Interkulturalität und Humor

Am Beispiel von Ephraim Kishon, Osman Engin und Wladimir Kaminer


Master's Thesis, 2010

65 Pages, Grade: 2,8


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Interkulturalität und Literatur
1.1. Zum Begriff der Interkulturalität
1.2. Interkulturelles Potential der Literatur
1.3. Interkulturelle Erzählverfahren

2. Zum Begriff des Humors
2.1. Allgemeine Vorbemerkungen
2.2. Humor bzw. Komik-Theorien
2.2.1. Überlegenheitstheorie
2.2.2. Entlastungstheorie
2.2.3. Inkongruenztheorie
2.3. Zusammenfassung

3. Interkulturelle Komik in den Werken von ausgewählten Autoren
3.1. Kriterien für die Auswahl von Autoren und Werken
3.2. Kurzbiographien
3.2.1. Osman Engin
3.2.2. Wladimir Kaminer
3.2.3. Ephraim Kishon
3.3. Das Gesellschaftlich-Komische
3.3.1. Allgemein zur Satire
3.3.2. Satire als Mittel der kritischen Auseinandersetzung mit der Migrationswirklichkeit
3.3.3. Satire als Tabubruch
3.4. Kulturkomik
3.5. Komik als Mittel der Darstellung nationaler und kultureller Stereotype
3.6. Komik als Mittel der Infragestellung kultureller Homogenität
3.7. Intertextuelle Komik
3.8. Zusammenfassung

4. Humor in der interkulturellen Literatur: Ein Erfolgskonzept?

Schluss

Literatur

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Interkulturalität und Humor. Ich werde analysieren, wie Humor und Interkulturalität in den literarischen Werken zum Ausdruck kommen, und die Verbindung zwischen den beiden aufzeigen. Dabei gehe ich davon aus, dass die interkulturellen Konstellationen die Infragestellung starrer Normsysteme implizieren und deswegen entsprechende literarische Formen brauchen, die diese Infragestellung zum Ausdruck bringen.[1] Indem der Kern des Komischen die Abweichung von der stabilen Norm ist, erscheint Komik ein besonders passendes literarisches Stilmittel für den Ausdruck interkultureller Konstellationen.

Die Arbeit ist in vier Abschnitte unterteilt. In den ersten beiden Teilen werde ich die theoretischen Grundlagen der Arbeit darlegen. In den dritten und vierten Abschnitten werde ich mich unmittelbar mit den ausgewählten Autoren und ihren Werken beschäftigen.

Im ersten Abschnitt wird also der Begriff der Interkulturalität erklärt, wobei es vor allem darum gehen wird, wie interkulturelle Konstellationen in der Literatur zum Ausdruck kommen. Es handelt sich also nicht nur um inhaltliche Themenkomplexe, die von den sogenannten interkulturellen Autoren in ihren Werken bearbeitet werden, sondern vielmehr um die Form, in der sie interkulturell gestaltet werden.[2] In diesem Rahmen wird Komik als ein interkulturelles Erzählverfahren betrachtet.

Im zweiten Teil der Arbeit gehe ich zur Betrachtung des Humorbegriffs über. In diesem Rahmen möchte ich aus der Vielfalt der theoretischen Ansätze den von mir in dieser Arbeit verwendeten Begriff des Humors herausarbeiten. Dabei wird Humor als Oberbegriff für andere nahestehende Begriffe, wie beispielsweise die Komik, das Komische usw. verwendet. In meiner Bestimmung des Humors werde ich mich auf meine ursprüngliche Aussage beziehen, dass Humor das Scheitern einer Norm impliziert.

Im dritten Teil werden die literarischen Werke selbst untersucht. Beispielhaft wurden die Werke von Ephraim Kishon, Osman Engin und Wladimir Kaminer ausgewählt, die meines Erachtens besonders dazu geeignet sind, den Zusammenhang zwischen Interkulturalität und Humor zu illustrieren. Folgende Texte werden bezüglich der interkulturellen Komik analysiert: die Satirensammlungen von Osman Engin, Der Deutschling. Alle Dackel umsonst gebissen, Alles getürkt! Neue Geschichten zum Lachen, der satirische Roman Kanaken-Gandhi von Ephraim Kishon Drehn Sie sich um, Frau Lot!, Mein Freund Jossele und andere neue Satiren, und die Kurzgeschichtensammlungen von Wladimir Kaminer Russendisko, Meine russischen Nachbarn und Mein deutsches Dschungelbuch.[3] Zum Schluss der Arbeit, im vierten Abschnitt, wird die Rezeption der ausgewählten Autoren in Deutschland betrachtet.

Es lässt sich beobachten, dass die interkulturellen Autoren ihre Werke sehr oft humorvoll gestalten, was die Komik zu einem wichtigen interkulturellen Erzählverfahren macht. Dieser Tatsache wurde jedoch in der wissenschaftlichen Literatur bisher sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die folgende Arbeit zu Interkulturalität und Humor soll diese Lücke füllen.

1. Interkulturalität und Literatur

Multikulturalität, Interkulturalität, hybride Identität und andere ähnliche Begrifflichkeiten, auf die man heutzutage sehr oft stößt, sind nicht nur Modeerscheinungen des Zeitalters von Migrationsbewegungen und Globalisierung. Sie sind vielmehr als Reaktion auf die bestehenden Realitäten zu betrachten, wobei diese Realitäten auch literarisch verarbeitet werden können.[4] Als Resultat entstehen neue „hybride“ Literaturformen, die von Autoren mit Migrationshintergrund geprägt werden. Es handelt sich also um eine Literatur, die offensichtlich mit dem traditionellen nationalphilologischen Ordnungsmuster nicht zu fassen ist.

Es gibt eine Reihe von Bezeichnungen für ein solches literarisches Phänomen, so etwa Gastarbeiterliteratur, Minderheitenliteratur, Migrationsliteratur usw. Viel passender erscheint jedoch der Begriff interkulturelle Literatur, der „den Austausch, die Verschmelzung zwischen den Kulturen“[5] und das Überschreiten der Grenzen betont. Dieser Begriff wird auch auf die in dieser Arbeit zu behandelnden literarischen Texte angewendet, wobei die Verfasser dieser Texte als „interkulturell“ bezeichnet werden.

Im Folgenden soll zunächst der Begriff der Interkulturalität dargestellt werden. Danach wird von einem Zusammenhang zwischen Interkulturalität und Literatur gesprochen, indem nach einem interkulturellen Potential der Literatur gefragt wird. Und schließlich wird dafür plädiert, dass interkulturelle Literatur über bestimmte gemeinsame Erzählverfahren verfügt, mittels derer interkulturelle Konstellationen gestaltet werden, zu denen unter anderem auch Humor bzw. Komik gehört.

1.1. Zum Begriff der Interkulturalität

Der Begriff Interkulturalität ist ein sehr komplexer Begriff, der auch innerhalb von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich verwendet wird. Es erscheint also problematisch, eine erschöpfende Definition dieses Begriffs zu geben. Deswegen soll im Folgenden ein Abriss wichtiger Aspekte gegeben werden, die für das Verständniss des Begriffs von entscheidender Bedeutung sind.

Das Wort Interkulturalität stellt eine Zusammensetzung des Präfixes inter- mit dem Nomen Kultur dar. Dabei spielt das Präfix inter-, das im Lateinischen „zwischen, unter“ bedeutet, eine besondere Rolle: Es vermittelt dem Wort die Bedeutung „zwischen den Kulturen“. Dadurch grenzt sich der Begriff interkulturell von ihm sehr nahe stehenden Begriffen wie multikulturell – der Koexistenz verschiedener Kulturen nebeneinander – und transkulturell – der Übernahme von fremden kulturellen Elementen – ab.[6]

Der Ausgangspunkt für das Verständnis von Interkulturalität ist „ein dynamischer Kulturbegriff, der auf Homogenisierungen und Fixierungen verzichtet“[7]. Im interkulturellen Verständnis kann die Kultur einer Gesellschaft nicht als homogen bezeichnet werden, weil ihre Mitglieder innerhalb dieser Kultur über unterschiedliche Orientierungen verfügen können. Der Einzelne ist also an die kulturelle Konstellation seiner Gemeinschaft nicht völlig gebunden, sondern er kann sich auch abweichend verhalten.[8]

In diesem Sinne wird durch den Begriff der Interkulturalität die Konstruktion des Kulturalismus kritisch befragt, die der Kultur eine statische Form zuschreibt und auf dem Gedanken basiert, dass bestimmte Kulturen feste Eigenschaften besitzen, die sie von anderen Kulturen unterscheiden. Im Gegensatz dazu betont das Konzept der Interkulturalität die Tatsache, dass die kulturelle Identität einer Gemeinschaft und eines Individuums das „jeweils nur provisorische und zeitweilige Ergebnis eines unabschließbaren Prozesses darstellt“[9]. So soll man die kulturelle Differenz nicht als Zustand betrachten, sondern als Resultat einer Zuschreibung, die im Prozess der Begegnung stattfindet.[10]

Indem von einer interkulturellen Begegnung gesprochen wird, ist also keineswegs das „Aufeinandertreffen verschiedener kultureller Entitäten mit festen Eigenschaften“[11] gemeint, sondern ein Austausch zwischen den Kulturen, die in diesem Prozess eine Differenz konstituieren. Es entsteht also ein Raum zwischen den Kulturen, in dem es keine festen Grenzen gibt. Dieser Zwischenraum wird als „dritter Raum“ oder „Raum des Hybriden“ bezeichnet und die Subjekte, die sich in diesem Raum befinden, besitzen eine „hybride Identität“. Wenn wir etwa über einen Repräsentanten der russischen Kultur sprechen, der in Deutschland lebt, kann er nicht als ein fest definierter Vertreter der russischen Kultur bezeichnet werden, der mit der definitiv festgestellten deutschen Kultur vermischt wurde. Er bewegt sich vielmehr zwischen diesen beiden Kulturen und besitzt eine andere, flüssige Form der Identität.

Für das Verständnis von Interkulturalität ist ein weiterer Aspekt von entscheidender Bedeutung, nämlich die Tatsache, dass „es sich um eine moderne Kategorie handelt, die erst nach der Bildung der Nationen und der Inkraftsetzung eines nationalen Denkens zutage tritt“[12]. Der Begriff der Interkulturalität kann also erst im Kontext der Nationalstaaten verwendet werden. Dabei sollen die Verflechtung der Kulturen, die Überwältigung des nationalen Denkens sowie auch die Überschreitung der Grenzen, die von der Interkulturalität beschrieben werden, in diesem Licht betrachtet werden.[13]

1.2. Interkulturelles Potential der Literatur

Nachdem die wichtigsten Aspekte dargestellt wurden, die das Verständnis der Interkulturalität konstituieren, soll nach der Möglichkeit der Übertragung des Begriffs auf literarische Texte gefragt werden. Kann man also von bestimmten interkulturellen Prämissen sprechen, die das interkulturelle Potential der Literatur entlarven?

Aglaia Bliuomi unternimmt in „Interkulturalität und Literatur. Interkulturelle Elemente in Sten Nadolnys Roman ‚Selim oder Die Gabe der Rede‘“ den Versuch, das interkulturelle Potential der Literatur festzustellen, indem sie ein Modell zur Interkulturalität entwickelt, das „interdisziplinär und vornehmlich kulturwissenschaftlich konstituiert ist“[14]. Hier werden vier wichtige Elemente von Interkulturalität hervorgehoben, die auf literarische Texte übertragen werden können.

Das erste Element ist ein dynamischer Kulturbegriff, der eine unbedingte Voraussetzung für interkulturelles Potential darstellt. Ein solcher Kulturbegriff, der den literarischen Texten innewohnt, schließt alle Bereiche der konstruierten Realität ein und „akzeptiert Wandel und Prozess innerhalb eines kulturellen Gebildes“[15]. Zwei Beispiele dafür, wie ein dynamischer Kulturbegriff in den literarischen Texten zum Ausdruck gebracht werden kann, sind die Ablehnung kultureller und nationaler Stereotypen und der Wandel durch Generationenwechsel.[16]

Das zweite wichtige Element ist die Selbstkritik. Die Selbstkritik ist ein besonders wirksames intellektuelles Verfahren, um einer „Objektivierung oder Verabsolutierung von eigenkulturellen Vorstellungen und gesellschaftlichen Praxen entgegenzuwirken“[17]. Dadurch werden vor allem vertraute Wahrnehmungsmuster, Praktiken und Handlungen kritisch in Frage gestellt.[18]

Ein drittes wichtiges Element erscheint die Hybridität zu sein, die sich vor allem auf die „Kontuierung der Personalen und der kollektiven Identität“[19] bezieht. Indem der Begriff der Hybridität die Interaktion zwischen den Kulturen und ihre Koexistenz anerkennt, setzt er sich dem monokulturellen Selbstverständnis entgegen.[20]

Und das letzte Element, das das interkulturelle Potential der Literatur entlarvt, ist der Begriff der doppelten Optik, worin das Eigene und das Fremde aus verschiedenen Perspektiven dargestellt werden. Bei der Betrachtung literarischer Texte stellt sich die Frage, ob die Sicht des Fremden oder des Eigenen dominiert.[21]

Die sogenannte interkulturelle Literatur hebt also die Ambiguität und Vieldeutigkeit der zeitgenössischen Realität hervor und dadurch zeigt sich ihre besondere Affinität zu interkulturellen Begegnungen, ihren Möglichkeiten und Problemen. Die Literatur besitzt also die Fähigkeit „multiperspektivische, ambivalente und vieldeutige Texte“[22] zu erzeugen, die die polyzentrische Welt in ihrer Komplexität darstellen. Dabei werden kulturelle Prozesse und Phänomene in der Literatur nicht einfach abgebildet, sondern vor allem kritisch reflektiert. Die literarische Form ist ein wichtiges Moment dieser Reflexion, das „die Vieldeutigkeit und Komplexität der zugrunde liegenden Konstellation“[23] hervorhebt.

1.3. Interkulturelle Erzählverfahren

In diesem Abschnitt werde ich mich mit der folgenden Frage beschäftigen: Wenn die Literatur ein interkulturelles Potential besitzt, kann man dann vom „interkulturellen Erzählen“ sprechen, mittels dessen dieses Potential überhaupt zum Ausdruck kommt? Die Frage ist sehr umstritten und lässt sich nicht eindeutig beantworten. Im vorangegangenen Unterkapitel wurde jedoch dargestellt, dass man von einem Zusammenhang zwischen Interkulturalität und Literatur sprechen kann. Die Texte, die als Resultat dieses Zusammenhangs entstehen, können offensichtlich mit traditionellen Kategorien nicht erfasst werden. Aus diesem Grund plädiere ich dafür, dass die Literatur interkulturelle Konstellationen nicht nur thematisiert, sondern über bestimmte literarische Formen und Mittel verfügt, die diese Konstellationen zum Ausdruck bringen, und dass man von einer „interkulturellen Erzählkunst“ sprechen kann.

Um diese These zu unterstützen, möchte ich im Folgenden die wichtigsten literarischen Formen und narratologischen Strategien darstellen, die in der „interkulturellen Literatur“ beobachtet werden können. Dabei werde ich mich zu einem großen Teil auf ein Kapitel aus Eva Hausbachers Poetik der Migration. Transnationale Schreibweisen in der zeitgenössischen russischen Literatur stützen, in dem sie einen Überblick über die wichtigsten erzähltheoretischen Verfahren gibt, mit deren Hilfe die Texte interkultureller Literatur gestaltet werden.

Bei der Betrachtung des „interkulturellen Schreibens“ muss man die Tatsache berücksichtigen, dass die Texte mit Blick auf ein fremdkulturelles Publikum gestaltet werden und vor allem kulturelle Mischungen abbilden. Es werden also Verfahren der Vertextung benutzt, die interkulturelle Prozesse in ihrer Prozessualität und Komplexität beinhalten. Dafür benutzen die Texte oft sehr „metaphorisch gestaltete[] Modelle des rhizomatischen, porösen, diversen Schreibens“[24]. Im Folgenden werden die wichtigsten Formen des Erzählens (wie Erzählperspektive, Figurengestaltung, Raum-Zeit-Gestaltung usw.) dargestellt, jedoch immer im Hinblick auf interkulturelle Fragestellungen.

Betrachten wir zunächst die Erzählperspektive. Ein wichtiges Prinzip der Gestaltung „interkultureller Literatur“ sind die Konzepte der Multiperspektivität. Man kann von einer „doppelten Optik“ sprechen, in der die „Eigen-, Fremd- und Universalbilder vermittelt und damit ethnische Gruppen nicht ein-, sondern vielfältig beleuchtet“[25] werden.

Bei der Figurengestaltung treten die Formen der kulturellen Hybridität in den Vordergrund, statt der abgrenzbaren kulturellen Differenz. Die Ausgangssubjekte haben dabei „multiple Identitäten“[26], die den hybriden Charakter der Migrationsidentität zum Ausdruck bringen. Wenn man die Figurenführung betrachtet, so lässt sich ein lockeres Verhältnis zwischen den Instanzen beobachten. Dabei wechselt der „point-of-view“ häufig.[27] Was die Ebene der rhetorischen Figuren angeht, so drücken sie die Ambivalenz sowie auch das „Oszillieren zwischen verschiedenen Positionen und verschiedenen Doppelungen“[28] aus.

Nun kurz zur Raum- und Zeitgestaltung: Was die Raumgestaltung angeht, so wird in der interkulturellen Literatur oft die „Existenz dazwischen“ abgebildet. Die dargestellten Subjekte befinden sich in einem Zwischenraum, d.h. sie bewegen sich in einem Raum zwischen mehreren Kulturen und Ländern. Im interkulturellen Erzählen kommen Zeit und Raum in ihrer Duplizität vor. Es werden oft unterschiedliche geographische Bereiche dargestellt, die sich überschneiden. Bezüglich der Zeitgestaltung wird oft analeptisch erzählt, was auf die Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit hinweist. Die paradigmatischen Motive der „interkulturellen Literatur“ sind also „[d]oppelte Zeit und doppelter Ort“[29].

Die Ebene der Sprache ist durch das Untermischen von anderen Sprachen gekennzeichnet, was die Texte mehrsprachig macht. Wenn keine offenbare Mehrsprachigkeit zu beobachten ist kann man von einer Polyphonie sprechen.[30]

Zu den Stilmitteln der interkulturellen Literatur gehören Komik, Ironie, Parodie und Groteske, zu denen die Autoren oft greifen, um eine „Reproduktion des Opferstatus von Migranten [zu vermeiden], wie sie oftmals in den realistischen Beschreibungen der traditionellen Migranten- und Ausländer- bzw. Gastarbeiterliteratur vorzufinden ist“[31]. Es lässt sich beobachten, dass die Techniken des Komischen sehr häufig bei der Gestaltung interkultureller Literatur eingesetzt werden. Komik kann also als eines der wichtigsten interkulturellen Erzählverfahren bezeichnet werden, dem jedoch bisher sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es gibt nur einzelne Aufsätze wie den von Norbert Mecklenburg „Interkulturalität und Komik bei Emine Sevgi Özdamar“, oder jenen von Susanne Pichler „Interculturality and humor in Thimothy Mo’s Sour Sweet“. Nur kurz erwähnt wird das Stilmittel des Komischen bei Eva Hausbacher und Michael Hofmann. Als wichtiges Erzählverfahren wird die Komik von Simone Höfer in ihren Untersuchung zu interkulturellen Erzählverfahren erkannt. Sie widmet jedoch der Betrachtung der Komik und Ironie nur ein kurzes Kapitel und liefert somit keine umfassende Erforschung dieses Themas.

Das Thema Interkulturalität und Humor ist in der Sekundärliteratur bisher sehr oberflächlich und fragmentarisch behandelt worden. Aus diesem Grund werde ich in dieser Arbeit versuchen, meinen Beitrag zur Erforschung der interkulturellen Literatur zu leisten, indem ich mich näher mit Humor beschäftige. Im folgenden Abschnitt soll der Begriff des Humors eingehend betrachtet werden und aufgezeigt werden, dass die literarischen Gestaltungsmittel des Komischen sich besonders dafür eignen, interkulturelle Konstellationen auszudrücken.

2. Zum Begriff des Humors

In diesem Abschnitt werde ich von der allgemeinen Betrachtung der sogenannten „literarischen Interkulturalität“ unmittelbar zum Humor übergehen, den ich als Schreibweise der interkulturellen Literatur definieren werde. Humor ist ein sehr vielseitiges Phänomen, weshalb es einer Begriffsklärung bedarf. Im Folgenden werde ich verschiedene definitorische Versuche anreißen und einen Begriff des Humors herausarbeiten, mit dem in dieser Arbeit operiert werden wird.

2.1. Allgemeine Vorbemerkungen

Bevor ich mich mit dem Humorbegriff auseinandersetze möchte ich einige Vorbemerkungen machen. Zunächst ist erwähnenswert, dass es innerhalb von verschiedenen Disziplinen eine Unzahl von unterschiedlichen Bestimmungen und Beschreibungen des Begriffs gibt, die von der Antike bis zur Gegenwart reichen. Es gibt soziologische, philosophische, linguistische und literaturwissenschaftliche Ansätze. Die Beiträge sind sehr mannifaltig, und dies nicht nur hinsichtlich ihrer Anzahl sondern auch ihres Umfangs: Manche Theoretiker beschränken sich auf einzelne Aussagen zum Humor, andere widmen ihm voluminöse Schriften. So oder so stellte und stellt die Erforschung des Humors immer eine große Herausforderung für die Forscher dar, und das Problem des Humors bzw. des Komischen bleibt bis heute ungelöst.[32]

So muss im Voraus betont werden, dass auch im Rahmen dieser Arbeit keine befriedigende Antwort darauf gegeben werden kann, was eigentlich Humor ist. Mein Vorhaben ist vielmehr einen Arbeitsbegriff des Humors hervorzubringen, der für die Darstellung der interkulturellen Konstellationen besonders geeignet ist. Im Folgenden werden also die bedeutendsten theoretischen Ansätze zum Humor dargestellt, mit deren Hilfe die für diese Arbeit relevanten Aspekte des Humors herausgefiltert werden können.

Darüber hinaus möchte ich bereits an dieser Stelle bemerken, dass Humor eine Reihe von ihm verwandten Begrifflichkeiten hat – wie humorvoll, humoristisch, komisch, heiter, Komik –, die offensichtlich einer Differenzierung bedürfen.[33] Insbesondere betrifftt dies das Begriffspaar Humor / Komik. Eine übliche Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen innerhalb der Literaturwissenschaft besteht darin, dass Humor als produktionsästhetische Kategorie der Literatur betrachtet wird, wobei man die Komik für eine wirkungsästhetische Kategorie hält. Humor wird dabei als eine „distanzierte Haltung gegenüber einem (dargestellten) Gegenstand oder Thema (und entsprechende formale oder stilistische Präsentation desselben)“[34] definiert, und Komik als „Erregung von Lachen (durch pointiertes Durchbrechen von Erwartungen, Normen oder gewohnten Proportionen und Verbindungen)“[35]. Jedoch ist eine solche Unterscheidung nur eine Unterscheidung, die zwischen Humor und Komik existiert. Die beiden Begriffe werden auch bezüglich ihrer Intensität unterschieden: Ziel des Humors ist es, den Gegenstand zu belächeln, wobei die Komik vielmehr auf dessen „Verlachen“ gerichtet ist. Abgesehen davon muss hervorgehoben werden, dass die Begriffe wesentlich aufeinander bezogen sind und es sich schwierig gestaltet, eine klare Grenze zwischen ihnen zu ziehen.[36] Aus diesem Grund werde ich in dieser Arbeit auf präzise Definitionen der beiden Begrifflichkeiten verzichten und Humor als Oberbegriff für die anderen ihm verwandten Begriffe betrachten.

2.2. Humor bzw. Komik-Theorien

Gemäß dem Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache[37] hat das Wort Humor (von lat. humor „Feuchtigkeit“) seine Ursprünge in der antiken Temperamentlehre, die darauf basiert, dass „die seelische Gestimmtheit des Menschen [...] von verschiedenen, im Körper wirksamen Säften [abhängig ist]“[38]. Im Rahmen einer solchen Temperamentlehre wurden vier Grundtypen des Temperaments bestimmt: phlegmatisch, sanguistisch, cholerisch und melancholisch. Im Mittelalter wurden diese Körpersäfte als humores bezeichnet, die aus dem Lateinischen die Bedeutung von „Feuchtigkeiten“ übernehmen. Daraus hat sich die allgemeine Bezeichnung „Temperament“ entwickelt, die nun gute oder schlechte Laune beschreiben kann. Erst später hat sich im 18 Jh. in England der Begriff des Humors als literarisher Begriff etabliert, der dem heutigen Begriff zugrunde liegt. Das englische Wort humour bedeutete also eine „besondere Stilgattung, deren Hauptanliegen die Darstellung der verspielten Heiterkeit [war], die von komischen Situationen ausging“[39].

[...]


[1] Vgl. Michael Hofmann: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Paderborn, 2006. S. 59.

[2] Vgl. Heidi Rösch: „Interkulturelle Erzählformen in der deutschen Migrationsliteratur“. In: Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Bd.1. Hrsg. v. Johannes Janota. Tübingen, 1993. S. 167-177. Hier S. 169f.

[3] Die Auswahl von Autoren und Werken wird unter Punkt 3.1. dieser Arbeit begründet.

[4] Vgl. Aglaia Blioumi (Hrsg.): „Interkulturalität und Literatur. Interkulturelle Elemente in Sten Nadolnys Roman ‚Selim oder Die Gabe der Rede‘“. In: Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten. München, 2002. S. 28-40. Hier S. 28.

[5] Simone Höfer. Interkulturelle Erzählverfahren. Ein Vergleich zwischen der deutschsprachigen Migrantenliteratur und der englischsprachigen postkolonialen Literatur. Saarbrücken, 2007. S. 25.

[6] Vgl. Aglaia Blioumi (Hrsg.): „Interkulturalität und Literatur. Interkulturelle Elemente in Sten Nadolnys Roman ‚Selim oder Die Gabe der Rede‘“. In: Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten. München, 2002. S. 28-40. Hier S. 29.

[7] Michael Hofmann: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Paderborn, 2006. S. 9.

[8] Vgl. ebd., S. 10.

[9] Ebd., S. 11.

[10] Vgl. ebd., S. 11.

[11] Ebd., S. 11.

[12] Aglaia Blioumi (Hrsg.): „Interkulturalität und Literatur. Interkulturelle Elemente in Sten Nadolnys Roman ‚Selim oder Die Gabe der Rede‘“. In: Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten. München, 2002. S. 28-40. Hier S. 29f.

[13] Vgl. ebd., S. 30.

[14] Ebd., S. 39.

[15] Ebd., S 31.

[16] Vgl. ebd., S. 31.

[17] Ebd., S. 31.

[18] Vgl. ebd., S. 31.

[19] Ebd., S. 31.

[20] Vgl. ebd., S. 31.

[21] Ebd., S. 31.

[22] Michael Hofmann: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Paderborn, 2006. S. 13.

[23] Ebd., S. 14.

[24] Eva Hausbacher: Poetik der Migration. Transnationale Schreibweisen in der zeitgenössischen russischen Literatur. Tübingen, 2009. S. 117.

[25] Ebd., S. 117.

[26] Ebd., S. 117.

[27] Ebd., S. 117

[28] Ebd., S. 119.

[29] Ebd. S. 118.

[30] Vgl. ebd., S. 118.

[31] Vgl., ebd., S. 118.

[32] Vgl. Rolf Arnold Müller: Komik und Satire. Zürich, 1973. S. 9.

[33] Vgl. Anahita Teymourian-Pesch: Amerikaner in der Fremde – Humor als Überwindungs-strategie. Berlin, 2006. S. 14.

[34] Uwe Spörl: Basislexikon Literaturwissenschaft. Padeborn, 2006. S. 166.

[35] Ebd., S. 166.

[36] Vgl. ebd., S. 116.

[37] Vgl. Duden - Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Hrsg. von der Dudenredaktion. Mannheim, 2007. S. 349.

[38] Ebd., S. 349.

[39] Ebd., S. 349.

Excerpt out of 65 pages

Details

Title
Interkulturalität und Humor
Subtitle
Am Beispiel von Ephraim Kishon, Osman Engin und Wladimir Kaminer
College
University of Freiburg
Course
Europäische Literaturen und Kulturen
Grade
2,8
Author
Year
2010
Pages
65
Catalog Number
V173138
ISBN (eBook)
9783640932849
ISBN (Book)
9783640932696
File size
736 KB
Language
German
Keywords
Interkulturalität, Humor, Osman Engin, Ephraim Kishon, Wladimir Kaminer
Quote paper
Ievgeniia Bogomolova (Author), 2010, Interkulturalität und Humor, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173138

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