Alexander Kluges Fernseharbeiten über Katastrophen


Exposé (Elaboration), 2011

13 Pages, Note: 1,2


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Vom Autorenkino zum Autorenfilm

3. Kluges Autorenfernsehen

4. Intermedialität
4.1 Das eigentliches Medium ist der Mensch
4.2 Filmisches Recycling

5. Facts und fakes

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Stellen wir uns mit etwas Fantasie eine Sendezentrale vor. Das Bild vor unserem geistigen Augen zeigt, wie Fernsehen funktioniert. An elektronischen Anlagen sitzen Techniker. Wenn ein Moderator oder Sprecher in die Kamera schaut, blickt er uns, die Zuschauer an, ohne uns tatsächlich zu sehen. Wände von Monitoren zeigen, was von unzähligen Kanälen in diesem Augenblick der Aufnahme als Wahrheit gesendet wird und im nächsten Moment bereits „versendet“ ist. Fernsehen hat also die Intention, von Individuen ausgewählte Bilder und Sendungen in Versendetes zu verwandeln.

Alexander Kluge greift an dieser Stelle mit seiner Realismustheorie ein, die zum Modell einer kommunizierenden Gegenöffentlichkeit wird. Hiermit will er dem Zuschauer zur Erkenntnis von Wirklichkeitszusammenhängen verhel- fen und den Illusionswirkungen des Mainstream-Fernsehen entgegenwirken. So entstehen Kluges „Gegenproduktionen“ zum konventionellen, nivellierten Fernsehen.

In meiner Ausarbeitung möchte ich zunächst auf Kluges Weg vom Kino zum Fernsehen eingehen und seine Motivation hierfür näherbringen. Dabei wird auf seine Gegenoffensive zur Nivellierung des privaten Fernsehens einge- gangen, um anschließend Kluges Autorenfernsehen und seine Zielsetzung im Hinblick auf Ausdrucks- und Reflektionspotentiale des Mediums zu erklären. Danach werde ich seine Intermedialität und den Umgang mit dieser auch aus Sicht von Kritikern reflektieren. Im Anschluss daran wird sein Realitätsver- ständnis im Hinblick auf seine „Recycling-Technik“ und sein Verständnis von Wahrheit analysiert. Zum Schluss möchte ich die gewonnenen Eindrü- cke auf seinen Umgang mit Fernseharbeiten zum Thema Katastrophen hin überprüfen. Diese Ausarbeitung kann nicht den Anspruch der Vollständigkeit erheben, sondern soll Einblicke in „Kluges-Fernsehen“ vermitteln.

2. Vom Autorenkino zum Autorenfernsehen

„Der deutsche Film ist schlecht“, schreibt 1961 der bekannte Publizist Joe Hembus und legt den Finger in die Wunde. Denn Anfang der Sechziger Jahre steckt die Filmszene künstlerisch, inhaltlich und wirtschaftlich in der Krise. Immer weniger Besucher gehen in die Kinos, Produktions- und Verleihfirmen gehen bankrott. Und der Anspruch sinkt. Das neue Filmgenre in Westdeutsch- land ist die Heimatidylle, ein Alptraum für den anspruchsvollen Kinogänger. „Wir sahen diese Schnulzenproduktion“, erinnert sich der Regisseur Edgar Reitz, „und wie das Publikum geschmacklich verdorben wurde.“1

Dass dem kreativen Nachwuchs durch die etablierte Filmbranche der Zutritt ins Kino verweigert wird, spüren u.a. auch 26 Filmemacher, die das Ober- hausener Manifest, eine Erklärung vom 28. Februar 1962 anlässlich der „8. Westdeutschen Kurzfilmtage“ in Oberhausen unterzeichnen und bei einer Pressekonferenz mit dem Titel „Papas Kino ist tot!“ proklamieren. Die bis dahin vorwiegend im Kurz- und Dokumentarfilm erfolgreichen Künstler hat- ten es sich zum Ziel gemacht, die damals desolaten bundesdeutschen Film- produktion und den Anspruch der Kurzfilmregisseure zu erneuern, um so einen neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. Die Diskussion im Anschluss leitet Alexander Kluge. Filmhistoriker sehen diesen Moment zunehmend als die Geburtsstunde des „Jungen deutschen Films“ und damit auch den Beginn eines gesellschaftspolitischen Umdenkens der bundesdeutschen Filmkultur nach dem zweiten Weltkrieg, wobei Kluge als Vordenker des deutschen Au- torenfilms gilt.

1964 schreibt Kluge: „Der Film muß [...] die kritische Haltung des Zuschau- ers, den Anspruch des Zuschauers, als ein aufgeklärter Mensch behandelt zu werden, vorwegnehmen.“2 Bereits hier wird deutlich, was Kluges neuer deut- scher Film verhindern will: „Die Vorwegnahme der kritischen Haltung des Zuschauers meint nichts anderes, als dass der Zuschauer - wie im Epischen Theater Brechts - in jedem Augenblick selbständig bleiben soll und dass seine Wahrnehmung durch keinerlei dramaturgische Manipulation (Spannungsdra- maturgie, unsichtbarer Schnitt, etc.) zu beeinträchtigen sei.“3 Es entwickelt sich der Versuch, die bundesdeutsche Wirklichkeit abzubilden und zu kriti- sieren. Nach den mutigen Worten des Manifests, kommt es zu ersten Treffen in Bonn mit Politikern, Produzenten, Verleihern, Schauspielern, Autoren und jungen Filmemachern, die gemeinsam über die Zukunft des deutschen Films diskutieren. Nennenswerte Ergebnisse entstehen jedoch erst 1966 mit abend- füllenden Kinofilmen wie z.B. Kluges „Abschied von Gestern“. Mit der Einführung des dualen Rundfunksystems, also dem gleichzeitigen Bestehen von öffentlich-rechtlichen und privatem Fernsehen, gelingt es Klu- ge Mitte der 1980er Jahre, aufgrund einer Klausel im nordrhein-westfälischen Mediengesetz, in den Programmen der privaten Anbieter RTL und SAT.1 unabhängige Programmfenster zu besetzen. Somit kann er der wenig intel- lektuellen Geisteshaltung der Kinobranche, den klammen Förderkassen und den damit verbundenen Konventionen entfliehen und seine neue Ausdrucks- möglichkeiten im populären Fernsehmarkt einbringen, um hier mit seinem Alternativentwurf aus dem Autorenkino der Nivellierung der Programme entgegenzuwirken. Am 12. Februar 1987 gründet Kluge gemeinsam mit dem japanischen Werbekonzern Dentsu - er liefert die Werbung von denen die Magazine umrahmt sind ohne Einfluss auf sie zu nehmen - die Firma De- velopment Company for Television Program (DCTP). Dieser schloss sich 1991 auch der Spiegel-Verlag an. Eine Lizenz garantiert der DCTP und ih- ren Partnern bei ihrer Programmgestaltung völlige Unabhängigkeit und Un- kündbarkeit.4 Während die Spiegel-Produktionen Stern-TV und Spiegel-TV den Sendern hohe Einschaltquoten verschafften, stoßen die von Kluge selbst gestalteten Kulturprogramme 10 vor 11, News & Stories und Prime Time - Spätausgabe auf Anfeindung und werden vom damaligen RTL-Chef Helmut Thoma als „Quotenkiller“ und „elektronische Wegelagerei“ tituliert. Dieser Konflikt konträren Interessen der Programmgestaltung rühren daher, dass Kluge seine bereits erwähnte Einstellung zum Film auf das Fernsehen über- tragen hat und sich keinen Quotenerwartungen der kommerziellen Sender un- terziehen will. Für ihn stehen Programmvielfalt und nicht -vereinheitlichung im Vordergrund. Kluges Produktionsweise kann als „Gegenproduktion“ zu den Vereinheitlichungstendenzen des konventionellen Fernsehens definiert werden5. Diese Gegenproduktion soll eine Gegenöffentlichkeit ansprechen.

[...]


1 Deutsche Welle: Papas Kino ist tot! - Das Oberhausener Manifest. www.dw- world.de/dw/article/0,,4315391,00.html (25.05.2011).

2 Schulte, Christian: Kritische Theorie als Gegenproduktion. Zum Projekt Alexan- der Kluges. www.freietheater.at/?page=service&subpage=gift&detail=4258&id_ text=11 (25.05.2011).

3 Schulte (2011), Internet.

4 Vgl. Schulte, Christian: Vorwort. In: Kluges Fernsehen. Kulturmagazine. Hrsg. von Christian Schulte. Aufl. 1. Frankfurt a. M.: Surkamp 2002, S. 8.

5 Vgl. Schulte, Christian: Fernsehen der Autoren - Die Kulturmagazine der DCTP.

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Alexander Kluges Fernseharbeiten über Katastrophen
Université
University of Münster  (Germaniatik)
Cours
Filmrealismus bei Alexander Kluge
Note
1,2
Auteur
Année
2011
Pages
13
N° de catalogue
V176637
ISBN (ebook)
9783640980222
ISBN (Livre)
9783640980543
Taille d'un fichier
412 KB
Langue
allemand
Mots clés
alexander, kluges, fernseharbeiten, katastrophen
Citation du texte
Dietmar Bous (Auteur), 2011, Alexander Kluges Fernseharbeiten über Katastrophen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176637

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