Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Bologna-Prozess: HistorischerAbriss
3. Theoretische Grundlagen
a. Europäisierung
b. Politikkonvergenz
c. Politiknetzwerke
4. Der Bologna-Prozess als Fall von Politikkonvergenz
5. Der Bologna-Prozess als Politiknetzwerk
6. Fazit
1. Einleitung
Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurde die deutsche Hochschullandschaft einem tiefgreifenden Wandel unterzogen, der bis heute nicht abgeschlossen ist und dessen Konsequenzen noch immer Anlass zu medialer Berichterstattung geben. Häufig steht dabei die Umstellung der Studienabschlüsse von Diplom und Magister auf Bachelor und Master im Vordergrund. Diese Umstellung wird gelegentlich bereits als Bologna-Prozess bezeichnet, wobei zentrale weitere Dimensionen dieser Reform der deutschen Hochschulbildung vernachlässigt werden. Völlig ausgeklammert wird jedoch zumeist die Frage, worum es sich bei dem Begriff Bologna-Prozess eigentlich handelt. Es ist zwar weithin bekannt, dass es sich dabei um ein mit der Europäischen Union zusammenhängendes Vorhaben handelt, jedoch wird damit noch nicht die Frage beantwortet was dieser Prozess in politikwissenschaftlicher Hinsicht eigentlich sei.
Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab eben diese Fragestellung näher zu beleuchten. Es sollen eine politikwissenschaftliche Einordnung des Bologna-Prozesses vorgenommen und seine konzeptionellen Grundlagen offen gelegt werden. Hierzu ist bereits einleitend zu sagen, dass es sich bei den betreffenden Phänomenen teilweise um sehr junges wissenschaftliches Terrain handelt. Es gibt daher nicht zwangsläufig eine etablierte Fachmeinung, sondern unterschiedliche konkurrierende Ansichten. Die Arbeit erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient der übersichtlichen Vorstellung ausgewählter Erklärungsansätze. Weiterhin bleibt anzumerken, dass man den BolognaProzess natürlich auch weniger anhand seiner politikwissenschaftlichen Rahmenbedingungen analysieren kann, sondern ebenso die innere Struktur der durch ihn angestrebten und ausgelösten Veränderungen in den Vordergrund stellen kann. In diesem Fall wäre die Frage, was der Bologna-Prozess genau sei, wohl damit zu beantworten, dass es sich um einen spezifischen Sozialen Wandel, d. h. einen makro-soziologischen Transformationsprozess handelt.
Die vorliegende Arbeit soll sich jedoch mit den Strukturen, nicht mit den Inhalten des Bologna-Prozesses aus einer politikwissenschaftlichen und teilweise politisch-soziologischen Sicht beschäftigen. Zunächst möchte ich einen kurzen historischen Abriss der bisherigen Ereignisse im Rahmen des Bologna-Prozesses liefern, da dieses Hintergrundwissen essentiell ist für die Beantwortung der zentralen Fragen: Was genau hat stattgefunden und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Als ebenso unabdingbar erscheint es mir, näher zu untersuchen, innerhalb welcher institutioneller Räume und Grenzen sich diese Ereignisse abgespielt haben, daher wird sich das erste Kapitel des darauffolgenden Theorieteils mit der Klärung eines Phänomens befassen, ohne dass der Bologna-Prozess weder stattgefunden hätte noch theoretisch einzuordnen wäre, der „Europäisierung". Nachfolgend werde ich die zwei verbreitetesten Erklärungsansätze theoretisch einführen: die Phänomene der Politikkonvergenz und der politischen Netzwerke. Im Hauptteil dieser Arbeit möchte ich diese zwei verschiedenen Ansätze zur Frage „Was ist der Bologna-Prozess?" auf die praktischen Gegebenheiten des Bologna-Prozesses anwenden: 1) Bologna als eine Form von Politikkonvergenz. Dieser Terminus findet zwar nicht nur, aber insbesondere auf der europäischen Ebene seine Anwendung und beschreibt die Annäherung politischer Regulierungsmuster über nationale Grenzen hinweg. 2) Bologna als Beispiel horizontaler Kooperation gleichberechtigter Akteure, d. h. Bologna als Politiknetzwerk. Schließlich sollen die wichtigsten Zusammenhänge zwischen den vorgestellten Erklärungsansätzen dargestellt, offen gebliebene Fragen festgehalten und mögliche Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst werden.
2. Der Bologna-Prozess: HistorischerAbriss
Unter der Schirmherrschaft von Europarat und UNESCO wurde am 11. April 1997 das „Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region" (kurz: Lissabon-Konvention) verabschiedet. Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag legte fest, dass alle Studienabschlüsse (und Teilleistungen) der ratifizierenden Staaten prinzipiell untereinander anzuerkennen sind. Damit war der Grundstein zur Vereinheitlichung der europäischen Hochschullandschaft gelegt.
Ein Jahr später verabschiedeten die damals vier größten Mitgliedsstaaten der EU in Paris die „Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung" (kurz: Sorbonne-Erklärung), die für ein Kreditpunktesystem, unbürokratische Anerkennungsverfahren und die Förderung studentischer Mobilität eintritt. Konkretisiert und erweitert wurde die Sorbonne-Erklärung schließlich mit der Verabschiedung der „Gemeinsamen Erklärung der Europäischen Bildungsminister" (kurz: Bologna-Erklärung) am 19. Juni 1999 in Bologna. Sie bildet den Auftakt des eigentlichen Bologna-Prozesses und enthält als zentrale Forderung die Schaffung eines „Europäischen Hochschulraums" (englisch: European Higher Education Area). Dies soll ermöglicht werden durch die „Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse [...] mit dem Ziel, die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern"[1]. Zu den hierauf ausgerichteten Unterzielen gehören:
- die Einführung eines zwei- bzw. dreistufigen Systems von Studienabschlüssen (Bachelor, Master, Promotion)
- die Einführung eines Kreditpunktsystems namens European Credit Transfer System (kurz: ECTS)
- die Förderung der Mobilität von Studierenden und Hochschulpersonal
- die Förderung der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung
- die Förderung der europäischen Dimension im Hochschulbereich, d. h. die „Erhöhung der Zahl der Module, Studiengänge und Lehrpläne, deren Inhalt, Ausrichtung und Organisation eine europäische Dimension aufweist"[2]
Einen entscheidenden Bedeutungszuwachs erlangte die Bologna-Erklärung mit der Verabschiedung der Lissabon-Strategie durch die europäischen Staats- und Regierungschefs im März 2000, denn hiermit hatte sich die Europäische Union „ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen"[3]. Diese strategische Neuausrichtung der EU rückte außerdem die Konzepte des lebenslangen Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit (englisch: employability) in den Fokus.
Im Anschluss an die Bologna-Konferenz 1999 trafen sich die für Hochschulbildung zuständigen europäischen Minister aller zwei Jahre, um die Realisierung der vereinbarten Ziele zu überprüfen und voranzutreiben. Am 12. März 2010 wurde mit der Erklärung von Budapest und Wien schließlich die erfolgreiche Schaffung des europäischen Hochschulraums verkündet. Der Bologna-Prozess ist damit jedoch nicht abgeschlossen. Bereits ein Jahr zuvor wurde mit dem Kommuniqué von Leuven/Louvain-la-Neuve bekräftigt, dass die gesetzten Ziele bisher nur teilweise erreicht worden sind und eine Fortsetzung des Prozesses folglich unabdingbar ist. Es wurden neue Prioritäten gesetzt, insbesondere in den Bereichen Chancengleichheit, Mobilität, lebenslanges Lernen und Beschäftigungsfähigkeit. Das nächste Ministertreffen ist für den 26. Bis 27. April 2012 in Bukarest anberaumt.
3. Theoretische Grundlagen
a) Europäisierung
„The BP [Bologna Process] completely relies on voluntary arrangements; participating countries are not members of the same institutional setting, nor do they act under the same jurisdiction. There are no legally-binding requirements that oblige the signatory states to implement reforms and there is no central steering authority"4. Nichtsdestoweniger findet der Bologna-Prozess statt, und zwar nicht chaotisch und ungeordnet, sondern in zielgerichteten und - zumindest teilweise - strukturierten Bahnen. Daher kann er als Paradebeispiel für die Erprobung und den weitgehend erfolgreichen Einsatz neuer Governance-Instrumente auf EU-Ebene angesehen werden. Diese Weiterentwicklung von Governance-Methoden beruht zum Teil auf der wachsenden Komplexität von politischen Handlungsfeldern - nicht zuletzt eben durch internationale Interdependenzen -, jedoch auch auf strukturellen Systembedingungen der Europäischen Union. Diese sollen im folgenden Abschnitt kurz geschildert werden.
[...]
[1] www.bmbf.de/pub/boloena deu.pdf (Zugriffsdatum für alle Weblinks: 05.03.2011, 18:00)
[2] http://europa.eu/leeislation summaries/education training vouth/lifelone learnine/c11088 de.htm
[3] http://www.europarl.europa.eu/summits/lis1 de.htm
[4] Voegtle et al. 2010, S. 78