Die steigende Lebenserwartung bringt neben demographischen Umschichtungen und sozialpolitischen Herausforderungen auch vielfache Konsequenzen für die therapeutische Betreuung mit sich.
Vor diesem Hintergrund setzt sich diese Arbeit zunächst mit dem Wandel der Rolle des alten Menschen in der Geschichte auseinander, geht auf ethnologische, medizinische, psychosoziale und verhaltensorientierte Aspekte des Alters bzw. der Lebensfragen im Alter ein und widmet sich dann der Musiktherapie mit alten Menschen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, welchen Beitrag die Musiktherapie zu einer sinnbringenden Lebensbewältigung und (Neu)Orientierung im Alter leisten kann. Der Fokus liegt hierbei auf der Anwendung der musikalischen Improvisation.
Zur Beantwortung der Fragestellung geht diese Arbeit zuerst auf deutschsprachige Fachliteratur ein und ergänzt dann die Ergebnisse durch einen Fragebogen mit den Erfahrungen und Aussagen österreichischer MusiktherapeutInnen und Musiktherapie-StudentInnen.
Die Ergebnisse der Literaturanalyse und des Fragebogens bestätigen, dass die Musiktherapie einen positiven Einfluss auf alte Menschen hat und dass im Speziellen die Improvisation einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann.
Schlüsselbegriffe:
Musiktherapie – Improvisation – Alter – Geriatrie – Weisheit – Biographiearbeit
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
EINLEITUNG
1 DAS ALTER - EIN ANNÄHERUNGSVERSUCH
1.1 Historische Annäherung: Von den Ägyptern bis ins 21. Jahrhundert
1.1.1 Der „Greis“ im alten Ägypten
1.1.2 „Gera, geron“ im antiken Griechenland
1.1.3 „Das traurige Alter“ im Römischen Reich
1.1.4 Die „Lebensalter“ im Mittelalter
1.1.5 „Moral und Lebensart“ in der Renaissance
1.1.6 Altersheime im 17. Jahrhundert
1.1.7 Die steigende Lebenserwartung im 18. Jahrhundert
1.1.8 „Die Kenntnis über das Alter“ im 19. Jahrhundert
1.1.9 „Vom Unterschiede der Lebensalter“ bei ARTHUR SCHOPENHAUER
1.1.10 „Gott, der gute alte Großvater“ bei VICTOR HUGO
1.1.11 Fortschritte im 20. Jahrhundert
1.1.12 „Die ergrauende Welt“ im 21. Jahrhundert
1.2 Ethnologische Annäherung
1.3 Medizinische Annäherung
1.3.1 Geriatrie
1.3.1.1 Ursprünge der Geriatrie
1.3.2 Gerontologie
1.3.2.1 Ursprünge der Gerontologie
1.4 Psychosoziale Annäherung: Modelle zu den Lebensphasen
1.4.1 „Die psychosozialen Phasen“ nach ERIK H. ERIKSON
1.4.1.1 „ Die letzte Phase “ bei E RIK H. E RIKSON
1.4.1.2 Exkurs zu J EAN -P AUL S ARTRE
1.4.2 „Die Lebensalter“ nach ROMANO GUARDINI
1.4.2.1 „ Der alte und senile Mensch “ bei R OMANO G UARDINI
1.4.2.2 Exkurs zu „ Disengagement versus Aktivität “
1.5 Verhaltensorientierte Annäherung: Dimensionen der Belastungsbewältigung
1.5.1 Weisheit
1.5.1.1 Modell der Weisheitskompetenzen
1.5.1.2 Weisheit und Alter
1.5.1.3 Weisheitstherapie
2 MUSIK IM ALTER
2.1 Die musikalische Entwicklung im Alter
2.1.1 Das Gehör
2.1.1.1 Konsequenzen von Hörschäden für das Musikerleben und die
Musiktherapie
2.1.2 Die Stimme
2.1.2.1 Singen mit alten Menschen
2.1.2.2 Musiktherapeutische Ziele beim Singen mit alten Menschen
2.1.3 Musizieren
2.1.3.1 Das Gehirn als Konzertsaal
2.1.3.2 Motivation zum Musizieren
2.1.4 Musikalischer Generationenkonflikt
3 IMPROVISATION - VORÜBERLEGUNGEN
3.1 Freiheit, Gebundenheit und Bezogenheit
3.2 Improvisation - dynamische Sprache und präsentative Symbolsprache
3.3 Wirkungsräume, Zwischenräume und Zwischentöne (nach ECKHARD WEYMANN)
3.4 Einfall, Zufall, Laune, Gewohnheit und Methode (nach KARIN SCHUMACHER)
3.5 Interaktionelles Beziehungsgeschehen (nach ISABELLE FROHNE-HAGEMANN und KARIN SCHUMACHER)
4 MUSIKTHERAPIE MIT ALTEN MENSCHEN
4.1 Die therapeutische Beziehung zwischen Jüngeren und Älteren
4.2 „Heimatmusik“ - Biographische Aspekte
4.3 Methodische Aspekte: Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Vielfältigkeit
4.4 Empathie
4.5 Zielsetzungen: Potenziale musiktherapeutischer Kontaktangebote
4.6 Musiktherapeutische Interventionen und Techniken
4.6.1 Das EBQ-Instrument von SCHUMACHER & CALVET
4.6.1.1 Die Anwendung des EBQ-Instruments bei Menschen mit Demenz
4.6.1.2 Modus 0 (Kontaktlosigkeit und Abwehr)
4.6.1.3 Modus 1 (sensorischer Kontakt/Kontakt-Reaktion)
4.6.1.4 Modus 2 (Funktionalisierender Kontakt)
4.6.1.5 Modus 3 (Kontakt zu sich selbst/Selbsterleben)
4.6.1.6 Modus 4 (Kontakt zum Anderen/Intersubjektivität)
4.6.1.7 Modus 5 (Beziehung zum Anderen/Interaktivität)
4.6.1.8 Modus 6 (Begegnung/Interaffektivität)
4.6.1.9 Modus 7
4.6.2 Evaluation nach DAVID ALDRIDGE
4.7 Demenz - der Verlust des Selbst?
4.8 Improvisation in der Altenarbeit
4.8.1 Verunsicherungen und Fragen - unerhörtes Chaos
4.8.2 Ich bin = Ich spiele - Wege zur Improvisation
4.8.2.1 Methodische Ü berlegungen
4.8.2.2 Beständigkeit - Die Gleichförmigkeit der Elemente
4.8.3 Musik als Brücke und erwartungsfreie Wiederbelebung
4.8.4 Musikalische Gestaltung als dynamische Struktur und formschaffende Zeit
4.8.5 Emotionaler Ausdruck
4.8.6 Klangliche Gestaltung des Erlebens in der Improvisation
4.8.7 Musik als das „Wie“ des Lebens und Sterbens
4.8.8 Anwendungsfelder der Improvisation in der musiktherapeutischen Praxis
5 FRAGEBOGEN
5.1 Ergebnisse der Fragebogenerhebung
5.1.1 Ausbildung und musiktherapeutische Tätigkeit
5.1.2 Häufige Krankheitsbilder in der Musiktherapie
5.1.2.1 Altersdemenz
5.1.2.2 Morbus Parkinson
5.1.2.3 Apoplexie
5.1.2.4 Multiple Sklerose
5.1.2.5 Arthritis ("Gelenksentzündung")
5.1.2.6 Depressive Störungen
5.1.2.7 Hör- und Sehschwäche
5.1.3 Arbeitsweise
5.1.3.1 Setting, Frequenz und zeitliche Rahmenbedingungen
5.1.3.2 Begrifflichkeiten zur Arbeitsweise
5.1.3.3 Formen der Musik: Improvisation, Musik hören, Singen
5.1.3.4 Instrumentarium
5.1.3.5 Außermusikalische Materialien und/oder nicht-musiktherapeutische Techniken
5.1.3.6 Die Rolle des Verbalen
5.1.4 Therapieziele
5.1.4.1 Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Therapieziele
5.1.4.2 Einfluss der Musik
5.1.5 Improvisation
5.1.5.1 Bedingungen
5.1.5.2 Improvisation: ja oder nein?
6 ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSBETRACHTUNG
7 AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLE 1: DIE PSYCHOSOZIALEN PHASEN (ERIKSON, 1988; im Original acht Dimensionen in Spalten A-H; Spalte „Musik“ ergänzt von MUTHESIUS, in: MUTHESIUS et al.: 54)
TABELLE 2: ZIELSETZUNGEN (ALDRIDGE, 2003: 103)
TABELLE 3: MUSIKALISCHE EVALUIERUNGSELEMENTE UND BEISPIELE IMPROVISIERTEN SPIELS (ALDRIDGE, 2003: 133)
TABELLE 4: FRAGEBOGEN
TABELLE 5: DEMENZENTWICKLUNG (REISBERG et al., 1985, zit. nach MUTHESIUS et al., 2010: 57f)
TABELLE 6: KONZEPTE ZUM PHÄNOMEN DEMENZ (MUTHESIUS et al., 2010: 30f)
TABELLE 7: MUSIKALISCHE ÜBUNGEN/SPIELE (ad. Frage 10c)
TABELLE 8: ZIELSETZUNGEN (ad. Frage 13)
ABBILDUNG 1: DIAGRAMM ZU FRAGE 17 (Begrifflichkeiten der Arbeitsweise)
ABBILDUNG 2: DIAGRAMM ZU FRAGE 10A (Improvisation)
ABBILDUNG 3: DIAGRAMM ZU FRAGE 10B (Musik hören)
ABBILDUNG 4: DIAGRAMM ZU FRAGE 10C (Singen)
ABBILDUNG 5: DIAGRAMM ZU FRAGE 16 (Die Rolle des Verbalen)
ABBILDUNG 6: DIAGRAMM ZU FRAGE 15 (Einfluss der Musik)
ABBILDUNG 7: DIAGRAMM ZU FRAGE 14 (Improvisation)
VORWORT
Die Motivation, mich in meiner Diplomarbeit mit dem Thema Alter und im Speziellen mit der Improvisation in der musiktherapeutischen Arbeit mit alten Menschen auseinanderzusetzen, resultiert einerseits aus persönlichen musiktherapeutischen Erfahrungen im geriatrischen Bereich und andererseits aus meiner Faszination für die musiktherapeutische Improvisation.
Erste Erfahrungen im geriatrischen Bereich habe ich in den Jahren 2004 und 2005 in einem Altersheim in meiner Heimat Südtirol gesammelt, als ich die Möglichkeit hatte, bei einer Musiktherapeutin zu hospitieren und einzelne Stunden selbst zu gestalten. Das musiktherapeutische Angebot fand unter dem Namen „Gemeinsames Musizieren“ statt und beinhaltete unter anderem Improvisation, rhythmische Liedbegleitung, Bewegung zur Musik und Singen.
In einem Praktikum im Rahmen meines Musiktherapie-Studiums mit einer 61jährigen polnischen Patientin standen das Explorieren verschiedener Instrumente und das gemeinsame Improvisieren im Mittelpunkt meiner musiktherapeutischen Tätigkeit, da ich selbst kein Polnisch spreche und mir das tradierte Liedgut aus der Heimat der Patientin nicht geläufig war.
Aus der Arbeit mit Gruppen in verschiedenen geriatrischen Einrichtungen, wo ich mit den alten Menschen meistens gesungen habe, entstand schlussendlich die Idee, zu erforschen, welche Rolle Improvisation - die in der Musiktherapie als Via Regia bezeichnet wird - in der musiktherapeutischen Altenarbeit spielt. Es schien mir wichtig, herauszufinden, ob die musiktherapeutische Improvisation in diesem Bereich überhaupt Anwendung findet, wenn ja, unter welchen Bedingungen sie stattfindet und welche Formen der Improvisation eingesetzt werden.
Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende zentrale Fragestellung lautet somit:
Welches Bild der Improvisation in der musiktherapeutischen Arbeit mit alten Menschen beschreibt die Fachliteratur und in welchem Zusammenhang steht dieses Bild zu den Erfahrungswerten und Aussagen österreichischer Musiktherapeutinnen und Musiktherapie-Studenten1, die im geriatrischen Bereich tätig sind beziehungsweise waren?
Daraus ergeben sich weitere Forschungsfragen:
1. Wie hat sich die Rolle des alten Menschen im Laufe der Zeit entwickelt und vor welchen Herausforderungen steht der alte Mensch in der heutigen Zeit?
2. Wie entwickelt sich der Mensch im Alter auf musikalischer Ebene und welche Bedeutung hat Musik für den heute alten Menschen?
3. Was kann Musiktherapie, die Musik als Improvisation beinhaltet, zu einer sinnbringenden Lebensbewältigung und (Neu)Orientierung im Alter beitragen?
Zur Beantwortung der zentralen Fragestellung und der Forschungsfragen geht die vorliegende Arbeit zuerst auf einschlägige Fachliteratur ein und ergänzt dann die Ergebnisse durch einen Fragebogen mit den Erfahrungen und Aussagen österreichischer Musiktherapeutinnen und Musiktherapie-Studenten. Dabei widmet sich die Arbeit der Beantwortung der Fragestellungen wie folgt:
KAPITEL 1 nähert sich zunächst dem Thema „Alter“ aus verschiedenen Perspektiven an: Historische und ethnologische Begebenheiten, Definitionen der Begriffe „Geriatrie“ und „Gerontologie“, zwei Phasenmodelle (ERIKSON und GUARDINI) und Dimensionen bzw. Möglichkeiten der Belastungsbewältigung im Alter werden beschrieben und vorgestellt. Dieser Teil der Arbeit widmet sich der Beantwortung der ersten Forschungsfrage.
Die Darstellung der musikalischen Entwicklung im Alter und dem musikalischen Generationenkonflikt in KAPITEL 2 soll einen allgemeinen Überblick geben und das Verständnis vom alten Menschen im musikalischen Kontext erleichtern. Hier wird die zweite Forschungsfrage beantwortet.
In KAPITEL 3 wird der Begriff „Improvisation“ aus musiktherapeutischer Sicht behandelt, u. a. unter Bezugnahme auf folgende Musiktherapeutinnen und Autoren: ECKHARD WEYMANN, KARIN SCHUMACHER und ISABELLE FROHNE-HAGEMANN und nimmt dadurch bereits Bezug auf die zentrale Fragestellung.
KAPITEL 4 ist der Musiktherapie mit alten Menschen mit speziellem Fokus auf die Demenz gewidmet. Die therapeutische Beziehung und der Begriff der Empathie, das musiktherapeutisch-biographische Arbeiten, methodische Aspekte und Zielsetzungen der Musiktherapie und die Evaluationsinstrumente von SCHUMACHER & CALVET (EBQ-Instrument) und von ALDRIDGE finden hier Erwähnung. In diesem Teil der Arbeit wird die dritte Forschungsfrage beantwortet. In Folge geht dieses Kapitel auf die Improvisation in der Altenarbeit näher ein, um den ersten Teil der zentralen Fragestellung zu beantworten.
KAPITEL 5 stellt den empirischen Teil dieser Arbeit dar: die Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung ergänzen den theoretischen Teil mit Erfahrungswerten aus der Praxis. Die Ergebnisse werden teilweise interpretiert und der Theorie gegenübergestellt, wodurch der zweite Teil der zentralen Fragestellung beantwortet wird.
Den Abschluss der Arbeit bilden die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und der Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten.
EINLEITUNG
„ Es gibt kein Alter, in dem eine Psychotherapie - allein aufgrund des Alters - nicht mehr indiziert, nicht mehr möglich, nicht mehr sinnvoll ist.
Musiktherapie kann eine geeignete Form der Psychotherapie für alte Menschen sein. “ (ROSEMARIE TÜPKER)
Immer mehr Menschen verbringen ein Drittel ihres Lebens als Senioren. Eine Statistik von DORLING (2007) aus dem Jahr 2002 zeigt, dass die Lebenserwartung in den letzten drei Jahrzehnten in 88 % der Staaten weltweit durchschnittlich um neun Jahre angestiegen ist, wobei Europa und Nordamerika unter diesem Mittelwert liegen, da die Menschen in diesen Staaten schon vorher relativ alt wurden. HARDINGHAUS (2007) schreibt in einem Artikel der Zeitschrift Spiegel, mit dem Titel „Der Jahrhundertmensch“, dass mittlerweile jedes zweite Mädchen aus einer Kindergartengruppe 100 Jahre und jeder zweite Junge 95 Jahre alt werden würde. Schon jetzt leben mehr Menschen im Rentenalter als junge Leute unter 20 Jahren (vgl. HARTOGH & WICKEL, 2008). Der Frauenanteil ist besonders bei den über 80jährigen sehr hoch. Man rechnet im Jahr 2020 mit 4,623 Mio. über 80jährigen in Deutschland (vgl. LEHR, 2000).
Daraus entstehen für viele Länder radikale demographische Umschichtungen und sozialpolitische Herausforderungen. Eine stark veränderte Relation zwischen den einzelnen Altersgruppen bringt vielfache Konsequenzen in Hinblick auf Alterssicherung und Pflegeleistung. Kamen im Jahr 1890 auf einen über 75jährigen noch 79 jüngere Personen, so sind es heute noch 14,8 und im Jahr 2040 werden es nur noch 6,2 sein (vgl. LEHR, 2000).
Die gestiegene Lebenserwartung bringt eine verlängerte Nacherwerbsphase mit sich, für deren sinnvolle Ausfüllung wieder Orientierungen gesucht werden müssen. Die Lebensspanne ist zudem so groß geworden, dass sich in dieser Zeit die Lebenswelt, in der der Mensch aufgewachsen ist, stark verändert hat. Dadurch wird die eigene Welt fremd, die vertrauten räumlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen verschwinden, wodurch wesentliche Elemente der Identität verloren gehen und mühsam kompensiert werden müssen (vgl. MUTHESIUS, 2002).
Das höhere Lebensalter ist durch eine Zunahme psychischer und physischer Erkrankungen gekennzeichnet; da die meisten Menschen in den Industriestaaten aber vor allem medizinisch gut versorgt sind, geht es vordergründig darum, die hinzugewonnenen Lebensjahre zu guten Jahren zu machen und dafür reicht eine rein medizinische Versorgung nicht aus. Besonders wichtig und ausschlaggebend dafür, wie alt jemand wird, ist laut dem Wissenschaftler HOLSBOER (in: HARDINGHAUS, 2007), wie der Mensch seine letzten Jahrzehnte noch gestalten kann. Vor allem das Erleben von Sinnhaftigkeit im Alter ist nach STAUDINGER (1996, zit. nach LEHR, 2000) wesentlich.
Die Altersforschung hat sich laut HARTOGH & WICKEL (2008) von einem defizitorientierten Altersbild längst verabschiedet und rückt immer stärker die Kompetenzen und Ressourcen alter Menschen in den Mittelpunkt des Interesses. Gesundheit zielt also „auf die Steigerung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens“ (49).
Heilung und Gesundung sind schließlich, wie SCHNAUFER-KRAAK (1997) meint, nicht „auf Abwesenheit von Krankheit und auf leistungsbezogenes Funktionieren einzuengen. Heilung im Sinne des Heil- und Ganzwerdens umschließt vielmehr das Gelingen einer Integration von Krankheit und von unbewältigter Vergangenheit sowie die Erschließung von Ressourcen im Hinblick auf eine Gesamtschau des Lebens und ein Heranreifen zum Tode. Musiktherapie kann hierbei einen sehr wertvollen Beitrag leisten“ (194).
Im Anschluss an eine Gruppenmusiktherapie in einem Pflegeheim hat mich eine Dame einmal persönlich angesprochen. Sie meinte, es solle viel öfter so sein, „a bissl reden über die Zeit. Ich hätte viel zu erzählen.“ Diese Dame, Frau W., ist mittlerweile leider verstorben. Sie war immer mit großem Interesse in der Musiktherapie dabei und hat bis zum Schluss, als sie nicht mehr zur Musiktherapie kommen konnte, ich aber zu ihr kam, ihr Lied „Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren“ mitgesungen oder im Zuhören genossen und mir dann aus ihrem Leben erzählt. Und immer wieder meinte sie: „Mir ist so fad! Kommen Sie wieder?“ Und als sie schon im Sterben lag und ich mich ganz behutsam mit meiner Stimme, an ihrem Bett stehend, an sie herantastete, hat sie nach einiger Zeit die Augen geöffnet und gesagt: „Jetzt hob i glabt, i tram, oba Sie san jo wirklich do!“ und sie war irgendwie wieder die Frau W., wie ich sie aus den ersten Musiktherapiestunden kannte.
Und zufällig lese ich neulich in der Jänner-Ausgabe der Zeitschrift brennstoff die folgenden Zeilen:
Wie reich wähnen wir Europäer uns und wie arm sind wir doch an Werten wie z. B. Zeit. Zeit für unsere Alten und Zeit für unsere Kinder. Könnte man Reichtum anhand von Zeit bemessen, würde wohl die halbe westliche Welt in bitterer Armut leben, was unsere Alten oft tun, wenn Einsamkeit Armsein [sic] bedeutet.
(STAUDINGER, 2011)
„A bissl a Zeit“, das bräuchten die alten Menschen. Ein wenig von meiner Zeit kann ich ihnen in der Musiktherapie schenken, auch wenn mir oft danach wäre, viel länger zu bleiben und öfter zu kommen.
1 DAS ALTER - EIN ANNÄHERUNGSVERSUCH
Mit Alter kann das kalendarische oder chronologische Lebensalter gemeint sein, oder aber eine gesellschaftliche Status- und Rollenzuschreibung. Zur besseren Eingrenzung des „Alters“ nähert sich dieser Teil der Arbeit aus einem historischen, ethnologischen, medizinischen, psychosozialen und verhaltensorientierten Blickwinkel dem Begriff an.
1.1 Historische Annäherung: Von den Ägyptern bis ins 21. Jahrhundert
Im ersten Abschnitt geht es um den alten Menschen in den historischen Gesellschaften. Dabei wird der Fokus auf ein paar hervorstechende Gegebenheiten aus den jeweiligen Epochen gelegt, da eine detaillierte Auseinandersetzung zu umfassend wäre und daher im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist. Die folgenden Kapitel beziehen sich durchgehend auf das Buch „Das Alter“ von SIMONE DE BEAUVOIR (2008), deswegen wird die Autorin nicht in jedem Absatz erneut angeführt.2
Es sei noch darauf hingewiesen, dass bis zum 19. Jahrhundert nie von „armen Alten“ die Rede ist, weil es solche kaum gab. Ein langes Leben war bis zu einem gewissen Grad nur in den privilegierten Klassen möglich. Wird das Thema theoretisch betrachtet, so spricht man vorwiegend über die Lage der Männer, weil sie es waren, die sich in den Kodizes, Legenden und Büchern äußern und weil im Kampf um die Macht v. a. das „starke Geschlecht“ von Interesse ist.
1.1.1 Der „ Greis “ im alten Ä gypten
In Ägypten wurde bereits 2500 v. Chr. vom Philosophen und Dichter PTAHHOTEP der erste bekannte Text über das Alter, bezogen auf die westliche Welt, geschrieben:
Wie qualvoll ist das Ende eines Greises! Er wird jeden Tag schwächer; seine Sicht lässt nach, seine Ohren werden taub; seine Kraft schwindet; sein Herz findet keine Ruhe mehr; sein Mund wird schweigsam und spricht nichts mehr. Seine geistigen Fähigkeiten nehmen ab, und es wird ihm unmöglich, sich heute noch daran zu erinnern, was gestern war. Alle seine Knochen schmerzen. Die Tätigkeiten, denen er sich einst mit Vergnügen hingab, kann er nur noch mit Mühe ausführen, und der Geschmackssinn verschwindet.
Das Alter ist das schlimmste Unglück, das einem Menschen widerfahren kann. Die Nase ist verstopft, und man kann nichts mehr riechen.
(zit. nach BEAUVOIR, 2000: 116)
Bereits bei den Ägyptern findet sich der Traum der Verjüngung, der bis in unsere Zeit bestehen bleibt. In einem Text wird empfohlen, frische Drüsen von jungen Tieren zu verzehren, um jung zu bleiben. Diese Empfehlung steht auf Papyrus geschrieben mit dem Hinweis: „Beginn des Buches über die Art, einen Greis in einen jungen Mann zu verwandeln“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 117).
1.1.2 „ Gera, geron “ im antiken Griechenland
Im archaischen Griechenland muss, wie BEAUVOIR (2000) schreibt, das Alter mit der Vorstellung der Ehre verbunden gewesen sein. Gera, geron ist die griechische Bezeichnung für das hohe Alter, aber auch für das Privileg des Alters, das Recht der Anciennität und die Abgeordnetenwürde.
Das antike Griechenland sah einen Rat der Ältesten vor, der dem Oberhaupt zur Seite stand. HOMER zufolge hatte dieser Rat nur eine beratende Funktion, weniger eine rechtsprechende. In den Oligarchien, den gesetzlosen Herrschaften der Reichen, waren die Räte immer Gerusia. Man wurde erst in hohem Alter Mitglied und blieb es bis zum Tod.
Auch wenn das Alter in vielen antiken Städten dem Einzelnen Macht verlieh, bezeugen die Dichter, dass es keineswegs beliebt war. MIMNERMOS, Priester in Kolophon, schreibt um 630 v. Chr.:
Die Frucht der Jugend verfault nur allzu bald: Sie dauert kaum so lang wie die Helligkeit des Tages. Und sobald dieser Punkt erreicht ist, wird das Leben schlimmer als der Tod. […] Könnte ich doch ohne Krankheit und ohne Kummer, mit sechzig Jahren […] dem Tod begegnen.
(zit. nach BEAUVOIR, 2000: 127)
SOPHOKLES schreibt: „Wenn man alt ist, ist die Vernunft erloschen, das Handeln wird unnütz, man hat nichtige Sorgen“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 131). Einzig ÖDIPUS auf Kolonos, der erst und gerade durch das Alter einen heiligen Charakter erhält, stellt bei Sophokles eine Ausnahme dar.
In der griechischen Komödie werden die Alten einerseits belohnt, andererseits verspottet. MENANDER, ein griechischer Komödiendichter, zieht über die Lüsternheit der Alten her: „Es gibt kein unglücklicheres Wesen als einen verliebten Greis, es sei denn noch einen anderen Greis, der liebt“ (ebd.: 137).
PLATON ist der Auffassung, dass ein Philosoph erst mit 50 Jahren im Besitz der Wahrheit ist und zum Hüter des Staates werden kann, weil der körperliche Verfall des Alters die Seele nicht berührt; sie wird sogar freier, wenn die Gelüste und die Kraft des Körpers nachlassen.
ARISTOTELES hingegen sieht die Seele sehr wohl in Beziehung mit dem Körper; der Mensch existiert nur durch die Verbindung beider und ein glückliches Alter ist nur möglich, wenn der Körper intakt bleibt: „Ein schönes Alter ist jenes, das die Gemessenheit der fortgeschrittenen Jahre hat, aber ohne Gebrechen“ (ebd.: 140). Auch er postuliert, dass der Mensch bis zu 50 Jahren Fortschritte macht und erst in einem gewissen Alter Weisheit erlangt, doch ab 50 führt der Verfall des Körpers zu einer Auflösung der Persönlichkeit. Für Aristoteles bedeutet Erfahrung also nicht Fortschritt, sondern Rückbildung, weswegen er auch die Gerusia kritisiert und die Alten von der Regierung ausschließt.
1.1.3 „ Das traurige Alter “ im Römischen Reich
Der römische Staat war zunächst eine Oligarchie, in der sich der Senat aus reichen Grundbesitzern zusammensetzte, die am Ende ihrer Laufbahn angelangt waren. Die Senatoren hatten das Oberkommando über die großen militärischen Unternehmungen, verwalteten die Finanzen und urteilten über schwere Vergehen; außerdem hatte die Wahlstimme der Alten mehr Gewicht als die der übrigen Bürger. Mit dem Verfall des oligarchischen Systems verringerten sich die Privilegien der Alten zunehmend, was auch zur Folge hatte, dass der Senat nach und nach seine Befugnisse an das Militär, die jungen Männer, verlor.
Viele römische Schriftsteller und Philosophen haben sich mit dem Thema Alter schriftlich auseinandergesetzt. Hier seien nun ein paar wesentliche Beispiele angeführt.
CICERO wollte mit dem DIALOGE ÜBER DAS ALTER beweisen, dass die Autorität des Senats wieder gestärkt werden müsse. Seiner Meinung nach steigert das Alter die Fähigkeiten der Senatoren. Außerdem ist er der Meinung, dass das Alter liebenswürdig und glücklich ist, wenn es ein tugendhaftes Leben vollendet. HORAZ ist der Meinung, dass mit dem Alter alles verschwindet, was das Leben angenehm macht: „Das traurige Alter kommt, es vertreibt die mutwillige Liebe und den leicht gefundenen Schlaf“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 154). Über eine alte Zauberin schreibt er: „Dein Zahn ist schwarz. […] Deine Brüste sind schlaff wie die Zitzen einer Stute. […] Welch ein Schweiß, welch ein entsetzliches Parfum dünsten alle ihre schlappen Glieder aus“ (ebd.: 156). OVID sieht im Alter eine vernichtende Kraft: „O Zeit, große Zerstörerin, und du, neidisches Alter, gemeinsam zerstört ihr alle Dinge, und indem ihr langsam mit euren Zähnen nagt, verzehrt ihr schließlich alles in einem langsamen Tod“ (ebd. 155). JUVENAL beschreibt das Alter auf äußerst grausame Art und Weise:
Da ist zuerst das entstellte, scheußliche, unkenntliche Gesicht; statt der Haut dieses hässliche Leder, diese hängenden Backen, diese Runzeln gleich jenen, die eine Affenmutter in den düsteren Wäldern Thabarkas um ihr altes Maul kratzt … Die Alten sind alle gleich; ihre Stimme zittert, wie ihnen die Glieder zittern; kein Haar wächst mehr auf dem kahlen Schädel; ihre Nase ist feucht wie bei kleinen Kindern. Sein Brot kann der arme Alte nur mit zahnlosem Kiefer zermalmen. […] Was die Liebe betrifft, so hat er sie schon seit geraumer Zeit vergessen … […] Der Greis ist nicht mehr bei vollem Verstand.
(zit. nach BEAUVOIR, 2000: 155)
Vom 4. Jahrhundert an schuf die Kirche Hospize und Krankenhäuser; in Rom, in Alexandria sorgte sie für den Unterhalt von Waisen und Kranken und sah das Almosen als Pflicht, wovon die Alten sicher auch profitiert haben, sie werden allerdings nirgends ausdrücklich erwähnt. Vom öffentlichen Leben waren die Alten im spätrömischen Kaiserreich und im frühen Mittelalter so gut wie ausgeschlossen. Auch im bürgerlichen Leben war der alte Mensch irgendwann gezwungen, sich aufgrund der harten Lebensbedingungen aus dem tätigen Leben zurückzuziehen.
1.1.4 Die „ Lebensalter “ im Mittelalter
In Anbetracht der harten Lebensbedingungen war ein hohes Alter im Mittelalter eine Seltenheit - für einen Bauern war 30 schon ein hohes Alter.
Das Christentum, das ideologisch ein Erbe des antiken Denkens ist, hat - bis auf wenige Ausnahmen - ein düsteres Bild vom Alter. Der Bischof ISIDOR VON SEVILLA schrieb 1556 von sieben Lebensaltern; nach 50 Jahren folgte das Alter senectus: „Das Greisenalter ist so benannt, weil die Menschen es instinktmäßig begehren, denn die Greise haben nicht mehr so viel Verstand, wie sie einst hatten, und faseln in ihrem Alter“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 161).
Im Mittelalter betrachtete man die Zeit als eine Ursache des Verfalls. Sowohl der Makro- als auch der Mikrokosmos (der Mensch) durchlaufen sechs Alter; das letzte Alter ist der Verfall. Sehr oft werden die vier Lebensalter mit verschiedenen Bereichen in Bezug gestellt, wie etwa den vier Jahreszeiten oder den vier Elementen. Der italienische Dichter und Philosoph DANTE vergleicht das menschliche Leben mit einem Bogen, der von der Erde bis zu einem Kulminationspunkt am Himmel auf- und von dort wieder absteigt. Der Zenit des Lebens ist mit 35 Jahren erreicht, dann verfällt der Mensch langsam. Zwischen 45 und 70 Jahren liegt die Zeit des Alters, dann folgt das hohe Alter. Dieses Ende ist friedlich, wenn man es weise zu leben versteht. Dante beschreibt den Greis als einen Seemann, der allmählich sein Segel einholt, weil er Land sieht und der langsam in den Hafen einläuft. Da die Wahrheit des Menschen im Jenseits liegt, soll er heiter das Ende seines Daseins akzeptieren, das nur eine kurze Reise war.
Während sich die Literatur des frühen Mittelalters kaum für die Alten interessiert, findet man in der Ikonographie viele Beispiele zum Thema „Lebensalter“. Es taucht zum ersten Mal im 8. Jahrhundert bei einem arabischen Fresko auf. Kirchenportale werden mit Statuen von bärtigen Greisen geschmückt, auf Heiligenbildern erscheinen die Einsiedler als sehr alte, hagere Männer mit langen Bärten. In der Kirche kommunizierte man nach dem 11. Jahrhundert mit dem Sohn Gottes - die Sakramente basieren auf ihm -, nicht mit Gottvater. Der Vorrang des Sohnes gegenüber dem Vater trat auch im realen Leben immer stärker zutage.
Im Frankreich des 15. Jahrhunderts war der Gedanke an den Tod gegenwärtiger denn je: Man malt abscheuliche Leichen und Tierkadaver und sieht den Menschen als Toten auf Abruf; die Schönheit ist nur Schein. Dieses Klischee wurde auch von den Dichtern übernommen. EUSTACHE DESCHAMPS sieht „[im Alter] nur Übel und Abstoßendes, Verfall der Seele und des Körpers, Lächerlichkeit, Hässlichkeit […]“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 186). Bei der Frau beginne der Verfall mit 30, beim Mann mit 50 Jahren, nach 50 bleibe beiden nur mehr der Tod.
Vom 13. Jahrhundert an, und vor allem im 14. Jahrhundert blühte das Bürgertum auf. Große Kaufleute und Bankiers erwarben sich Rechte durch den Kauf von Land und durch Heirat. Der Besitz gründete sich von nun an nicht mehr auf physische Kraft, sondern auf Verträge, was auch die Stellung der Alten wandelte: Sie konnten durch das Anhäufen von Reichtümern Macht erlangen. Immer zahlreicher erschienen auch Werke, in denen man den Alten Ratschläge gibt (z. B. über das Abfassen des Testaments).
1.1.5 „ Moral und Lebensart “ in der Renaissance
Die Renaissance versuchte, eine neue und harmonische Vorstellung vom Menschen zu fördern, wobei sich die humanistische Strömung der Aufgabe verschrieb, die Freude am Leben und der Schönheit in das Christentum einzubeziehen. Besonders ERASMUS trägt in seiner Lehre MORAL UND LEBENSART dazu bei. Er beschreibt in einem der Gespräche einen Mustergreis, der mit 66 Jahren weder Falten noch weißes Haar hat, keine Brille trägt und dessen Gesichtsfarbe blühend ist, wohingegen andere, die ein ausschweifendes oder abenteuerliches Leben hinter sich haben, wie sein Vater wirken. Die Tugend wird mit Gesundheit und Heiterkeit im Alter belohnt.
In der Renaissance wird die Schönheit des Leibes gepriesen, wodurch die Hässlichkeit der Alten umso hassenswerter wird. Die Scheußlichkeit der alten Frau wird äußerst grausam angeprangert. Oft wird sie mit einer Hexe verglichen, vor allem aber prangert man ihren Anspruch auf Liebe an. Bei ERASMUS findet sich auch eine gehässige Schilderung der alten Frauen: „Diese verfallenen Frauen, diese wandelnden Leichname, diese stinkenden Gerippe, die überall einen Grabesgeruch verbreiten und dabei alle Augenblicke ausrufen: Nichts ist so schön wie das Leben … “ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 190).
Die alte Frau wird von den Dichtern mit Schande überhäuft, der alte Mann vom komischen Theater lächerlich gemacht: Der neureiche Alte, dem ein individueller Aufstieg gelungen ist und der sich als Nebenbuhler der Jungen aufspielt, wird verhöhnt, nicht aber der Patrizier, denn die bestehende soziale Rangordnung wird nicht angefochten.
Das Thema der Lebensalter regte auch die Maler der Renaissance an, die es meistens durch ein Trio darstellen: ein Jüngling, ein Mann, ein Greis. Das Thema des Jungbrunnens war ein weiteres beliebtes Thema. Im 16. Jahrhundert machte sich PONCE DE LÉON, ein spanischer Konquistador, auf die Suche nach dem mythischen Jungbrunnen und entdeckte auf dieser Expedition Florida. Das Thema des Jungbrunnens ist auf vielen Stichen dargestellt. Auf zahlreichen Altersporträts sind die Alten sehr idealisiert dargestellt (wenn sie von der Bibel oder der Antike inspiriert sind), es gibt aber auch viele Darstellungen, bei denen die Hässlichkeit des Alters hervorgehoben wird. LEONARDO DA VINCI und REMBRANDT räumten den Alten in ihren Werken einen bedeutenden Platz ein. Leonardo studierte die Gesichtszüge und treibt es bis zur Karikierung dieser, einigen verlieh er aber große Schönheit. REMBRANDT malte von seinem 30. Lebensjahr an alte Menschen. Er legte keinen Wert darauf, sich seiner Zeit anzupassen, sondern versuchte seine eigene Sicht widerzugeben.
1.1.6 Altersheime im 17. Jahrhundert
KÖNIG LEAR von SHAKESPEARE ist das einzige große Werk des 17. Jahrhunderts, dessen Held ein alter Mann ist. Es wurde von den großen Dramen Shakespeares am wenigsten gut aufgenommen und verstanden. Das Alter wird in diesem Werk als die Wahrheit des menschlichen Daseins gewertet.
Auch der französische KÖNIG LUDWIG XIV. stellt eine Ausnahme für diese Epoche dar, denn er war unter den Herrschenden der Einzige, der sich auch im Alter noch aktiv an der Regierung beteiligte.
Seit dem Tridentinischen Konzil waren im Allgemeinen auch die Päpste alt. Die Gegenreformation stattete sie mit großem Prestige aus und man forderte von ihnen strenge Sitten. Man rechnete damit, dass ihr Alter dazu beitragen würde, ein tugendhaftes Leben zu führen und einen heiligen Charakter zu verleihen. Zudem baute man auf den konservativen Charakter der Alten, zu Unrecht, wie BEAUVOIR (2000) meint.
In Frankreich war das Leben im 17. Jahrhundert für die alten Menschen sehr hart. Die Hälfte der Kinder starb im ersten Lebensjahr, die Erwachsenen zwischen 30 und 40 Jahren. Aufgrund der harten Lebensbedingungen, der schweren Arbeit, der Unterernährung und der schlechten Gesundheitspflege war die Lebenserwartung nicht sehr hoch, allerdings starben auch Adelige zwischen 48 und 56 Jahren. Dennoch wird dem Greis in dieser Zeit ein viel höherer Wert eingeräumt als in den vorhergegangenen Jahrhunderten.
Im Jahr 1603 schuf ELIZABETH in England das „Armengesetz“, um das entsetzliche Elend zu bekämpfen. Die Gebrechlichen und Greise wurden in Heimen untergebracht, doch die Pfarreien unterstützten nur die Bedürftigen der eigenen Gemeinde. Während der ersten 40 Jahre des 17. Jahrhunderts versuchte man durch die Gründung von Altersheimen und Krankenhäusern die Not zu lindern. Die Machtübernahme der Puritaner führte aber zu einer ideologischen Revolution. Ihre Hauptregel lautete: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 228). Die Arbeit galt als ein Sakrament, deshalb weigerte man sich, die Armen zu fördern und zu unterstützen. Sie litten Not, wohingegen die wohlhabenden Alten geachtet wurden.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die alte Frau auch weiterhin geschmäht. Der spanische Dichter und Romancier QUEVEDO schreibt, dass sie scheußlich, runzlig, widerlich [sei], mit ihrem ,aufgerissenen´ Mund, den Löchern an Stelle von Zähnen, einer Nase, die dem Kinn zustrebt; ihr Atem stinkt, sie ist ein Sack voller Knochen, der Tod in Person. Die Falten auf der Stirn sind, Radfurchen vom Lauf der Zeit und Spuren ihrer Schritte´.
(zit. nach BEAUVOIR, 2000: 217)
Allerdings ließ die Restauration die Theater wiedereröffnen und erstmals auch Schauspielerinnen die Frauenrollen spielen, das Theater richtete sich jedoch gegen das Alter.
1.1.7 Die steigende Lebenserwartung im 18. Jahrhundert
Durch die zunehmende Verbesserung der hygienischen Bedingungen kam es in ganz Europa zu einer steigenden Lebenserwartung; die Zahl der 80- und sogar der 100jährigen nahm immer mehr zu, indessen aber nur bei den privilegierten Klassen. Der Staat schien langsam anzuerkennen, dass jeder Mensch ein Lebensrecht hat; die Öffentlichkeit begriff, dass die Verantwortung für das Elend der Gesellschaft zufällt und nicht dem Bedürftigen selbst. Die Not der Kranken und Alten linderte sich etwas, als die öffentliche Fürsorge reformiert wurde.
Technische Fortschritte vereinfachten das Reisen; das soziale Leben wurde komplexer: es erforderte Intelligenz und Erfahrung, wodurch die physische Kraft immer mehr in den Hintergrund rückte. Die Zeit des aktiven Lebens verlängerte sich: 60jährige gehen noch ins Theater und besuchen die Salons. Vor allem in England führte der technische Fortschritt zu einem Aufschwung der Industrie, der Finanzen und des Handels. In London mehrten sich außerdem seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Gesellschaften, die Vereine, die Cafés (es gab über 3000).
Im Frankreich des 18. Jahrhunderts erlangte der alte Mensch eine besondere Bedeutung: er war es, der die Einheit und Beständigkeit der Familie symbolisiert. Die Erwachsenen erkannten sich in den Greisen. Man wendete sich bereitwillig den Schwachen zu - dem kleinen Kind, den Großeltern. Um sich sein eigenes Glück zu sichern, versuchte man, andere durch Wohltätigkeit glücklich zu machen:
Das Glück wird als Zustand der Ruhe betrachtet, man muss sich vor allen Extremen hüten, nur sanfte Leidenschaften haben. Das bedeutet, das Alter als eine glückliche, sogar beispielhafte Zeit zu verstehen: Der Greis ist von heftigen Leidenschaften befreit, er ist heiter, er ist weise. Keine Wünsche mehr zu haben ist besser als der Genuss der irdischen Güter. Ein ausgeglichenes Leben endet in der Seelenruhe, in der Euphorie.
(BEAUVOIR, 2000: 236)
Sowohl im englischen als auch im französischen Theater kam es Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert zu einer Evolution der Gestalt des Alten: er ist würdevoll und rührend, begeht manchmal Fehler, die er aber durch den Edelmut seines Herzens wieder wettmacht, es gibt ergebene alte Dienstboten, Väter und Söhne, die sich lieben und vor allem sind alle Personen sympathisch.
War es im Mittelalter noch so gewesen, dass die Zeit im Kreis herumging und der alte Mensch innerhalb eines gleich bleibenden Universums verfiel, tauchte nun ein völlig neuer Gedanke auf. Das aufstrebende Bürgertum glaubte an den Fortschritt, an die Veränderung der Welt, die einer ständigen Verjüngung unterzogen ist. Der Alte aber wiederhole sich und stagniere darin; er sei nicht fähig, ihrer Entwicklung zu folgen und bleibe allein, eingemauert und vor allem abgeschnitten zurück.
1.1.8 „ Die Kenntnisüber das Alter “ im 19. Jahrhundert
Die Bevölkerungszahl in Europa stieg im 19. Jahrhundert enorm an: Im Jahre 1800 betrug sie 187 Millionen Menschen; 1850 stieg sie auf 266 Millionen, 1870 auf 300 Millionen. In gewissen Klassen wuchs auch die Zahl der alten Menschen.
Diese Zunahme, verbunden mit dem Fortschritt der Wissenschaft, führt dazu, dass an Stelle der Mythen über das Alter eine echte Kenntnis tritt; und dieses Wissen ermöglicht der Medizin, die alten Leute zu pflegen und zu heilen.
(BEAUVOIR, 2000: 246)
Die eintretenden Veränderungen in Europa hatten einen beträchtlichen Einfluss auf die Lage der alten Menschen und die Vorstellung der Gesellschaft von Alter. Die Romanschriftsteller bemühten sich, ein vollständiges Bild der Gesellschaft zu zeichnen; das führte dazu, dass nun auch Alte der unteren Klassen beschrieben wurden.
Der Bevölkerungsanstieg wurde überall von der industriellen Revolution, der Landflucht, dem Anwachsen der Städte und dem Entstehen einer neuen Klasse - dem Proletariat - begleitet. Die technischen Fortschritte machten die Landbestellung für die Armen schwieriger, weil sie nicht mehr mit den bürgerlichen Grundeigentümern konkurrieren konnten, die kapitalistische Methoden in der Landwirtschaft einführten. Viele der alten Menschen fielen der wirtschaftlichen Entwicklung zum Opfer. Die Bauern hatten zum Teil so geringe Erträge, dass sie nur mit Mühe und Not überlebten und im Alter nicht mehr die Kraft hatten, ihr Land zu bestellen. Fremde Arbeitskräfte konnte man sich nicht leisten, also war man auf die eigenen Kinder angewiesen, die aber ihrerseits auch am Rande des Elends lebten. Manchmal entledigte man sich der Alten, indem man sie ins Altersheim brachte. In Frankreich und England befand man sich in einer so harten Lage wie noch nie zuvor. Die Arbeit war nicht geschützt und mit zunehmendem Alter konnten die Arbeiter das Arbeitstempo nicht mehr durchhalten. Die Folge der industriellen Revolution war ein ungeheurer Verschleiß von Menschen.
Im 19. Jahrhundert war der Gegensatz zwischen armen, ausgebeuteten Alten und privilegierten Alten auffallender denn je. Die besitzlosen Alten standen auf der untersten Sprosse der sozialen Stufenleiter, an der Spitze die Greise der oberen Klasse. Das Großbürgertum bereicherte sich durch die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern, indem es Geld gegen Zinsen verlieh. Die Regierung lag in den Händen der Industriellen, Bankiers, der großen Kaufleute, der hohen Beamten, Advokaten und Professoren. Die meisten von ihnen waren alt, da es sie Zeit gekostet hatte, ihr Vermögen überhaupt anzusammeln.
Nach 1848 mit der Vervollständigung der Industriellen Revolution spielten Banken eine immer bedeutendere Rolle. Damit ging einher, dass Aktiengesellschaften an die Stelle des Familienkapitals traten, was zur Folge hatte, dass der alte Mann als Familienoberhaupt sein Prestige verlor.
In Frankreich fand der Generationenkonflikt des Bürgertums ein Ende. Die neue Gesellschaft forderte die Zusammenarbeit von Jung und Alt; um den Fortschritt zu sichern, waren Erfahrung und angesammeltes Wissen notwendig. Die jungen Männer waren zwar wagemutig und hatten Erfindungsgabe, sie hielten es aber oft für nützlich, sich hinter der beruhigenden Figur eines alten Mannes zu verschanzen.
Auch wenn der Einfluss des Alten mit der Ausbreitung des modernen Kapitalismus zunehmend schwand, forderte die öffentliche Meinung Hochachtung vor ihm:
Nun stellt die ganze Tradition den Greis als jemanden dar, der von Natur aus keine Gelüste hat und folglich enthaltsam lebt. Und dann weitet sich das wirtschaftliche Denken, das in der Anhäufung von Kapital das Allheilmittel sieht - zu Unrecht -, auch auf den psychologischen Bereich aus: Man glaubt, es sei immer gut, anzuhäufen; Jahre anzuhäufen heißt einen Gewinn erzielen, heißt einen Wert erwerben, vor dem sich das Bürgertum des 19. Jahrhunderts respektvoll verneigt: die Erfahrung.
(BEAUVOIR, 2000: 256f)
Die Familie war in den Städten nicht mehr patriarchalisch strukturiert. Junge Paare konnten dank der Vielzahl der Beschäftigungen und der Ausweitung des gesellschaftlichen Lebens ihr eigenes Heim gründen. Der Großvater war nun nicht mehr Familienoberhaupt, deshalb veränderte sich die Beziehung zwischen Enkelkindern und Großeltern: sie wurden zu Komplizen des Kindes und die Kinder fanden in ihnen unterhaltsame und nachsichtige Gefährten.
Die Literatur betrachtet im 19. Jahrhundert das Alter auf eine sehr viel realistischere Weise wie bisher: sie schildert sowohl Greise der oberen Klasse als auch der ausgebeuteten Klasse.
1.1.9 „ Vom Unterschiede der Lebensalter “ bei A RTHUR S CHOPENHAUER
Der Philosoph ARTHUR SCHOPENHAUER untersucht in Kapitel VI - „Vom Unterschiede der Lebensalter“ - aus den APHORISMEN ZUR LEBENSWEISHEIT die verschiedenen Etappen der menschlichen Existenz.
Nach SCHOPENHAUER (zit. nach BEAUVOIR, 2000) sind die glücklichsten Jahre im Leben eines Menschen die, die dem Verfall vorausgehen, vorausgesetzt, man hat genügend Geld, um für die nachlassenden Kräfte Ersatz zu schaffen, denn „so kann das Alter ein sehr erträglicher Teil des Lebens sein“ (259). Die Zeit vergeht sehr schnell, die Leidenschaften beruhigen sich und der Mensch findet seine Vernunft wieder. Geistesruhe wird herbeigeführt und das ist bei Schopenhauer ein großer Bestandteil des Glücks: „Erst im späten Alter erlangt der Mensch ganz eigentlich das Horazische nil admirari, d.h. die unmittelbare, aufrichtige Überzeugung von der Eitelkeit aller Dinge, der Hohlheit aller Herrlichkeiten der Welt […]“ (260). Durch diese Klarheit des Geistes kann der Mensch vor allem im hohen Alter seine wertvollen Eigenschaften besonders gut nutzen. Die meisten Menschen aber verkalken und wiederholen sich, sie werden zu Automaten und das „ist denn freilich nur das caput mortuum des Lebens“ (ebd.).
SCHOPENHAUER (zit. nach ebd.) sieht das Leben als ein Unglück an und ist daher der Meinung, dass der Tod dem Leben vorzuziehen sei. Somit ist das Alter ein Privileg, weil dann der Lebenswille fast geschwunden ist.
1.1.10 „ Gott, der gute alte Gro ß vater “ bei V ICTOR H UGO
Im Werk von VICTOR HUGO (zit. nach BEAUVOIR, 2000) nimmt das Alter einen sehr wichtigen Platz ein; es ist eines seiner bevorzugten Vorstellungsbilder. Bereits in seiner Jugend sah er den Dichter als einen Magier, als Propheten, der in einem ruhmvollen Himmel wohnt. Das Alter ist für ihn eine jener Verkörperungen der Antithese, die einen benachteiligten Körper einer erhabenen Seele gegenüberstellt.
Auch besteht für ihn eine große Ähnlichkeit zwischen Kindheit und Alter, was bisher noch niemand so deutlich aufgezeigt hatte. Zwischen dem Kind, das noch vor dem Menschenlos steht und dem Greis, der sich darüber erhebt, gibt es eine geistige Gemeinschaft: sie sind beide durch ihre Einfalt und ihre Weisheit den Mysterien der Welt nahe, Gott nahe: „Jeanne redet, sie sagt Dinge, die sie nicht weiß. … Gott, der gute alte Großvater, hört entzückt zu“ (zit. nach BEAUVOIR, 2000: 266).
1.1.11 Fortschritte im 20. Jahrhundert
Die weitere Urbanisierung der Gesellschaft und die Fortschritte der Industrialisierung führten zum Verschwinden der patriarchalischen Familie, zu einer immer weitergehenden Auflösung der Familienzelle. Durch die beträchtliche Zunahme der Zahl alter Menschen, die seit einem halben Jahrhundert in den Industrieländern festzustellen ist, war die Gesellschaft gezwungen, an die Stelle der Familie zu treten (vgl. BEAUVOIR, 2000).
In den herrschenden Klassen blieb das Gleichgewicht erhalten, zu dem man im 19. Jahrhundert gelangt war; Erfahrung und Erfindungsgabe waren noch immer gefragt, sodass in den konservativen Gesellschaften die alten Männer nach wie vor eine wichtige Stellung einnahmen, oft aber nur der Repräsentation wegen. Allerdings gab es einige alte Männer, die eine aktive Rolle hatten: CLEMENCEAU gab erst 1917 mit 77 Jahren sein Amt ab, CHURCHILL mit 81, ADENAUER mit 87.
Allgemein lässt das Prestige des Alters aber zunehmend sehr nach; der Begriff der Erfahrung gilt nicht mehr so viel wie bisher, weil die zunehmend technokratische Gesellschaft glaubt, dass das Wissen mit zunehmenden Jahren nachlässt und das Alter daher zu einer Disqualifikation führt.
1.1.12 „ Die ergrauende Welt “ im 21. Jahrhundert
„ Von allen Erscheinungen der heutigen Zeit ist die am wenigsten bestreitbare, die am sichersten voranschreitende, die am leichtesten auf lange Sicht voraussehbare und vielleicht die folgenschwers- te die Ü beralterung der Bevölkerung.“
(ALFRED SAUVY)
Betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei den Römern noch 18 Jahre, im 17. Jahrhundert 25 Jahre, im 18. Jahrhundert in Frankreich 30 Jahre - etwas später stieg sie auch in anderen Ländern an - so wird mittlerweile jedes zweite Mädchen aus einer Kindergartengruppe 100 Jahre und jeder zweite Junge 95 Jahre alt werden. Die „ergrauende Welt“ ist einmal durch die zunehmende Langlebigkeit bedingt (vgl. LEHR, 2000) und wie BEAUVOIR (2000) meint, durch den Rückgang der Kindersterblichkeit und der Geburtenrate, was allerdings auf unterentwickelte Länder nicht zutrifft. Dort ist die Kindersterblichkeit weiterhin sehr hoch und Unterernährung, mangelnde ärztliche Versorgung und die materiellen Verhältnisse allgemein verhindern ein langes Leben. Daher sind diese Länder jung: in vielen Ländern ist die Hälfte der Bevölkerung weniger als 18 Jahre alt.
In der alten Gesellschaft, die hauptsächlich aus Bauern und Handwerkern bestand, […] lebte [der Arbeiter] am Ort seiner Arbeit […]. Bei hoch qualifizierten Handwerkern wuchsen die Fähigkeiten mit der Erfahrung, also mit den Jahren. In Gewerben, wo die Fähigkeiten mit dem Alter nachließen, gab es innerhalb des Betriebes eine Arbeitsteilung, die es gestattet, die Aufgaben den Möglichkeiten jedes Einzelnen anzupassen. War der Greis zu allem unfähig geworden so lebte er in der Familie, die für seinen Lebensunterhalt sorgte. […] sein Los [war] nicht immer beneidenswert […]. Aber die Gemeinschaft brauchte sich nicht um ihn zu bekümmern.
(BEAUVOIR, 2000: 285f)
Die Familienstrukturen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. LEHR (2000) spricht von einem Wandel der „sogenannten Großfamilie“ zur „Kernfamilie“, von einem Rückgang der „Drei- und Zwei-Generationen-Haushalte“ und von einer Zunahme der „Ein Generationen- und Ein-Personen-Haushalte“ (255ff). Dies führt dazu, dass in der heutigen Gesellschaft […] der Arbeiter am einen Ort [wohnt], […] am anderen [arbeitet] und […] ganz auf sich gestellt [ist]. Die Familie steht seiner Erwerbstätigkeit fern. Sie beschränkt sich auf ein oder zwei Paare von Erwachsenen, belastet mit Kindern, die noch nicht in der Lage sind, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen; sie kann mit ihren mageren Einkünften nicht für den Unterhalt ihrer alten Eltern sorgen. Indessen ist der Arbeiter sehr viel früher zur Untätigkeit verurteilt als früher: Die Arbeit, auf die er sich spezialisiert hat, bleibt während seines ganzen Lebens dieselbe und wird nicht den Möglichkeiten des fortschreitenden Alters angepasst.
(LEHR, 2000: 286)
Das Alter, in dem der Arbeitende Anspruch auf Rente hat, wird vom Staat festgelegt, wonach sich dann die Arbeitgeber richten und dementsprechend ihr Personal in den Ruhestand schicken. Das Alter bestimmt also, wann ein Mensch von der Kategorie der Aktiven in die der nicht mehr Aktiven wechselt (vgl. BEAUVOIR, 2000).
Die aufgezwungene Untätigkeit des alten Menschen ist also nicht sein natürliches Schicksal, sondern die Folge einer gesellschaftlichen Entscheidung. Er wird durch den technischen Fortschritt disqualifiziert und landet aufgrund von Krankheit und Erschöpfung auf dem Abstellgleis. BEAUVOIR (2000) meint, dass eine Gesellschaft, die von ihren Arbeitern weniger Anstrengung und Arbeitsstunden abverlangen würde, sinnvoll wäre, damit viele Menschen nicht schon mit 60 oder 65 zum „alten Eisen gezählt werden müssen“ (298).
Doch gerade in der modernen Zeit erfreuen sich viele alte Menschen immer länger einer besseren Gesundheit und sind sozusagen länger jung; daher ist Untätigkeit umso bedrückender für sie. BEAUVOIR (2000) nennt es „die Tragödie des Alters“: „Alt geworden, hat der Arbeiter keinen Platz mehr auf der Welt, weil man ihm in Wahrheit nie einen Platz zuerkannt hat: Er hatte nur keine Zeit, es zu merken. Wenn er sich allerdings dessen bewusst wird, verfällt er in eine Art stumpfsinnige Verzweiflung“ (354).
Es gilt auch zu bedenken, dass die in den Ruhestand Eintretenden im Durchschnitt noch ein Viertel ihres Lebens vor sich haben, oft sogar noch ein Drittel (vgl. LEHR, 2000). Einmal in Rente ist für viele das Elend nah, weil das Geld nicht ausreicht. Die Wohnungsfrage wird zum großen Problem, nicht nur des Geldes wegen, sondern weil die Familienzellen, wie weiter oben angeführt, auseinanderbrechen (vgl. BEAUVOIR, 2000 und LEHR, 2000).
Dem versucht man mit eigenen Wohnbereichen für alte Menschen entgegenzuwirken, wo sich allerdings die Frage stellt, ob es ihnen gut tut, ausschließlich untereinander zu leben. Im Zweiten Altenbericht der Bundesregierung in Deutschland wird vor zu vielen neuen Wohnformen für alte Menschen gewarnt und plädiert, das „normale“ Wohnen als wichtigste Wohnform verstärkt zum Gegenstand der Altenhilfe werden zu lassen (zit. nach LEHR, 2000: 304).
Wenn der alte Mensch aber physisch und wirtschaftlich nicht mehr für sich sorgen kann, kommt er notgedrungen in ein Krankenhaus oder eine Einrichtung. Dort muss er sich mit unbekannten Menschen ein Zimmer teilen, sich einem von außen instruierten Tagesablauf fügen und auch sonst wird er in vielerlei Hinsicht seiner Autonomie enthoben. Diese Verringerung des Lebensstandards ist für die meisten Menschen ein Ereignis mit ernsten psychologischen und moralischen Folgen. Es treten Gefühle der Entwertung und Nutzlosigkeit auf, Ängste werden ausgelöst und Langeweile kommt auf. „Um sich vor einer in jeder Hinsicht unheilvollen Trägheit zu schützen, muss der alte Mensch irgendwelche Tätigkeiten beibehalten […]“ (BEAUVOIR, 2000: 347). Es ist also wichtig, den alten Menschen zu ermöglichen, sich zu beschäftigen.
Nach LEHR (2000) kommt es immer auf das Ausmaß der gebotenen Anregungen, der Vielfalt sensorischer Reize und der möglichen Abwechslung innerhalb eines Heims an. Bestimmte Verhaltensweisen, die bei Heimbewohnern häufiger auftreten als bei Privatwohnenden - wie etwa eine Beeinträchtigung des Selbstgefühls, das Nachlassen der Anpassungsfähigkeit und der generellen Aktivität und eine Veränderung des Zeitbezugs - sind also „nicht ausschließlich Folgen des Heimaufenthalts […], sondern in den Ursachen, in den Gründen, die zum Heimaufenthalt führen, mitverankert […]“ (KAHANA, 1995, zit. nach ebd.: 310).
Es gibt allerdings eine Reihe von Untersuchungen, die zeigt, dass es eine Diskrepanz zwischen dem gibt, was der ältere Mensch noch tun möchte und auch könnte - und dem, was andere von ihm erwarten (vgl. LEHR, 2000). „Altersgemäße“ Verhaltensweisen sind meistens die Reaktion auf die Einstellung der anderen und nicht so sehr die eigenen Wünsche oder im Abbau der Fähigkeiten begründet: „Älterwerden wird für den einzelnen oft nur deswegen eine Belastung, weil damit die Gesellschaft bestimmte Verhaltenserwartungen an einen stellt […]“ (ebd.: 200).
1.2 Ethnologische Annäherung
In diesem Kapitel wird das „Alter“ aus ethnologischer Sicht in Augenschein genommen. Die Ausführungen beziehen sich auf Beschreibungen ethnologischer Gegebenheiten von SIMONE DE BEAUVOIR (2000).
In vielen der von BEAUVOIR (2000) untersuchten Gemeinschaften wird das Oberhaupt als eine Inkarnation einer Gottheit verehrt, die nach seinem Tod in den Körper seines Nachfolgers übergeht. Ehe aber der Verfall beginnt und das Oberhaupt durch das Alter geschwächt ist und die Gemeinschaft nicht mehr schützen kann, wird es getötet oder gibt sich freiwillig dem Tod hin. Die Dinka im Süden des Sudan praktizieren das „lebendige Begräbnis“, wo Greise, die eine wichtige Rolle für die Gemeinschaft spielen, aber Zeichen der Schwäche erkennen lassen, sich während einer Zeremonie aus freiem Willen lebendig begraben lassen.
Geht man in der Geschichte zurück zu den Babyloniern, stößt man auf den Mythos der Sintflut - sie habe die Menschheit verschlungen und die aus den Fluten auftauchende Welt sei aufs Neue bevölkert worden. Auch in der Bibel gibt es mit Noah, der wieder wie Adam begann, einen Neuanfang; die Tiere der Arche sind wie die im Paradies, und der Regenbogen bezeichnet den Anfang einer neuen Ära.
Die Ägypter glaubten an eine fortwährende Regeneration des Fruchtbarkeitsgottes Osiris: er starb jedes Jahr, mit der Ernte und wurde wiedergeboren, wenn das Getreide zu sprießen begann, mit der ganzen frischen Kraft einer unbegrenzt wieder erstehenden Jugend. Bei den Saturnalien im Römischen Reich lösten sich die gesellschaftliche Hierarchie und die Welt auf, um dann in ihrer ursprünglichen Frische wieder erschaffen zu werden (vgl. FRAZER, zit. nach BEAUVOIR, 2000).
BEAUVOIR (2000) meint, „dass der alte Mensch in reichen Gemeinschaften bessere Lebensmöglichkeiten hat als in armen und in sesshaften bessere als in nomadischen“ (101). Für sesshafte Zivilisationen stellt sich das Problem der Ernährung, für nomadische außerdem die Frage des Transportes. Wechselt das Dorf seinen Standort, was bei diesen Völkern sehr oft der Fall ist, können alte Menschen nicht mehr folgen und werden zurückgelassen. Ist das Dasein besonders mühevoll, lassen die Kräfte bereits ab dem 30. Lebensjahr nach, was zur Folge hat, dass die Kinder ihre Eltern vernachlässigen und sie sogar bei den Essenszuteilungen vergessen. Allerdings handelt es sich bei der Entscheidung, wie man mit alten Menschen umgeht, um eine, die von der jeweiligen Gesellschaft abhängt. Es gibt durchaus Völker, die trotz der beschwerlichen Lebensumstände die Alten mitnehmen und umgekehrt gibt es landwirtschaftliche Gesellschaften, die ihre alten Menschen einfach verhungern lassen, obwohl sie genügend zu Essen hätten. Im Sammelwerk THE ROLE OF THE AGED IN PRIMITIVE SOCIETY von LEO W. SIMMONS (zit. nach BEAUVOIR, 2000), das im Jahr 1945 veröffentlicht wurde, wird berichtet, dass von 39 untersuchten Stämmen 18 die Alten vernachlässigen und aussetzen, sowohl Nomaden als auch sesshafte Gemeinschaften.
BEAUVOIR (ebd.) folgert nun aus ihren Untersuchungen, dass sich die landwirtschaftlichen oder nomadischen Gesellschaften, deren Mittel unzureichend sind, gewöhnlich dafür entscheiden, die Alten zu opfern. Wenn die alten Leute den Boden nicht mehr bestellen können, wenn sie ausgezehrt, schwach und arm sind, werden sie zu einer Last und man verachtet ihre Hinfälligkeit. Oft werden sie in eine eigens errichtete Hütte gebracht mit ein wenig Wasser und Essen und dann ihrem Schicksal überlassen oder man tötet sie. Eskimos überreden die Alten, sich in den Schnee zu legen und auf den Tod zu warten, sie lassen sie im Packeis zurück oder schließen sie in einem Iglu ein.
Viele Gemeinschaften respektieren die alten Menschen, solange sie noch klar im Kopf und rüstig sind, entledigen sich ihrer jedoch, wenn sie hinfällig und kindisch werden. BEAUVOIR (2000) nimmt außerdem an, dass eine Gesellschaft, die über einen gewissen Spielraum an Sicherheit verfügt, für ihre Alten sorgt. Die Kinder werden gut behandelt und somit bleibt auch den Eltern die Liebe der Kinder bis ins hohe Alter erhalten; sie kümmern sich um sie, hören auf ihren Rat, bemühen sich, deren Alter zu erleichtern, ihnen zu helfen und alles mit ihnen zu teilen; sie im Stich zu lassen wäre ehrlos. In vielen Gesellschaften ist die Liebe der Kinder der einzige Trumpf der Alten, da sie ohne Kinder keinerlei Wert hätten.
Das Wissen und auch eine magische Macht wachsen mit zunehmendem Alter. Die Alten machen sich daher vor allem durch ihr Wissen unentbehrlich. Sie geben Traditionen weiter, kennen die Geschichte des Landes, die Abstammungen und Biographien der Gründer und können dieses Wissen an die Jüngeren weitergeben, die das Amt des Oberhaupts anstreben. „<Sie wissen die Dinge> und beherrschen die magischen Kräfte“ (ebd.: 88). Die Alten wachen über die Fruchtbarkeit des Bodens, heilen die Kranken und sorgen für die Aufrechterhaltung der sozialen Strukturen, leiten religiöse Feiern und Feste und deuten die Träume der Jungen, sie schlichten Streitigkeiten, bestimmen Standorte, wo neue Lager aufgeschlagen werden sollen und ordnen Festmahle an.
Bei den Navaho, einer zivilisierten und wohlhabenden Gesellschaft, die im Nordwesten Arizonas ein ausgedehntes Gebiet bewohnt, sind die Sänger am angesehensten. Sie bewahren das Andenken an die Traditionen und können es weitergeben und somit die Kontinuität der Gemeinschaft über die Zeitalter hinweg sichern. Sie werden als heilige Wesen betrachtet, die ungeheure Macht besitzen. Im Alter genießt ein Sänger das höchste Ansehen und ist dadurch in doppelter Hinsicht mächtig: durch die Zahl seiner Jahre und durch sein Wissen. Sänger sind die reichsten Mitglieder der Gemeinschaft und stehen ganz oben auf der sozialen Stufenleiter.
Bei Völkern, die in ihrer Bewusstseinsentwicklung so fortgeschritten sind, dass sie nicht mehr an Magie glauben und die mündliche Überlieferung weniger Bedeutung hat, haben die Alten keine so wichtige Rolle. Je weiter fortgeschritten die Entwicklung einer Gesellschaft ist, desto mehr lässt der Einfluss der alten Menschen nach. Sie werden nicht mehr privilegiert, in harmonischen und ausgeglichenen Gesellschaften wird ihnen allerdings schon ein angemessener Platz in Form einer ihren Kräften entsprechenden Arbeit zugewiesen. Die alten Menschen stehen bei all diesen Zivilisationen entweder ganz oben oder ganz unten auf der sozialen Stufenleiter. Sie schaffen sich ihre Stellung allerdings nie selbst, denn die verschiedenen Rollen sind in der Lebensspanne genau vorgegeben.3
1.3 Medizinische Annäherung
Nach der historischen und ethnologischen Annäherung zum Thema „Alter“ anhand Ausführungen von SIMONE DE BEAUVOIR (2000) folgt nun der medizinische Teil.
Im Folgenden werden die Begriffe „Geriatrie“ und „Gerontologie“ definiert, die im Kontext der Altenbetreuung sehr wichtig sind. Durch die steigende Lebenserwartung müssen die Infrastruktur und das Versorgungsangebot für alte Menschen stetig wachsen. Daher ist eine Spezialisierung der Medizin auch im Bereich der Altenbetreuung gar nicht mehr wegzudenken.
1.3.1 Geriatrie
Die Geriatrie (von griech. γέρων geron = Greis und ἰατορἰα = Heilung), auch Alters- oder Altenmedizin bzw. -heilkunde, beschäftigt sich mit der Gesundheit im Alter sowie den präventiven, klinischen, rehabilitativen und sozialen Aspekten von Krankheiten beim älteren Menschen. Dies betrifft vor allem Probleme aus den Bereichen der Inneren Medizin, der Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie (Gerontopsychiatrie) (vgl. Geriatrie, 2011 und HACKENBROCH, 2006). Die Geriatrie ist eine fächerübergreifende Disziplin, die „dem alten, aber vor allem dem sehr alten Menschen zu einem besseren Leben verhelfen soll“ (Geriatrie, 2011).
Im Jahr 1991 wurde von einer Expertenkommission der „Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie“ und der „Deutschen Gesellschaft für Geriatrie“ ein Konzept erstellt, das die 17 Dimensionen ärztlichen Handelns im geriatrischen Bereich drei Gruppen zuordnet:
- spezielle Wissensinhalte
- charakteristische Formen des Wahrnehmens und Verstehens
- Identität und Erleben der Arbeit mit Älteren
(Geriatrie, 2011)
Die 17 Dimensionen der geriatrischen Medizin sind:
1. Wissensmodifikation bei allgemein ausgebildeten Ärzten
2. Multimorbidität
3. Risikoerkennung
4. senile Demenz
5. Einwilligungsfähigkeit und Schutz von Rechten
6. psychosomatische Zusammenhänge
7. Hierarchisierung
8. Rehabilitation
9. Irreversibilität
10. Todesnähe
11. Polarität
12. Gewährleistung der Weiterversorgung
13. Umfeldbezogenheit
14. Angehörigenarbeit
15. Konsiliarwirkungen
16. Interdisziplinarität
17. strukturell-organisatorischer Umbruch
(Geriatrie, 2011)
Am 3. Mai 2008 wurde von der Sektion „Geriatrische Medizin“ der „European Union Geriatric Medicine Society“ eine europäische Definition „Geriatrische Medizin“ und „Geriatrische Patienten“ formuliert und am 6. September 2008 in Kopenhagen konsentiert. Diese Definition lautet wie folgt:
Geriatrische Medizin ist eine medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den körperlichen, mentalen, funktionellen und sozialen Bedingungen der akuten, chronischen, rehabilitativen, präventiven Behandlung und Pflege - auch am Lebensende - befaßt [sic]. Die Gruppe der Patienten wird mit einem hohen Grad von Vulnerabilität (Gebrechlichkeit; frailty) und aktiven Mehrfach-Erkrankungen assoziiert, die einen ganzheitlichen Behandlungsansatz erfordern.
Die Erkrankungen im Alter können sich unterschiedlich präsentieren; sind oft sehr schwierig zu diagnostizieren; das Ansprechen auf die Behandlung erfolgt verzögert und es besteht regelmäßig Bedarf für soziale Unterstützung.
Geriatrische Medizin überschreitet daher die organmedizinisch orientierte Medizin und bietet zusätzliche Therapieangebote in einer multidisziplinären Team-Umgebung (-Milieu; Setting). Das Hauptziel ist es, den funktionellen Status einer älteren Person zu optimieren sowie Lebensqualität und Autonomie zu verbessern.
Geriatrische Medizin ist nicht spezifisch altersdefiniert, sie behandelt jedoch die typische Morbidität älterer Patienten. Die meisten Patienten sind über 65 Lebensjahre alt. Diejenigen Gesundheitsprobleme, die durch Geriatrie als eine Spezialdisziplin am besten angegangen werden können, werden in der Altersklasse über 80jähriger viel häufiger.
(Geriatrie, 2011)
1.3.1.1 Ursprünge der Geriatrie
BEAUVOIR (2000) schreibt in ihrem Buch DAS ALTER über die Ursprünge der Geriatrie und nennt den in Wien geborenen Ignatz LEO NASCHER als Begründer dieser Lehre.
NASCHER verbrachte seine Kindheit in New York, wo er Medizin studierte, ehe er nach Wien zurückkehrte, um sich dem Studium des Alters zu widmen. Ein Besuch in einem Altersheim, bei dem er sich über die Langlebigkeit und die gute Gesundheit der Insassen wunderte - man sagte ihm, es sei, weil man die alten Menschen so behandle wie die Kinderärzte die Kinder - habe ihn dazu bewogen, einen eigenen Zweig der Medizin zu schaffen - die Geriatrie, so BEAUVOIR (ebd.). Im Jahr 1909 veröffentlichte er sein erstes Programm; in New York gründete er 1912 die Gesellschaft für Geria und 1914 veröffentlichte er ein Buch über dieses Thema, wobei er Mühe hatte, einen Verleger zu finden, weil man die Fragestellung nicht interessant fand.
1.3.2 Gerontologie
Neben dem Zweig der Geriatrie entwickelte sich eine Wissenschaft, die heute Gerontologie genannt wird:
Die Gerontologie entwickelte sich auf drei Gebieten: dem biologischen, psychologischen und sozialen. Auf allen dreien bleibt sie der gleichen positivistischen Einstellung treu; es geht nicht darum, zu erklären, warum die Phänomene auftreten, sondern zusammenfassend mit größtmöglicher Genauigkeit die Erscheinungen des Alters zu beschreiben.
(BEAUVOIR, 2000: 30)
Auch als Alter(n)sforschung bezeichnet stellt sie also eine Wissenschaft dar, „die sich mit Alterungsvorgängen in all ihren Aspekten befasst, darunter psychologische, soziale, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche“ (Geriatrie, 2011).
1.3.2.1 Ursprünge der Gerontologie
In den USA verdoppelte sich zwischen 1900 und 1930 die Zahl alter Menschen; dies geschah abermals zwischen 1930 und 1950. Durch die Industrialisierung kam es zu einer Konzentration vieler Alter in den Städten, was zu ernsten Problemen führte. Man suchte nach Lösungen, wobei die Aufmerksamkeit auf die alten Menschen gelenkt wurde, um besser über sie Bescheid zu wissen. Von 1930 an machte die Forschung in der Biologie, Psychologie und Soziologie auch in anderen Ländern Fortschritte. Während des Krieges ließen die Forschungen kurzzeitig nach, wurden aber unmittelbar danach wieder aufgenommen. Fachzeitschriften erschienen, Kongresse über das Altern fanden statt, umfassende Werke wurden veröffentlicht und Forschungsgesellschaften wurden gegründet, wie BEAUVOIR (2000) ausführt.
1.4 Psychosoziale Annäherung: Modelle zu den Lebensphasen
Dem medizinischen Teil folgt nun eine Annäherung zum Thema „Alter“ aus psychosozialer Sicht.
Der Lauf des Lebens stellt dem Menschen verschiedene Entwicklungsaufgaben. Gerade das Alter bringt viele Veränderungen mit sich (der Übergang in den Ruhestand, der Verlust von Angehörigen, zunehmende eigene Erkrankung), die ein psychisches und physisches Ungleichgewicht auslösen können. Lebenszufriedenheit gilt hier als Indikator für eine gelungene Anpassung an diese Veränderungen (vgl. LEHR, 2000).
Die Entwicklung des Lebens wurde seit jeher von verschiedenen Wissenschaftlern, Psychologen und Philosophen in Phasen eingeteilt. Man denke dabei beispielsweise an PYTHAGORAS, der die Lebenszyklen in Abschnitte von zwanzig Jahren einteilte und diese mit den Jahreszeiten verglich. Im folgenden Teil der Arbeit geht es um zwei Modelle: zunächst um das Phasenmodell des deutsch-US-amerikanischen Tiefenpsychologen ERIK HOMBURGER ERIKSON und im Anschluss um das Modell der „Lebensalter“ des deutschen Religionsphilosophen und katholischen Theologen ROMANO GUARDINI.
1.4.1 „ Die psychosozialen Phasen “ nach E RIK H. E RIKSON
ERIKSON schreibt in seinem Werk DER VOLLSTÄNDIGE LEBENSZYKLUS (1988) über die psychosozialen Phasen der Ich-Entwicklung.
Laut diesem Konzept durchläuft der Mensch im Laufe seines Lebens acht Stufen, die bereits von Geburt an in jedem einzelnen angelegt sind. Auf jeder dieser Stufen findet eine Neuorientierung zu sich und dem sozialen Umfeld statt, wobei phasenspezifische Thematiken auftreten, die schlussendlich in einer Krise münden und durch aktive Auseinandersetzung positiv oder negativ bewältigt werden können. Gelingt die Bewältigung der Krise (was nicht zwangsweise bedeutet, dass der Konflikt vollständig gelöst wird, weshalb die Auseinandersetzung mit früheren Kernproblemen auch im Erwachsenenalter noch möglich ist), kann eine gesunde Persönlichkeit heranreifen; gelingt sie nicht, wird die psychische Entwicklung des Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit gestört. Somit bilden die Bewältigung vorangegangener Krisen und die daraus gewonnenen Erfahrungen notwendigerweise die Basis für die folgenden Entwicklungsstufen, wie ERIKSON (1988) ausführt.
Neben der Bewältigung der Krisen, sieht ERIKSON (ebd.) als weiteren wesentlichen Inhalt des menschlichen Lebens das Streben nach Identität. Dies bedeutet, das eigene Selbst und die Gesellschaft, in der man lebt, zu erkennen und zu akzeptieren, wobei das Gefühl der eigenen Identität im Laufe des Lebens einem steten Wandel unterworfen ist.
Da in dieser Arbeit der Fokus auf der Thematik „Alter“ liegt, wird im Folgenden nur die „letzte Phase“ des vollständigen Lebenszyklus von ERIKSON (ebd.) genauer beschrieben. Ein Überblick aller psychosozialen Phasen findet sich in Form einer Tabelle im Anschluss an das folgende Kapitel. MUTHESIUS (in: MUTHESIUS, SONNTAG, WARME, & FALK, 2010: 54) hat das Identitätskonzept von ERIKSON durch die Spalte „Musik“ ergänzt; sie erachtet neben der Dimension der „psychosozialen Krisen“ die des „Radius wichtiger Beziehungen“ als besonders interessant in Hinblick auf das Vorkommen von musikalischen Erfahrungen in den einzelnen Lebensphasen.
1.4.1.1 „ Die letzte Phase “ bei ERIKH. ERIKSON
ERIKSON (1988) bezeichnet das Alter als letzte Phase: „[…] das völlige Ende dieses uns bestimmten Lebenswegs (das freilich unvorhersehbar ist, was die Zeit und das Wie betrifft)“ (78).
Ziel dieser Phase ist das Erreichen einer Ich-Integrität - „ein Gefühl von Kohärenz und Ganzheit “ (ebd.: 83). Der Mensch steht also vor der Aufgabe, auf sein bisheriges Leben zurückzublicken und es mit allen positiven und negativen Erlebnissen und Erfahrungen anzunehmen, zu akzeptieren, was er getan hat und geworden ist, zuversichtlich zu sein in Hinblick auf das, was noch kommt und den Tod nicht zu fürchten: „Sein, was man geworden ist; wissen, daß [sic] man einmal nicht mehr sein wird“ (ebd.: 215). Erst dadurch gelingt es, in Ruhe zu leben und Weisheit zu erlangen, welche die Grundstärke dieser letzten Phase darstellt. ERIKSON (1988) bezeichnet Weisheit als „eine Art erfüllte und gelöste Anteilnahme am Leben im Angesicht des Todes“ (ebd.: 78).
Wird die „Ich-Integrität“ jedoch nicht erreicht, so kommt es laut ERIKSON (ebd.) zu Enttäuschung und Unzufriedenheit über das eigene Leben. Er spricht in diesem Zusammenhang von Trauer über die verflossene Zeit und den entleerten Raum […], über geschwächte Autonomie, verlorene Initiative, vermisste Intimität, vernachlässigte generative Tätigkeit - ganz zu schweigen von nicht genutzten Identitätspotentialen oder einer zu eingeschränkt gelebten Identität.
(ERIKSON, 1988: 81f)
Dies alles führt zu Verzweiflung und Hochmut, das Gegenstück von Weisheit als „Reaktion auf das Gefühl (und den Anblick anderer), immer mehr am Ende, verwirrt und hilflos zu sein“ (ebd.: 79).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.4.1.2 Exkurs zu J EAN -P AUL S ARTRE
JEAN-PAUL SARTRE (zit. nach BEAUVOIR, 2000) sagte: „Die Zukunft entscheidet darüber, ob die Vergangenheit lebendig ist oder nicht.“ Damit meint er, dass es von einem selbst abhängig ist, ob man sich weiterentwickelt oder nicht. Erst wenn sich der Mensch von seiner Vergangenheit löse und sein früheres Ich als das Ich definiere, das er nicht mehr ist, gelinge Entwicklung. Viele alte Menschen seien jedoch eng mit ihrer Vergangenheit verbunden, negierten die Zeit und würden ihr früheres Ich nach wie vor als aktuell ansehen, auch wenn sie sich verändert haben. Daraus entstehe nach SARTRE (ebd.) ein unermüdliches Sprechen vom vergangenen Sein, oft bleibe der alte Mensch sogar in der Rolle haften, die ihm am besten gefallen hat: die wunderbare Mutter, der tapfere Soldat, die angebetete Liebhaberin, das Kind, der Jugendliche.
Die Meinung von ALDRIDGE (2003), dass gerade die Erinnerungen an das „andere Selbst“, dem alten Menschen helfen, sein aktuelles Selbst neu zu gestalten, steht den Ausführungen von SARTRE (zit. nach BEAUVOIR, 2000) entgegen.
1.4.2 „ Die Lebensalter “ nach R OMANO G UARDINI
Der deutsche Religionsphilosoph und katholische Theologe ROMANO GUARDINI (2008) hat sich auch mit den Lebensaltern des Menschen beschäftigt. Er beschreibt den Menschen als ein sich ständig neu charakterisierendes Wesen, dessen körperlich-seelische Zustände, abhängig von der momentanen Situation, ständig im Wechsel sind. Trotzdem wird die Einheit des Menschen niemals aufgehoben - es handelt sich immer um den gleichen Menschen.
Nach GUARDINI (ebd.) sind die Lebensalter für das Verständnis des Menschen von besonderer Bedeutung. Er unterteilt die einzelnen Lebensphasen sehr weitläufig wie folgt: „Das Kind… den jungen… den mündigen… den reifen… den alten… den senilen Menschen“ (ebd.: 11). Auf weitere Unterteilungen, die sicher möglich wären, verzichtet er aus Gründen des „Uferlosen“ (ebd.).
Jede Phase hat ihren eigenen Charakter, der manchmal so stark vorhanden ist, dass er es erschwert, in die nächste Phase überzugehen. Eine Phase wird oft festgehalten, obwohl sie schon ausgelebt sein sollte und eine neue an der Zeit wäre. Zwischen den genannten Lebensphasen liegen typische Krisen, wie etwa die Erfahrung, Grenzerlebnisse, die Loslösung und das Hilfloswerden. In jeder Phase tauchen auch ganz bestimmte Werte auf, die die sittlichen Möglichkeiten und Aufgaben der betreffenden Lebensphase kennzeichnen. Jede Phase ist etwas Eigenes, das weder aus dem Vorangegangenen noch aus dem Folgenden abgeleitet werden kann, dennoch ist jede Phase ins Ganze eingeordnet, so GUARDINI (2008).
Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, alle Lebensphasen genauer zu beschreiben, weshalb hier nur auf den alten und senilen Menschen genauer eingegangen wird.
1.4.2.1 „ Der alte und senile Mensch “ bei ROMANO GUARDINI
Der weise Mensch ist bei GUARDINI (2008) jemand, der um das Ende des Lebens weiß und es auch annimmt. Dieses Akzeptieren muss nicht zwingend mit Freude verbunden sein; es ist vielmehr eine immer aufrichtiger werdende Bereitschaft zu dem, was sein muss, wodurch Ruhe in die Haltung kommt.
In der heutigen Zeit, so GUARDINI (ebd.), kommt das Altsein nur noch in Einschränkungen zum Ausdruck: die Leistungsfähigkeit sinkt, der alte Mensch ist weniger elastisch:
Im Grunde ist danach der alte Mensch nur ein verminderter junger - alles das zusammenhängend mit dem Vertrauen auf die Kunst der Ärzte, das Leben zu verlängern; auf Heilmethoden, die magisch wirken sollen - die Schwindelkünste der Mode und der Kosmetik nicht zu vergessen. Was dabei herauskommt, ist Schein und Lebensbetrug.
(GUARDINI, 2008: 59)
Im ganzen heutigen Lebensbild fehlen die Werte des Alters, wie etwa die verschiedenen Formen von Weisheit und die Verhaltensweisen, die aus der Urteils- und Unterscheidungsfähigkeit hervorgehen (vgl. GUARDINI, 2008). Auch der Tod hat keinen positiven Wertakzent mehr: „Er wird als bloßes Aufhören gesehen, das noch dazu unter furchterregenden Umständen vor sich geht. Daher wird es aus dem Blickfeld verdrängt; kommt er aber, dann kommt er unvorbereitet“ (ebd.: 69). Die Symptome des Todes, die sich im hohen Alter anmelden, werden nur erduldet.
Auf die Phase des alten oder weisen Menschen folgt die des ganz alten oder senilen Menschen. Diese als Greisenalter bezeichnete Phase bedeutet Verfall; die eigene Produktivität geht zurück, Zeichen der Erstarrung, Entleerung, abnehmender Koordination usw. werden deutlich. Charakteristisch sind aber auch weiterwirkende Momente aus der Phase des weisen Menschen; der alte Mensch macht oft einen stillen Eindruck: „Sie sind still von innen her. Sie haben eine Würde, die nicht aus Leistung, sondern aus Sein kommt“ (ebd.: 62).
Wenn der Charakter des Weniger-Werdens und die Abhängigkeit von den Anderen entscheidend durchdringen, dann spricht GUARDINI (ebd.) von der letzten Phase des Lebens, der des senilen Menschen. In dieser Phase wird keine wirkliche, im Leben selbst liegende Erfüllung mehr erwartet; Erfahrungsformen, Impulse und Tätigkeitsweisen nehmen an Ursprünglichkeit und Intensität ab, das Element der Leidenschaft verschwindet aus dem seelisch-körperlichen Gesamtbild, die Aufnahmefähigkeit der Sinne wird geringer, Organdefekte stellen sich ein, die Zuverlässigkeit und Feinheit der Wahrnehmung sinkt. Zudem werden Abläufe starr, das Interesse an Neuem schwindet; der senile Mensch wird gleichgültig und zeichnet ein Bild des Verfalls. Der senile Eigensinn stellt sich ein: „[…] eine Zähigkeit des Festhaltens und Widerstehens, die bis zum Kleinlichsten und Törichtesten gehen kann“ (ebd. 66). Allerdings bleiben die auf das Essen, Trinken und die körperliche Bequemlichkeit gerichteten Impulse viel länger erhalten.
Neben all diesen negativen Momenten und Zuständen gibt es aber auch in der senilen Phase positive Seiten. Sehr alte Menschen wirken oft freundlich ruhig, sie stehen mit Selbstverständlichkeit in ihrer Umgebung und lösen manche Schwierigkeit ohne viel Aufsehen, denn „der sehr alte Mensch ist aus dem Daseinsdienst, der so oft zum Daseinskampf wird, entlassen. Seine innere Kühle macht es ihm leichter, sich zu bescheiden; Erfahrung und Abstand vom Leben lehrt ihn, den Anderen zu verstehen und gelten zu lassen“ (GUARDINI, 2008: 67).
Wenn nun aber in dieser Phase der Charakter des alten Menschen im Abnehmen der Lebensenergien besteht, so meint GUARDINI (2008), wächst die helfende und ertragende Aufgabe derer, auf welche der alte Mensch angewiesen ist. Nun ist der Umgang mit einem sehr alten Menschen nicht leicht, denn mit zunehmendem Alter steigen auch die Empfindlichkeit und das Misstrauen, manchmal sogar die Hinterhältigkeit. Erinnerungen aus weit entfernten Zeiten sind sehr präsent und werden gerne immer wieder erzählt, auch um das Jetzige zu kritisieren, während die Gegenwart rasch aus dem Gedächtnis verschwindet. Die Krankheiten werden zahlreicher, der alte Mensch neigt dazu, sich zu vernachlässigen und den Gefühlen Anderer gleichgültig zu begegnen. Dadurch ermüdet auch die Herzenskraft der nahe Verbundenen langsam.
Das Pflegepersonal steht hier vor einer besonderen Schwierigkeit, denn die ethische Aufgabe „fordert Energie und Selbstlosigkeit zugleich; vor allem aber eine große, immer erneute Geduld - umso [sic] mehr als der Ausblick auf die Zukunft fehlt, und in der Regel nicht mehr erwartet werden kann, als ein anständig-vernünftiges Miteinander-Auskommen“ (ebd.: 70). GUARDINI (ebd.) empfiehlt hierfür eine ruhige Selbstverständlichkeit und Humor.
Des Weiteren weist GUARDINI (ebd.) darauf hin, dass es für den gesunden und lebensstarken Menschen von großer Wichtigkeit ist, sich um den Kranken und Schwachen zu kümmern, damit er für „die Verletzlichkeit des Daseins“ und „die tieferen Werte“ (ebd.: 72), die durch ein gesundes Leben leicht verdeckt werden, ein besseres Verständnis entwickelt.
1.4.2.2 Exkurs zu „ Disengagement versus Aktivität“
Die Frage nach der optimalen Form des Alterns wirft zwei gegensätzliche Grundansichten auf. Auf der einen Seite steht die Aktivitätstheorie, die annimmt, dass nur die Menschen glücklich werden und zufrieden sind, die aktiv sind, etwas leisten und von anderen Menschen „gebraucht“ werden (vgl. TARTLER, 1961, zit. nach LEHR, 2000). Dem steht die Disengagement-Theorie gegenüber, die behauptet, „der ältere Mensch wünsche sich geradezu gewisse Formen der ,sozialen Isolierung´, der Reduzierung seiner sozialen Kontakte und fühle sich gerade dadurch glücklich und zufrieden“ (LEHR, 2000: 58). Ältere Menschen, die zur Aktivität angehalten werden, bilden einen inneren Konflikt aus, weil der Wunsch nach Erweiterung des Lebensraums mit der unterschwelligen Auseinandersetzung mit dem Lebensende in Widerspruch steht (vgl. ebd.).
1.5 Verhaltensorientierte Annäherung: Dimensionen der Belastungsbewältigung
Bevor näher auf die Bereiche Musik und Musiktherapie im Alter eingegangen wird, sollen hier noch einige Dimensionen zur Bewältigung von Lebensereignissen nach BAUMANN & LINDEN (2008), im Speziellen die Weisheitskompetenz bzw. in weiterer Folge die Weisheitstherapie, angeführt werden.
BAUMANN & LINDEN (ebd.) gehen davon aus, dass Menschen über unterschiedliche Ressourcen verfügen, die den Umgang mit Belastungen erleichtern und die Entstehung von
[...]
1 Um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, wird in der vorliegenden Arbeit (Musik)Therapeutin immer in der weiblichen Form angegeben und in allen anderen Fällen die männliche Form gewählt, wobei immer auch das jeweils andere Geschlecht gemeint ist.
2 Auch bei BAUMANN & LINDEN (2008) findet sich ein interessanter Umriss von Alter und Weisheit, im Kapitel „Philosophische Weisheitstheorien“ (34ff).
3 In der Tierwelt genießen die alten und erfahrenen Tiere bei vielen Arten großes Ansehen. So kommt es beispielsweise dazu, dass bei den Dohlen einem jungen Vogel, der Angst zeigt, gar keine Beachtung geschenkt wird; schlägt aber ein altes Männchen Alarm, fliegen alle davon. Auch Schimpansen imitieren prinzipiell nur Artgenossen höheren Ranges, sprich ältere.
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