Leseprobe
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung und Basisklassifikation
2.1. Begriffsbestimmung
2.2. Basisklassifikation
2.3. Einige spezielle Klassen
2.3.1. Modellbildungen
2.3.2. Zwillingsformeln
2.3.3. Komparative Phraseologismen
2.3.4. Kinegramme
2.3.5. Onymische Phraseologismen
2.3.6. Phraseologische Termini
2.3.7. Orthonymische Phraseologismen
3. Sprachliche Besonderheiten von Phraseologismen
3.1. Polylexikalität
3.2. Festigkeit
3.2.1. Gebräuchlichkeit
3.2.2. Psycholinguistische Festigkeit
3.2.3. Strukturelle Festigkeit
3.2.3.1. Morphosyntaktische Irregularitäten
3.2.3.2. Restriktionen
3.2.4. Relativierung der strukturellen Festigkeit
3.2.5. Pragmatische Festigkeit
3.2.5.1. Konnotationen und Expressivität
3.2.5.2. Gebrauchsrestriktionen und Stilistik
3.3. Idiomatizität
3.4. Motiviertheit und Motivierbarkeit
3.5. Zusammenfassung des Kapitels
4. Die Vermittlung von idiomatischen Phraseologismen im Deutsch als Fremdspracheunterricht: Probleme und Lösungsvorschläge
4.1. Lernschwierigkeiten
4.2. Lernziele
4.3. Auswahl
4.3.1. Kriterien und Probleme
4.3.2. Fazit
4.4. Vorgehensweisen bei der Vermittlung von idiomatischen Phraseologismen im Deutsch als Fremdspracheunterricht
4.4.1. Überblick
4.4.2. Der ‚phraseodidaktische Dreischritt‘ – Erkennen, Verstehen, Anwenden
4.4.2.1. Phraseologismen erkennen
4.4.2.2. Phraseologismen verstehen
4.4.2.3. Phraseologismen festigen und anwenden
4.4.3. Kontrastives Verfahren
4.4.4. Etymologisierung und phonetische Sensibilisierung
5. Zusammenfassung und Ausblick
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„ Redensarten und Sprichwörter können eben viel mehr, als nur unsere Rede würzen. Sie können helfen, in schwierigen Situationen kühlen Kopf zu bewahren oder Mut zu fassen, sie können trösten, Rat geben oder einen aufbauen, weil in ihnen die Gedanken, vielleicht sogar die Weisheiten von Jahrtausenden stecken.“
Rolf-Bernhard Essig (2009: 7)
Phraseologismen als praktische Lebenshilfe für umsonst? Bei über 200.000 Sprichwörtern und Redewendungen, die allein das Deutsche besitzen soll (vgl. Essig 2009: 11f), ist das eine beachtliche Menge Hilfe, die potentiell geleistet werden kann. Feste Wendungen sind ein Teil des Wortschatzes. Man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt, sei es in der gesprochenen Sprache oder in geschriebenen Texten, wie Zeitungsartikeln, Werbung, Horoskopen oder Anekdoten. Auch Deutsch als Fremdsprachelerner werden demnach Phraseologismen nicht ausweichen können. Doch bevor sie in den Genuss der bekräftigenden Wirkung dieser Wortverbindungen kommen, müssen sie diese zuerst erkennen und verstehen können. Allerdings ist nicht nur die Ausbildung der rezeptiven Kompetenzen wichtig. Es gibt auch Situationen, in denen der Gebrauch dieser Wendungen für den Fremdsprachenlerner unumgänglich ist. Routineformeln sind z.B. essentiell für die Bewältigung von Gesprächen, im weiteren Sinne von sozialen Interaktionen.
Die vorliegende Arbeit widmet sich primär dem Phänomen der idiomatischen Phraseologismen und deren Vermittlung im Deutsch als Fremdspracheunterricht. Idiomatische Phraseologismen gelten wegen ihrer komplexen Semantik, ihrer relativ starren Struktur und ihren eingeschränkten Gebrauchsmöglichkeiten als schwer erlern- und vermittelbar. Dennoch wirken sie auf Lerner motivierend. Sie werden aufgrund des Spaßes am Bildhaften, der Möglichkeiten zum Sprachspiel und des „kulturellen Schatzes“, der durch sie vermittelt wird, gern gelernt (vgl. u.a. Hirschfeld 1996: 31). Das Fach Deutsch als Fremdsprache befindet sich heute nicht mehr in dem von Peter Kühn 1987 postulierten „phraseodidaktischen Dornröschenschlaf“ (Kühn 1987: 62), allerdings wurden die Fortschritte der Phraseodidaktik noch nicht ausreichend in fachdidaktischen Handbüchern festgehalten (vgl. Ettinger 1998: 202ff.).
Ziel dieser Arbeit ist es, auf die Probleme, die sich für Deutschlerner beim Erlernen und angemessenen Anwenden von idiomatischen Phraseologismen ergeben, hinzuweisen und die wichtigsten Verfahren zur Vermittlung dieser sprachlichen Einheiten im Deutsch als Fremdspracheunterricht vorzustellen.
Inhaltlich gliedert sich die Arbeit in zwei Teile. Der erste Teil ist eine Annäherung an das Phänomen der Phraseologismen aus sprachwissenschaftlicher Perspektive. Dieser Teil wird im Kapitel zwei und drei dargelegt. Wer sich mit Phraseologie im Allgemeinen zum ersten Mal beschäftigt, dem fällt eine terminologische Vielfalt auf. Im Kapitel zwei wird versucht, einen Überblick über die verschiedenen Definitionsansätze der Phraseologieforschung zu geben. Daraufhin wird eine Basisklassifikation erstellt, die als Grundlage weiterer Ausführungen dient. Im Anschluss daran werden einige spezielle Klassen von Phraseologismen vorgestellt. Diese Klassen werden im Kapitel vier wieder relevant, wenn das Problem der Auswahl phraseologischer Einheiten für den Unterricht erörtert wird. Als nächster Schritt folgt im Kapitel drei eine genauere Beschreibung von Idiomen[1] auf syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene.
Die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse aus Kapitel zwei und drei dienen als Basis für den zweiten Teil dieser Arbeit, in welchem Phraseologismen aus fremdsprachendidaktischer Sicht erörtert werden. Dieser Teil wird in Kapitel vier präsentiert. Es werden die Lernprobleme, die sich im Zusammenhang mit idiomatischen Phraseologismen ergeben, mögliche Lernziele und Lösungsvorschläge bei der Vermittlung dieser Wendungen im DaF-Unterricht aufgezeigt. Als Lösungsvorschläge werden der phraseodidaktische Dreischritt, das kontrastive Verfahren, Etymologisierungen und das phonetische Verfahren erklärt und mit Beispielen belegt. Da sich die Vermittlungsverfahren nicht ausschließlich den idiomatischen Wendungen widmen, sondern Phraseologismen aller Art betreffen, sind nicht nur Idiome, sondern auch Phraseologismen im weiteren Sinne Bestandteil dieser Arbeit. In einem abschließenden Fazit im Kapitel fünf sollen die vorgestellten Verfahren bewertet und ein Ausblick auf weitere phraseologische Forschungsfelder und deren Relevanz für die Phraseodidaktik gegeben werden.
2. Begriffsbestimmung und Basisklassifikation
Die germanistische Phraseologieforschung ist eine relativ junge wissenschaftliche Disziplin, die seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts betrieben wird. Weder die Klassifikationen, die dieser linguistischen Teildisziplin zugrunde liegen, noch die Terminologie waren einheitlich, was zu einem vielbeklagten Begriffschaos führte. Es existierten Ausdrücke, wie ‚Phraseologismus‘, ‚Phrasem‘, ‚Phraseolexem‘, ‚Phraseotextem‘, ‚Redensart‘, ‚feste Wortverbindung‘, ‚Idiom‘, ‚Sprichwort‘ und ‚Kollokation‘, um nur einige zu nennen. Wenngleich sich die Forschung heute auf die Klassifikationskriterien weitgehend geeinigt hat, findet man in der Fachliteratur noch immer divergierende Termini (vgl. Burger 2007: 33). Um einen Überblick über die verschiedenen Definitionsansätze der Phraseologieforschung zu geben, sollen im Folgenden einige wichtige Begriffe kurz erklärt und eine Basisklassifikation erstellt werden.
2.1. Begriffsbestimmung
Bereits die Bezeichnung ‚Phraseologie‘ hat zwei Bedeutungen. Zum einen benennt sie die „sprachwissenschaftliche Teildisziplin, die sich mit der Erforschung der Phraseologismen beschäftigt“ (Fleischer 1982: 9) - die Phraseologieforschung. Zum anderen bezeichnet der Begriff den „Bestand (Inventar) von Phraseologismen in einer bestimmten Einzelsprache“ (ebd.).
Der Begriff ‚Phraseolexem‘ wurde von Klaus Dieter Pilz eingeführt und kennzeichnet eine Wortgruppe aus mindestens zwei getrennt geschriebenen Wörtern, die als lexikosemantische Einheit verwendet wird und nicht länger als ein Satz ist (vgl. Palm 1997: 104f.). Laut Fleischer (vgl. 1982: 72f.) weisen Phraseolexeme ein Mindestmaß an Idiomatizität auf und sind im Gegensatz zu den festgeprägten Sätzen, zu denen Sprichwörter, geflügelte Worte und Gemeinplätze gehören, grammatisch in gewissen Grenzen variabel.[2]
Eine ähnliche Bedeutung trägt auch der Terminus ‚Phraseologismus‘. Allerdings bezeichnet dieser Ausdruck nicht nur idiomatische, sondern auch nicht-idiomatische feste Wendungen. Ein wesentliches Merkmal eines Phraseologismus ist, dass er in seiner Kombination den Zugehörigen einer Sprachgemeinschaft geläufig ist, d.h. die Anordnung der Wörter muss deutschen Muttersprachlern genau in dieser Kombination, einschließlich eventueller Varianten, bekannt sein[3] (vgl. Burger 2007: 11). Der Begriff ‚Phraseologismus‘ geht laut Palm (vgl. 1997: 104) zurück auf die sowjetische Phraseologieforschung, die Vorläufer der strukturalistisch geprägten germanistischen Phraseologieforschung war. Vertreter der sowjetischen Phraseologieforschung sind u.a. Žukov, Kunin, Černyševa und Rojzenzon (vgl. Burger, Buhofer, Sialm 1982: 62). Heute ist ‚Phraseologismus‘ die am häufigsten verwendete Bezeichnung für die sprachlichen Erscheinungen der Phraseologie (vgl. Palm 1997: 104f.).
Unter ‚Phrasem‘ verstehen Rainer Eckert und Kurt Günther nur idiomatische Phraseologismen, wie z.B. „ins Fettnäpfchen treten“ und „das ist alles kalter Kaffee“, unter ‚Phraseotextem‘ werden indessen Sprichwörter, wie „Morgenstund hat Gold im Mund“, Routineformeln, wie „Guten Morgen“ und „meiner Meinung nach“ u.a. subsumiert.[4] Forscher, wie Eckert und Günther, die nur Phraseologismen, welche auch idiomatisch sind, als ihren Untersuchungsgegenstand ansehen, folgen einem engen Phraseologiebegriff. Man spricht in diesem Fall von ‚Phraseologie im engeren Sinne‘.
Andere Phraseologen wenden sich gegen diese enge Auffassung von Phraseologie und zählen auch schwach- oder nicht-idiomatische Ausdrücke, wie Kollokationen mit zum Untersuchungsgegenstand der Forschungsdisziplin (vgl. Feilke 1994 und 1996 zitiert nach Burger 2007: 15, Burger 2007: 35, Archangel’skij und Rojzenson zitiert nach Palm 1997: 107). Folgt man diesem Ansatz der ‚Phraseologie im weiteren Sinne‘, gehören auch feste Wendungen, wie „Zähne putzen“, „groß und stark“ und „mit den Achseln zucken“ zum Bestand der Phraseologie, wenngleich sie nicht das Zentrum, sondern eher die Peripherie der zu untersuchenden Phänomene bilden.
Die Ausdrücke ‚Redensart‘ und ‚Sprichwort‘ sind der Alltagssprache entnommen, wobei der Terminus ‚Sprichwort‘ auch in der Linguistik verwendet wird. Sprichwörter bilden eine Subklasse der Phraseologismen. Sie bestehen aus einem in sich geschlossenen, nicht variablen Satz, welcher zumeist von einer Moralvorstellung geprägt ist. Des Weiteren sind Sprichwörter im Gegensatz zu vielen anderen Phraseologismen durch kein lexikalisches Element an den Kontext gebunden (vgl. Burger 2007: 108f.). Die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Erforschung der Sprichwörter beschäftigt, nennt sich Parömiologie.
Redensarten unterscheiden sich laut Seiler von Sprichwörtern, da sie keinen Satzcharakter haben (vgl. Fleischer 1982: 19). Wander zählte Redensarten im Gegensatz zu Sprichwörtern zu den Wortschatzelementen (vgl. Fleischer 1982: 17). Laut Harald Burger eignet sich der Begriff ‚Redensart‘ nicht als wissenschaftlicher Terminus, da er zu viele Phänomene umfasse und demzufolge zu unpräzise sei (vgl. Burger 2007: 12, 35f, 53ff.).
Spricht man von der ‚phraseologischen Bedeutung‘ eines Phraseologismus, so ist damit die übertragene Bedeutung der gesamten festen Wortverbindung oder auch einzelner ihrer Komponenten gemeint. Zum Beispiel hat der Ausdruck „jmdn. einen Korb geben“ die phraseologische Bedeutung „jmdn. als potentiellen Liebespartner zurückweisen“. Seine wörtliche Bedeutung „jmdm. einen geflochtenen Behälter geben“ weicht vollkommen von seiner übertragenen Bedeutung ab. In jedem Fall von einer übertragenen Bedeutung zu sprechen, wäre allerdings unangemessen, da bei vielen schwach-idiomatischen Wortverbindungen die Bezeichnung ‚übertragen‘ zu stark wäre. Ihre phraseologische Bedeutung und ihre wörtliche Bedeutung liegen entweder sehr nah beieinander oder sie sind gleich. Als Beispiel sei hier wieder „Zähne putzen“ genannt. Liegt das Augenmerk auf der Bedeutung, die der Phraseologismus bzw. einzelne seiner Komponenten in freier Verwendung haben, spricht man von freier Bedeutung oder wörtlicher Bedeutung. Beide Begriffe werden synonym verwendet (vgl. Burger 2007: 13f., Palm 1997: 2 und Donalies 2009:19).
In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe ‚Phraseologismus‘, sowie ‚feste Wortverbindung‘, ‚feste Wendung‘, ‚phraseologische Wortverbindung‘ und ‚phraseologische Einheit‘ synonym zur Benennung des Oberbegriffs aller sprachlichen Erscheinungen, die in den Objektbereich Phraseologie fallen, verwendet. Auch andere Begriffe können gelegentlich vorkommen, wenn die Arbeiten anderer Autoren referiert werden. Die Verwendung des Begriffes ‚Phraseologismus‘ erscheint sinnvoll, da er sich in der germanistischen Phraseologieforschung durchgesetzt hat und ein weites Begriffsfeld abdeckt. Die vorliegende Arbeit fügt sich damit in die Forschungstradition von Wolfgang Fleischer und Harald Burger. Das Hauptaugenmerk wird auf den idiomatischen Phraseologismen liegen, welche eine semantische Unterklasse der Phraseologismen bilden. Der Ausdruck ‚Idiom‘ wird synonym verwendet, genauso, wie der Ausdruck ‚Teil-Idiom‘ als Synonym für ‚teilidiomatischer Phraseologismus‘ steht.
In dieser Arbeit wird von einem weiten Phraseologiebegriff ausgegangen. Der Fokus liegt zwar auf den idiomatischen Phraseologismen und den Schwierigkeiten, die sich gerade durch sie beim Lernen ergeben. Diese Einengung darf aber nicht als qualitative Einschränkung des Oberbegriffs Phraseologismus verstanden werden. Der Fokus liegt nur deshalb auf den idiomatischen Phraseologismen, um eine thematische Einschränkung vorzunehmen, die dem Umfang dieser Arbeit entspricht.
2.2. Basisklassifikation
Bevor die grundlegenden Eigenschaften von Phraseologismen genauer beschrieben werden, erscheint es sinnvoll, den Gesamtbereich der Phraseologie zu klassifizieren. Die Klassifizierung orientiert sich an Burger, der das Kriterium der Zeichenfunktion, die feste Wendungen in der Kommunikation haben, verwendete. Bei der Anwendung dieses Kriteriums ergeben sich drei Klassen. Die erste Klasse bilden die ‚referentiellen Phraseologismen‘, deren Einheiten sich auf Objekte, Sachverhalte oder Vorgänge der Wirklichkeit, d.h. der „wirklichen“ Welt oder fiktiver Welten beziehen. Beispiele hierfür sind „Schwarzes Brett“, „jmdn. übers Ohr hauen“, „Morgenstund hat Gold im Mund.“ Unter der Klasse der ‚strukturellen Phraseologismen‘ werden feste Wortverbindungen zusammengefasst, deren einzige Funktion es ist, innerhalb der Sprache (grammatische) Relationen herzustellen. Dazu gehören Wendungen, wie „in Bezug auf“ und „sowohl – als auch“. Diese Klasse ist die kleinste von den dreien. Die dritte Klasse bilden die ‚kommunikativen Phraseologismen‘, die bestimmte Funktionen „bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunikativer Handlungen“ (Burger 2007: 36) innehaben. Dies können Grußformeln sein, die den Beginn oder das Ende eines Gesprächs markieren, Glückwunschformeln oder andere Formeln, wie „nicht wahr?“, „meines Erachtens“, „hör mal“ und „siehst du?“, deren Funktion im Bereich der Gesprächssteuerung liegen (vgl. Burger 2007: 30). Für diese Gruppe ist auch der Terminus ‚Routineformeln‘ geläufig (vgl. ebd.: 36f.).
Bei der Beschäftigung mit kommunikativen Phraseologismen fällt auf, dass Burger diese Klasse sehr eng fasst. Andere Autoren, wie Michaela Heinz, Wolfgang Fleischer und Christine Palm zählen weitaus mehr phraseologische Einheiten zu dieser Gruppe (vgl. Heinz 1994: 296ff., Fleischer 1982: 130ff. und Palm 1997: 33f.). Heinz (vgl. 1994: 296f.) bezeichnet die kommunikativen Phraseologismen als pragmatische Redewendungen und weist darauf hin, dass sie primär keine denotative Bedeutung haben, sondern vielmehr „Ausdruck“ und „Appell“ seien. Laut ihrer „Typologie der bildlichen Redewendungen“ (Heinz 1994: 281) untergliedern sich pragmatische Redewendungen in situationelle Redewendungen, deren Gebrauch an eine bestimmte Situation gebunden ist, wie z.B. „Scherben bringen Glück“, emotionelle Redewendungen, deren Gebrauch durch eine bestimmte Emotion des Sprechers ausgelöst wird, wie z.B. „Da kannst du Gift drauf nehmen!“ und einschätzende Redewendungen, wie „Das ist doch klar, wie Kloßbrühe!“ (vgl. Heinz 1994: 296ff.). Ähnliche Beispiele führt Fleischer als kommunikative Formeln an. Er gruppiert sie nach ihrer Funktion in Höflichkeitsformeln, Schelt- und Fluchformeln, Kommentarformeln und Stimulierungsformeln (vgl. Fleischer 1982: 130ff). Palm fasst diese Ausdrücke unter sprechaktgebundene phraseologische Einheiten bzw. Sprechaktformeln zusammen (vgl. Palm 1997: 33).
Unabhängig von der divergierenden Terminologie bezeichnen diese Begriffe ‚kommunikative Phraseologismen‘. Daraus ergibt sich folgendes Schema für die Basisklassifikation:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die drei Klassen erfordern teilweise unterschiedliche Analyseverfahren. Sie können nach syntaktischen und semantischen Gesichtspunkten weiter untergliedert werden (vgl. Burger 2007: 36ff.). An dieser Stelle wird jedoch auf eine vollständige Untergliederung verzichtet. Der Grund dafür ist, dass idiomatische Phraseologismen, deren Vermittlung im DaF-Unterricht im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, in allen drei Klassen vertreten sind und sich die im Kapitel vier vorgestellten Vermittlungsverfahren auf keine spezielle Klasse eingrenzen lassen. Deshalb werden nachfolgend nur einige Klassen, welche für die Auswahl von Phraseologismen für den Unterricht relevant sein könnten, vorgestellt.[5] Diese Klassen liegen entweder quer zur Basisklassifikation, d.h. Vertreter dieser Klassen befinden sich in verschiedenen der oben genannten Klassen, oder sie werden von ihr gar nicht erfasst.
2.3. Einige spezielle Klassen
2.3.1.Modellbildungen
Phraseologische Modelle folgen einem Strukturschema, „dem eine konstante semantische Interpretation zugeordnet ist und dessen autosemantische Komponenten[6] lexikalisch (mehr oder weniger) frei besetzbar sind“ (ebd.: 45). Wendungen, wie „von Stadt zu Stadt“, „von Mann zu Mann“, „von Tag zu Tag“ basieren auf der Struktur „von X zu X“. „Glas um Glas“, „Stein um Stein“ sind Ausdrücke, die auf der Struktur „X um X“ basieren. Diese Klasse wird von der Basisklassifikation nicht erfasst (vgl. ebd.: 45f.)
2.3.2. Zwillingsformeln
Für die, auch als „Paarformeln“ bezeichneten, Zwillingsformeln ist ihre musterhafte Bildung kennzeichnend. Dabei werden das gleiche Wort oder zwei verschiedene Wörter der gleichen Wortart mit einer Konjunktion oder einer Präposition verbunden. Beispiele für Zwillingsformeln sind u.a. „klipp und klar“, „fix und fertig“, „Schulter an Schulter“. Häufig beinhalten diese Formeln rhetorische Elemente, insbesondere Alliterationen (vgl. Burger 2007: 46).
2.3.3. Komparative Phraseologismen
Komparative Phraseologismen sind phraseologische Vergleiche, in denen häufig ein in seiner freien Bedeutung verwendetes Adjektiv oder ein Verb verstärkt wird. Diese Wendungen folgen wie Zwillingsformeln einem Muster. Beispiele sind „flink wie ein Wiesel“, „schlau wie ein Fuchs“, „stumm wie ein Fisch“ und „dumm wie Bohnenstroh“ (vgl. ebd.: 46f.).
2.3.4. Kinegramme
Bei Kinegrammen handelt es sich um Phraseologismen, in denen außersprachliches konventionalisiertes Verhalten versprachlicht wurde (vgl. ebd.:48). Heinz (vgl. 1994: 291f.) nennt diese Unterklasse ‚gestische Phraseologismen‘. Ihre Bedeutungen bestehen in den durch die Geste ausgedrückten Emotionen. Beispiele hierfür sind „die Achseln zucken“ mit der Bedeutung ‚ratlos/ unentschlossen oder gleichgültig gegenüber etwas sein‘, „die Nase rümpfen“ mit der Aussage ‚angewidert bzw. auf überhebliche Weise unzufrieden sein‘, „sich die Hände reiben“ mit dem Sinngehalt ‚zufrieden sein, sich über etwas Erreichtes freuen‘. Interessant ist, dass nicht nur das Kinegramm, also die Versprachlichung der Geste diese kulturell kodifizierte Bedeutung trägt, sondern bereits die real ausgeführte Gebärde selbst (vgl. Burger 2007: 64f.).
2.3.5.Onymische Phraseologismen
Onymische Phraseologismen sind Eigennamen, wie „Weißes Haus“, „Rotes Kreuz“ und „Ferner Osten“. Sie benennen außersprachliche „Einzelobjekte identifizierend“ (Fleischer 1982: 74), d.h. dass für diese Objekte keine andere Benennungen existieren. Onyme werden entweder unübersetzt in Fremdsprachen übertragen oder mit vollständiger Deckung übersetzt. Auch diese Klasse wird von der Basisklassifikation nicht erfasst. Sie würde neben den referentiellen, strukturellen und kommunikativen Phraseologismen eine eigene semiotische Klasse bilden.
2.3.6. Phraseologische Termini
Diese Gruppe von Phraseologismen benennt wissenschaftlich erarbeitete Begriffe. Phraseologische Termini sind fachbezogen und kontextunabhängig, weil ihre Bedeutung strikt festgelegt ist. Zu großen Teilen sind Termini aber auch in der Alltagssprache relevant. Die Wendungen „spitzer Winkel“, „gleichschenkliges Dreieck“ und „die Wurzel ziehen“ sind jedem Schüler bekannt. Viele Termini werden heutzutage auch durch die Medien popularisiert. Dazu gehören Beispiele aus der Wirtschaftssprache, wie „die Börse schließt schwächer“, „die Konjunktur ist auf Talfahrt“, „in Konkurs gehen“, aus der Meteorologie „die Temperaturen liegen über/ unter dem Gefrierpunkt“ und aus der Medizin „Risiken und Nebenwirkungen“. Auch Spiele haben eine Terminologie, wie die Ausdrücke „jmdn. matt setzen“ und „ein Tor schießen“ verdeutlichen (vgl. Fleischer 1982: 76f. und Burger 2007: 50f.) Termini haben, wie onymische Phraseologismen einen interlingualen Aspekt. Sie werden wortwörtlich in eine Fremdsprache übertragen (vgl. Fleischer 1982: 79).
2.3.7. Orthonymische Phraseologismen
Orthonymische Phraseologismen sind nach Heinz (vgl. 1994: 283f.) feste Wortverbindungen mit einfacher Semantik. Sie haben in der Regel keine Bedeutungsnuancen. Einfache Konzepte des täglichen Lebens, wie ‚essen‘, ‚Angst haben‘, ‚sich freuen‘, ‚dumm sein‘, ‚schön sein‘, ‚sterben‘ werden durch diese Wendungen ausgedrückt. Als Beispiele sollen „ins Gras beißen“, „den Löffel abgeben“, „das Zeitliche segnen“ und „über den Jordan gehen“ mit der Bedeutung ‚sterben‘ genügen. Orthonymische Phraseologismen sind zumeist stilistisch markiert und liegen aufgrund ihrer Expressivität außerhalb der Standardsprache (vgl. Heinz 1994: 285).
Idiomatische Phraseologismen existieren in jeder der oben vorgestellten Klassen, wobei die Grade der Idiomatizität[7] variieren können. Da idiomatische Phraseologismen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen sollen, folgt im nächsten Kapitel eine genaue Beschreibung der sprachlichen Besonderheiten dieser Wendungen.
[...]
[1] „Idiom“ und „idiomatischer Phraseologismus“ werden hier synonym verwendet.
[2] zum Merkmal der ‚Idiomatizität‘ siehe Kapitel 3.3., zu den grammatischen Varianten siehe Kapitel 3.2.3.
[3] zu den Merkmalen ‚Bekanntheit‘, ‚Gebräuchlichkeit‘ und ‚Lexikalisierung‘ siehe auch Kapitel 3.2.1.
[4] zum Begriff der ‚Routineformeln‘ siehe Kapitel 3.2.3
[5] zur Auswahl von Phraseologismen vgl. Kapitel 4.3. dieser Arbeit
[6] zu den Begriffen ‚Autosemantika‘ und ‚Synsemantika‘ vgl. Kapitel 3.1. dieser Arbeit
[7] zum Begriff ‚Idiomatizität‘ siehe Kapitel 3.3.