch das Setting der „Therapie“ mit dem Therapeut und der Familie ein neues soziales System darstellt, in welcher der Therapeut ebenso eine Rolle einnimmt wie die einzelnen Familienmitglieder. Die Beziehungen zwischen den Teilnehmern innerhalb eines Systems ist eine beständige Größe, die durch jede Veränderung eine Anpassung aller auslöst, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten.

Durch diese Definition des Systembegriffs wurde zwar erreicht den therapeutischen Fokus von der Psyche und der Person hin zur Betrachtung der Ereignisse innerhalb einer Familie zu lenken, doch eine pathologische Störung innerhalb des Systems wurde dennoch auf die jeweilige Familienstruktur zurückgeführt.

Anfang der 80er Jahre vollzog sich ein Wandel innerhalb der Familientherapie. Denn Dell proklamierte, dass die Familie an sich nicht „gestört“ sein kann, da sie ein natürliches und ebenso formvollendetes System ist wie ein Lebewesen. Seine Erkenntnisse berufen sich auf die Annahmen von Maturana und daher musste nun der Systembegriff erneut festgelegt werden. Die Struktur des Systems ist begrenzt und in sich geschlossen. Es hat zudem einen autonomen Charakter, wodurch die Möglichkeit besteht die Wirkung der Interventionen, die in dieses instabile System eindringen können, eigenständig zu bestimmen. Diese Auffassung der Familienstruktur hatte zur Folge, dass der Begriff der Pathologie verabschiedet wurde und die Autonomie des Menschen und des sozialen Systems in der therapeutischen Praxis von nun an im Vordergrund stand.

Diese Wende war ausschlaggebend für die theoretische Grundlage einer Therapie und führte dazu, dass sich die systemische Therapie als eigenständige therapeutische Maßnahme von der Familientherapie zu lösen begann. Das Konzept der Kooperation (de Shazer) zwischen Therapeut und Klient und die Integration des Therapeuten konnten nun auch nicht nur ausschließlich im Familienkontext, sondern auch in anderen sozialen Konstellationen ihre Verwirklichung finden.

Eine weitere Veränderung in der Mitte der 80 er Jahre zog einen Wandel der systemischen Sichtweise nach sich, der auch in heutigen Ansätzen die Grundlage der Therapie bildet, wobei die Definition des Systems keiner einheitlichen Form unterliegt. Diese reformierte Interpretation hatte zum Ziel eine Verdinglichung des sozialen Systems aufzuheben und die sprachliche Komponente mit ihrem sinnstiftenden Charakter, der auch dazu in der Lage ist Probleme zu artikulieren, in der Therapie zu berücksichtigen und zu integrieren.

Auf dieser Grundlage hat Kurt Ludewig 1992 das Konzept für eine klinische Theorie begründet, die jedoch ausführlich in Punkt 5.) dieser Hausarbeit behandelt wird.

Als zentraler Punkt des historischen Hintergrundes, kann die veränderte Beziehung zwischen Klient und Therapeut gesehen werden. Anhand dieser Entwicklung und damit auch der veränderten Sichtweise des Therapeuten für das Verhalten seines Klienten, wird deutlich, dass die Methode aus dem systemischen Blickwinkel heraus ein problematisches Verhalten oder eine problematische Beziehung zu verstehen, zu erklären und zu deuten immer mehr Einzug erhielt in die herkömmlichen Therapieformen.

Die hier erörterten Entwicklungsstränge sollen einen Überblick über den Wandel von der Familientherapie hin zu einer eigenständigen systemischen Theorie und Praxis geben, die eine Alternative und Ergänzung traditioneller Behandlungsmethoden darstellen kann.

4.) Prinzipien und Grundannahmen der systemischen Sichtweise und das daraus für die Therapie folgende Menschenbild:

Bei der systemischen Therapie handelt es sich um eine therapeutische Ausrichtung, die konsequent moderne Systemtheorien zur Grundlage einer eigenständigen Klinischen Theorie wählt. Daraus folgt das besondere Verständnis vom Menschen und seinen sozialen Beziehungen.

So baut sich dieser Punkt wie folgt auf: Als Erstes werden die vier wichtigsten Prinzipien der Systemtherapie und die Grundannahmen erläutert und dann das daraus folgende Menschenbild dargestellt. Nun zu den Prinzipien:

Das erste Prinzip, welches sich mit der „Beobachtung des Beobachters“ beschäftigt, bildet den Kern des systemischen Denkens. Diese erkenntnistheoretische Position fußt auf der Feststellung, dass alles Gesagte von einem Beobachter gesagt wird (Maturana). Daraus folgt die Gleichwertigkeit verschiedener Weltsichten, die den Einzelnen stärkt, indem die subjektive Lebenserfahrung eine Aufwertung erlebt. Diese Subjektivität wird aber als eingebunden in die soziale Aktivität der Kommunikation verstanden. Zu berücksichtigen sei, dass sich der Beobachter im dauerhaften Spannungsfeld zwischen privater Lebenserfahrung und konsensueller Abstimmung mit anderen befindet.

Das zweite Prinzip stellt die „Anerkennung der Autonomie“ dar. Da sich die Systemtherapie auf die Grundlagen der Systemtheorie stützt, faßt auch diese Systeme als autonome Einheiten auf. Die Elemente eines Systems sind alle Komponenten, die Funktionsweisen des Systems mitbestimmen. So ergibt sich eine Systemgrenze innerhalb derer sich jedes Verhalten aus der Systemstruktur erklärt.

Lebende und bewusstseinsfähige Systeme sind materiell, energetisch (bezüglich der Nahrungsaufnahme) und informativ (bezüglich der Kommunikation) offen. Einflüsse auf das System werden nach systemeigenen Regeln verarbeitet und gedeutet. Daraus folgt, dass bewusstseinsfähige Systeme autonome „Erfinder“ ihrer Umwelt sind und als solche von Außen nicht gesteuert werden können. Für die therapeutische Arbeit bedeutet dieser Aspekt, dass der Therapeut die Berechtigung von Lebensläufen respektiert, Sinnfindung und kognitive Strukturen anregt und Stärken des Klienten nutzt. So wird bei dieser Arbeit vom Anliegen des Klienten ausgegangen, der zur Formulierung klarer Aufträge beiträgt und so werden die Interventionen auf den vom Auftrag beschränkten Bereich bezogen. Damit wird die Autonomie des Klienten respektiert und genüge getan.

Die „Kommunikation“ bildet das dritte Prinzip. Da der Mensch als biologisches, psychologisches und soziales System verstanden wird, kommt der Sprache eine besondere Rolle zu. Die biologische und psychologische Ebene ist in sich geschlossen und kennzeichnet den Menschen als Individuum. Auf der sozialen Ebene spielt die Kommunikation die Rolle Beziehungen aufzubauen, welches den Menschen in besonderen Maße als Menschen kennzeichnet.

Die Komponenten eines kommunikativen Systems bildet die Kommunikation (verbal und nonverbal), welche somit als geschlossenes System mit eigenen Spielregeln (Grammatik, Semantik,...) begriffen werden kann. Die Inhalte der Kommunikation können sich auf die biologischen und psychologischen Ebenen beziehen, sind jedoch nicht mit ihnen identisch. In Problemsystemen wird psychischen Problemen durch die Kommunikation ein Sinn zugeschrieben. Beschreibungen, Forderungen und Aufträge werden so formuliert und dann in der therapeutischen Kommunikation werden diese reflektiert, hinterfragt und durchlässig gemacht für andere Sichtweisen.

Das vierte Prinzip beschäftigt sich mit dem „geeigneten Umgang mit Komplexität“. Da systemische Therapie sich um ein ganzheitliches Bild vom Menschen bemüht und dieser so als komplexes System verstanden wird, werden Methoden verwendet, die mit dieser Komplexität umgehen können und sich nicht auf linear-kausale Störungs- und Behandlungsmodelle stützen müssen. So wird ein unvoreingenommener Zugang zu den Lebenswelten, wie sie der Klient wahrnimmt, geöffnet. Einfache Regelkreise, die nach den Erkenntnissen neuerer mathematischer Systemtheorie als zu eng bezeichnet werden, werden zu Gunsten allgemeiner Systemmodelle in der Systemtherapie aufgegeben.

Das waren die vier Prinzipien und nun geht es weiter mit den Grundannahmen, die alles noch einmal kurz und knapp zusammenfassen:

In der systemischen Denkweise wird immer nach dem Kontext gefragt, in dem das als problematisch beschriebene Verhalten, gezeigt wird. Denn dadurch, dass der Klient dieses Verhalten gewählt hat, muss es für ihn einen bestimmten Zweck erfüllen und so einen Sinn in seiner Wirklichkeit machen. Daraus ergibt sich der Kern der systemischen Betrachtungsweise, der Therapeut schaut nicht auf die Ursachen, sondern auf die Funktion von Verhalten.

Da Systeme miteinander und ineinander verschachtelt sind, beeinflusst das gezeigte Verhalten den Rest des Systems und andersherum. Das bedeutet, wenn sich ein Teil oder die Beziehung zwischen Teilen des Systems verändert, so wandelt sich dadurch das gesamte System. Und wenn sich ein System verändert, gilt als Schlußfolgerung, dass sich auch die Systeme, die mit diesem verschachteltet sind, ändern. Es kommt auf die Flexibilität von Systemen an, inwieweit sie in der Lage sind auf Veränderungen zu reagieren. Je dynamischer sie sind, desto eher werden sie in der Lage sein, das auftauchende Problem konstruktiv zu lösen. Je starrer sie sind, desto eher produzieren sie Problemverhalten bei den Mitgliedern.

Aus diesen Grundannahmen ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis von Menschen, also dem Menschenbild. Im Zentrum der menschlichen Existenz steht die Kommunikation, die gleichartige und autonome Menschen erfordert, denn der Mensch kann sein „Ich“ nur im Miteinander bilden und verwirklichen. Das „Wir“ ist somit Grundbedingung für das menschliche Milieu und dadurch unterscheiden wir uns von den Tieren. Durch die Sprache kann der Mensch seine Berechtigung auf dieser Welt zu leben und sich selbst und das Wir negieren. Daher muss das Miteinander durch Normen und Regeln gestaltet werden, um die destruktive Neigung einzudämmen. Menschen besitzen ein Bewusstsein, welches verpflichtend ist. Sie müssen/können zwischen Alternativen wählen. So wird der Ethik eine besondere Rolle zugeschrieben. Der Mensch muss sich bewusst werden, dass er die Macht zu wählen besitzt und daraus ergibt sich eine Verantwortung für das eigene Verhalten und das eigene Leben. So lebt jeder Mensch in seiner eigenen Wirklichkeit, die er selbst geschaffen hat. Daraus ergibt sich der hohe Stellenwert der Worte Akzeptanz und Respekt. Akzeptanz vor den verschiedenen Welten und Wirklichkeiten und Respekt vor dem ebenbürtigen Anderen im alltäglichen Zusammenleben. Denn ohne Akzeptanz ist menschliches Zusammenleben unmöglich.

Daraus lässt sich für die systemische Therapie folgern, dass der Therapeut den Klienten als ein autonomes, gleichberechtigtes Wesen akzeptiert und seiner Sichtweise Respekt entgegenbringt. Jedenfalls soweit, dass er das gezeigte Verhalten als für den Klienten in seiner Wirklichkeit passend akzeptiert. Es gibt kein Falsch und kein Richtig. Nur wenn Normen und Regeln des Zusammenlebens verletzt werden und so das „Wir“ eingeschränkt wird muss, eine Verhaltensänderung erfolgen.

[...]


[1] Ludewig,1987,S.180

[2] Art. „Systemtheorie“, dtv-Lexikon in 20 Bänden, Bd. 18, Mannheim 1997, S. 58

[3] Art. „Therapie“, dtv-Lexikon in 20 Bänden, Bd. 18, Mannheim 1997, S. 174

[4] Ludewig, 1992, S.11

Final del extracto de 48 páginas

Detalles

Título
Die Systemtherapie
Universidad
Christian-Albrechts-University of Kiel  (Philosophische Fakultät)
Curso
Systemische Sichtweisen
Calificación
eins
Autores
Año
2003
Páginas
48
No. de catálogo
V17000
ISBN (Ebook)
9783638216876
Tamaño de fichero
463 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Systemtherapie, Systemische, Sichtweisen
Citar trabajo
Nadine Hartkopf (Autor)Melanie Begenat (Autor), 2003, Die Systemtherapie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17000

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