„Das war der Anfang!“ Haben Integrationskurse nachhaltige Auswirkungen auf die Integration von Zuwanderern in Deutschland?

Eine empirische Studie


Thesis (M.A.), 2010

117 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Konzept der Integration und verwandte Konzepte
2.1 Hartmut Esser
2.2 Die Theorie der „Segmented-Assimilation“
2.3 Friedrich Heckmann
2.4 Hans Barkowski
2.5 Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse

3 Integrationsforschung in Deutschland
3.1 Die Forschung in Deutschland
3.2 Erste Erkenntnisse über die Integrationskurse in Deutschland

4 Migration und Integration in Deutschland
4.1 Zuwanderungs- und Integrationsgeschichte
4.2 Integrationskurse - Kernmaßnahme des neuen Programms

5 Zuwanderungsgeschehen in Deutschland und in Thüringen
5.1 Migrationsgeschehen und Zuwanderergruppen in Deutschland
5.2 Zuwanderungssituation in Thüringen

6 Integrations- und Orientierungskurse
6.1 Das Konzept der Integrationskurse
6.1.1 Inhalt der Sprachkurse
6.1.2 Teilnehmergruppe, Anspruch auf die Teilnahme und Verpflichtung
6.2 Orientierungskurse
6.2.1 Pilotprojekte
6.2.2 Ziele und Inhalt der Orientierungskurse
6.2.3 Evaluation der Orientierungskurse
6.3 Integrationskursergänzende Maßnahme (Verbundprojekte) und Migrationsberatungsdienste

7 Empirischer Teil
7.1 Darlegung der verwendeten Methode
7.1.1 Grundlagen der Untersuchung
7.1.2 Erhebungs- und Auswertungsverfahren
7.1.3 Auswahl der Befragtengruppe
7.1.4 Durchführung der Interviews
7.2 Auswertung der Interviews
7.2.1 Sozialintegrationsverständnis
7.2.2 Untersuchung der Auswirkungen von Integrationskursen auf die Integration der Befragten

8 Zusammenfassung der Ergebnisse, Schlussfolgerung und Ausblick

9 Literaturverzeichnis

10 Anhang
10.1 Transkribierte Interviews
10.1.1 Interview Ana
10.1.2 Interview Rosa
10.1.3 Interview Josefina
10.1.4 Interview Antonio
10.2 Interviewleitfaden
10.3 Abbildungen

1 Einleitung

In der Bundesrepublik Deutschland verzeichnet man seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen starken Zuzug von Migranten. Beim Thema Migration stellte sich seit Beginn dieser Entwicklung die Frage, wie die „Neuen“ in die Gesellschaft, in das ökonomische, politische, soziale und kulturelle Leben, integriert werden sollen.

Angesichts dieser Problematik und dieser Aufgaben benötigte das Land eine angemessene Einwanderungspolitik, doch diese wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts eher von der Verdrängung der realen Migrationssituation sowie einer dezentralen und fehlerhaften Integrationspolitik geprägt. Das änderte sich erst im Jahre 2005, als sich Deutschland durch das im Vorfeld hart umkämpfte „Neue Zuwanderungsgesetz“ politisch und auch symbolisch zu seinem Status als Einwanderungsland bekannte und so die Integration von Migranten zu einer zentralen politischen Aufgabe erklärte.

Erstmalig wurden staatliche Integrationsmaßnahmen für Zugewanderte gesetzlich geregelt. Den Kern dieser Maßnahmen bilden die sogenannten Integrationskurse, die aus einem Sprach- und einem Orientierungskurs bestehen. Ihr Ziel besteht darin, die Zuwanderer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte Deutschlands so heranzuführen, dass sie ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können (§ 43 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz). Wie dieser Anspruch sowie die Begrifflichkeit der „Integration“ suggerieren, handelt es sich bei dem angestrebten Ergebnis um eine dauerhafte, nachhaltige Zielerreichung (vgl. BMI 2006: 203).

Inwieweit die Kurse tatsächlich nachhaltige Auswirkungen auf die Integration von Zuwanderern haben, ist in der Integrationsforschung in Deutschland jedoch bisher noch nicht ausreichend geklärt. Der Grund könnte in der Komplexität eines breiten und schwer zu untersuchenden Feldes wie dem des Integrationsverlaufs von Integrationskursteilnehmern liegen, zu dessen Erforschung Längsschnittstudien benötigt würden. Bisher wurde nur eine Studie - durch das sogenannte Integrationspanel - zu dieser erst fünf Jahre jungen Maßnahme durchgeführt, die sich mit der Nachhaltigkeit ihrer Auswirkungen auf die Integration der Kursteilnehmer beschäftigt. Die Ergebnisse dieser Studie, die im Jahr 2007 begann, wurden bisher nur zum Teil veröffentlicht (vgl. BMI 2006; www.bamf.de; 27.05.2010). Auf diese Thematik fokussiert die vorliegende Arbeit ihre Aufmerksamkeit. Ihr Ziel besteht darin, die nachhaltigen Auswirkungen dieser Kurse auf die Integration von Zuwanderern in Deutschland qualitativ zu untersuchen. Verschiedene Aspekte der Integrationsproblematik sowohl in den Kursen als auch generell in der deutschen gesellschaftlichen Diskussion werden in den theoretischen Teilen behandelt, wobei unter anderem die Bedeutung der Kurse als Integrationsförderungsinstrument erläutert werden soll. Der qualitative Teil der Arbeit geht von der subjektiven Wahrnehmung von Personen aus, die an einem Integrationskurs teilnahmen: Haben die Kurse in ihrer Wahrnehmung nachhaltige Auswirkungen auf ihre Integration, und wenn ja, welches sind diese?

Die Arbeit zielt somit nicht auf Repräsentativität. Sie versucht aber, durch die Untersuchung der Einstellungen, Empfindungen und Haltungen der Befragten relevante Aspekte zu erfassen, die möglicherweise als Anregung für weitere Untersuchungen dienen können.

Die Arbeit wurde folgendermaßen aufgebaut:

Sie besteht aus einem Theorieteil, der in fünf Themenschwerpunkte gegliedert wird, um eine Grundlage für die folgende empirische Untersuchung zu bilden. In dem ersten Teil wird das Problem der Integration aus migrationssoziologischer Sicht thematisiert. Hier werden verschiedene Herangehensweisen von vier Integrationssoziologen und einem Sprachwissenschaftler behandelt, nämlich Hartmut Esser, Friedrich Heckmann, Alejandro Portes und Rubén G. Rumbaut sowie Hans Barkowski. Assimilations- und Integrationskonzepte werden miteinander kontrastiert, verwandte Konzepte wie Segmentation und Multikulturalismus werden dabei als Hilfestellung herangezogen. Auf diese Weise soll der diffuse Begriff der Integration für diese Arbeit nachvollziehbar gemacht werden. Dieser Teil setzt sich außerdem mit den Dimensionen von Integration auseinander, die eine Grundlage für die folgende qualitative Untersuchung bilden sollen.

Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der Integrationsforschung in Deutschland und speziell der Erforschung von Integration innerhalb der Integrationskurse. Hier werden wichtige Aspekte der Integrationsforschung auf Bundesebene thematisiert, wie die aktuelle Datenlage, die Integrationsindikatoren und die Studie im Bereich Integration, durchgeführt durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das nach Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes aufgebaut wurde. In einem separaten Kapitel werden die in den Integrationskursen bisher durchgeführten Studien thematisiert. Dieses Kapitel schenkt spezielle Aufmerksamkeit dem sogenannten Integrationspanel, das die Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit der Integrationskurse in Bezug auf die Integration der Kursteilnehmer überprüfen soll. Das Kapitel soll dem Leser einen Überblick über das Ziel, die Fragestellung bzw. die dabei formulierten Hypothesen, das Forschungsdesign sowie bisher veröffentliche Ergebnisse dieser vom Gesetzgeber durchgeführten Studie verschaffen, damit man eine Vorstellung davon bekommen kann, wie solch eine Studie in den Integrationskursen derzeit noch konzipiert wird.

Der dritte Theorieteil widmet sich dem staatlichen Umgang mit Migrations- und Integrationsfragen in Deutschland. Durch eine Zusammenfassung der Migrations- und Integrationsgeschichte in der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg soll das staatliche Integrationsverständnis im Deutschland der letzten sechzig Jahre beleuchtet werden. Dies spielt eine wichtige Rolle für diese Arbeit, da die neue Integrationspolitik bzw. das heutige Integrationsprogramm, dessen Kern die Integrationskurse bilden, als ein Ergebnis des staatlichen Umgangs mit dieser Problematik verstanden werden können. In einem weiteren Schritt wird sich stärker der Bedeutung der Integrationskurse für die neue Integrationspolitik angenähert, mit dem Versuch, die Frage zu beantworten, weshalb die Integrationskurse den Kern des neuen Integrationsprogramms bilden. Als Hilfestellung sollen Ideen des deutschen Migrationssoziologen Michael Bommes herangezogen werden, der in seinem Aufsatz „Integration durch die Sprache als politisches Konzept“ die Frage beantworten will, wieso die Integration von Migranten in Deutschland derzeit hauptsächlich durch die Sprache gefördert wird (vgl. Bommes 2006).

Das Zuwanderungsgeschehen in Deutschland adressiert der vierte Teil der Arbeit. Im ersten Kapitel werden aktuelle Zuwanderungszahlen präsentiert sowie die wichtigsten Zuwanderungsgruppen charakterisiert, die bei den Integrationskursen eine Rolle spielen. Das zweite Kapitel dieses Teils thematisiert die Migrationssituation speziell für das Bundesland Thüringen. Thüringen ist durch eine speziell im Vergleich zu anderen Bundesländern diffizile Migrationssituation gekennzeichnet. In Thüringen befinden sich derzeit nur wenige Migranten, eine Situation, die einen Einfluss auf die Einstellung der Thüringer den Zuwanderern gegenüber haben kann. Dies kann umgekehrt auch einen möglichen Integrationseinflussfaktor für die Zuwanderer mit sich bringen, was für diese Arbeit von Interesse ist, da die befragten Personen, die die Stichprobe der empirischen Studie bilden, in diesem Bundesland leben und dort auch den Kurs besucht haben. Im letzten Theorieteil werden die nach Inkrafttreten des „neuen Zuwanderungsgesetzes“ im Jahr 2005 staatlich geregelten Integrationskurse dargestellt. Neben der Präsentation der Kurskonzeption werden dort auch den Orientierungskursen ähnliche in Deutschland durchgeführte Kurse, die als Probe für die aktuellen Orientierungskurse dienten, präsentiert. Im Anschluss sollen außerdem die sogenannte integrationskursergänzende Maßnahme sowie der Migrationsberatungsdienst dargestellt werden, die neben den Integrationskursen eine Hilfe für den Prozess der Integration der Kursteilnehmer bieten sollen. Im empirischen Teil sollen wie oben erwähnt die nachhaltigen Auswirkungen der Integrationskurse auf die Integration von Zuwanderern in der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen untersucht werden. Bei der ausgewählten Erhebungsmethode handelt es sich um ein qualitatives, halbstandardisiertes Interview, welches mit vier Integrationskursteilnehmern durchgeführt wurde, die den Kurs mindestens ein Jahr vor dem Interviewzeitpunkt abgeschlossen hatten. Die Untersuchung gliedert sich in zwei Schwerpunkte. Der erste Teil der Studie widmet sich dem Sozialintegrationsverständnis der Befragten. Es soll damit ein Bild ihres Verständnisses der verschiedenen Integrationsaspekte gezeichnet werden, um klarer ersichtlich zu machen, wie sie die Auswirkungen der Kurse auf ihre eigene Integration in ihrer eigenen Wahrnehmung bemessen. Der zweite Teil der Untersuchung gliedert sich in weitere sechs Schwerpunkte. Hier wurden die Auswirkungen der Integrationskurse auf die Sprachkenntnisse der Befragten sowie auf die vier Dimensionen von Integration in ihrer subjektiven Wahrnehmung untersucht. Anschließend wurde die Bedeutung der integrationskursergänzenden Maßnahme und des Migrationsberatungsdienstes für ihren Integrationsprozess untersucht.

Im letzten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse der Studie zusammengefasst. Mithilfe der in der Arbeit behandelten Integrationskonzepte und verschiedener Themen sowie der empirischen Ergebnisse sollen am Ende Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Ergebnisse werden außerdem in einen gesamtdeutschen Kontext gestellt.

2 Das Konzept der Integration und verwandte Konzepte

In diesem Teil der Arbeit werden unterschiedliche Integrationskonzepte sowie verwandte Konzepte herausgearbeitet. Begonnen werden soll mit der Herangehensweise von Hartmut Esser, einem Migrationssoziologen, der gegenwärtig „über [die] Deutungshoheit innerhalb der (…) bundesrepublikanischen Integrationspolitik“ verfügt (Aumüller 2009: 106). Die Theorie der „Segmented Assimilation“ von Portes und Rumbaut soll - zusammen mit den Integrationsverständnissen des Soziologen Friedrich Heckmann und des Sprachwissenschaftlers Hans Barkowski - innerhalb dieser Arbeit die essersche Akzentuierung von Assimilationsprozessen kontrastieren und zugleich den diffusen Begriff der Integration nachvollziehbar machen. Neben den zentralen Begriffen Integration und Assimilation sollen hier auch weitere Begriffe wie Segmentation, Multikulturalismus und Akkulturation sowie die Dimensionen von Integration thematisiert werden.

2.1 Hartmut Esser

Hartmut Esser, Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Universität Mannheim, versteht Integration allgemein als den „Zusammenhalt von Teilen in einem ‚systemischen‘ Ganzen“ (Esser 2001: 1). Der Gegenbegriff ist für ihn dementsprechend die Segmentation bzw. der Zerfall eines Systems. Um Systemperspektive und Akteursperspektiven zu differenzieren, unterscheidet Esser zudem zwischen einer Systemintegration und einer sozialen Integration. Bezieht sich die Systemintegration auf die Organisation der Beziehungen zwischen den Teilen eines Systems, so bezieht sich die soziale Integration auf die Organisation der Beziehung zwischen den Akteuren eines Systems, beispielsweise die Inklusion von Akteuren in die jeweiligen sozialen Systeme.

Bei der Systemintegration erkennt Esser drei Hauptmechanismen: den Markt, die Medien und den gesamten Bereich des politischen Spektrums. Bei der sozialen Integration von Akteuren unterscheidet Esser wiederum zwischen vier Dimensionen: der „Kulturation“, der „Platzierung“, der „Interaktion“ und der „Identifikation“ (vgl. Esser 2001: 8ff.).

Mit Kulturation meint Esser, dass die Akteure für das Zurechtfinden in einer neuen Umgebung das nötige Wissen und bestimmte Kompetenzen erwerben müssen. Die Kulturation umfasst alle Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein erfolgreiches Agieren in einer Gesellschaft ermöglichen. Dazu gehört die Kenntnis der wichtigsten Regeln für typische Alltagssituationen, so z. B. in den Bereichen Verhaltenssicherheit, Regelkompetenz, Vertrautheit mit sozialen Normen und Situationserkennung. Esser unterscheidet auch zwischen Enkulturation und Akkulturation. Enkulturation meint den Prozess der Kulturation zu Beginn des Lebens eines Menschen, die spätere Kulturation an andere und neue Gesellschaften wird hingegen als Akkulturation bezeichnet.

Platzierung versteht Esser ganz allgemein als die Besetzung einer bestimmten gesellschaftlichen Position durch einen Akteur. Wie die Kulturation ist die Platzierung eine Form des „Einbezugs“ von Akteuren in die Umgebungsgesellschaft, „die wichtigste [Form] wahrscheinlich sogar“ (Esser 2001: 9). Beispiele für soziale Integration durch Platzierung sind z. B. die Verleihung bestimmter Rechte wie des Staatsbürgerschafts- oder Wahlrechtes sowie das Erlangen beruflicher und anderer Positionen. Platzierung und Kulturation stehen dabei in enger Verbindung. Durch die Platzierung auf bestimmten Positionen erlangen die Akteure einerseits bestimmte Kompetenzen, andererseits bestimmt der Grad der Kulturation über den Erfolg bzw. Nichterfolg der Platzierung.

Unter Integration durch Interaktion versteht Esser den Aufbau (interethnischer) sozialer Beziehungen. Wichtige strukturelle Voraussetzung für Interaktionen sind die objektiv gegebenen Gelegenheiten des Zusammentreffens zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Die Interaktion steht mit den anderen beiden Variablen der Integration in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Beherrschung kultureller Fertigkeiten, insbesondere der Sprache, ist Grundvoraussetzung und -bedingung einer erfolgreichen Interaktion. Im Gegenzug werden die Fertigkeiten aber auch durch die stattfindenden Interaktionen weiter ausgebaut.

Identifikation ist die vierte Dimension der Integration. Sie liegt vor, wenn sich die Akteure in besonderer Weise mit dem jeweiligen sozialen System verbunden fühlen bzw. sich selbst mit diesem identifizieren.1

Alle Dimensionen der sozialen Integration sind voneinander abhängig. Sie stehen zueinander in enger Verbindung und beeinflussen sich gegen- und wechselseitig. So setzt die Platzierung einen gewissen Grad an Kulturation voraus, und erst darüber hinaus werden Interaktion und Identifikation möglich (Esser 2001: 73).

Eminent wichtig ist für Esser auch die Unterscheidung zwischen Integration und Assimilation. Vereinfachend unterscheidet Esser vier Typen der Integration von Migranten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten2

Tab. 1: Typen der sozialen Integration von Migranten ( übernommen aus Esser 2006: 8)

Grundlage dieser Typologie ist die Frage, ob sich Migranten an der Aufnahmegesellschaft oder an ihren jeweiligen ethnischen Gemeinden orientieren (sowie Mischformen). Integrieren sich Migranten weder in die sie umgebende Aufnahmegesellschaft noch in ihre ethnische Gemeinde, so sind sie marginalisiert - was häufig auf Migranten der ersten Generation zutrifft. Orientieren sie sich an der ethnischen Gruppe, führt dies zu ethnischer Segmentation und gleichzeitiger Exklusion aus den Sphären der Aufnahmegesellschaft.

Zu einer multiplen Inklusion bzw. Mehrfachintegration hingegen komme es in der Praxis nur sehr selten, so Esser weiter. Mehrfachintegration sei ein „zwar oft gewünschter, theoretisch jedoch kaum realistischer und auch empirisch sehr seltener Fall“, folglich ein Zustand, der allenfalls auf wenige Diplomatenkinder oder Akademiker zutrifft (Esser 2001: 20). Mehrfachintegration verlange Sozialintegration in mehreren Bereichen gleichzeitig, manifestiert z. B. durch Mehrsprachigkeit. Letztere sei deshalb so selten anzutreffen, weil sie „ein [hohes] Maß an Lern- und Interaktionsaktivitäten“ und dementsprechenden Gelegenheiten erfordere, die „den meisten Menschen verschlossen“ seien (Esser 2001: 20f., vgl. auch Esser 2004 und Esser 2006). So erfolgt Integration in den meisten Fällen nur in dem einen oder dem anderen Bereich. Esser schlussfolgert daher, dass eine erfolgreiche Integration in die Aufnahmegesellschaft „nur in der Form der Assimilation möglich“ sei (Esser 2001: 21).

Ebenso unrealistisch erscheint Esser die kompetente Bilingualität: „Bedingungen, die den Zweitspracherwerb fördern, wirken zumeist einer Beibehaltung und kompetenten Beherrschung der Muttersprache entgegen - und umgekehrt“ (Esser 2006: Einleitung ii u. iii).3 Der Erhalt der ersten Sprache gehe in aller Regel auf Kosten des Zweitsprachenerwerbs, denn: „Je stärker die Einbindung in den ethnischen Kontext [ist], umso eher wird die Muttersprache beibehalten, aber umso weniger kommt es zum Zweitspracherwerb“ (ebd.). Darüber hinaus seien ethnische (muttersprachliche) Ressourcen für die entscheidenden Integrationsfelder - Bildung und Arbeitsmarkt - „so gut wie bedeutungslos, wenn nicht sogar hinderlich“ (Esser im Internet: http://www.integration-boell.de/web/integration/47_1472.asp [Abruf vom 26.05.2010]). Bilinguale Kompetenz zahle sich daher eher nicht aus (ebd., vgl. auch Rost 2009: 288).

Assimilation ist nach Esser notwendigerweise mit einer Anpassung an kulturelle Orientierungen der Aufnahmegesellschaft verknüpft. Soziale Integration erfordere Anpassung in den entscheidenden Feldern der Integration, also im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt. In diesen Systemen würden jedoch gewisse kulturelle Vorgaben gemacht, die laut Esser den Vorgaben der Aufnahmegesellschaft entsprächen (Esser 2001: 66). Das Bildungssystem z. B. sei ein „Teil der jeweiligen national staatlich verfassten Institutionen“, in denen die Vermittlung des inhaltlichen Stoffes „überwiegend in der jeweiligen Landessprache“ erfolge, und orientiere sich „an recht speziellen kulturellen Vorgaben“, wie etwa der „Kultur der regionalen bürgerlichen Mittelschichten“ (ebd.). Daher hätten die kulturellen Vorgaben des Aufnahmelandes eine unmittelbare Bedeutung auch für den Prozess der strukturellen Sozialintegration von Migranten. Insofern hält es Esser auch für berechtigt, „von einer gewissen Leitkultur zu sprechen.“ (Esser 2001: 66, vgl. auch Aumüller 2009: 106ff.).

Das Konzept des Multikulturalismus betrachtet Esser mit Skepsis. Er weist beispielsweise darauf hin, dass, obwohl die Möglichkeit einer Mehrfachintegration als Anhaltspunkt für Überlegungen zu den Perspektiven einer multikulturellen Gesellschaft dienen könne, dies kaum mehr als ein Wunschtraum sei (Esser 2004: 47ff.). Er argumentiert, dass eine multikulturelle Gesellschaft nur in der Theorie denkbar sei. „Empirisch gibt es sie jedoch so gut wie immer nur als ein System der ethnischen Schichtung: Die verschiedenen Gruppen bilden dabei eine Hierarchie, bei der die ethnischen (bzw. kulturellen und religiösen) Merkmale systematisch mit bestimmten strukturellen Variablen (wie Bildung, Einkommen, Berufstätigkeit, auch Prestige) kovariieren.“ (Esser 2001: 74ff., vgl. auch Aumüller 2009: 106ff.)4 Darüber hinaus bewertet Esser ethnische Gemeinden als Hindernisfaktor bei der Sozialintegration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft. Er argumentiert, dass die Integration in ethnische Gemeinden die Bemühungen der Zuwanderer und den sozialen Aufstieg in die Aufnahmegesellschaft verhindern - und dadurch auch die Sozialintegration (vgl. Esser 2004: 41ff., vgl. auch Aumüller 2009: 106ff.).5

Die essersche Auffassung, dass Sozialintegration nur mittels Assimilation erfolgreich geschafft werden könne, wird von vielen Seiten kritisiert. In den nächsten Kapiteln werden drei weitere Integrationskonzepte vorgestellt, welche die esserschen Positionen kontrastieren sollen.

2.2 Die Theorie der „Segmented-Assimilation“

Mithilfe empirischer Integrationsstudien konnte für die USA aufgezeigt werden, dass nur ein geringer Teil der Migranten in den gesellschaftlichen Mittelschichten als erfolgreich assimiliert bezeichnet werden kann. Ein größerer Teil hingegen assimiliert sich zwar in gewisser Hinsicht, jedoch nicht an die Mittelschichten der Aufnahmegesellschaft, sondern an deren Unterschichten und Subkulturen. Ein weiterer Teil ist strukturell sehr erfolgreich assimiliert, allerdings gerade dadurch, dass sich diese Migranten nicht bzw. nicht vollständig assimilieren, sondern sich auch an der ethnischen Gemeinde orientieren sowie die Herkunftssprache und eigene Kultur pflegen.

Mithilfe dieser Ergebnisse wurde das Konzept der „Segmented-Assimilation“ entwickelt. Es geht davon aus, dass kein linearer Assimilationsweg bei der Sozialintegration von Migranten existiert, sondern dass verschiedene Migrantengruppen unterschiedliche Integrationsmuster repräsentieren (vgl. Portes/Rumbaut 2001).

An drei Beispielen soll dies veranschaulicht werden:

In manchen Fällen, wie etwa bei philippinischen Migrantenfamilien in den USA, führt eine Kombination von „interessanten“ mitgebrachten Ressourcen der Akteure und günstigen Bedingungen in der neuen Umgebung zu einem sozialen Aufstieg. In solchen Fällen verfügen die Familien über die nötigen finanziellen Mittel und gesellschaftlichen Orientierungen und investieren in die Bildung ihrer Kinder. Die Jugendlichen dieser Familien werden erfolgreich von der Mittelschicht der Gesellschaft aufgenommen bzw. assimilieren sich an diese (Rumbaut/Portes 2001: 303).6 Hier kann der Assimilationsbegriff im herkömmlichen Sinne angewendet werden, wie er beispielsweise bei Esser zu finden ist (vgl. Esser 2001: 18ff.).

In anderen Fällen erfolgt die Assimilation an gesellschaftliche Unterschichten, so etwa bei mexikanischen Migranten in den USA. Hier können die für die Aufnahmegesellschaft wenig bedeutenden mitgebrachten Ressourcen der Zuwanderer kaum mit einer (zusätzlich aus anderen Gründen noch ungünstigen) staatlichen und gesellschaftlichen Aufnahme in Kombination gebracht werden. Das Schicksal vieler mexikanischer Migranten ist daher meist Armut und dauerhafte Marginalisierung. Die Kinder solcher Familien haben nur selten die Möglichkeit, sich an die amerikanische Mittelklasse zu assimilieren. Jedoch fühlen sie oftmals eine Verbundenheit zum Lebensstil sozial unterlegener Segmente der einheimischen Bevölkerung und pflegen diese Kontakte auch. Gerade die finanziellen Schwierigkeiten von Familien aus diesen Migrantengruppen verhindern gleichzeitig aber die Schaffung einer gut strukturierten ethnischen Gemeinde, die hier helfen würde, die Autorität der Älteren zu stärken. Ohne diese Autorität geraten deren Kinder in unerwünschte Umgebungen, an die sie sich dann auch assimilieren. In solchen Fällen wären, wie Portes und Rumbaut anmerken, das Vermeiden einer Assimilation und die Förderung der Segmentation durch eine Stärkung der ethnischen Gruppe angemessen (Rumbaut/Portes 2001: 303f.). Hier wird der Begriff der „Downward-Assimilation“ angewendet.

Andere Migrantengruppen, z. B. Vietnamesen und Kubaner in den USA, behaupten sich mithilfe ihrer ethnischen Gemeinden erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt. Sie erreichen zwar keine wichtigen Positionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, können aber immerhin ihren Kindern eine vernünftige Ausbildung ermöglichen. Diese Kinder haben oft Kontakt sowohl mit ihrer althergebrachten Kultur als auch mit der Kultur der Aufnahmegesellschaft. Ihr Akkulturationsprozess verläuft etwas milder als der anderer Gruppen, die Distanz zwischen den Generationen ist kleiner. Sie pflegen sowohl die Landesprache als auch ihre Muttersprache - was weder zu einer kompletten Segmentation noch zur einer kompletten Assimilation führt. Hier sind die jugendlichen Migranten strukturell sehr erfolgreich, gerade dadurch, dass sie sich eben nicht vollständig assimilieren. Für diese Fälle benutzen Rumbaut und Portes den Begriff der „selective acculturation“ (Rumbaut/Portes 2001: 303ff.). Mithilfe solcher empirischen Ergebnisse ermittelten Portes und Rumbaut, dass die zweite Migrantengeneration stark durch die Erfahrung der ersten beeinflusst wird. Eine Kombination von unterschiedlichen Faktoren determiniert den sozioökonomischen Status von Migrantenfamilien und -gemeinden und so auch die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Entsprechend entwickelten beide Forscher eine Typologie der intergenerationalen Beziehungen in Migrantenfamilien, mit der drei Hauptwege der kulturellen Konfrontation aufgezeigt werden. „Consonant acculturation“ liegt bei Eltern und Nachwachsenden vor, welche die Sprache und Kultur der Aufnahmegesellschaft in einer ähnlichen Geschwindigkeit erlernen: bei gut ausgebildeten Eltern, die Kenntnisse der englischen Sprache erwerben oder bereits erworben haben und dadurch in der Lage sind, Veränderungen im Leben ihrer Kinder zu verstehen. Oft ist dies z. B. bei Philippinern der Fall, und zwar wegen ihrer guten Bildung, ihrer Englisch-Kompetenz und eines relativ großen Abstandes zu den ethnischen Gemeinden (vgl. Portes/Rumbaut 2001: 307ff.).

„Dissonant acculturation“ liegt bei Migrantenkindern vor, die englische Sprachkenntnisse schneller erwerben als ihre Eltern und deren Assimilation an die Aufnahmegesellschaft auch generell gründlicher verläuft. Dieser Integrationsweg ist von häufigeren familiären Konflikten gekennzeichnet, einhergehend mit einem schleichenden Verlust elterlicher Autorität und einer Distanzierung des Nachwuchses von der Herkunftskultur. Typisch sind hier solche Familien (z. B. Mexikaner in den USA), die wenig Kontakt zu den ethnischen Gemeinden pflegen und deren Armut die Autorität der Eltern untergräbt - was durch die Assimilation der Kinder an die Umwelt, oft in die Unterschichten, sogar noch verstärkt wird (Rumbaut/Portes 2001: 308).

Zwischen diesen beiden Integrationswegen steht die „Selective acculturation“, die von einem Bilingualismus der zweiten Generation gekennzeichnet ist. Der Bilingualismus garantiert die Kommunikation zwischen den Generationen, auch in solchen Fällen, in denen die Eltern nur die Herkunftssprache beherrschen. Die Aufrechterhaltung und Pflege eigenethnischer Beziehungen bzw. Orientierungen verhindern hier die Gefahr einer Downward-Assimilation, also der unerwünschten Assimilation an die Subkulturen der Aufnahmegesellschaft. Die selektive Akkulturation stellt nach Ansicht Rumbauts und Portes’ außerdem wichtige Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen zur Verfügung und schafft somit vergleichsweise gute Bedingungen für einen Erfolg im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt (Rumbaut/Portes 2001: 308f.).

Wie die Theorie der Segmented-Assimilation deutlich aufzeigt, gibt es neben der Assimilation weitere Wege für eine erfolgreiche Sozialintegration von Zuwanderern in die Aufnahmegesellschaft. Sie weist auf die Existenz der Downward-Assimilation hin, bei der die Assimilation eher eine Gefahr als einen gewünschten Lösungsweg für Sozialintegration darstellt. Indem sie die Existenz einer selektiven Assimilation nachweisen, machen Rumbaut und Portes deutlich, dass Segmentation und ethnische Gruppen bei Integrationsprozessen auch eine positive Rolle spielen und dass die Pflege mitgebrachter Kulturen und Herkunftssprachen die Integration von Zuwanderern durchaus positiv beeinflusst.

2.3 Friedrich Heckmann

Friedrich Heckmann, ein im deutschsprachigen Raum bedeutender Migrationssoziologe, Professor für Soziologie an der Universität Bamberg und Leiter des Europäischen Forums für Migrationsstudien, präsentierte 1997 einen alternativen Ansatz zur esserschen Assimilationstheorie. Heckmann versteht Integration allgemein als einen Prozess, bei dem „einzelne Elemente zu einer existierenden Struktur hinzugefügt werden und neue und alte Strukturen zu einem verbundenen Ganzen werden.“ (Heckmann 1997: 1) Im Zusammenhang mit Migration bedeutet Integration für ihn die „Eingliederung neuer Bevölkerungsgruppen in bestehende Sozialstrukturen und die Art und Weise, wie diese neuen Bevölkerungsgruppen mit dem bestehenden System sozioökonomischer, rechtlicher und kultureller Beziehungen verknüpft werden.“ (Heckmann 2005: 2).

Ähnlich Esser unterscheidet Heckmann vier Dimensionen der sozialen Integration: Dem Begriff der Platzierung bei Esser entspricht bei Heckmann die strukturelle Integration. Er meint damit den Erwerb von Rechten und den Zugang zu Positionen in den Kerninstitutionen der Aufnahmegesellschaft, etwa im Bildungssystem, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie bei politischen Institutionen. Strukturelle Integration sei entscheidend für die tatsächliche Partizipation von Zugewanderten in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen der neuen Umgebung (Heckmann 2005: 2).

Die Möglichkeit zu einer Partizipation an den gesellschaftlichen Institutionen der Aufnahmegesellschaft setzt einen Lern- und Sozialisationsprozess seitens der Migranten voraus. Kulturelle Integration oder Akkulturation von Zuwanderern ist bei Heckmann in diesem Sinne ein Prozess, der mit kognitiven, kulturellen, verhaltens- und einstellungsmäßigen Veränderungen einhergeht - hier besteht weitgehende Übereinstimmung mit dem, was Esser unter Akkulturationsprozess versteht. Die Migranten sollen eine Neu-Sozialisation und -Organisation ihrer Persönlichkeit anstreben, um sich in der neuen Umgebung integrieren zu können. Als zentrale Schlüsselqualifikationen für eine Partizipation benennt auch Heckmann Sprachkenntnisse und das Wissen über die Kultur der Aufnahmegesellschaft.

Die soziale Integration umfasst alle individuellen sozialen Kontakte, z. B. Freundschafts- und Partnerstrukturen oder Gruppen- und Vereinsmitgliedschaften. Die identifikative Integration ist die letzte Stufe des Integrationsprozesses. Sie schließt die subjektiven Gefühle und Definitionen der Zugehörigkeit einer Person zu einer ethnischen oder nationalen Gemeinschaft ein.

Im Unterschied zu Esser misst Heckmann der Veränderung der Aufnahmegesellschaft infolge der Integration von Migranten größere Bedeutung bei, was besonders bei seiner Definition der kulturellen Integration deutlich wird: „Kulturelle Integration bezieht sich hauptsächlich auf die Migrationsbevölkerung, diese beinhaltet aber auch notwendige kulturelle Anpassungen und Veränderungen seitens der Aufnahmegesellschaft.“ (Heckmann 2005: 2) Heckmann entwickelt ein Konzept, das auf gegenseitige kulturelle Annäherung abzielt. Er skizziert das Bild eines beiderseitigen Prozesses, an dem alle Bevölkerungsgruppen beteiligt sind und der letztlich zur Auflösung kulturell-ethnischer Grenzen führen könnte. Den Mammutanteil an dieser Annäherung hätten aber die Zugewanderten zu leisten (vgl. ebd.).

Anders als bei Esser sind ethnische Gemeinden bei Heckmann überaus positiv konnotiert. Die Existenz ethnischer Gemeinden ist für ihn ein vorübergehendes Phänomen, das im Lauf der Zeit zwangsläufig durch Assimilation verschwinden werde. Bis dahin helfen ethnische Gemeinden den Migranten, in der Anfangsphase in der neuen Gesellschaft anzukommen. Dadurch könnten Migranten ihre eigene ethnisch-kulturelle Identität pflegen, Selbstbewusstsein bewahren und sich sicherer in der neuen Umgebung bewegen (vgl. Heckmann 1992: 113f.).

Das Konzept des Multikulturalismus unterstütze nach Heckmann das Verstehen des diffusen Prozesses der Integration von Zuwanderern. Es sei ein neu vorgeschlagenes Modell für multi-ethnisch werdende Gesellschaften und stehe sinnbildlich für eine wachsende Ablehnung von Politikern und öffentlichen Meinungen, welche die Assimilation als einzigen Weg zu einer erfolgreichen Sozialintegration von Zuwanderern betrachten (vgl. Heckmann/Bosswick 2006: 7).7 Heckmann weist jedoch auch darauf hin, dass Multikulturalismus ein viel zu diffuser Begriff sei, der oft für Probleme in der Integrationsforschung sorge. Er versucht daher, ihn zu präzisieren. Multikulturalismus bedeute, dass diejenigen Länder, die von der Bevölkerungsstruktur her heterogener geworden sind, ihren Status als Einwanderungsland anerkennen sollten. Multikulturalismus könne als ein Kulturkonzept verstanden werden, in dem keine „originalen“ oder „puren“ Kulturen mehr existieren, sondern jede Kultur auch Elemente anderer Kulturen in sich trage - Kultur als Ergebnis von Interaktion unterschiedlicher Kulturen (vgl. ebd.).

Aus dieser Perspektive werden die Migrantenkulturen als eine Bereicherung der Kultur der Aufnahmegesellschaft betrachtet. Multikulturalismus könne auch als eine individuelle, aber trotzdem öffentlich gezeigte Einstellung verstanden werden, bei der Toleranz sowie freundliches und unterstützendes Verhalten gegenüber Migranten eingeübt und quasi internalisiert würden. Das Ergebnis dieses Prozesses wäre am Ende eine offene und demokratische Grundeinstellung, die aus den historischen Fehlern (Nationalismus, erzwungene Assimilation, ethnische Verfolgung usw.) gelernt hätte (vgl. Heckmann/Bosswick 2006: 7f.).

2.4 Hans Barkowski

Die Betonung der Bedeutung der Aufnahmegesellschaft für die Sozialintegration von Migranten, die Ablehnung assimilatorischer Theorien und Begriffe - wie z. B. des Multikulturalismus -, diese Positionen sind auch aufseiten der Sprachwissenschaft zu finden.

Als exemplarisches Beispiel kann ein bedeutender deutscher Sprachwissenschaftler genannt werden, der sich mit der Frage nach der Beziehung von Sprache und Integration intensiv auseinandergesetzt hat. Hans Barkowski ist einer der Entwickler des neuen Rahmencurriculums für Integrationskurse (vgl. dazu auch Kap. 6.1.1). In Bezug auf die Sozialintegration von Zuwanderern vertritt er ähnliche Ideen wie Heckmann.

Für Barkowski ist Integration „ein prozesshafter gesellschaftlicher Vorgang, in dessen Verlauf Individuen bzw. Gruppen von Menschen Mitglieder einer anderen, bereits definierten Gruppe werden wollen bzw. sollen“ (Barkowski 2006: 4). Dies könne auf zwei verschiedene Weisen geschehen: durch Assimilation bzw.

Anpassung oder durch Veränderungen beider Gruppen (vgl. ebd.).

Den ersten Weg hält Barkowski weder für möglich noch wünschenswert, „weil niemand seine lebensweltlichen Prägungen abwählen oder willkürlich aufgeben kann - nicht einmal wenn er das wollte“ (Barkowski 2006: 4). Versuchte man es dennoch, so würde dies einen Verlust von Identität und Selbstbewusstsein bedeuten.8 Er warnt beispielsweise davor, dass eine von der Mehrheitsgesellschaft erzwungene Anpassung zu sozialen Verwerfungen, zu gesellschaftlichem Rückzug in die Herkunftsgruppe und zu Separation führe - wie es etwa in Ländern wie Frankreich und England zu beobachten sei (ebd.).

Auch Barkowski unterscheidet vier Variablen der Sozialintegration:

Die Variable Gelegenheit zur Teilnahme an sozialen Partizipationsprozessen bezieht sich auf die Beteiligung von Migranten an Domänen wie Ausbildung, Beruf und politischer Willensbildung. Partizipationskompetenz ist der Gradmesser der sozialen, intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten, die nötig sind, um in diesen Domänen (inter-)agieren zu können. Unter persönlichem Status subsumiert Barkowski den Grad der Akzeptanz und Anerkennung von Individuen in Hinblick auf ihre Stellung in unterschiedlichen Lebensbereichen.

Die vierte Variable Integrationsvermögen/-bereitschaft bestimmt den Grad der Fähigkeit bzw. Bereitschaft einer Gesellschaft, neue Individuen aufzunehmen, sowie die Bereitschaft der Aufzunehmenden, „sich den explizit oder implizit von aufnehmenden Gruppen/Gesellschaften definierten Verhaltenserwartungen anzupassen“ (vgl. Barkowski 2006: 7).

Die vierte Variable betrachtet also - ähnlich wie bei Heckmann - sowohl die Migranten als auch die Aufnahmegesellschaften. Partizipationsgelegenheiten sind z. B. mit der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft verbunden, unterschiedliche Kulturen an- und in sich aufzunehmen. Die Partizipationsgelegenheiten müssen jedem offenstehen und dürfen nicht mit negativen Erfahrungen verbunden sein (Barkowski 2006: 8f.).

Im Unterschied zu Esser plädiert Barkowski für eine multikulturelle Gesellschaft. Er nennt den aktuellen Zustand der Migrationssituation in Deutschland beim Namen, einem Land, dessen Bürger bis zu einem Fünftel einen Migrationshintergrund haben, und argumentiert, dass dies zu der Einsicht und Haltung führen könne bzw. müsse, dass Deutschland längst eine multikulturelle Gesellschaft geworden ist (Barkowski 2006: 5). Die erfolgreiche Gestaltung des vielfältigen und komplizierten Prozesses der Integration in Einwanderungsgesellschaften wie der deutschen benötige „die Abkehr von Prinzipien nationaler Monokultur und Einsprachigkeit sowie ein nachhaltiges Bekenntnis zum eigenen Status als multikulturelle und mehrsprachige Gesellschaft“ (Barkowski 2006: 15).

2.5 Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse

Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit werden Aspekte aus allen diesen Ansätzen von Bedeutung sein. So sollen die Unterscheidungen zwischen System- und Sozialintegration, Integration und Assimilation sowie die Dimensionen von Integration in den weiteren Kapiteln angewendet werden. Auch die Rolle der Aufnahmegesellschaft im Integrationsprozess, wie sie bei Heckmann und Barkowski verstanden wird, soll hier berücksichtigt werden. Aus den Integrationsdimensionen sollen Integrationsindikatoren gewonnen werden. Sie sind die Instrumente, die im empirischen Teil der Arbeit zum Einsatz kommen - um aufzuzeigen, welchen Einfluss Integrationskurse auf den Integrationsprozess der befragten Kursteilnehmer in ihrer subjektiven Wahrnehmung haben.

3 Integrationsforschung in Deutschland

3.1 Die Forschung in Deutschland

Dieses Kapitel widmet sich der Integrationsforschung in Deutschland, zusammenfassend werden ausgewählte Aspekte der empirischen Forschung auf Bundesebene dargestellt. Dazu zählen die besondere Bedeutung der Integrationsdimensionen, aus denen Integrationsindikatoren gewonnen werden können, die Datenlage in Deutschland sowie die wichtigsten Datenquellen. Am Ende des Kapitels werden die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführten Studien zur Integration präsentiert. So soll ein Überblick über die Integrationsforschung auf Bundesebene verschafft werden.

In der Vergangenheit schenkte die empirische Integrationsforschung in Deutschland vor allem den sogenannten Gastarbeitern besondere Aufmerksamkeit. Man orientierte sich an der deskriptiven Analyse der Integration und an der Erklärung von Migrations- und Integrationsprozessen (vgl. Haug 2009: 2). Derzeit gewinnen jedoch andere Bereiche an Bedeutung. Beispiele für aktuelle Forschungsschwerpunkte sind die Probleme von Migrantenkindern im Bildungssystem, die z. B. im Rahmen der PISA-Studien untersucht wurden, oder Untersuchungen zur strukturellen Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt. Neue Integrationstheorien generierten neue Interessenfelder wie die Untersuchung der intergenerationalen Integration und der unterschiedlichen Dimensionen und Typen der Sozialintegration (vgl. Haug 2009: 4).9

Die Dimensionen haben eine besondere Bedeutung sowohl für die empirische Integrationsforschung als auch bei der Steuerung der Integration von Zuwanderern in einem Land. Sie können instrumentalisiert werden, um Integrationsindikatoren zu entwickeln, die bei der empirischen Integrationsforschung als Messinstrumente dienen. Mithilfe von Indikatorensystemen können die aus unterschiedlichen Quellen gewonnenen Daten über die Integration von Zuwanderern operationalisiert und so Integrationsprozesse bundesweit sichtbar gemacht werden. So können auch dem Gesetzgeber zuverlässige Daten zur Verfügung gestellt und auf deren Basis politische Entscheidungen getroffen werden - um z. B. die Integration von Zuwanderern in Deutschland gezielt zu fördern (und zu „fordern“).

Im vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Auftrag gegebenen „Bericht über die Datenlage im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung“ wird die Datenlage im Bereich Integrationsforschung in Deutschland jedoch als „unübersichtlich und lückenhaft“ bewertet (Haug 2005: 4). Es gebe, so Haug, „kein allgemein verbindliches System von Indikatoren zur Erfassung der Integration“, und es mangele auch an einer Einigung über die Datenquellen (Haug 2005: 3ff.). Erst nach Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes im Jahre 2005 wurde begonnen, die Datenquellen den Anforderungen gemäß zu optimieren und sie zum Einsatz zu bringen (vgl. BAMF 2004: 414ff.).

So weist Haug in ihrem Bericht z. B. darauf hin, dass in Deutschland häufig eine Unterscheidung zwischen kognitiver/kultureller, struktureller, sozialer, identifikativer und gesellschaftlicher Integration vorgenommen werde (vgl. Haug 2005: 4). Sie arbeitet dabei ein Indikatorensystem heraus, das in seiner Kategorienbildung stark dem Integrationsmodell von Heckmann und Esser ähnelt (vgl. Haug 2005: 4f.):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Indikatorensystem nach Haug (2005: 4f.)

Auch Siegert weist in seiner ebenfalls vom BAMF in Auftrag gegebenen Studie „Integrationsmonitoring - State of the Art in internationaler Perspektive“ darauf hin, dass in der empirischen Integrationsforschung trotz unterschiedlicher Konzepte und Herangehensweisen an den Prozess der Integration gewisse Gemeinsamkeiten erkennbar sind (Siegert 2006: 2f.). Bei der Entwicklung von Indikatoren zur Messung von Integration dominierten jene in den Bereichen Arbeitsmarkt und Bildungserfolg, also im Bereich der strukturellen Integration. In der empirischen Integrationsforschung findet sich zudem häufig die Entwicklung von Indikatoren zu den Sprachfertigkeiten (vgl. Siegert 2006: 2f.). Siegert hält jedoch auch fest, dass zur Messung der Einstellungen sowie der sozialen Eingebundenheit von Migranten vergleichsweise wenig Konkretes vorgeschlagen wird. Im Grunde liege dies daran, dass amtliche Statistiken keine Einblicke in diese Bereiche ermöglichten (vgl. Siegert 2006: 3f.).

Für den Bereich amtlicher Erhebungen nennen viele Autoren den Mikrozensus und die Ausländerregister als die bedeutendsten Mittel zur Erfassung von Daten über die Migration und Integration in Deutschland (vgl. Haug 2005, dies. 2009, Siegert 2006 und Kalter 2008). Beide Quellen haben jedoch ihre Lücken.

Der Mikrozensus begann erst im Jahre 2005 damit, ein Gesamtkonzept anzuwenden, bei dem auch der Migrationshintergrund mit erfasst wird,10 d. h., erst ab diesem Zeitpunkt lässt sich - mittels dieser Datenquelle - die Gesamtsituation des Integrationsstandes von Zuwanderern beurteilen (vgl. Haug 2005: 6, Siegert 2006: 9ff.).

Auch das Ausländerzentralregister (AZR) berücksichtigt nicht explizit Menschen mit Migrationshintergrund. So fallen alle eingebürgerten Migranten aus der Statistik, wodurch ein Vergleich von Integrationsunterschieden zwischen Eingebürgerten und Nicht-Eingebürgerten nicht möglich ist. Laut Haug werde inzwischen jedoch geprüft, ob eine Erweiterung der Speichersachverhalte im AZR möglich sei (Haug 2005: 5). Darüber hinaus gibt es in Deutschland noch weitere wichtige Quellen: die Arbeitsmarktdaten der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Sozialhilfestatistik, die Bildungsstatistik, die Einbürgerungsstatistik, die Eheschließungsstatistik, die Kriminalstatistiken, die Verfassungsschutzberichte zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie zu sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Ausländern (Siegert 2006: 9f.).

Diese amtlichen Statistiken haben den Vorteil, dass sie eine regelmäßige und weitreichende Erfassung der in Deutschland lebenden Migranten ermöglichen. Untersucht man jedoch Integration mithilfe von Statistiken, so erscheinen die verfügbaren Informationen häufig relativ oberflächlich. Sie wurden nicht dafür konzipiert, ein detailliertes Bild der Integrationssituation der zugewanderten Bevölkerung zu zeichnen. Die Fragenkataloge konzentrieren sich auf objektive Sachverhalte, und es herrscht ein Mangel an Indikatoren zur sozialen, identifikativen und gesellschaftlichen Integration. Einstellungen und Handlungsabsichten von Migranten können durch diese Statistiken jedenfalls nicht erfasst werden (vgl. Siegert 2006: 2ff.).

Eine wichtige Unterstützung sind daher sozialwissenschaftliche Erhebungen. Diese untersuchen neben den objektiven Lebensverhältnissen zumeist auch die Einstellungen von Migranten bzw. der Aufnahmegesellschaft und basieren auf qualitativen Daten, die von der subjektiven Wahrnehmung der Befragten ausgehen. Sie liefern daher viel tiefer gehende Informationen zur Integration von Migranten. Hervorzuheben sind hier die „Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) und das „Sozioökonomische Panel“ (SOEP).

Mit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 wurde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Aufgabe erteilt, wissenschaftliche Forschung im Bereich Migration und Integration zu betreiben. Das Amt soll Migrations- und Integrationsprozesse in Deutschland analysieren sowie Maßnahmen zur Steuerung von Migration und zur Begleitung von Integration evaluieren.

So führte das BAMF schon eine Reihe von Untersuchungen durch und veröffentlichte diese auch.11 Die Forschungsschwerpunkte liegen in drei Hauptbereichen: Migration, Integration und Demografie. Im Bereich der Integrationsforschung werden Studien zur Analyse von Integrationsprozessen und zur Evaluation von Integrationsmaßnahmen durchgeführt:

- „Erfolgsbiografien von Migrantinnen“ - Analyse der beruflichen Erfolgsfaktoren und -strategien bei Migrantinnen;
- „Muslimisches Leben in Deutschland“ - Abschätzung der Zahl der in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerung und Analyse ihrer Struktur, nebenbei auch Analyse der Bedeutung von Religion für diese Migrationsgruppe;
- „Wohnortzuweisungsgesetz“ - Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen des Wohnortzuweisungsgesetzes auf Spätaussiedler
- „Zuwanderer aus Russland und den anderen GUS-Staaten“ - Untersuchung von Zuwanderungsmotiven, der soziostrukturellen Zusammensetzung und der Integrationsverläufe dieser Migrantengruppe;
- „Teilnehmerbefragung“ - wissenschaftliche Begleitung der Integrationskurse.12

Weitere Projekte laufen derzeit noch oder wurden nicht bzw. nur teilweise publiziert. Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist dabei das Projekt „Integrationsverlauf von Integrationskursteilnehmern (Integrationspanel)“, ist dieses Projekt doch die erste vom BAMF in den Integrationskursen durchgeführte Studie zu den Auswirkungen von Integrationskursen auf den Integrationsprozess der Kursteilnehmer.

Die Konzeption dieser Studie sowie die Ergebnisse der ersten Befragung wurden bereits veröffentlicht. Im nächsten Kapitel sollen sie - zusammen mit weiteren in Integrationskursen durchgeführten Untersuchungen - vorgestellt werden.

3.2 Erste Erkenntnisse über die Integrationskurse in Deutschland

Seit Beginn der Integrationskurse werden quantitative Daten über die Kursteilnehmer erfasst. Die Informationen fließen in die „Jahresbilanzen der Integrationskurse“, die auf der Internetseite des BAMF jährlich veröffentlicht werden, ein. Daten über die Anzahl der Kursteilnehmer, ihre Herkunftsländer, die entsprechende Gruppe (Neuzuwanderer, Altzuwanderer, Spätaussiedler usw.), den Berechtigungstyp sowie das Geschlecht und die Teilnahme bzw. die erfolgreiche Teilnahme an Abschlussprüfungen usw. werden erfasst und in Form einer Statistik dargestellt. Somit ist die Erfassung dieser Daten seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes von großer Bedeutung sowohl für die Migrations- als auch für die Integrationsforschung in Deutschland.

Darüber hinaus wurden bisher drei Untersuchungen in den Integrationskursen durchgeführt. Für diese Arbeit ist das Forschungsprojekt Integrationsverlauf von Integrationskursteilnehmern (Integrationspanel) von besonderem Interesse, da in diesem die Nachhaltigkeit des Kurses im Sinne der Integration der Kursteilnehmer untersucht wird.

Die erste in Integrationskursen durchgeführte Untersuchung wurde im Jahr 2005 veröffentlicht. Zielstellung der Studie „Integrationskurse - Erste Erfahrungen und Erkenntnisse einer Teilnehmerbefragung“ war die Beurteilung des besonderen Bedarfs von Frauen und jungen Teilnehmern im Hinblick auf die Gestaltung der Integrationskurse (Haug 2005). Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Bewertung der Integrationskurse durch die Teilnehmer und die Erhebung ihrer Wünsche und Erwartungen, um so die Integrationskurse optimieren zu können. Die Integration bzw. die Integrationsprozesse von Kursteilnehmern wurden hier nicht berücksichtigt.

Im Jahr 2006 bekam die Beratungsfirma Rambøll Management den Auftrag, die Integrationskurse zu evaluieren. Sie führte eine umfassende Untersuchung durch, bei der sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsmethoden zum Einsatz kamen. Berücksichtigt wurden alle an der Umsetzung der Integrationskurse beteiligten Akteure: die Teilnehmer, die Lehrkräfte, die Kursträger, die Migrationsberatungsdienste und die Regionalkoordinatoren des BAMF sowie Bundesministerien, Länder und Kommunen. Außerdem wurden Kursprogramme, Lehrinhalte, Tests und Erfolgsquoten usw. untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie flossen in die „Evaluation der Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz“, die vom Bundesministerium des Innern im Dezember 2006 herausgegeben wurde, ein. Dieser Abschlussbericht enthält neben einer Analyse der Umsetzung der Integrationskurse, der Effizienz und Effektivität der Verfahren, der regionalen Umsetzung der Kurse und deren Finanzierung auch interessante Vorschläge zum Verbesserungspotenzial bei der Umsetzung der Integrationskurse (vgl. BMI 2006).

Die Evaluation zeigte Defizite und Lücken in den Integrationsmaßnahmen auf. In Bezug auf die Nachhaltigkeit der Integrationskurse wurde beispielsweise darauf hingewiesen, dass es noch keine Evaluation über die Wirkung der Integrationskurse auf die Integration der Teilnehmer gäbe, obwohl die Durchführung von Integrationskursen nur bei nachgewiesener Wirksamkeit sinnvoll sei. Der Evaluationsbericht empfahl deshalb die Konzipierung eines Integrationspanels, das die Nachhaltigkeit und die Wirksamkeit der Integrationskurse in Bezug auf die Integration der Kursteilnehmer untersuchen solle (BMI 2006: 213ff.).

Gleich zu Anfang des Jahres 2007 wurde das Evaluations-Projekt „Integrationsverlauf von Integrationskursteilnehmern (Integrationspanel)“ konzipiert und entsprechend begonnen. Das Projekt zielt auf die Überprüfung der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse sowie auf die Gewinnung von Erkenntnissen zur konzeptionellen Steuerung der Integrationskurse ab (vgl. Rother 2008: 6ff.). Bereits im April 2008 wurden die Ergebnisse der ersten Befragung in dem Working Paper „Das Integrationspanel - Ergebnisse zur Integration von Teilnehmern zu Beginn ihres Integrationskurses“ veröffentlicht (Rother 2008). Insgesamt wurden fünf Befragungen mit zwei Untersuchungsgruppen geplant. Die Untersuchungsgruppe der Kursteilnehmer wurde zu drei Zeitpunkten befragt: Die erste Befragung fand zu Beginn des Kurses statt, sodass die Ausgangslage gemessen werden konnte. Eine zweite Befragung fand am Ende des Kurses statt, um die Veränderungen im Rahmen des Kursverlaufs abzubilden. Eine dritte Erhebung wurde ca. zwölf Monate nach Kursende durchgeführt, um die Nachhaltigkeit der Integrationskurse zu untersuchen (vgl. Rother 2008: 11).

Die erste Befragung einer Kontrollgruppe fand zeitlich parallel zur zweiten Befragung im Integrationskurs statt. Die zweite Befragung lag zeitlich parallel zur dritten Befragung der Kursteilnehmer (also zwölf Monate nach der ersten Befragung der Kontrollgruppe). Bei dieser Gruppe handelte es sich um Ausländer und Spätaussiedler, die nicht an einem Integrationskurs teilgenommen hatten. Das Ziel der Kontrollbefragung ist es, zu untersuchen, ob den Teilnehmern der Integrationskurse eine höhere oder schnellere Integration gelingt und ob Integrationskurse somit wirksam sind. Dabei wurden die ersten beiden Befragungen der Teilnehmergruppe mit Unterstützung der Regionalkoordinatoren des BAMF durch die Kursleiter im Kurs selbst durchgeführt. Die dritte Befragung und die zweite Befragung der Kontrollgruppe wurden von einem externen Institut durchgeführt. Den Auftrag bekam die Forschungsgesellschaft MARPLAN.

Im Mittelpunkt der Befragungen stehen Fragen nach dem Integrationsstand der Teilnehmer, sowohl im Bereich der Sprachkenntnisse als auch der gesellschaftlichen Teilhabe. Fünf zentrale Fragestellungen werden dabei verfolgt:

- die Veränderung der Deutschkenntnisse der Kursteilnehmer während und nach Ablauf des Kurses und im Vergleich zu Nichtkursteilnehmern;
- der Verlauf der Integration in verschiedenen Teilnehmergruppen;
- eine Beurteilung der Integrationskurse durch die Teilnehmer;
- der Einfluss des Integrationskurses auf die allgemeine gesellschaftliche Teilhabe und
- die Erkenntnisse, die sich aus der Untersuchung zur Verbesserung der Integrationskurse ableiten lassen (vgl. Rother 2008: 9ff.).

Von großem Interesse für die vorliegende Arbeit ist die Frage nach der Wirksamkeit der Integrationskurse in Bezug auf den Integrationsprozess von Kursteilnehmern oder, wie es vom Integrationspanel formuliert wird, die Frage nach dem Einfluss der Teilnahme am Integrationskurs „auf die allgemeine gesellschaftliche Teilhabe“ der Kursteilnehmer (Rother 2008: 10).

Das Integrationspanel geht von der Hypothese aus, dass „die Teilnahme am Integrationskurs nicht nur einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Deutschkenntnisse hat, sondern auch auf weitere Integrationsindikatoren“ (Rother 2008: 10). Durch die Anwendung von Integrationsindikatoren soll hier geprüft werden, ob die Erwartung an die Integrationskurse, dass die Teilnehmer nach Kursende über einen höheren Integrationsstand als die Nicht-Kursteilnehmer verfügen, erfüllt wird. Die hier angewendeten Indikatoren basieren auf den vier Dimensionen der Integration nach Esser: „Variablen, die die allgemeine gesellschaftliche Teilhabe messen, beziehen sich dabei auf die vier Bereiche kulturelle, soziale, strukturelle und identifikative Integration“ (Rother 2008: 10). Dabei umfassen die Indikatoren der strukturellen Integration das Bildungsniveau und vor allem die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Bei der Untersuchung der kulturellen Integration lag das Interesse vor allem bei der Sprache. Gefragt wurde beispielsweise nach Sprachhintergrund und -niveau, nach Erstsprache und Deutschkenntnissen sowie der Anwendung des Deutschen im Alltag. Zentral bei der Untersuchung der sozialen und der identifikativen Integration war die Frage nach dem Kontakt zu Einheimischen und der Rückkehrabsicht (vgl. ebd.).13

Die soziale und die identifikative Integration der Kursteilnehmer wurde in der ersten Befragung, deren Ergebnisse bereits 2008 veröffentlicht wurden, folgendermaßen untersucht und evaluiert:

Der Indikator der sozialen Integration der Kursteilnehmer bezieht sich auf ihre Kontakte zu Deutschen und Personen aus ihrem Herkunftsland. Es wird darauf hingewiesen, dass mit Kontakten persönliche Treffen gemeint sind, die über Grußkontakte hinausgehen. Dies wurde mithilfe eines Index ausgewertet, der die Kontakthäufigkeit in einer Skala von 1 (einmal wöchentlich) bis 6 (täglich) misst. Unterschieden wird außerdem zwischen Teilnehmergruppen, -alter und -geschlecht. Es hat sich hier gezeigt, dass die Kursteilnehmer mehr Kontakte zu Personen aus ihrem Herkunftsland als zu Deutschen haben und dass je älter die Teilnehmer sind, sie desto weniger Kontakt zu Einheimischen und desto mehr zu Personen aus ihrem Herkunftsland haben.

[...]


1 In manchen Publikationen bezeichnet Esser Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation jeweils als kulturelle, soziale, strukturelle und identifikative Integration. Vgl. bspw. Esser 2006: 26f.

2 Auch Mehrfachintegration genannt, vgl. Esser 2001 : 19.

3 Dieses Zitat verdanke ich Dietmar Rost, vgl. Rost 2009: 288.

4 Ethnische Schichtungen sind vertikale ethnische Ungleichheiten, also ‚Andersrangigkeit‘ zwischen Ethnien in Bereichen wie Einkommen oder Bildungsabschlüsse. Horizontale ethnische Ungleichheit oder ethnische Pluralisierung dagegen - wie z. B. in einer multi-ethnischen Gesellschaft - ist gleichbedeutend mit der Beibehaltung nicht näher bewerteter kultureller Gewohnheiten und Fertigkeiten, wie z. B. religiöse Überzeugungen oder Lebensstile (Esser 2004 : 51 ff.).

5 Die Idee einer ethnischen Segmentation von Gesellschaften erinnert Esser an Kastengesellschaften oder mittelalterliche Feudalsysteme. In modernen Gesellschaften könne die Entstehung ethnischer Schichtungen als „Ausdruck einer Re-Feudalisierung durch eine systematische Unterschichtung der einheimischen Bevölkerung durch Gruppen verstanden werden, die sich kulturell, in der Übernahme gewisser ökonomischer Funktionen und in ihrem Status systematisch von der übrigen Bevölkerung unterscheiden“ (Esser 2001:35 ).

6 Es kann jedoch auch passieren, dass bei solchen erfolgreichen Familien die Neigung zum Erhalt traditioneller Werte seitens der Väter mit dem Lebensbild des akkulturierten Nachwuchses kollidiert - was natürlich zwangsläufig zu Konflikten führt (Rumbaut/Portes 2001: 303).

7 Assimilation ist hier in der Regel mit der Erwartung verbunden, dass Migranten ihre Werte und Kultur aufgeben und allein diejenigen der Aufnahmegesellschaft übernehmen würden

8 Ein ähnliches Argument bringt der österreichische Sprachwissenschaftler Hans-Jürgen Krumm in die Diskussion ein. Für ihn sind die Herkunftssprachen von großer Bedeutung für die Herausbildung der persönlichen und sozialen Identitäten der Zuwanderer. Er argumentiert beispielsweise, dass bei Migrantenkindern das frühe Abbrechen persönlicher Entwicklung zur einer „sprachlichen Heimatlosigkeit“ führen könne, da die Familienkommunikation beeinträchtigt werde. Auch erwachsene Zuwanderer (wie z. B. diejenigen, die an Integrationskursen teilnehmen) erlebten sich selbst in der Migrationssituation vielfach als defizitär: Ihre mitgebrachten Qualifikationen zählen nicht mehr, sie erleben Einschränkungen ihres gewohnten Lebensstandards und ihrer Freizügigkeit - ganz abgesehen von den Ungewissheiten bezüglich der Zukunftsmöglichkeiten. Ein Verlust der mitgebrachten Sprache, die aus verschiedenen Gründen nicht (mehr) verwendet werden kann oder nichts mehr wert ist, könne stark auf das Selbstwertgefühl zurückschlagen (vgl. Krumm 2008: 6).

9 Vgl. die Begriffe Integration und Assimilation, die Segmented-Assimilation und die Dimensionen von Integration in Kap. 2: „Das Konzept der Integration und verwandte Konzepte“.

10 Vorher wurde der Begriff „Ausländer“ benutzt. Das „Ausländerkonzept“ basierte auf der jeweiligen Staatsangehörigkeit und nicht auf dem Migrationshintergrund.

11 Eine Auflistung aller Forschungsprojekte/-vorhaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge findet sich im Anhang auf Seite 113 f.

12 Vgl. Internetauftritt des BAMF (http://www.bamf.de, Abruf vom: 26.05.2010). Siehe auch Kap. 3.2: „Die Erforschung von Integration innerhalb der Integrationskurse“.

13 Im Anhang auf Seite 115 f. befindet sich der geplanten Fragebogeninhalt des Integrationspanels.

Excerpt out of 117 pages

Details

Title
„Das war der Anfang!“ Haben Integrationskurse nachhaltige Auswirkungen auf die Integration von Zuwanderern in Deutschland?
Subtitle
Eine empirische Studie
College
http://www.uni-jena.de/  (Auslandsgermanistik / Deutsch als Fremd- und Zweitsprache)
Grade
2,3
Author
Year
2010
Pages
117
Catalog Number
V172651
ISBN (eBook)
9783640926640
ISBN (Book)
9783640926572
File size
1668 KB
Language
German
Keywords
Integration, Integrationskurs, Nachhaltigkeit, Migration, Zuwanderung, Hartmut Esser, BAMF, Empirische Studie, Segmented-Assimilation, Friedrich Heckmann, Hans Barkowski, Deutsch als Fremdsprache, Migrationssoziologie, Integrationsforschung, Sprachkurs, Orientierungskurs, Integrationskursergänzende Maßnahme, Migrationsberatungsdienste, Transkribierte Interviews, Curso de integracao, Alemanha, sociologia, integracao
Quote paper
Student Turian da Silva (Author), 2010, „Das war der Anfang!“ Haben Integrationskurse nachhaltige Auswirkungen auf die Integration von Zuwanderern in Deutschland? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172651

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