Leseprobe
Inhalt
A. Einleitung
B. Islamischer Religionsunterricht in Deutschland
I. Verfassungsrechtlicher Begriff des Religionsunterrichts
II. Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 7 Abs. 3 GG)
1. Ausnahme „Bremer Klausel“ (Art. 141 GG)
2. Maßstab des Art. 7 Abs. 3 GG
a) Neutralitätsgebot des Staates
b) Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften (Selbstorganisation der Muslime als Ansprechpartner)
aa) Strukturmerkmale
bb) Islamische Religionsgemeinschaften
c) Religionsunterricht
d) Ordentliches Lehrfach
e) Inhalte des Religionsunterrichts
aa) Staatlich normierte Bildungsziele
bb) Einhaltung der Rechtsordnung
cc) Einhaltung der staatlichen Ordnung
C. Islamische religiöse Unterweisung
I. Vereinbarkeit mit höherrangigem Landesrecht
II. Vereinbarkeit mit der Verfassung
1. Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG
a) Eingriff in das Neutralitätsgebot
b) Eingriff in die institutionelle Garantie und das Grundrecht der Religionsgemeinschaften
c) Rechtfertigung
aa) Verfassungsnähere Rechtslage
bb) Ergebnis Rechtfertigung
2. Beispiele
a) Nordrhein-Westphalen
b) Bayern
D. Verfassungsrechtlicher Anspruch auf Religionsunterricht (Gewährleistungsumfang)
I. Institutionelle Garantie
II. Subjektive Rechte (Grundrechte)
1. Religionsgemeinschaften
a) Abwehrrecht
b) Leistungsrecht
2. Eltern und Schüler
E. Gesellschaftliche Bedeutung eines islamischen Religionsunterrichts
I. Staatliche Kulturaufgabe
1. Kulturelle Relevanz eines muslimischen Religionsunterrichts
2. Schaffung einer kulturellen Vielfalt
II. Integrationspolitisches Interesse des Staates
1. Werteerziehung zur Integrationsförderung
2. Problematik der Segregation
3. Kontrolle über Inhalte des religiösen Unterrichts
F. Fazit
Literaturverzeichnis
-Anger, Thorsten, Islam in der Schule, Rechtliche Wirkungen der Religionsfreiheit und der Gewissensfreiheit sowie des Staatskirchenrechts im öffentlichen Schulwesen, Berlin, 2003
-Bock, Wolfgang, Islamischer Religionsunterricht?, 2. Auflage, Tübingen, 2007
-Czermak, Gerhard, Religions- und Weltanschauungsrecht, Heidelberg, 2008
-Eiselt, Gerhard, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, in: DÖV 1981, S. 205-211
-Emenet, Axel, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen, Dargestellt anhand des nordrhein-westphälischen Schulversuchs „ islamische Unterweisung“, Frankfurt, 2003
-Epping, Volker, Grundrechte, 4. Auflage, Heidelberg, 2009
-Heckel, Martin, Religionsunterricht für Muslime?, in: JZ 1999, S. 741-758
-Hufen, Friedhelm, Staatsrecht II, Grundrechte, 2. Auflage, München, 2009
-Korioth, Stefan, Islamischer Religionsunterricht und Art. 7 Abs. 3 GG zu den Voraussetzungen religiöser Vielfalt in der öffentlichen Pflichtschule, in: NVwZ 1997, S. 1041-1047
-Kreß, Hartmut, Islamischer Religionsunterricht zwischen Grundsatzproblemen und neuen Rechtsunsicherheiten, in: ZRP 2010, S. 14-17
-Langenfeld, Christine/Lipp, Volker/Schneider, Irene (Hrsg.), Islamische Religionsgemeinschaften und islamischer Religionsunterricht: Probleme und Perspektiven, Göttingen, 2005
-v. Mangoldt, Herman/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 6. Auflage, München, 2010 (zit.: Bearbeiter, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, GG)
-Maunz, Theodor/Dürig, Günther (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, München, 2010 (zit.: Bearbeiter, in: Maunz/Dürig, GG)
-Mehrle,Gebhard, Art. 141 GG in „neuem Licht“, in: NVwZ 1999, S. 740-743
-Muckel, Stefan, Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, Berlin, 2008
-Muckel, Stefan, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland, in: JZ 2001, S. 58-64
-Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage, München, 2009 (zit.: Bearbeiter, in: Sachs, GG)
- Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Hopfauf, Axel (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 11. Auflage, München, 2008 (zit.: Bearbeiter, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hopfauf, GG)
-Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, München, 1988
-Stock, Martin, Einige Schwierigkeiten mit islamischem Religionsunterricht, in: NVwZ 2004, S. 1399-1405
A. Einleitung
Sollen muslimische Kinder an öffentlichen Schulen ebenso Religionsunterricht in ihrem eigenen Glauben erhalten wie christliche Kinder? Diese Frage stellt sich sowohl unter dem Aspekt der staatlichen Gleichbehandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften, als auch aufgrund der in Deutschland seit langem präsenten - und in den letzten Monaten wieder verstärkt aufgeflammten - Integrationsdebatte. Ist ein islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen für die Integration von Muslimen in unserer Gesellschaft vorteilhaft, da „die Integration der muslimischen Bevölkerung nur gelingen kann, wenn sie auch die religiöse Seite ihres Lebens mit einbezieht“[1] ? Oder ist davon auszugehen, dass ein separater Religionsunterricht für muslimische Schüler Kinder unterschiedlichen Glaubens verstärkt voneinander abgrenzt und folglich einer Integration eher entgegenwirkt? Welche Vorteile bringt es, den islamischen Religionsunterricht auf den staatlichen Bereich der öffentlichen Schulen auszudehnen, obwohl es bereits Koranschulen gibt? Ist es besser, staatliche Kontrolle über die religiöse Unterweisung der Kinder und Jugendlichen zu haben und falls ja, wie weit soll der Einfluss des Staates auf den Religionsunterricht reichen dürfen?
Bevor diese integrationspolitischen Fragen beantwortet werden, soll diese Arbeit die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen klären. Das Staatskirchenrecht steht mehr und mehr „vor den Schwierigkeiten zwischen Staat und nichtchristlichen Religionen“[2], daher liegt der Fokus hierbei auf den Rechtsfragen und der Problematik, die sich bei der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts stellen, und auf zwei bereits durchgeführten Schulversuchen einer islamischen religiösen Unterweisung. Es stellt sich die Frage, wie mit Art. 7 Abs. 3 GG, der den Religionsunterricht zum Verfassungsgut macht, umgegangen werden soll, wenn nicht alle seine Voraussetzungen gegeben sind. Anschließend soll die Frage beantwortet werden, in welchem Umfang das deutsche Grundgesetz einen Anspruch auf Religionsunterricht gewährleistet. Schließlich soll der oben bereits erwähnten integrations- und gesellschaftspolitischen Bedeutung eines islamischen Religionsunterrichts Rechnung getragen werden.
B. Islamischer Religionsunterricht in Deutschland
Zunächst stellt sich die Frage, wie die derzeitige Situation bezüglich eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ist. Die Anweisung des Art. 7 Abs. 3 GG, wonach der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist, hat noch nicht dazu geführt, dass ein islamischer Religionsunterricht eingeführt wurde. Nach der Ansicht von Korioth beruht diese Tatsache v.a. darauf, dass unser eigentlich weltanschaulich-neutraler Staat von christlich abendländischen Traditionen geprägt ist und die Zunahme der Bedeutung anderer religiöser Traditionen unter den Bürgern, die die Institute des Staatskirchenrechts aber dennoch für sich beanspruchen, verfassungsrechtliche Probleme hervorruft.[3] Fraglich ist also, welche Probleme sich bei Einführung eines islamischen Religionsunterrichts stellen. Um dies beantworten zu können, ist eine genaue Betrachtung der Anforderungen des Grundgesetzes an die Einführung eines zukünftig möglichen islamischen Religionsunterrichts nötig.
I. Verfassungsrechtlicher Begriff des Religionsunterrichts
Die Verfassung verwendet für den Begriff des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG lediglich einen Rahmenbegriff, der dann von den Kirchen und Religionsgemeinschaften nach ihrem Verständnis von Religion näher definiert wird.[4] Ebenso sind die Begriffe „Glaube“, „Bekenntnis“, „Religionsausübung“ und „Religionsgemeinschaft“ in Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V.m. WRV offene weltliche Rahmenbegriffe, für alle Religionen dieser Erde, ohne dass eine Wertung vorgenommen wird. Der religiöse Inhalt soll von den verschiedenen Religionen in freier Überzeugung und Ausübung individuell festgelegt werden und so der jeweiligen Glaubensrichtung Schutz vor der Staatsgewalt und den konkurrierenden Religionen bieten.[5] Ebenso definiert das Bundesverfassungsgericht den Begriff des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG als „die Vermittlung der Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft als die bestehende Wahrheit“[6]. Die Ausgestaltung des Begriffs des Religionsunterrichts von der jeweiligen Religionsgemeinschaft hat für die Frage nach der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts große Bedeutung, denn bei Schaffung des Grundgesetzes 1949 war noch nicht abzusehen, dass im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 3 GG einmal die Frage des islamischen Religionsunterrichts aufkommen würde.[7] Zu Beginn wurde bei dem Begriff des Religionsunterrichts in Art. 7 GG nur an katholischen, evangelischen und jüdischen Religionsunterricht gedacht. Dass dies aber zu kurz greift, zeigt die Zusammenschau des Entscheidungsrechts der Eltern über die Teilnahme ihres Kindes am Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 2 GG und der Freiheit des Bekenntnisses nach Art. 4 GG, die Gleichstellung der Weltanschauungsgemeinschaften mit den Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 7 WRV, 140 GG) und das Prinzip der Chancengleichheit.[8] Im Allgemeinen haben also auch islamische Religionsgemeinschaften den Anspruch auf Religionsunterricht.
II. Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 7 Abs. 3 GG)
Art. 7 Abs. 3 GG ist zwar mit Blick auf die christlichen Kirchen entstanden, ein islamischer Religionsunterricht kann aber ebenfalls den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 GG nachkommen[9], die in allen Bundesländern außer in Bremen und Berlin erfüllt sein müssen.
1. Ausnahme „Bremer Klausel“ (Art. 141 GG)
In Bremen und Berlin ist gem. Art. 141 GG (sog. Bremer Klausel) Art. 7 Abs. 3 GG nicht anwendbar, da für sie am 1. Januar 1949 eigene landesgesetzliche Regelungen bestanden. Es handelt sich bei Art. 141 GG um eine Ausnahme der Garantie des Religionsunterrichts.[10] In Berlin ist gem. § 13 Abs. 1 des Schulgesetzes für Berlin der Religionsunterricht nicht vom Staat als ordentliches Lehrfach, sondern von den Religionsgemeinschaften als „innerkirchliche“ Angelegenheit zu erteilen.[11] Der Religionsunterricht ist zwar keine staatliche Veranstaltung, wird aber in die Gesamtordnung der Schule integriert, indem Unterrichtsstunden im Stundenplan freigehalten und Unterrichtsräume zur Verfügung gestellt werden (§13 Abs. 5 des Schulgesetzes für Berlin).[12] Die Regelung des Religionsunterrichts betrifft folglich nur die Religionsgemeinschaften und muss nicht an der Verfassung gemessen werden. In Bremen hingegen gibt es keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Nach Art. 32 der Verfassung Bremens (siehe auch § 7 Abs. 1 BremSchulG) gibt es nur bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage, von dem Schüler aber abgemeldet werden können. Dies gilt auch für islamische Schüler. Außerhalb der Schule haben die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften jedoch das Recht auf Wunsch der Erziehungsberechtigten Kinder in ihrem Bekenntnis oder ihrer Weltanschauung zu unterweisen. In Bremen liegt demnach die Aufgabe zur Erteilung eines islamischen Religionsunterrichts allein bei den Koran-Schulen.[13] Er muss in Bremen, ebenso wie in Berlin, nicht an Art. 7 Abs. 3 GG gemessen werden. Für die übrigen Bundesländer gelten aber die im Folgenden aufgeführten Bedingungen.
2. Maßstab des Art. 7 Abs. 3 GG
a) Neutralitätsgebot des Staates
Der Staat ist zur Bildung und Erziehung beauftragt. Dies beinhaltet auch die religiöse Bildung an Schulen.[14] Unter Religion versteht man die innere Überzeugung von Gott und dem Jenseits sowie sonstiger Werteordnungen und Zielvorstellungen, soweit sie nicht beweisbar sind.[15] Art. 7 Abs. 3 S. 1 und 2 GG verdeutlichen die sachliche und rechtliche Verantwortung des Staates für den Religionsunterricht. Der Begriff des Staates meint in diesem Zusammenhang jedoch nicht den Bund, sondern lediglich eine hoheitliche Verantwortung.[16] Das Schulwesen ist Sache der Gesetzgebung und Verwaltung der Länder.[17] Es muss an dieser Stelle aber klargestellt werden, dass die staatliche Verantwortung zur Einrichtung von Religionsunterricht lediglich aus dem Erziehungs- und Bildungsauftrag und der Tatsache, dass Religion für das Gemeinwesen unverzichtbar ist, nicht zugunsten einzelner Religionsgemeinschaften folgt[18], denn der Staat muss sich in religiös-weltanschaulichen Fragen zurückhalten.[19] Dies folgt aus der Zusammenschau von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 WRV, Art. 137 Abs. 1 WRV.[20] Es besteht in Deutschland keine Staatskirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV), sondern eine Trennung von Staat und Kirche.[21] Der Staat darf sich mit keiner Religionsgemeinschaft oder Weltanschauung identifizieren und keinen inhaltlichen Einfluss auf einen Glauben nehmen.[22] Für den von Staat und Religionsgemeinschaften gemeinsam zu regelnden Religionsunterricht bedeutet dies, dass das staatliche Neutralitätsgebot nicht verletzt werden darf. Denn obwohl Religionsunterricht gemeinsame Angelegenheit ist, muss die organisatorische Trennung von Staat und Kirche beachtet werden.[23] Die Lösung des Problems einer solchen gemeinsamen Angelegenheit von Staat und Kirche besteht darin, dass sich der Staat auf die weltlichen, die Kirche andererseits auf die geistigen Aspekte beschränkt.[24] Laut Mehrle gibt es aber dennoch Ansichten, die besagen, dass Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG das Neutralitätsprinzip durchbricht. Mehrle argumentiert jedoch, dass vor der Gesamtheit der religionsverfassungsrechtlichen Normen Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG keine Durchbrechung des Neutralitätsgebots darstellt. Als das Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde, haben die Verfassungsgeber ein Normensystem aufgestellt, das mit den Grundrechten und dem Staatskirchenrecht im Einklang steht: Der Staat muss zwar Religionsunterricht einrichten, darf aber nicht die inhaltliche Verantwortung für diesen erziehenden Unterricht tragen und nicht Schüler und Lehrer dazu zwingen, an einem solchen Unterricht teilzunehmen bzw. abzuhalten.[25] Die Einsicht des Religionsunterrichts als wichtiges Erziehungsmaxim und die Erkenntnis, dass diese Erziehung dem Staat nicht obliegt, sondern in Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften erfolgen muss, steht nicht im Widerspruch zur staatlichen Neutralität. Im Gegenteil, hielte sich der Staat vollkommen aus religiösen Fragen an öffentlichen Schulen heraus, bedeute dies eine Identifikation mit einer atheistischen Weltanschauung, welche mit der Geltung des Grundgesetzes nicht vereinbar wäre.[26] Art. 7 Abs. 3 GG beachtet folglich das Gebot der Neutralität. Der Religionsunterricht wird nicht von der Religion des Staates (wie etwa früher die Identifikation des Staates mit herrschenden Staatsreligion), sondern von der Religion der Bürger durch deren freie Selbstbestimmung gestaltet.[27] Das staatliche Neutralitätsgebot wird durch die Organisation des Religionsunterrichts, die dem Staat verbleibt, nicht betroffen, da der Staat nur für Verwaltung und Finanzierung die Verantwortung trägt, nicht für die religiöse Ausgestaltung.[28] Dem Staat bleibt die Möglichkeit, trotz des Neutralitätsgebots mit den Religionsgemeinschaften zusammenzuarbeiten[29] und die gemeinsame Aufgabe zu erfüllen, die Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG vorgibt.
b) Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften (Selbstorganisation der Muslime als Ansprechpartner)
Der Religionsunterricht wird also gem. Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Staat und Religionsgemeinschaften haben eine gemeinsame Aufgabe (res mixta).[30] Der Staat darf nicht selbst die Verantwortung für den Inhalt des islamischen Religionsunterrichts übernehmen. Die Religionsgemeinschaften bestimmen die Inhalte des Religionsunterrichts, so dass das Neutralitätsgebot des Staates unberührt bleibt (s.o. B. II. 2. a)). Aus diesem Grund ist ein Ansprechpartner für den Staat bezüglich des Inhalts erforderlich. Laut dem Bundesverwaltungsgericht definiert sich eine Religionsgemeinschaft, ebenso wie der Begriff der Religionsgesellschaft gem. Art. 140 GG iVm. Art. 136 ff. WRV über die gemeinsame Organisation von Aufgaben durch Menschen, die denselben Glauben teilen.[31] Um als Religionsgemeinschaften eingestuft werden zu können, müssen demnach folgende Strukturmerkmale erfüllt werden:
aa) Strukturmerkmale
Muslime müssen sich zu funktionsfähigen Ansprechpartnern organisieren[32], um ihren Teil der gemeinsamen Aufgabe, den geistigen Inhalt des Religionsunterrichts zu bestimmen, ausführen zu können.
Sie müssen sich zu einer festen, auf Dauer angelegten Religionsgemeinschaft zusammenschließen, die fähig ist, mit dem Staat zu kooperieren. Die Voraussetzung der Dauerhaftigkeit ist erfüllt, wenn die Mitglieder sich nicht nur vorrübergehend zusammengeschlossen haben.[33] Es gibt eine Vielfalt an islamischen Gruppierungen, es kann also nicht dem Staat überlassen werden, sich unter diesen eine auszuwählen und sie als repräsentativ für den gesamten Islam anzusehen, denn der Staat darf den muslimischen Schülern nicht ohne ihren Willen Religionsunterricht nach einer Bekenntnisrichtung erteilen, der sie nicht angehören, und keine Religionsgemeinschaft muss es gestatten, dass Schüler an ihrem Bekenntnisunterricht teilnehmen, die einen fremden Glauben haben.[34]
Nach deutschem Staatskirchenrecht gem. Art. 4, 140 GG i.V.m. 137 WRV wird vorausgesetzt, dass die Religionsanhänger sich zur umfassenden, nicht rein partiellen Wahrnehmung gemeinsamer religiöser Aufgaben zusammenschließen und sich dauerhaft zu einer rechtlichen Organisation vereinigen.[35] Innerhalb der Gemeinschaft muss dabei Übereinstimmung über die Glaubensinhalte herrschen[36], und es müssen die religiöse Grundlage, die Mitgliedschaftsregelung und die Mitgliedschaftszugehörigkeit der Schüler und Eltern sowohl im Innenverhältnis als auch im Außenverhältnis zu den staatlichen Ansprechpartnern eindeutig bestimmt sein.[37] Die Religionsgemeinschaft muss organisatorisch verfestigt sowie für den Staat erkennbar und definierbar sein,[38] denn nur dann können Kooperationsrechte zuerkannt werden.[39]
Bei dem Begriff der Religionsgesellschaft handelt es sich ebenfalls wieder um einen sog. Rahmenbegriff, den die verschiedenen Religionen nach ihren individuellen theologischen Vorstellungen ausfüllen können. Folglich ist den Muslimen auch die Formung einer Organisation aus unterschiedlichen, aber verwandten Glaubensrichtungen und die Schaffung eines Dachverbandes verschiedener islamischer Verbände gestattet.[40] Auch ein Dachverband kann eine Religionsgemeinschaft sein. Der Dachverband muss jedoch Aufgaben wahrnehmen, die für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind. Es handelt sich ferner nicht um eine Religionsgemeinschaft, wenn die einzelnen Mitgliedsvereine des Dachverbandes religiöse Aufgaben nicht oder nur teilweise erfüllen.[41] Letztlich muss ein Dachverband, der eine Religionsgemeinschaft darstellen will, sich aus einer „gelebten Gemeinschaft natürlicher Personen zusammensetzen“[42].
Des Weiteren hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine Religionsgemeinschaft, die nicht gewährleistet, dass sie die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten fundamentalen Verfassungsprinzipien, die Grundrechte Dritter und die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährden, keine Religionsgemeinschaft im Sinne der Verfassung ist.[43]
bb) Islamische Religionsgemeinschaften
Problematisch ist aber, dass die Muslime in Deutschland bis jetzt nach eigenem Selbstverständnis noch keine dauerhafte „Religionsgemeinschaft“ oder „Kirche“ geformt haben, und damit der Voraussetzung des staatlichen Ansprechpartners aus Art. 7 Abs. 3 GG nicht nachkommen.[44] Dies liegt daran, dass es im Islam keine formalisierte Mitgliedschaften und hierarchische Strukturen wie in christlichen Kirchen gibt.[45] Der Islam als Gemeinschaft besteht schon durch das gemeinsame Bekenntnis und die Ausübung religiöser Pflichten.[46] Bis jetzt gibt es also noch keinen islamischen Ansprechpartner für den Staat. Organisationen wie der Zentralrat der Muslime vertreten nur die Ansichten von Minderheiten. Im Jahr 2009 sahen sich nur die wenigsten der in Deutschland lebenden Muslime von den Verbänden repräsentiert.[47]
c) Religionsunterricht
Erforderlich ist des Weiteren auch, dass es sich um Religionsunterricht i.S.v. Art. 7 Abs. 3 GG handelt. Allein dass eine Religion Gegenstand des Unterrichts ist, ist nicht ausreichend. Art. 7 Abs. 3 GG stellt vielmehr an den Religionsunterricht in der Schule neben der reinen Wissensvermittlung über die Religion die Anforderung, Elemente der Glaubensverkündung aufzuweisen. Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Fach geht weiter als die bloße Religionskunde: Es geht nicht nur um die Lehre von Sitten und Moral und die Darstellung der Religions- und Bibelgeschichte, sondern um die Lehre aus dem Glauben heraus. Bei einer reinen Religionskunde wird die Distanz zum Bekenntnis gewahrt. Demnach ist ein Unterricht in dem beispielsweise arabisch gelehrt wird und sich darauf beschränkt, die geschichtliche Entwicklung des Islam aufzuarbeiten, kein Religionsunterricht i.S.d. Grundgesetzes.[48]
d) Ordentliches Lehrfach
Ein Rechtsanspruch von Religionsgemeinschaften auf Religionsunterricht, kann nur bestehen, wenn Religionsunterricht ordentliches Lehrfach, also Pflichtfach an Schulen ist und der Staat eine objektive-rechtliche Pflicht hat, Religionsunterricht an Schulen einzuführen. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt Religionsunterricht zum ordentlichen Lehrfach und stellt somit klar, dass er Aufgabe und Angelegenheit des Staates und von ihm zu gewährleistendes Pflichtfach ist. Religionsunterricht wird nicht durch etwaige Befreiungsmöglichkeiten nach Art. 7 Abs. 2 GG zum Wahlfach.[49] Eine solche Verpflichtung besteht aber nicht an öffentlichen Schulen, die bekenntnisfreie Schulen i.S.d. Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG sind. Der Staat muss dafür sorgen, dass die sachlichen und personellen Voraussetzungen für Religionsunterricht gegeben sind, der Religionsunterricht mit ausreichender Wochenstundenzahl im Lehrplan fest verankert ist, und er muss für die Finanzierung aufkommen.[50] Religionsunterricht muss die gleiche Stellung wie andere ordentliche Lehrfächer haben[51] und die Leistungen können versetzungserheblich sein.[52]
[...]
[1] Langenfeld/Lipp/Schneider, S. ix.
[2] Korioth, NVwZ 1997, 1041 (1041).
[3] Korioth, NVwZ, 1041 (1042).
[4] E menet, S. 59.
[5] Heckel, JZ 1999, 741 (745).
[6] BVerfGE 74, 244 (252).
[7] Hufen, S. 552.
[8] Eiselt, DÖV 1981, 205 (205).
[9] Muckel, S. 266.
[10] Anger, S. 347.
[11] Heckel, JZ 1999, 741 (755).
[12] Eiselt, DÖV 1981, 205 (210).
[13] Eiselt, DÖV 1981, 205 (210).
[14] Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, GG, Art. 7 Rn. 130.
[15] Emenet, S. 107.
[16] Emenet, S. 107 f.
[17] Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art.7 Rn. 26.
[18] Emenet, S. 108.
[19] Emenet, S. 246.
[20] BVerfGE 19, 206 (216).
[21] Emenet, S. 247.
[22] Czermak, S. 90.
[23] Heckel, JZ 1999, 741 (750).
[24] Heckel, JZ 1999, 741 (751).
[25] Mehrle, NVwZ 1999, 740 (741).
[26] Mehrle, NVwZ 1999, 740 (743).
[27] Heckel, JZ 1999, 741 (744).
[28] Emenet, S. 107.
[29] Emenet, S. 248.
[30] Hufen, S. 338.
[31] Epping, S. 233; BVerwGE 123, 49 (54 ff.).
[32] Heckel, JZ 1999, 742 (752).
[33] Emenet, S. 162.
[34] Heckel, JZ 1999, 742 (752).
[35] Heckel, JZ 1999, 742 (752).
[36] Emenet, S. 163.
[37] Heckel, JZ 1999, 742 (752).
[38] Emenet, S. 156.
[39] Emenet, S. 162.
[40] Heckel, JZ 1999, 741 (752).
[41] BVerwGE 123, 49 (49).
[42] Emenet, S. 176 ff.
[43] BVerwGE, 123, 49 (49).
[44] Hufen, S. 552.
[45] Emenet, S. 169.
[46] Emenet, S. 172.
[47] Kreß, ZRP 2010, 14 (15 f.).
[48] Muckel, JZ 2001, 58 (59).
[49] BVerfGE 74, 244 (251).
[50] Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 7 Rn. 46.
[51] BVerfGE 74, 244 (251).
[52] BVerwGE 42, 346 (348 f.).